BGH,
Urt. v. 17.4.2002 - 2 StR 531/01
2 StR 531/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
17. April 2002
in der Strafsache gegen
1.
2.
3.
wegen Untreue u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 17.
April 2002, an der teilgenommen haben: Vizepräsident des
Bundesgerichtshofes Dr. Jähnke als Vorsitzender, Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Otten, die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß, Prof. Dr. Fischer, Richterin am Bundesgerichtshof
Elf als beisitzende Richter, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt , Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizhauptsekretärin als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Mühlhausen vom 22. Februar 2001 mit den
Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten M. vom Vorwurf der Untreue in
Tateinheit mit Betrug, die Angeklagten H. und N. vom Vorwurf der
Anstiftung zur Untreue freigesprochen. Die hiergegen eingelegte, vom
Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft
führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts schloß der
Angeklagte M. als damaliger Landrat des ehemaligen Landkreises B. am
24. Februar 1993 mit den Angeklagten H. und N. einen sogenannten
"Betreibervertrag" mit einer Laufzeit von zehn Jahren über die
Nutzung einer von der H. und N. GbR zu erwerbenden Liegenschaft
("Objekt A. ") als Gemeinschaftsunterkunft für Aussiedler und
ausländische Flüchtlinge. Darin verpflichtete sich
die Gesellschaft als Betreiber, insgesamt 620 Plätze zur
Verfügung zu stellen; die Belegung sollte nach Erwerb und
Umbau des Objekts beginnen. Als Entgelt wurde pro untergebrachte Person
und Tag ein Betrag von 25,99 DM vereinbart. Dem lag ein
"Finanzierungskonzept" zugrunde, welches u.a. einen Aufwand
für "Kauf einsch. Zinsen und Umbau der Gebäude sowie
Schaffung Außenanlagen einschl. Bearbeitungsgebühr"
in Gesamthöhe von ca. 16,1 Millionen DM vorsah.
Unabhängig von der tatsächlichen Belegung sollte der
Betreiber den Unterkunftssatz für 80 % der jeweils belegbaren
Plätze abrechnen können. Bei einer Über-
oder Unterschreitung "der Investitionssumme" waren Betreiber und Nutzer
berechtigt, eine Anpassung des Tagessatzes pro Person um 0,15 DM je
100.000 DM zu verlangen; der Betreiber war verpflichtet, "über
die Investitionssumme dem Nutzer Nachweis zu führen". Die
Parteien gingen davon aus, daß die volle
Belegungskapazität am 1. April 1994 hergestellt sein
würde. Die Aufwendungen für die Unterbringung der
genannten Personen waren vom Freistaat Thüringen zu tragen.
Die Titelverwaltung oblag dem Landesamt für Soziales und
Familie; die Angelegenheiten der Unterbringung waren den kreisfreien
Städten und Landkreisen übertragen. Die erforderliche
Zustimmung des Landes zu dem Vertrag vom 24. Februar 1993 wurde erteilt.
Nachdem der Betreiber das Grundstück im April 1993
für einen Kaufpreis von 8,5 Millionen DM von dem Landkreis
erworben hatte, kam es in der Folge zu unvorhergesehenen
Schwierigkeiten beim Umbau und Ausbau des Objekts, so daß
eine Fertigstellung zum 1. April 1994 nicht möglich war. Als
sich bei einer Begehung am 16. März 1994 erwies, daß
ab 1. April 1994 "allenfalls 500" Plätze zur
Verfügung stehen würden, verlangten die Angeklagten
H. und N. von dem Angeklagten M. , gleichwohl bereits ab 1. April 1994
80 % der vollen Kapazität, also 496 Plätze abrechnen
zu können. Der Angeklagte M. war hiermit einverstanden,
"erwartete" aber im Gegenzug einen Verzicht der Mitangeklagten auf eine
mögliche Anhebung des Tagessatzes. Hierauf einigten sich die
Angeklagten mündlich; Dritte wurden hierüber nicht in
Kenntnis gesetzt. Ebenfalls am 16. März 1994 teilte der
Angeklagte M. bewußt wahrheitswidrig dem Landesamt
für Familie und Soziales des Freistaats Thüringen
mit, eine Belegungskapazität von 620 Plätzen sei ab
1. April 1994 gewährleistet.
Vom 1. April bis zum 31. Dezember 1994 rechneten die Angeklagten H. und
N. daraufhin jeweils 80 % von 620 Plätzen ab, obgleich diese
Anzahl tatsächlich nicht zur Verfügung stand;
vielmehr wurde die Kapazität von 620 Plätzen erst
nach Abschluß der Bauarbeiten im Januar 1995 erreicht. Der
Landkreis erstattete den Angeklagten H. und N. auf Veranlassung des
Angeklagten M. jeweils die abgerechneten Sätze für
496 Plätze und erhielt diese Aufwendungen wiederum vom
Freistaat Thüringen (Landesamt für Soziales und
Familie) erstattet; Grundlage hierfür war die unzutreffende
Freimeldung des Angeklagten M. vom 16. März 1994. Als
unberechtigte Zuvielleistung für diesen Zeitraum hat das
Landgericht - auf der Basis von 500 zur Verfügung stehenden
Plätzen - einen Betrag von ca. 686.000 DM festgestellt,
weiterhin, daß die Gesamtsumme der Um- und Neubaukosten
einschließlich der Zinsaufwendungen hierfür um
564.000 DM überschritten wurde. Eine Anhebung des Tagessatzes
gemäß § 13 a des Betreibervertrags machten
die Angeklagten H. und N. nicht geltend.
2. Das Landgericht hat auf der Grundlage dieser Feststellungen sowohl
das Vorliegen einer Untreue als auch eines Betrugs durch den
Angeklagten M. verneint, weil es an einem Vermögensschaden
fehle; dem Freistaat Thüringen sei nämlich infolge
der Vermögensverfügung über Haushaltsmittel,
welche dem vorgesehenen Verwendungszweck entsprochen hätten,
zugleich ein Vermögensvorteil durch den Verzicht auf die
mögliche Tagessatzerhöhung zugeflossen. Dieser
Vorteil habe etwa 1,1 Millionen DM betragen. Auch eine schadensgleiche
Vermögensgefährdung sei nicht eingetreten, da es bei
der Vereinbarung am 16. März 1994 keine Anhaltspunkte
dafür gegeben habe, die Angeklagten H. und N. würden
sich an die Vereinbarung nicht halten. Diese Erwägungen
rechtfertigen den Freispruch nicht.
a) Entgegen der Auffassung des Landgerichts fehlt es hier nicht an
einem Vermögensschaden. Das Landgericht hat unter Berufung auf
BGHSt 43, 293, 297 f. angenommen, die Verfügung des
Angeklagten M. über Haushaltsmittel in Höhe von
686.000 DM im Jahr 1994 zugunsten der Angeklagten H. und N. sei nicht
zweckwidrig erfolgt, weil der Angeklagte die Mittel "für den
vorgegebenen Zweck, nämlich die Entlohnung der Angeklagten H.
und N. " eingesetzt habe (UA S. 13). Dies trifft, wie der
Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, schon deshalb
nicht zu, weil - anders als in dem BGHSt 43, 293 zugrunde liegenden
Fall - vorliegend ein Anspruch der Mitangeklagten auf Bezahlung nach
Maßgabe der fingierten Belegungszahl gar nicht bestand und
daher kein Bedarf für die Mittelverwendung gegeben war.
Soweit von der Verteidigung in der Revisionshauptverhandlung die
Möglichkeit angesprochen wurde, die Angeklagten N. und H.
könnten einen Schadensersatzanspruch wegen der von ihnen nicht
zu vertretenden Verzögerung bei der Fertigstellung des Objekts
gehabt haben, welcher durch die Leistung aufgrund der
vorgetäuschten Belegungszahl erfüllt worden sei,
liegt dies nach den bisherigen Feststellungen nicht nahe. Daß
die Planung und Finanzierung der Angeklagten N. und H. "darauf
angelegt" war, daß eine Belegungskapazität von 620
Plätzen zum 1. April 1994 hergestellt sein sollte (UA S. 9),
hat im Betreibervertrag vom 24. Februar 1993 keinen Ausdruck gefunden.
Vielmehr begann die Laufzeit des Vertrags vier Wochen nach
Fertigstellungsanzeige; die Nutzung sollte "nach Fertigstellung nachdem
der Betreiber über das Objekt verfügen und mit Umbau-
und Renovierungsarbeiten bzw. der Neuerrichtung beginnen kann"
beginnen, die Entgeltsverpflichtung in Höhe der "jeweils
möglichen Belegungskapazität" bestehen. Hieraus
ergibt sich, daß schon zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses
Neubaumaßnahmen vorgesehen waren; überdies ging der
Vertrag ersichtlich von einer sukzessiven Erreichung der
Gesamtkapazität aus. Schließlich waren am 16.
März 1994 nicht nur der Teilneubau, sondern auch
Kläranlage und Brandschutzmaßnahmen nicht
abgeschlossen. Es ist daher nicht naheliegend, daß zu diesem
Zeitpunkt ein Schadensersatzanspruch der Betreiber überhaupt
oder gerade in der Höhe bestanden haben könnte, in
welcher der Kostenträger vom Angeklagten M. durch die
täuschende Erklärung zu Zahlungen veranlaßt
wurde.
Bei der Beurteilung pflichtwidriger Verfügungen über
Haushaltsmittel ist nicht auf das Gesamtergebnis einer
Wirtschaftsperiode oder eine "letzten Endes" erreichbare Saldierung
möglicher Vor- und Nachteile für das zu betreuende
Vermögen abzustellen, sondern auf die einzelne Untreuehandlung
(vgl. BGHSt 40, 287, 298; 43, 293, 296 f.; BGH NStZ 2001, 248, 251); es
kommt für die Feststellung eines Vermögensschadens
daher darauf an, ob zum Zeitpunkt des Eintritts des
Vermögensnachteils dem Treugeber zugleich ein ausgleichender
vermögenswerter Vorteil zufließt (BGH NStZ 1997,
543). Ein solcher Ausgleich kann bei pflichtwidrigen Entgeltleistungen
an Dritte insbesondere in der Gleichwertigkeit der erlangten
Gegenleistung liegen (vgl. BGHSt 40, 293, 298). Hieran mangelt es
vorliegend ersichtlich, denn die Zuwendung an die Angeklagten H. und N.
erfolgte gerade nicht als Gegenleistung für von diesen
vertraglich erbrachte Leistungen. Ein ausgleichender
Vermögensvorteil lag entgegen der Annahme des Landgerichts
auch nicht in dem "Verzicht" der Angeklagten H. und N. auf eine ihnen
zustehende Vergütungserhöhung. Selbst bei Annahme des
vom Landgericht errechneten Überschreitungsbetrags hatte der
festgestellte - von den Beteiligten geheimgehaltene - "Verzicht" zum
Zeitpunkt der schädigenden
Vermögensverfügung, auf welchen allein es ankommt,
keinen auch nur annähernd konkretisierbaren
Vermögenswert und war daher zur Saldierung nicht geeignet. Zu
dem Zeitpunkt der Absprache am 16. März 1994 stand weder fest,
ob und wann die geplante Belegungskapazität erreicht
würde, noch war die Höhe der noch aufzuwendenden
Investitionssumme bestimmt; es war daher ungewiß, ob
überhaupt jemals ein Anspruch entstehen würde, auf
dessen Geltendmachung die Angeklagten H. und N. verzichten konnten.
Weitere Unsicherheitsfaktoren ergaben sich schon daraus, daß
der Verzicht nur mündlich vereinbart und vom Angeklagten M.
weder gegenüber seinen Mitarbeitern noch gegenüber
dem Landesamt für Soziales und Familie offenbart wurde. Aus
der Vereinbarung ergab sich daher allenfalls eine vage Chance
zukünftiger Vermögensmehrung für das vom
Angeklagten M. zu betreuende Vermögen; diese stellte keinen
den Nachteil unmittelbar ausgleichenden Vorteil dar (vgl. BGHSt 17,
147, 148; BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 38).
b) Dasselbe gilt auch für den Tatvorwurf des Betrugs; die an
BGHSt 43, 293, 299 orientierten Erwägungen des Landgerichts
zur Dispositionsfähigkeit des Freistaats Thüringen
und zur fehlenden Notwendigkeit einer gewichtigen Kreditaufnahme des
Landes (UA S. 21 f.) gehen fehl, weil es schon an einer gleichwertigen
Gegenleistung für die schädigende
Vermögensverfügung fehlte.
c) Aufgrund des unzutreffenden Ausgangspunkts mangelt es auch den
Erwägungen des Landgerichts zum Vorsatz des Angeklagten M. an
einer Grundlage, ohne daß es hierbei auf die von der Revision
vorgetragenen Umstände der weiteren geschäftlichen
Beziehungen zwischen den Angeklagten ankommt; Feststellungen hierzu
trifft das Urteil nicht. Für die Annahme zumindest bedingten
Vorsatzes stellt - was das Landgericht nicht erörtert - die
Vorgehensweise des Angeklagten M. ein gewichtiges Indiz dar. Kam es
ihm, wovon das Landgericht nach seiner nicht näher
begründeten Auffassung "ausgehen mußte" (UA S. 22),
darauf an, einen Schaden für das Land Thüringen
abzuwenden, so lag es fern, dies unter Verstoß gegen die
Genehmigungspflicht und unter Geheimhaltung gegenüber dem
Landesamt für Soziales und Familie durch wissentlich falsche,
täuschende Erklärungen zu tun.
3. a) Da der Freispruch sich somit schon auf der Grundlage der
landgerichtlichen Feststellungen als rechtsfehlerhaft erweist, kommt es
auf die von der Revision erhobenen Einwendungen gegen die
Beweiswürdigung nicht an. Der Senat merkt hierzu an,
daß jedenfalls die Feststellung, es sei am 16. März
1994 die von den Angeklagten behauptete Verzichts-Vereinbarung
geschlossen worden, einer tragfähigen Grundlage in den
Urteilsgründen entbehrt. Welcher Anhaltspunkt für die
Richtigkeit dieser Einlassung sich aus der im Urteil wiedergegebenen
Aussage der Zeugin Me. ergeben könnte, ist nicht ersichtlich,
denn die Zeugin war bei dem Gespräch nicht anwesend und hat
auch später von seinem Inhalt nichts erfahren (UA S. 16).
b) Soweit das Landgericht seiner Berechnung des die
ursprünglich projektierte Gesamtinvestition
übersteigenden Betrags eine Vertragsauslegung zugrunde gelegt
hat, wonach auch eine mögliche Erhöhung der Zinslast
zu einer Anpassung des Tagessatzes berechtigen sollte, versteht sich
dies nicht von selbst und wird vom neuen Tatrichter zu prüfen
sein. Eine solche Auslegung des Betreibervertrags würde -
wovon das Landgericht offenbar ausgegangen ist - dazu führen,
daß das den Angeklagten N. und H. zu leistende Entgelt um so
höher würde, je weniger Kredite
zurückgeführt würden. Eine solche
vollständige Freistellung der Vertragspartner von allen
Risiken wäre so ungewöhnlich, daß die
Annahme eines solchen Vertragsinhalts besonderer Begründung
bedurfte.
Jähnke Otten Rothfuß
Fischer Elf |