BGH,
Urt. v. 17.8.2004 - 5 StR 93/04
Nachschlagewerk: ja
BGHSt
: ja
Veröffentlichung : ja
StGB §
21
Beruht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit auf zu
verantwortender Trunkenheit, spricht dies in der Regel gegen eine
Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1
StGB,
wenn sich aufgrund der persönlichen oder situativen
Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von
Straftaten vorhersehbar signifikant infolge der Alkoholisierung
erhöht hat. Ob
dies der Fall ist, hat der Tatrichter in wer tender Betrachtung zu
bestimmen; seine Entscheidung unterliegt nur eingeschränkter
revisionsgerichtlicher
Überprüfung.
BGH, Urt. v. 17. August 2004 - 5 StR 93/04
LG Potsdam
5 StR 93/04
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 17. August 2004
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Au-
gust 2004, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf
als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause
als beisitzende
Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der
Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt P
als Verteidiger
für den Angeklagten G
,
Rechtsanwalt V
als Verteidiger
für den Angeklagten
M ,
Justizhauptsekretärin
N
,
Justizangestellte R
als
Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
- 3 -
für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird
das Urteil
des Landgerichts Potsdam vom
22. Juli 2003 in den
Strafaussprüchen gegen die
Angeklagten
G
und M
mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die Revision des Angeklagten
M
gegen dieses Urteil
wird verworfen. Er hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird
die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der
Revisionen der Staatsanwaltschaft, an eine andere Straf-
kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
Das Landgericht hat
die Angeklagten wegen
gefährlicher Körperver-
letzung in Tateinheit mit
Freiheitsberaubung und Nötigung
jeweils - unter
Zubilligung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21,
49 Abs. 1 StGB auf-
grund erheblicher Alkoholisierung -
zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren
und sechs Monaten verurteilt. Während
die Staatsanwaltschaft mit ihren zu-
ungunsten der Angeklagten
eingelegten Revisionen lediglich
den Strafaus-
spruch beanstandet, wendet sich der
Angeklagte
M
mit der Sachrüge
umfassend gegen seine Verurteilung.
- 4 -
I.
Nach den Feststellungen
des Landgerichts spricht der
Angeklagte
G seit dem
Jugendalter dem Alkohol zu
und ist deutlich alkoholgewöhnt.
Er ist mehrfach wegen
Eigentums- und Verkehrsdelikten,
darunter auch
Trunkenheit im Verkehr, vorbestraft. Am Tattag hatte er von den
frühen Mor-
genstunden an über den Tag verteilt mehrere Flaschen Bier
getrunken, bevor
er mit dem ebenfalls bereits angetr unkenen,
bislang unbestraften Angeklag-
ten M den
später Geschädigten
Pi
in der Absicht aufsuchte, die-
sen zu mißhandeln. Die Angeklagten hatten
über
Pi
das von ihnen
nicht weiter überprüfte Gerücht
gehört, er habe ein kleines
Mädchen verge-
waltigt. Gemeinsam wollten
beide „ihre Freude an
Gewalttätigkeit an ihm
ausleben“.
In der Wohnung von
Pi
schlugen und traten die
Angeklagten
sogleich auf diesen ein und
forderten ihn auf zuzugeben,
daß er das Mäd-
chen vergewaltigt habe. Der Geschädigte
mußte in einem vom Angeklagten
G
gesteuerten PKW zu dem
wegen Beihilfe an dem strafbaren Gesche-
hen inzwischen rechtskräftig verurteilten
K mitkommen. Dort mißhandelten
G und
M ihr Opfer unter
Beschimpfungen weiter, so daß
Pi
schließ-
lich im Gesicht blutete und
sich kaum noch auf
den Beinen halten konnte.
Anschließend fuhren alle gemeinsam mit dem Auto des
G zu einem
Imbiß
und sodann über Land; der
Geschädigte mußte nun in den
Kofferraum stei-
gen. An einem Wehr wurde er
von den Angeklagten halb
entkleidet und in
das 15 bis 18 Grad kalte Wasser gestoßen. Nach einiger Zeit
zogen die An-
geklagten den Geschädigten
schließlich wieder an
Land, traten auf ihn ein,
bis er das Bewußtsein verlor, und ließen ihn
halbnackt und bewußtlos liegen.
Pi
erlitt durch die Mißhandlungen der Angeklagten vielfache
Prellungen,
eine Rippenfraktur und eine - unbehandelt lebensgefährliche -
traumatische
Hirnblutung, zudem eine
Unterkühlung und
Herzrhythmusstörungen.
Wäh-
r end des sich über
mehrere Stunden hinziehenden
Tatgeschehens hatten
- 5 -
beide Angeklagte nicht
unerhebliche Mengen Bier und
andere alkoholische
Getränke zu sich genommen.
Das Landgericht hat den Str afrahmen des
§ 224 Abs. 1 Nr. 4 (i.V.m.
§ 52 Abs. 2) StGB nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB
aufgrund der Alkoholisierung
der Angeklagten und dadurch
verursachter erheblicher Verminderung der
„ Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit“
(richtig: Steuerungsfähigkeit, vgl. Trönd-
le/Fischer, StGB 52. Aufl.
§ 21 Rdn. 5
m.w.N.) verschoben. Es hat zur
Be-
gründung ausgeführt, die
Trunkenheit des Angeklagten
G
sei am Tattag
nicht verschuldet gewesen, weil
er bislang weitgehend vom
Alkohol be-
herrscht wurde; mangels Einlassung des Angeklagten
M
sei auch zu
dessen Gunsten davon
auszugehen, daß seine
Trunkenheit unverschuldet
gewesen sei.
II.
Die auf den jeweiligen
Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revisio-
nen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg.
1. Die
Beschwerdeführerin hat ihre
Rechtsmittel wirksam auf den
Strafausspruch beschränkt. Wie
sich aus der Revisionsbegr
ündungsschrift
vom 24. September 2003 ergibt, sollen allein die zugunsten der
Angeklagten
vorgenommenen Strafrahmenverschiebungen
und damit die verhängten
Rechtsfolgen angegriffen werden; nur insoweit wird die
Sachrüge ausgeführt.
Ungeachtet der Erhebung einer
nicht ausdrücklich
beschränkten Sachrüge
und eines umfassenden
Aufhebungsantrags ist dem Revisionsvortr
ag des-
halb eine Beschränkung der Rechtsmittel auf den
Rechtsfolgenausspruch zu
entnehmen (vgl. BGHR StPO
§ 344 Abs. 1
Antrag 3; BGH, Urteil vom
16. März 2004 - 5
StR 364/03). Diese
Beschränkung ist auch
wirksam, da
die Feststellungen des Landgerichts zum
Schuldspruch weder widersprüch-
lich oder lückenhaft
und damit
ergänzungsbedürftig noch
mit den Feststel-
lungen zum Strafausspruch
untrennbar verknüpft sind.
Für die Frage der
- 6 -
Strafzumessung bilden die Feststellungen zum Schuldspruch eine
tragfähige
Grundlage, auch wenn sie
- was der Generalbundesanwalt
in seiner An-
tragsschrift zutreffend angedeutet
hat - eine weitergehende
strafrechtliche
Bewertung des Geschehens zum Nachteil der Angeklagten hätten
rechtferti-
gen können.
2. Das Landgericht ist r
echtsfehlerfr ei aufgrund von
plausiblen Trink-
mengenangaben des Angeklagten
G ,
von Zeugenbeschreibungen über
den Zustand der Angeklagten und eines
insgesamt auf erhebliche Enthem-
mung hindeutenden Tatbildes bei
beiden Angeklagten sachverständig bera-
ten zu dem Ergebnis gelangt, daß ihre
Steuerungsfähigkeit erheblich vermin-
dert war.
3. Die Staatsanwaltschaft
beanstandet gleichwohl zu Recht
die zu
Gunsten der Angeklagten
vorgenommene Strafr ahmenverschiebung
gemäß
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB.
a) Der 3. Strafsenat hat zutreffend darauf hingewiesen, daß
die bishe-
r ige - in sich eher uneinheitliche und
teils sogar widersprüchliche -
Recht-
sprechung des Bundesgerichtshofs
zur Strafrahmenverschiebung
gemäß
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB
bei vorwerfbarer Alkoholisierung grundsätzlich
über-
dacht werden sollte (BGHR StGB § 21
Strafrahmenverschiebung 31 mit An-
merkungen: Foth NStZ 2003,
597; Frister JZ 2003,
1019; Neumann StV
2003, 527; Scheffler
Blutalkohol 2003, 449; Streng
NJW 2003, 2963; zu-
stimmend der 2. Strafsenat in
BGHR StGB § 21
Strafrahmenverschie-
bung 32). Der Senat pflichtet diesem Anliegen bei, gelangt indes zu dem
fol-
genden differenzierenden und
bisheriger Rechtsprechung nicht
tragend wi-
dersprechenden Ergebnis:
Über die fakultative
Strafrahmenverschiebung nach
§§ 21, 49
Abs. 1
StGB entscheidet der Tatrichter nach seinem
pflichtgemäßen Ermessen auf-
grund einer Gesamtabwägung
aller schuldrelevanten Umstände.
Beruht die
- 7 -
erhebliche Verminderung der
Schuldfähigkeit auf zu
verantwortender Trun-
kenheit, spricht dies in
der Regel gegen eine
Strafrahmenverschiebung,
wenn sich aufgrund der persönlichen oder situativen
Verhältnisse des Einzel-
falls das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant
infolge
der Alkoholisierung erhöht hat. Ob dies der Fall ist, hat der
Tatrichter in wer-
tender Betrachtung zu bestimmen. Seine Entscheidung
unterliegt nur einge-
schränkter revisionsgerichtlicher
Überprüfung und ist
regelmäßig hinzuneh-
men, sofern die dafür
wesentlichen tatsächlichen
Grundlagen hinr eichend
ermittelt und bei der Wertung ausreichend berücksichtigt
worden sind.
b) Die vom Senat gefundene Lösung beruht
insbesondere auf folgen-
den Erwägungen:
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt,
daß ei-
ne erhebliche Einschr änkung der Einsichts-
oder Steuerungsfähigkeit gr und-
sätzlich den Schuldgehalt der
Tat vermindert (vgl. BGHSt 7,
28, 30; BGHR
StGB § 21 Vorverschulden 4; so auch schon RGSt 69, 314, 317).
Dies allein
zwingt jedoch nicht zu
einer Strafrahmenverschiebung
gemäß § 49
Abs. 1
StGB. Dem Tatrichter ist
in Fällen erheblich
verminderter Schuldfähigkeit
nach § 21 StGB
grundsätzlich ein Ermessen
bei der Entscheidung einge-
r äumt, ob er aufgrund
dieses Umstandes die Strafe
nach § 49 Abs. 1 StGB
durch eine Verschiebung des
anzuwendenden Strafrahmens mildert oder
nicht (BGHR StGB §
21 Strafrahmenverschiebung 21).
Nach dem Geset-
zeswortlaut des § 21 StGB „kann“ die
Strafe lediglich gemildert wer den; we-
der „muß“ noch „soll“
der Strafrahmen verschoben werden. Der Gesetzgeber
hat damit zu erkennen gegeben, daß auch eine erhebliche
Verminderung der
Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB für
sich allein weder zwingend noch
in der Regel zu einer durchgreifenden Verringerung des Schuldumfangs
führt
( vgl. auch Foth in Festschrift für Hannskarl Salger, 1995, S.
31, 37).
Die Minderung der Tatschuld durch
Einschränkung der Schuldfähig-
keit kann nämlich
durch schulderhöhende
Umstände kompensiert werden
- 8 -
( st. Rspr., vgl.
Tröndle/Fischer, StGB 52.
Aufl. § 21 Rdn.
20 ff. m.w.N.;
BVerfGE 50, 5, 11 f.). Der 3. Strafsenat sieht einen
solchen Umstand gene-
r ell in jeder
vorwerfbar herbeigeführten
Alkoholisierung (BGHR StGB
§ 21
Strafrahmenverschiebung 31). Dabei kommt indes nicht ausreichend zur
Gel-
tung, daß jede Schulder höhung wenigstens
(einfache) Fahrlässigkeit als ge-
r ingste Schuldform voraussetzt. Notwendige Elemente solcher
Fahrlässigkeit
sind Vorhersehbarkeit und
Vermeidbarkeit des rechtswidrigen
Ergebnisses
ganz allgemein (objektiv) und speziell für den
Täter (subjektiv). Bezugspunkt
des schulderhöhenden Moments
muß zudem das konkret
begangene Un-
r echt sein; es bedar f
also einer bestimmten
subjektiven Beziehung zu der
später begangenen rechtswidrigen
Handlung (Jähnke in LK
11. Aufl. § 21
Rdn. 22).
Trotz verbreiteten vielfachen
Alkoholgebrauchs und -mißbrauchs
kommt es nur in einem Bruchteil der Fälle
erheblicher Alkoholisierung zu ei-
ner rechtswidrigen Tat. Häufig
ist eine Gefährdung anderer
gänzlich ausge-
schlossen (vgl. Spendel in
LK 11. Aufl. § 323a
Rdn. 224). Andererseits ist
nicht zu ver kennen,
daß Alkohol das
Risiko der Begehung strafbarer
Hand-
lungen generell erhöht; ein
großer Teil der Straftaten gegen Leib und Leben
sowie gegen die sexuelle
Selbstbestimmung wir d unter
Alkoholeinfluß be-
gangen. Dieser Befund rechtfertigt indes nicht die Annahme,
es sei stets ob-
jektiv und subjektiv vorher sehbar, daß
bei erheblicher Alkoholisierung in der
konkreten Situation die
Begehung von Str aftaten durch
den Betrunkenen
drohe. Dies hängt vielmehr von der jeweiligen Person des
Täters und von der
Situation ab, in der getr unken wird oder
in die sich der Täter
betrunken be-
gibt.
(1) Schon nach der bisher igen Rechtsprechung des
Bundesgerichts-
hofs ist die Strafmilderung bei erheblicher Alkoholisierung zu
versagen, wenn
der Täter die
für ihn besonders
ungünstige Wirkung des
Alkoholgenusses
kannte und wußte oder wissen mußte,
daß er dann zu Gewalttätigkeiten oder
anderen Straftaten neigt (BGHR
StGB § 21
Vorverschulden 4; vgl. Tr önd-
- 9 -
le/Fischer aaO § 21
Rdn. 25 m.w.N.). Damit
kommt es also darauf
an, ob
besondere Umstände in der Person
des Täters im
konkreten Einzelfall vor-
hersehbar das Risiko der
Begehung rechtswidriger Taten signifikant
erhöht
haben. Soweit in diesem Zusammenhang teilweise zusätzlich
gefordert wird,
der Täter müsse
schon zuvor nach
Ausmaß und Intensität
mit der jetzigen
Tat vergleichbare Straftaten
begangen haben ( vgl. BGHR StGB
§ 21 Straf-
r ahmenverschiebung 6, 14, 16;
weitere Nachweise bei Lenckner
/Perron in
Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 21 Rdn.
20), hält der Senat daran nicht
fest. An die Vergleichbarkeit
sind schon nach bisheriger
Rechtsprechung
keine allzu hohen Anforder
ungen zu stellen (vgl. BGHR
StGB § 21 Vorver-
schulden 4). Zu differenzieren ist hier allenfalls nach weit
zu fassenden De-
liktsgruppen. Wer unter dem
Einfluß erheblicher Mengen
Alkohol - wie er
aufgrund persönlicher
Vorerfahrung weiß oder
wissen muß - zu gewalttäti-
gen Übergriffen auf andere neigt, den
trifft in Hinblick auf die enthemmende
Wirkung des Alkohols in
Fällen der
Gewaltkriminalität grundsätzlich
ein
schulderhöhender Fahrlässigkeitsvorwurf; anderes
gilt nur, wenn die bisher
unter Alkoholeinfluß begangenen
Straftaten ganz anderer Art
waren als die
nunmehr zu beurteilende, wenn also die neue Tat so unvergleichbar mit
den
früheren ist, daß
der Täter mit
Ähnlichem gar nicht
rechnen kann (BGHR
aaO). Entscheidend ist somit
regelmäßig nicht die
äußerliche Vergleichbar-
keit der einzelnen Taten, sondern die nämliche
Wurzel des jeweiligen delikti-
schen Verhaltens (Jähnke aaO § 21 Rdn. 22).
Bei alldem müssen die Vorerfahrungen nicht unbedingt
zu Vorstrafen
oder auch nur Str afverfahren
geführt haben. Denn es
geht in diesem Zu-
sammenhang um das Wissen des Täters von seiner
Gefährlichkeit und nicht
notwendig um den -
gegebenenfalls hinzutretenden -
Gesichtspunkt der
Warnfunktion einer früheren Verurteilung.
(2) Die Gefahr der Begehung von Straftaten in erheblich
alkoholisier-
tem Zustand kann indes
signifikant und vorhersehbar
nicht nur durch die
Person des Täters, sondern auch dur ch die Umstände
der jeweiligen Situati-
- 10 -
on erhöht werden. Wer in einer gefahrträchtigen Lage
in erheblichem Maße
dem Alkohol zuspricht, dem kann schulderhöhend
vorgeworfen werden, daß
er sich mit einer
gewissen Leichtfertigkeit in
die Tatsituation gebracht hat
( BGH NStZ 1990, 537, 538). Vorwerfbar ist dabei, daß in
einer solchen Situa-
tion trotz konkreter Vorhersehbarkeit
der durch eine weitere Alkoholisierung
drohenden Rechtsbrüche getrunken wir d (vgl.
auch Jähnke aaO). Insbeson-
dere in stark emotional aufgeladenen
Krisensituationen wird die Gefahr von
Gewalttätigkeiten durch die
enthemmende Wirkung erheblicher
Alkoholisie-
r ung regelmäßig vorhersehbar erhöht (vgl.
BGH NStZ 1990, 537, 538). Glei-
ches gilt für das Trinken in Gruppen,
aus denen heraus - gerade auch auf-
grund gruppendynamischer Prozesse
- leicht Straftaten gegen
andere be-
gangen werden. Wer sich
etwa in einer Gruppe
marodierender Hooligans
oder gewaltbereiter Radikaler
betrinkt, muß konkret
mit der Begehung von
Straftaten im trunkenen Zustand rechnen.
Die Alkoholisierung kann - wenn
nicht bereits die
Grundsätze der actio
libera in causa eine
Strafmilderung
ausschließen - auch nicht
demjenigen zugute kommen, der
sich in Fahrbe-
r eitschaft betrinkt, also
weiß oder damit
rechnen muß, noch als
Fahrer am
öffentlichen Straßenverkehr
teilzunehmen (vgl.
Tröndle/Fischer aaO §
316
Rdn. 54; König in LK 11. Aufl. § 316 Rdn. 243).
Es macht für
die Versagung einer
Strafrahmenverschiebung nach
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB auch keinen r
elevanten Unterschied, ob der Täter in
einer erkennbar gewaltträchtigen
Situation enthemmend dem
Alkohol zu-
spricht oder sich, sofern
ihm dies insoweit vorzuwerfen
ist, bereits durch
Trunkenheit enthemmt, bewußt
in eine solche Situation
begibt. Wer sich
schon angetrunken einer
gewaltbereiten Gruppe
anschließt, dem kann
schulderhöhend vorgeworfen werden, daß er trotz der
bekanntermaßen ent-
hemmenden Wirkung seiner
Alkoholisierung eine
gewaltträchtige Situation
aufgesucht hat.
In diesem Zusammenhang
muß es auch nicht
entscheidend darauf
ankommen, ob die Trunkenheit als solche vorwerfbar ist oder nicht, da
auch
- 11 -
letzterenfalls andere schulderhöhende Momente die
Versagung der Strafmil-
derung rechtfertigen können (
vgl. BGHR StGB §
21 Strafrahmenverschie-
bung 29). Im Rahmen der
vorzunehmenden Gesamtwürdigung
aller schuld-
r elevanten Umstände ist
es deshalb nicht ohne weiter
es ausgeschlossen,
auch einem alkoholabhängigen Täter
zwar nicht die Alkoholisierung als sol-
che, aber - bei insoweit noch vorhandener Hemmungsfähigkeit -
als schuld-
erhöhend vorzuwerfen, daß er
sich bewußt in eine
gewaltträchtige Situation
begeben hat, obwohl er
wußte oder wissen
mußte, daß er
sich dort infolge
seiner Beherr schung durch den
Alkohol nur eingeschränkt
werde steuern
können. Je eher ein alkoholabhängiger Täter
von den infolge seines Zustan-
des von ihm ausgehenden Gefahr en für andere weiß -
etwa aufgrund fr üher
unter Alkoholeinfluß begangener
Straftaten - und je
schwererwiegend die
Straftaten sind, mit deren
Begehung er rechnet oder
rechnen muß, desto
weniger wird eine Strafmilderung in Betracht
kommen, wenn er sich dessen
ungeachtet in eine
gewaltträchtige Situation begeben hat und
ihm dies vor-
zuwerfen ist (vgl. auch BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung
29).
(3) Auch in anderer
Weise kann an ein
konkret tatbezogenes Ver-
schulden des Täters vor Tatbeginn angeknüpft und eine
Str afmilderung trotz
Tatbegehung im Zustand
verminderter Schuldfähigkeit
aufgrund vorherge-
hender schulderhöhender
Momente versagt werden. So
hat nach den
Grundsätzen der - im
Rahmen des § 21 StGB
unproblematisch anwendba-
r en (vgl. Lenckner/Perron aaO § 21 Rdn. 11 m.w.N.)
- actio libera in causa
eine Strafmilderung
regelmäßig auszuscheiden,
wenn sich die Vorstellung
des Täter s in nicht
berauschtem Zustand schon auf
eine bestimmte Tat be-
zogen hat (vgl. BGHR StGB § 20
actio libera in causa 3; § 21
Strafrahmen-
verschiebung 22; BGH NStZ
1999, 448). Wurde der
Tatentschluß zu einer
Zeit gefaßt, in der
eine erhebliche Beeinträchtigung
des Hemmungsvermö-
gens noch nicht vorlag, wir d deshalb
zumeist für eine
Strafrahmenverschie-
bung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB
kein Raum sein (vgl. BGHSt 34, 29, 33;
BGH, Beschluß vom 15.
April 1999 - 4 StR
93/99, zitiert bei Detter NStZ
1999, 495; BGHR StGB § 20 actio libera in causa 3).
Verstärkt gilt dies, wenn
- 12 -
der Täter sich gar gezielt berauscht hat, um hierdurch
vorhandene Hemmun-
gen gegen eine Tatausführung abzubauen.
(4) Die Wertung, ob im Falle erheblicher Minderung
der Steuer ungs-
fähigkeit der Strafrahmen gemildert werden soll oder
nicht, hat gr undsätzlich
der Tatrichter anhand einer
Gesamtwürdigung aller
schuldrelevanten Um-
stände des Einzelfalls
vorzunehmen (BGHR StGB
§ 21 Vor verschulden 4
und Strafrahmenverschiebung 21). Ihm
obliegt es auch, die Begriffe der ob-
jektiven und subjektiven Vorhersehbarkeit strafbaren Verhaltens bei
vorwerf-
barer Alkoholisierung anhand der
besonderen Umstände in der
Person des
Täters und in
der Situation des
Tatgeschehens in wertender Betrachtung
auszufüllen. Seine Bewertung wird das
Revisionsgericht, wenn sie auf einer
vollständigen Auswertung der
maßgeblichen Tatsachengrundlagen beruht,
r egelmäßig hinzunehmen haben, auch wenn anderes
vertretbar oder gar nä-
herliegend gewesen wär e.
Bei Anwendung der
genannten Grundsätze wird
bei Gewaltdelikten
in vielen Fällen eine Strafrahmenverschiebung
gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB
nach vorwerfbarer Alkoholisierung ausscheiden. Zumeist liegen
entweder in
der Person des Täters
oder doch zumindest in der Situation
Umstände vor,
die in Zusammenhang mit der Alkoholisierung das Risiko
der Begehung von
Straftaten vorhersehbar signifikant
erhöht haben. An die
Überzeugungsbil-
dung des Tatrichters dürfen dabei nicht übertrieben
hohe Anfor derungen ge-
stellt werden; die
vielfältig verheerenden
Wirkungen übermäßigen
Alkohol-
gebrauchs sind allgemeinkundig.
Im Rahmen der
Abwägung aller schuldrelevanten
Umstände kann
auch von Bedeutung sein, welchen Grad die Enthemmung durch Alkoholisie-
r ung innerhalb des durch
§ 21 StGB abgesteckten
Rahmens erreicht hat.
Eine solchermaßen
differenzierende Bestimmung des
Umfangs und der
Auswirkungen verminderter
Schuldfähigkeit auf die
Tatschuld setzt jedoch
- 13 -
nachvollziehbare Darlegungen des Tatrichters voraus (vgl. BGHR StGB
§ 21
Strafrahmenverschiebung 2, 17).
Bei der vorzunehmenden
Gesamtwürdigung aller
schulderhöhenden
und schuldmindernden Umstände
des Einzelfalls können
auch solche
schulderhöhenden Momente gegen
eine Strafmilderung sprechen,
die nicht
unmittelbar mit der Berauschung ver knüpft sind (
vgl. BGHR StGB § 21 Straf-
r ahmenverschiebung 11; BT-Drucks.
IV/650, S. 142 linke
Spalte). Hierzu
können eine Mehrzahl
von Geschädigten oder
mitverwirklichte Straftatbe-
stände ebenso zählen
wie die näheren
Umstände der
Tatausführung oder
andere Tatmodalitäten (vgl. BT-Drucks. aaO; BGHR StGB
§ 21 Strafrahmen-
verschiebung 5 und
Strafzumessung 18). Auch einem
erheblich in seiner
Steuerungsfähigkeit verminderten Täter kann
nämlich die Art der Tatausfüh-
r ung - etwa eine besonders gefühlskalte,
rücksichtslose oder brutale Tatbe-
gehung - schulderhöhend vorgeworfen werden (vgl. BGHR StGB
§ 21 Straf-
r ahmenverschiebung 15 und Strafzumessung 4, 18) . In diesem Fall wird
der
Tatrichter jedoch zur
Vermeidung von Wertungswidersprüchen zu
beachten
haben, daß diese Umstände die Tatschuld nicht im
gleichen Ausmaß wie bei
nicht berauschten Tätern erhöhen, sofern sie ihren
Grund in der erheblichen
Verminderung der Hemmungsfähigkeit haben (vgl. Tr
öndle/Fischer aaO § 46
Rdn. 28, 33 m.w.N.;
BGHR StGB § 21
Strafrahmenverschiebung 5); eine
Ausnahme hiervon kommt indes in Betr acht, wenn dem Täter in
Hinblick auf
seine bisherigen Erfahrungen unter
Alkoholeinfluß vor dem
Hintergrund des
von ihm weiterhin nicht
gezähmten Alkoholgenusses gerade
eine derart
schwerwiegende Art seines
Tatverhaltens zum Vorwurf
gemacht werden
müßte (BGHR StGB § 21
Strafrahmenverschiebung 15).
(5) In Fällen, in
denen die Verhängung
lebenslanger Freiheitsstrafe
in Frage steht, wird der Tatrichter besonders darauf Bedacht zu nehmen
ha-
ben, daß der
schuldmindernde Umstand einer
erheblich eingeschränkten
Steuerungsfähigkeit angesichts der Absolutheit der
Strafdrohung ohne Straf-
r ahmenverschiebung bei der konkreten
Strafzumessung nicht berücksichtigt
- 14 -
werden kann; die Frage der
Strafrahmenverschiebung gewinnt im Vergleich
zur Prüfung bei zeitigen Freiheitsstrafen
deshalb ungleich mehr an Gewicht
( vgl. BGH, Urt. v. 17. Juni 2004 - 4 StR 54/04).
Dies wird zu besonder s
sorgfältiger Prüfung aller schulderhöhenden
und schuldmindernden Umstän-
de sowie zu einer im
Zweifel eher
zurückhaltenden Gewichtung zu
Lasten
des Täters Anlaß geben müssen (vgl.
BGH StV 2003, 499). Wenn allein die
Wahl zwischen lebenslanger Freiheitsstrafe und einer zeitigen
Freiheitsstrafe
besteht, müssen deshalb besondere er schwerende
Gründe vorliegen, um die
mit den Voraussetzungen des
§ 21 StGB verbundene
Schuldminderung so
auszugleichen, daß die
gesetzliche Höchststrafe
verhängt werden darf
( st. Rspr., vgl. BGHR
§ 21 Strafrahmenverschiebung
7, 8, 12, 18, 25;
vgl.
auch BVerfGE 50, 5, 11) . Gebieten solche
Umstände wie etwa das schuld-
steigernde Tatbild die
Versagung einer Strafrahmenverschiebung
und die
Verhängung lebenslanger
Freiheitsstrafe, wird eine Feststellung besonderer
Schuldschwere nach § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
StGB trotz erheblich vermin-
derter Schuldfähigkeit nur in besonders gravierenden
Ausnahmefällen in Be-
tracht kommen ( vgl. BGH, Beschluß vom 14. Juni
1999 - 5 StR 177/99; vgl.
auch BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 25).
Bedenklich kann aus entsprechenden Gründen auch die
Verhängung
der für das Delikt vor
gesehenen zeitigen Höchststrafe
aus dem nicht nach
§§ 21, 49 Abs. 1
StGB geminderten Strafrahmen
trotz erheblich einge-
schränkter Schuldfähigkeit sein (vgl. RGSt 69, 314,
317).
(6) Der Senat weist vorsorglich darauf
hin, daß das, was für
Alkohol
gilt, nicht ohne weiteres
gleichermaßen auf andere
Genuß- und Betäu-
bungsmittel übertragen werden
kann (vgl. Senatsurteil vom
heutigen Tage
- 5 StR 591/03). Die enthemmende und hierdurch teils
aggressionsfördernde
Wirkung des Alkohols ist allgemein bekannt. Bei
Betäubungsmitteln sind die
Wirkungsweisen dagegen differenzier ter und unter
Umständen weniger kon-
kr et vorhersehbar, zumal die
Dosierung und die individuelle
Verträglichkeit
meist von Fall zu Fall erheblichen Schwankungen unterliegen.
- 15 -
c) Dem gefundenen Ergebnis widersprechen
weder die historischen
Absichten des Gesetzgebers noch der Rechtsgedanke des § 323a
StGB.
(1) Die Überlegungen
des historischen Gesetzgebers
sprechen nicht
für einen Grundsatz,
wonach im Falle vorwer fbarer
Alkoholisierung eine
Strafmilderung stets zu versagen ist
(Neumann StV 2003, 527, 528 m.w.N.;
vgl. aber BGHR StGB
§ 21 Strafrahmenverschiebung
31; Foth DRiZ 1990,
417, 418 ff.; ders.
NStZ 2003, 597, 598;
zur historischen Entwicklung aus-
führlich: Rautenber g, Verminder
te Schuldfähigkeit, 1984,
S. 9 ff. m.w.N.;
Schnarr in: Hettinger [Hrsg.],
Reform des Sanktionenrechts,
2001, Band 1,
S. 7 ff.). Eine dem heutigen § 21 StGB entsprechende
Vorschrift wurde erst-
mals durch das Gesetz gegen
gefährliche Gewohnheitsverbrecher und
über
Maßr egeln der Sicher ung und Besserung vom
24. November 1933 (RGBl. I,
995) in das deutsche Str afgesetzbuch
eingeführt. Aus der
amtlichen Geset-
zesbegründung ergeben sich
für die aufgeworfene Frage
keine tragfähigen
Hinweise (vgl. ReichsAnz 1933,
Nr. 277, Erste Beilage,
S. 1, linke Spalte).
Die Gesetzesänderung fußte indes auf der
umfangreichen kriminalpolitischen
Reformdiskussion der Zwanziger Jahre (hierzu näher Foth,
jeweils aaO; Rau-
tenberg aaO). Dabei wurde
zwar auch eine gesetzliche
Ausnahme der vor-
gesehenen Milderung bei vorwerfbarer Alkoholisierung
vorgeschlagen ( vgl. §
17 Abs. 2 Satz 2
des Amtlichen Entwurfs eines
Allgemeinen Deutschen
Strafgesetzbuchs von 1925; ebenso bereits §
18 Abs. 2 des Entwurfs zu ei-
nem Deutschen Strafgesetzbuch von 1919 und § 63 Abs. 2 des
Vorentwurfs
zu einem Deutschen Strafgesetzbuch von
1909; ausführlich hier zu Rauten-
berg aaO). Gegen diese Vorschläge wurden jedoch auch
zur damaligen Zeit
gewichtige Bedenken geltend
gemacht ( vgl. Alsberg in
Aschrott/Kohlrausch
[Hr sg.], Reform des Strafrechts, 1926, S. 51, 73 ff.). Letztlich sind
die in den
Entwürfen verschiedentlich
vorgesehenen ausdr ücklichen
Ausnahmen bei
vorwerfbarer Alkoholisierung nicht Gesetz geworden. In den
Ber atungen der
Reichstagsvorlage von 1927 wurde hierzu erklärt, den Reichsrat
hätten zwei
Gründe veranlaßt, den
vorgesehenen Ausschluß einer
Strafmilderung bei
Trunkenheit (§ 17 Abs. 2 Satz 2 des Amtlichen
Entwurfs von 1925) zu strei-
- 16 -
chen und statt der obligatorischen eine fakultative
Milderung vorzuschlagen:
Zum einen erscheine die
Konsequenz unerträglich, dem
ganz betrunkenen
Täter eine Milderung
zu gewähr en, nicht
aber dem nur halb betrunkenen;
zum ander en sei nicht einzusehen, warum die Frage der
Selbstverschuldung
nur bei der Trunkenheit
berücksichtigt werden sollte
(vgl. Rautenberg DtZ
1997, 45, 47 m.w.N.). Dies legt nahe
anzunehmen, daß der Gesetzgeber in
Kenntnis entgegenstehender
Vorschläge bewußt auf
eine solche Regelung
verzichtet hat, also gerade keine zwingende Versagung der
Strafmilderung in
diesen Fällen wollte (Neumann StV 2003, 527, 528). In der
Gesetzesbegrün-
dung von 1933 heißt es lediglich, die Annahme verminderter
Zur echnungsfä-
higkeit sei Grundlage für eine Strafmilder ung, wobei das
Gesetz von den Be-
schlüssen der
Reichstagsausschüsse insoweit
abweiche, als die Milderung
nicht zwingend sei, sondern
in das Ermessen des
Richters gestellt werde
( ReichsAnz aaO).
Die Gesetzesmaterialien zur
Reform des Allgemeinen Teils
des
Strafgesetzbuchs in den
Sechziger Jahr en, die
zur Formulierung des
§ 21
StGB in der heutigen Form geführt hat, sprechen
gleichermaßen für eine dif-
ferenzierende Lösung. §
21 StGB wurde einerseits als Kann-Vorschrift kon-
zipiert, um dem Umstand
Rechnung zu tragen,
daß die Verminderung der
Schuldfähigkeit nicht notwendig
zu einer Minderung der Schuld
in ihrer Ge-
samtheit führt; im Rahmen einer
Gesamtwürdigung sollten außer
dem Grad
der Schuldfähigkeit auch
andere schuldrelevante Umstände
berücksichtigt
werden können (BT-Drucks.
IV/650, S. 142 linke
Spalte). Hierzu gehören
nach Auffassung des Gesetzgebers nicht nur unmittelbar der Tat
anhaftende
Schuldumstände wie etwa
eine große Anzahl
getöteter Menschen, sondern
auch schuldrelevante Umstände vor der Tat wie insbesondere die
schuldhaf-
te Herbeiführ ung der ver
minderten Schuldfähigkeit
(ebd.). Ausdrücklich
sprach sich der Gesetzgeber andererseits gegen eine Vorschrift aus,
wonach
die Strafmilderung -
entsprechend den Vorschlägen
in den Entwürfen von
1909 und 1925 - bei
vorwerfbarer Alkoholisierung stets
zu versagen sei
( BT-Drucks. IV/650, S. 142 rechte Spalte). Zu der entsprechenden
Regelung
- 17 -
in § 7 WStG,
wonach bei selbstverschuldeter
Trunkenheit eine Strafmilde-
r ung ausscheidet, wenn die
Tat eine militär ische
Straftat ist, gegen das
Kriegsvölkerrecht verstößt oder in
Ausübung des Dienstes begangen wurde,
wird dabei auf die
besonderen Anforderungen an
militärische Disziplin ver-
wiesen. In das allgemeine
Strafrecht könne dieser
Rechtsgrundsatz nicht
ohne weiteres übertragen werden (ebd.).
Gerade die Vorschrift des § 7 WStG
läßt sich systematisch stimmig
eher erklären, wenn es
keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz
gibt, wonach
bei vorwerfbarer Alkoholisierung
grundsätzlich mangels Minderung
der Ge-
samtschuld von einer Strafmilderung nach §§ 21, 49
Abs. 1 StGB Abstand zu
nehmen ist. Gäbe es nämlich einen solchen Grundsatz,
wäre § 7 WStG über-
flüssig. Unverständlich wäre in diesem Fall
auch die Beschränkung des Mil-
derungsverbots auf militärische Straftaten und solche, die
gegen das Kriegs-
völkerrecht verstoßen
oder in Ausübung des
Dienstes begangen werden.
Aus § 7 WStG
folgt vielmehr im
Umkehrschluß, daß
„selbstverschuldete“
Trunkenheit in anderen Fällen
durchaus die Strafe mildern kann,
also nicht
stets jede Strafmilderung
aufgrund des Umstandes
ausscheidet, daß der
Rauschzustand vorwerfbar herbeigeführt wurde.
Schließlich hat der Gesetzgeber auch im
Rahmen der Refor mdiskus-
sion anläßlich der
deutschen Wiedervereinigung trotz entspr
echender Vor-
schläge ger ade nicht diejenigen Nor men des Str
afrechts der DDR übernom-
men, wonach eine Strafmilderung bei erheblich verminderter
Schuldfähigkeit
ausscheidet, wenn sich der Täter schuldhaft
in einen die Zurechnungsfähig-
keit vermindernden Rauschzustand versetzt
hat (§ 16 Abs. 2 Satz
3 StGB-
DDR; vgl. auch § 15 Abs. 3 StGB-DDR; dazu näher
Neumann StV 2003, 527
mit Fn. 3; Rautenberg DtZ 1997, 45).
(2) Auch die Vorschrift des § 323a StGB spricht
nicht für eine Versa-
gung der Strafmilderung in
allen Fällen schuldhafter
Alkoholisierung. Das
Vergehen des Vollrauschs ist
von allen anderen
Straftatbeständen tatsäch-
- 18 -
lich und rechtlich verschieden (BGHSt 1,
275, 277). Es handelt sich
zudem
bei dieser Strafnorm um
„eine der umstrittensten,
wenn nicht die strittigste
des ganzen Strafgesetzbuchs“ (Spendel in LK 11. Aufl.
§ 323a Rdn. 1). Auch
der Bundesgerichtshof ist deshalb bislang
nicht zu einem durchgehend ein-
heitlichen Verständnis dieser
Vor schrift gelangt (vgl. etwa
BGHSt 10, 247
einerseits, BGHSt 16, 124 andererseits). Der Ort, den - in den
Schwierigkei-
ten der Sache angelegten
(vgl. Spendel aaO §
323a Rdn. 2) - Streit
zum
Verständnis des §
323a StGB zu klären,
kann indes nicht die hier
zur Ent-
scheidung stehende Frage sein,
ob bei zu verantwortender
Alkoholisierung
eine Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1
StGB grundsätzlich ausgeschlos-
sen sein sollte oder nicht (vgl. Streng NJW 2003, 2963, 2965).
Die Anwendung des
Vollrauschtatbestandes setzt stets vor
aus, daß
der Täter aufgrund
nicht ausschließbarer
Schuldunfähigkeit wegen seines
r echtswidrigen Tuns ansonsten überhaupt nicht
bestraft werden könnte. Für
eine solche Regelung gibt es
unzweifelhaft ein kriminalpolitisches
Bedürfnis
( vgl. BGHSt [GS] 9,
390, 395; Spendel aaO
§ 323a Rdn. 2).
Diese Frage
stellt sich im Rahmen des § 21
StGB jedoch nicht, weil es hier nicht um die
Alternative völliger
Straflosigkeit, sondern lediglich um die
Strafrahmenwahl
geht (vgl. Neumann StV 2003, 527, 529). Bei § 21 StGB spielen
deshalb Ge-
sichtspunkte eine Rolle, die im Rahmen des § 323a StGB
aufgrund der not-
wendigen Struktur des Vollrauschtatbestandes keine
Berücksichtigung finden
können.
Zudem geht es bei
§ 21 StGB nicht
wie bei § 323a
StGB um
Rauschzustände, die ( zumindest
nicht ausschließbar) wegen
aufgehobener
Schuldfähigkeit den
Schuldvorwurf bezüglich des
rechtswidrigen Tuns voll-
ständig entfallen lassen. Der
Vor schrift des § 323a
StGB läßt sich nicht der
Rechtsgedanke entnehmen, jeder Rausch, wie stark er
auch sei, werde von
der Rechtsordnung mißbilligt;
aus § 323a StGB
läßt sich lediglich
folgern,
daß ein Rausch dann
als rechtswidrig angesehen
werden kann, wenn er
( zumindest nicht
ausschließbar) zur
völligen Aufhebung der
Steuerungsfä-
- 19 -
higkeit führt, sich der Täter also im Umgang mit
seiner Umwelt zu einem völ-
lig unberechenbaren Risiko macht.
Die Ansicht, eine die
Steuerungsfähigkeit lediglich vermindernde Al-
koholisierung sei für
sich schon rechtswidrig oder
zumindest schulderhö-
hend, würde zudem zu Spannungen mit ander en
Rechtsgrundsätzen führen.
Im Zusammenhang mit der Gastwirtshaftung hat der Bundesgerichtshof etwa
festgestellt, daß der Ausschank
und Genuß alkoholischer Getränke in Gast-
wirtschaften zu den allgemein
als sozial üblich
anerkannten Verhaltenswei-
sen gehört, auch wenn dies nicht selten zu
körperlichen und geistigen Beein-
trächtigungen bis zur Gr enze der rechtlichen
Verantwortlichkeit führt (BGHSt
19, 152, 154). Die Verabreichung alkoholischer Getränke wird
als sozial übli-
ches und von der Allgemeinheit gebilligtes Verhalten deshalb
auch nicht als
pflichtwidrig oder rechtswidrig
angesehen (BGHSt 26, 35,
37 f.; vgl. auch
Streng NJW 2003, 2963, 2965 m.w.N.). Dies gilt solange, als
der Trinkende,
sei es auch nur eingeschränkt, rechtlich verantwortlich ist.
Anders ver hält es
sich nur, wenn die
Trunkenheit offensichtlich einen
solchen Grad erreicht,
daß der Tr unkene nicht mehr
Herr seiner Entschlüsse ist und
nicht mehr ei-
genverantwortlich handeln kann (BGHSt 26, 35, 38).
Hinzu kommt folgendes: Das
Spannungsverhältnis zwischen § 323a
StGB einerseits und §§ 21,
49 Abs. 1 StGB andererseits läßt
sich aufgrund
der derzeitigen Gesetzesfassung
nicht ohne jeden Wertungswiderspruch lö-
sen (Neumann StV 2003, 527, 528 ff.; Streng NJW 2003, 2963, 2965). Unge-
r eimt erscheint es einerseits, wenn bei Straftaten mit
einer Höchststrafe von
fünf Jahren Freiheitsstrafe dem vermindert
schuldfähigen Betrunkenen eine
Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB
gewährt wird und ihm
dann eine geringere Strafe droht als
demjenigen, der rauschbedingt ( zumin-
dest nicht ausschließbar) schuldunfähig handelt
(vgl. BGH StV 1997, 73, 75;
BGHR StGB § 21
Strafrahmenverschiebung 31). Dem wird
freilich dadurch
Rechnung zu tr agen sein,
daß bei der
Strafzumessung im Rahmen des
§ 323a StGB auf
Grundlage des in § 323a
Abs. 2 StGB zum Ausdr uck ge-
- 20 -
kommenen Rechtsgedankens darauf
Bedacht genommen wir d, welcher
Strafrahmen sich dem weniger Betrunkenen
öffnen würde (vgl. BGHR StGB
§ 323a Strafzumessung 5). Die Auflösung des
Widerspruchs durch die gene-
r elle Ver sagung einer Strafrahmenverschiebung bei vorwerfbarer
Alkoholisie-
r ung (so BGHR StGB
§ 21 Strafrahmenverschiebung
31) geht in Fällen
schwererer, den Strafrahmen des §
323a Abs. 1 StGB überschreitender De-
likte über das Gebotene hinaus und führt sogleich zu
anderen, weit gewichti-
geren Wertungswidersprüchen
(vgl. Neumann StV 2003,
527, 529). Diese
ergeben sich augenfällig bei schwerwiegenden Verbrechen, etwa
Tötungsde-
likten, wenn dem Täter bei verschuldeter Alkoholisierung jede
Strafmilderung
gemäß §§
21, 49 Abs. 1 StGB
versagt wird, bei noch
höher er Alkoholisie-
r ung, die nicht
ausschließbar zur
Schuldunfähigkeit führt,
dann anstelle le-
benslanger Freiheitsstrafe oder eines Strafrahmens von Freiheitsstrafe
bis zu
15 Jahren nur noch Freiheitsstrafe bis zu
fünf Jahren gemäß
§ 323a Abs. 1
StGB angedroht ist (Neumann aaO; vgl. hierzu auch die Gesetzgebungsvor-
schläge zur Änderung
des § 323a StGB in
BT-Drucks. 14/545 und 14/759,
ablehnend BT-Drucks. 14/9148).
d) Die vom Tatgericht vorgenommene Zubilligung der
Str afrahmenver-
schiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB begegnet hier
letztlich durchgr eifen-
den Bedenken.
(1) In Anwendung der
oben genannten Grundsätze
hätte sich das
Landgericht bei der notwendigen
Gesamtabwägung aller schuldrelevanten
Umstände bei dem
Angeklagten
G
nicht zur Begr ündung
der Strafrah-
menverschiebung gemäß §§ 21, 49
Abs. 1 StGB mit der Überlegung begnü-
gen dürfen, dessen
Alkoholisierung sei unverschuldet,
weil er weitgehend
vom Alkohol beherrscht werde. Es hätte auch
erwägen müssen, ob dem et-
wa schulderhöhend entgegensteht, daß dieser
Angeklagte sich zu dem spä-
teren Opfer in der festen Absicht begeben
hat, an diesem seine Freude an
Gewalttätigkeiten auszuleben,
und dabei ersichtlich in
Kauf nahm, infolge
seiner Alkoholisierung besonders
enthemmt zu sein, zudem
durch weitere
- 21 -
Alkoholisierung zunehmend enthemmt
zu werden. Auch demjenigen, der
weitgehend durch Alkohol beherrscht wir d, kann
unter Umständen schulder-
höhend vorgeworfen werden, daß er sich trotz
Vorhersehbarkeit - zumal wei-
terer - alkoholischer
Enthemmung bewußt in
eine gewaltträchtige Situation
begeben hat. Aus den
vom Tatrichter getroffenen
Feststellungen zu dem
schon in der Ausgangssituation
gewaltträchtigen Tatgeschehen er
schließt
sich zwanglos, daß
für ihn bei Beginn
des Tatgeschehens ohne weiteres
vorhersehbar war, daß
seine vorhandene und weiter
drohende Alkoholisie-
r ung das Risiko erheblicher Gewalttaten signifikant
erhöht hat; vieles spricht
auch dafür, daß
er das Aufsuchen
dieser gewaltträchtigen
Situation ohne
weiteres vermeiden konnte.
Es ist zudem nicht ausgeschlossen,
daß einer Strafmilderung
gemäß
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB bereits die oben genannten
Grundsätze der actio libe-
r a in causa entgegenstehen.
Hierfür reichen indes
die bisherigen Feststel-
lungen nicht aus, zumal
angesichts des sich
über mehrere Stunden hinzie-
henden Tatgeschehens; es bleibt
nämlich unklar, ob der
Angeklagte G ,
als er den Entschluß faßte, das Opfer zu
mißhandeln, bereits in seiner Steu-
erungsfähigkeit erheblich
eingeschränkt war oder
nicht (vgl. BGHR StGB
§
20 actio libera in causa 3).
(2) Bei dem
Angeklagten
M
entbehrt die Annahme, auch
dessen
Trunkenheit sei unverschuldet gewesen, bereits jeder
tatsächlichen Grundla-
ge. Das Landgericht hat diese Feststellung
ohne nähere Angaben allein auf
die Anwendung des Zweifelsatzes
gestützt. Der Zweifelsatz
bedeutet indes
nicht, daß das Gericht von der
dem Angeklagten günstigsten Fallkonstellati-
on auch dann ausgehen muß, wenn hierfür - wie
vorliegend - keine Anhalts-
punkte bestehen (BGH NJW 2003, 2179 m.w.N.). Ohne weitere
tatsächliche
Anhaltspunkte wird der neue
Tatrichter dem Angeklagten
M
nicht un-
terstellen dürfen, daß seine Trunkenheit
unverschuldet ist; die Feststellungen
zu seinem Vorleben bieten hierfür keinerlei Anlaß.
Bei der etwaigen Prüfung
einer erneuten Strafr ahmenverschiebung gemäß
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB wird
- 22 -
die Strafkammer in Anwendung
der oben genannten
Grundsätze einerseits
zwar bedenken müssen,
daß
M
nach den bisherigen Feststellungen
bislang nicht durch Gewalttaten
unter Alkoholeinfluß
auffällig geworden ist.
Gegen eine Str afrahmenverschiebung
dürfte andererseits aber
sprechen,
daß er sich bewußt in eine
gewaltträchtige Situation begeben
und in dieser
weiter dem Alkohol zugesprochen hat.
(3) Es läßt
sich auch nicht
ausschließen, daß der
Rechtsfolgenaus-
spruch auf einer etwa
fehlerhaft zugebilligten
Strafrahmenverschiebung be-
r uht. Die Höhe der verhängten Strafen erscheint zwar
für die von der Staats-
anwaltschaft noch beim
Schöffengericht angeklagte Tat
im Ergebnis nicht
unangemessen. Angesichts des gesamten Tatbildes läßt
sich von Seiten des
Revisionsgerichts aber auch nicht etwa feststellen, daß eine
etwas schwer e-
r e Bestrafung nicht mehr schuldangemessen wäre.
(4) Die Feststellungen des Tatgerichts
zum Strafausspruch - und da-
mit auch diejenigen zu
den Voraussetzungen des §
21 StGB - sind insge-
samt aufzuheben ( §
353 Abs. 2 StPO) .
Der neue Tatrichter wird danach
( sachverständig beraten) die bisherigen Befunde zur
Alkoholisierung der An-
geklagten, namentlich in Hinblick auf die
Fahrfähigkeiten G s und fehlende
Angaben bei
M
, kritisch zu hinter fragen
haben. Gegebenenfalls wird
zumindest bei dem Angeklagten
G zu
prüfen sein, ob die Voraussetzun-
gen seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64
StGB) vorliegen
und diese Maßregel deshalb neben der Strafe anzuordnen ist.
- 23 -
III.
Die Revision des
Angeklagten
M
ist offensichtlich unbegründet.
Die tatgerichtlichen Feststellungen zu seiner sicheren
Identifizierung als Mit-
täter - bei mißlungenem
Alibibeweis - sind sachlich-rechtlich
nicht zu bean-
standen. Zulässige
verfahrensrechtliche Beanstandungen im
Zusammen-
hang mit Wiedererkennungsleistungen sind nicht er hoben worden.
Basdorf
Häger
Gerhardt
Raum
Brause
|