BGH,
Urt. v. 17.12.2009 - 3 StR 399/09
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 399/09
vom
17. Dezember 2009
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Vergewaltigung u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17.
Dezember 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Mayer
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts
Mönchengladbach vom 3. Juni 2009 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch
entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen
schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von
Schutzbefohlenen, versuchter schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung und wegen Besitzes von
Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie die
Sicherungsverwahrung angeordnet. Die dagegen gerichtete Revision des
Angeklagten hatte der Senat mangels ausreichender Feststellungen zu den
formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung im
Maßregelausspruch aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer
Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Nunmehr hat das
Landgericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt. Hiergegen
richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit
sachlichrechtlichen Beanstandungen. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
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Das Landgericht hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht,
dass bei dem Angeklagten ein Hang zu erheblichen Straftaten im Sinne
von § 66 Abs. 1
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Nr. 3 StGB gegeben ist. Zur Begründung hat es - in
Übereinstimmung mit dem gehörten
Sachverständigen - zunächst dargelegt, dass bei dem
Angeklagten eine Persönlichkeitsstörung vorliege, die
allerdings nicht das Ausmaß einer schweren anderen seelischen
Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB erreiche.
Sodann hat die Strafkammer ausgeführt, dass es in der Lebens-
und Delinquenzentwicklung des Angeklagten zwar durchaus einige
Umstände gebe, welche in Übereinstimmung mit einem
Kriterienkatalog aus der forensischen-psychiatrischen Literatur (vgl.
Habermeyer/Saß Nervenarzt 2004, 1061, 1066 f.) für
das Vorliegen eines Hanges sprechen könnten; es seien dies die
Spezialisierung des Angeklagten auf einen bestimmten Delinquenztyp
sowie die aktive Gestaltung der Taten. Auch hätten die
bisherigen strafrechtlichen Konsequenzen sowie therapeutische
Maßnahmen (stationäre Entgiftungs- und
Entwöhnungsbehandlungen sowie eine zweijährige
ambulante Psychotherapie) den Rückfall nicht verhindern
können. Andererseits spreche aber auch eine Reihe von
Umständen gegen einen solchen Hang: Die Taten seien jeweils
unter dem enthemmenden Einfluss von Drogenkonsum geschehen, sie
ließen keine Sicherungstendenzen erkennen, zwischen ihnen und
den Vortaten liege ein erheblicher Zeitraum von mehr als sechs Jahren;
die Tat zum Nachteil der Tochter sei zudem beeinflusst vom Konflikt des
Angeklagten mit seiner geschiedenen Ehefrau; der Angeklagte habe
darüber hinaus sowohl im Tatnachgeschehen als auch im Rahmen
der Exploration die Verantwortung auf sich genommen und Opfer-Empathie
gezeigt.
Die Entscheidung des Landgerichts hält rechtlicher
Überprüfung stand.
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Die Unterbringung eines Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nach
§ 66 StGB setzt - neben formellen Umständen - voraus,
dass die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten
einen Hang zu erheblichen Straftaten ergibt,
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namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder
körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer
wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, und er deshalb für
die Allgemeinheit gefährlich ist. Das Merkmal "Hang" im Sinne
des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen eingeschliffenen
inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue
Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige,
der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest
eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn
sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach
ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen
vermag. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet
einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten
gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt - nach
sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger
Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der
Persönlichkeit des Täters und seiner Taten
maßgebenden Umstände dem Richter in eigener
Verantwortung.
Dem ist hier Genüge getan. Das Landgericht hat sich dem
Gutachter angeschlossen und dessen Erwägungen mitgeteilt, so
dass eine revisionsgerichtliche Überprüfung
möglich ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl.
§ 267 Rdn. 13 m. w. N.). Lücken oder
Widersprüche in der Abwägung sind dabei nicht zutage
getreten. Soweit das Landgericht die Ausführungen des
Gutachters auch dahingehend wiedergibt, der Angeklagte sei "aus
forensisch-psychiatrischer Sicht" nicht als Hangtäter zu
qualifizieren, ist nicht zu besorgen, es habe unter Verkennung der
Kompetenz- und Verantwortungsbereiche die Entscheidung über
den Hang dem Sachverständigen überlassen.
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Die Revision zeigt mit ihren Beanstandungen einen Rechtsfehler nicht
auf. Mit dem urteilsfremden Vortrag, im ersten Verfahrensdurchgang sei
ein anderer Sachverständiger zu anderen Erkenntnissen gelangt,
mit denen sich
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das Landgericht hätte auseinandersetzen müssen, kann
sie im Rahmen der Sachrüge nicht gehört werden.
Becker Pfister Sost-Scheible
Hubert Mayer |