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BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 StR 369/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 17.2.2004 - 1 StR 369/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 369/03
vom
17.02.2004
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischer Erpressung
- 2 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Februar
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Nürnberg-Fürth vom 25. März 2003 wird verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit
mit dem Führen einer halbautomatischen Selbstladewaffe mit einer
Länge von nicht mehr als 60 cm in zwei Fällen, in einem Fall in weiterer Tateinheit
mit Freiheitsberaubung, zu der Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren
verurteilt. Mit seiner wirksam beschränkten Revision wendet sich der Angeklagte
gegen den Rechtsfolgenausspruch. Er rügt die Verletzung materiellen
Rechts. Die Strafkammer habe insbesondere die Voraussetzungen für die Annahme
minder schwerer Fälle zu Unrecht verneint, jedenfalls unzureichend
erörtert. Außerdem sei die Ablehnung erheblich verminderter Schuldfähigkeit
gemäß § 21 StGB rechtsfehlerhaft. Der Generalbundesanwalt ist der Auffassung,
die Gesamtstrafe könne wegen Nichtbeachtung der Vorschrift über die
nachträgliche Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB) keinen Bestand haben. Der
Revision des Angeklagten bleibt der Erfolg versagt.
- 4 -
II.
Das Landgericht hat festgestellt:
Am 9. September 2001 überfielen der Angeklagte und sein rechtskräftig
verurteilter Mittäter D. F. - beide mit einem geladenen Revolver bewaffnet
und maskiert - die Spielhalle "P. " in R. . Sie bedrohten einen
Angestellten mit ihren Waffen, verbrachten ihn ins Untergeschoß des Hauses
zu den Toiletten und fesselten ihn mit Klebeband an einen Pfosten. Dann
brachen sie Spielautomaten auf und erbeuteten 700,-- DM und richteten einen
Sachschaden von 2.000,-- DM an.
Mit den gleichen Waffen überfielen sie - wiederum maskiert - am
24. September 2001 die Spielhalle "Re. " in B. . Sie bedrohten den
Geschäftsführer vor dem Gebäude mit ihren Waffen, verklebten ihm mit Klebeband
die Augen, nahmen ihm den Hausschlüssel ab, öffneten und brachen
wiederum mehrere Spielautomaten auf. Die Beute betrug 4.000,-- DM, der
Sachschaden 8.000,-- DM.
III.
1. Soweit sich die Revision gegen die beiden Einzelstrafen in Höhe von
sechs Jahren und sechs Monaten sowie von fünf Jahren und sechs Monaten
Freiheitsstrafe richtet, ist sie aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragschrift
vom 22. August 2003 dargelegten Gründen unbegründet im Sinne
von § 349 Abs. 2 StPO. Insbesondere lag die - mit ausreichender Begründung
abgelehnte - Annahme eines minder schweren Falls hier nicht nahe.
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2. Auch der Ausspruch über die Gesamtstrafe hat Bestand. Der Erörterung
bedarf nur folgendes:
Die Strafkammer hat ersichtlich keine ausreichenden Feststellungen zu
den Grundlagen der Verurteilung des Angeklagten durch das Amtsgericht
Nürnberg vom 8. November 2001 treffen können und in der Folge auch nicht
dazu, ob gemäß § 55 StGB mit den dort verhängten Einzelstrafen die nachträgliche
Gesamtstrafenbildung letztlich überhaupt in Betracht kommt, wenn
dies auch nahe liegt. Das Landgericht durfte die nachträgliche Gesamtstrafenbildung
deshalb dem Beschlußverfahren nach §§ 460, 462 StPO überlassen.
Im vorliegenden Fall ist dies frei von Rechtsfehlern.
Hierzu im einzelnen:
Nach den Urteilsfeststellungen wurde der Angeklagte mit Urteil des
Amtsgerichts Nürnberg vom 8. November 2001 wegen Diebstahls in zwei Fällen
- sofort rechtskräftig - zu neun Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt,
deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit
wurde auf zwei Jahre festgesetzt. Die Tatzeiten, der zugrundeliegende Sachverhalt
und die Höhe der Einzelstrafen werden nicht mitgeteilt. Nach dem zeitlichen
Zusammenhang ist es jedoch wahrscheinlich, daß auch mit den Einzelstrafen
aus dem Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 8. November 2001 -
zusammen mit den im angefochtenen Urteil am 25. März 2003 (Tatzeiten 9.
und 24. September 2001) verhängten Einzelstrafen - eine, insoweit nachträgliche,
Gesamtstrafe zu bilden ist. Dem weiteren Urteil des Amtsgerichts Nürnberg
vom 23. Juli 2001 (die Taten, die der Verurteilung vom 8. November 2001
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zu Grunde lagen, dürften davor begangen worden sein) zu 20 Tagessätzen
Gesamtgeldstrafe wegen Leistungserschleichung (Schwarzfahrens) in drei
Fällen kommt jedenfalls keine Zäsurwirkung - mehr - zu. Diese Verurteilung ist
durch die Verbüßung von zwei Wochen Ersatzfreiheitsstrafe und Bezahlung
der Restgeldstrafe durch Vollstreckung erledigt (UA S. 6).
Die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe ist nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs (seit BGHSt - GS - 12, 1; vgl. Rissing-van
Saan in Leipziger Kommentar zum StGB, 11. Aufl., § 55 Rdn. 47; Stree in
Schönke/Schröder StGB, 26. Aufl., § 55 Rdn. 72, 73; Tröndle/Fischer StGB,
51. Aufl., § 55 Rdn. 34, 35; jeweils m.w.N.; kritisch hierzu: Fitzner, Gesamtstrafenbildung
trotz §§ 460, 462 nur noch nach mündlicher Verhandlung?, NJW
1966, 1206) grundsätzlich Sache des Tatrichters. Er darf dies in der Regel
nicht dem Beschlußverfahren nach §§ 460, 462 StPO überlassen. Es gibt jedoch
Ausnahmen. Der Tatrichter darf die nachträgliche Gesamtstrafenbildung
insbesondere dann dem Beschlußverfahren überlassen, wenn er auf Grund der
bislang gewonnenen Erkenntnisse keine sichere Entscheidung fällen kann,
etwa weil die Unterlagen für eine möglicherweise gebotene Gesamtstrafenbildung
nicht vollständig vorliegen - ohne daß dies auf unzureichender Terminsvorbereitung
beruht - und die Hauptverhandlung allein wegen deshalb noch
notwendiger Erhebungen mit weiterem erheblichem Zeitaufwand belastet werden
würde (BGHSt - GS - 12, 1 [10]; BGHSt 23, 98 [99], mit Anmerkung Küper,
MDR 1970, 885; BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 2; BGH
NJW 1997, 2892 [2893]; Rissing-van Saan in Leipziger Kommentar zum StGB,
11. Aufl. § 55 Rdn. 48; Stree in Schönke/Schröder StGB, 26. Aufl., § 55
Rdn. 72; Tröndle/Fischer StGB, 51. Aufl., § 55 Rdn. 34).
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Enthalten die Urteilsgründe keine erschöpfenden Ausführungen zu den
Vorverurteilungen, deren Einbeziehung in die Gesamtstrafe im Grundsatz gemäß
§ 55 StGB zu prüfen gewesen wäre, ohne ausdrücklich mitzuteilen, weshalb
die entsprechenden Feststellungen nicht getroffen werden konnten, so
liegt darin kein Erörterungsmangel. Wie sogar das Vorliegen der Voraussetzungen
für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung durch Schweigen verneint
werden kann (BGH, Urteil vom 2. Februar 1993 - 1 StR 862/92 - m.w.N.), so ist
bei fehlenden oder nicht vollständigen Darlegungen zu den Voraussetzungen
einer in Betracht kommenden nachträglichen Gesamtstrafenbildung grundsätzlich
davon auszugehen, daß dem erkennenden Gericht die notwendigen Unterlagen
zu den Vorverurteilungen und zu deren Vollstreckung nicht zugänglich
waren, und daß das Gericht deshalb die nachträgliche Gesamtstrafenbildung
zu Recht dem Beschlußverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO überlassen hat
(vgl. BGH, Beschluß vom 10. Juni 1997 - 5 StR 269/97 -). Soll anderes geltend
gemacht werden, so wird dies einer gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu begründenden
Verfahrensrüge bedürfen (so schon OLG Hamm NJW 1970, 1200,
mit Anmerkung Küper, NJW 1970, 1559).
Nack Wahl Boetticher
Kolz Hebenstreit



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