BGH,
Urt. v. 17.6.2004 - 4 StR 54/04
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 54/04
vom
17.06.2004
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Juni
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanovi,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft
gegen das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 24.
September 2003 werden verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der
Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen
notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit
versuchtem schwerem Raub mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von
zwölf
Jahren verurteilt. Es hat ferner seine Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt
angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seinem
Rechtsmittel,
mit dem er allgemein die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Die Staatsanwaltschaft
erstrebt mit ihrem auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten
Rechtsmittel die Verurteilung des Angeklagten zu einer lebenslangen
Freiheitsstrafe.
Sie beanstandet, daß das Landgericht zu Unrecht von der
Milderungsmöglichkeit
nach §§ 21, 49 StGB Gebrauch gemacht habe.
Beide Rechtsmittel haben in der Sache keinen Erfolg.
I. Revision des Angeklagten.
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Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der nicht
ausgeführten Sachrüge
hat weder zum Schuld- noch zum Rechtsfolgenausspruch einen Rechtsfehler
zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
II. Revision der Staatsanwaltschaft.
1. Das Landgericht ist dem Gutachten des angehörten
Sachverständigen
folgend zu dem Ergebnis gelangt, daß bei dem Angeklagten
infolge des
vor der Tat konsumierten Alkohols zur Tatzeit ein mittelgradiger
Rauschzustand
vorlag, der zu einer erheblichen Minderung seiner
Steuerungsfähigkeit
im Sinne des § 21 StGB geführt hat. Die
Ausführungen hierzu lassen weder
Rechtsfehler erkennen, noch werden solche von der
Beschwerdeführerin geltend
gemacht. Bei der Strafzumessung hat das Landgericht demzufolge den
Strafrahmen des § 211 Abs. 1 StGB nach Maßgabe der
§§ 21, 49 Abs. 1 Nr. 1
StGB gemildert und statt auf eine lebenslange Freiheitsstrafe auf die
schließlich
verhängte zeitige Freiheitsstrafe von zwölf Jahren
erkannt. Hiergegen
wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft. Sie vertritt im
Anschluß an
die - nicht tragenden - Erwägungen in einer Entscheidung des
3. Strafsenats
des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 27. März 2003 - 3 StR
435/02, NStZ 2003,
480 = NJW 2003, 2394; vgl. hierzu Foth NStZ 2003, 597; Streng NJW 2003,
2963) die Auffassung, daß eine Strafrahmenverschiebung nicht
in Betracht
komme, wenn - wie hier - die erhebliche Verminderung der
Schuldfähigkeit des
Angeklagten auf dessen verschuldeter Trunkenheit beruhe.
2. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann
von der Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1
StGB abgesehen werden,
wenn der Angeklagte seinen Trunkenheitszustand und die Gefahr der Bege-
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hung von Straftaten als dessen Folge vorhergesehen hat oder
hätte vorhersehen
können (vgl. nur BGHSt 34, 29, 33; 43, 66, 78; BGHR StGB
§ 21 Strafrahmenverschiebung
11, 19 jeweils m.w.N.). Hierbei wird maßgeblich darauf
abgestellt,
ob der Angeklagte schon früher unter Alkoholeinfluß
straffällig geworden
ist. In einigen Entscheidungen wird darüber hinaus
zusätzlich verlangt,
daß die strafbaren Handlungen, mit deren Begehung im
Rauschzustand der
Angeklagte rechnen mußte, in Ausmaß und
Intensität mit der ihm jetzt vorgeworfenen
vergleichbar sein müssen (vgl. z.B. BGHR StGB § 21
Strafrahmenverschiebung
6, 14,16). Die vom Landgericht vorgenommene Strafrahmenmilderung
ist bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe nicht zu
beanstanden. Der
Angeklagte ist bisher wegen eines Aggressionsdelikts strafrechtlich
noch nicht
in Erscheinung getreten. Seinen drei Vorstrafen lagen jeweils
Diebstahlstaten
zugrunde, wobei er in zwei Fällen zu Geldstrafen und in einem
Fall zu einer
Bewährungsfreiheitsstrafe verurteilt wurde. Anhaltspunkte
dafür, daß er die
früheren Taten in einem alkoholbedingten Rauschzustand
begangen hat, bestehen
nicht. Nach all dem kann schon nicht ohne weiteres davon ausgegangen
werden, daß der Angeklagte überhaupt damit rechnete
oder rechnen mußte,
unter Alkoholeinwirkung Straftaten zu begehen. Erst recht fehlt es an
jedem
Anhalt dafür, daß er die Begehung einer in
Ausmaß und Intensität mit der hier
abgeurteilten Straftat vergleichbaren strafbaren Handlung vorhersah
oder hätte
vorhersehen können.
3. Demgegenüber hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
in der
bereits angesprochenen Entscheidung in einem obiter dictum die
Auffassung
vertreten, daß eine Strafrahmenverschiebung nach
§§ 21, 49 Abs. 1 StGB in
der Regel schon allein dann nicht in Betracht kommt, wenn die erhebliche
Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf
verschuldeter Trunkenheit
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beruht. Dabei sei es ohne Belang, ob der Täter schon
früher unter Alkohol -
vergleichbare - Taten begangen habe. Die potentiell nachteiligen Folgen
übermäßigen Alkoholgenusses, seine
Handlungstriebe entfesselnde und bestehende
Handlungshemmungen einschränkende Wirkungen seien allgemein
bekannt. Daher sei eine Strafmilderung bei selbstverschuldeter
Trunkenheit in
der Regel auch dann zu versagen, wenn der Täter nicht
über einschlägige
Vorerfahrungen hinsichtlich der gefährlichen Folgen
übermäßigen Alkoholgenusses
verfügt. Denn auch dann sei die abstrakte Gefahr der
Trunkenheit für
ihn regelmäßig erkennbar.
4. Die aufgetretene Divergenz zwischen der bisherigen Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs und der Auffassung des 3. Strafsenats betrifft
danach
die Frage der Vorhersehbarkeit einer möglichen
Straffälligkeit unter Alkoholeinfluß
durch den Täter. Im vorliegenden Fall kann diese Frage jedoch
offen bleiben,
da es auf sie hier letztlich nicht entscheidend ankommt.
Übereinstimmung
zwischen beiden Auffassungen besteht nämlich darüber,
daß die Versagung
der Strafrahmenmilderung nur möglich ist, wenn der
Alkoholkonsum dem Täter
(uneingeschränkt) zum Vorwurf gemacht werden kann. Dies hat
der 3. Strafsenat
im Anschluß an frühere Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (u.a. BGH
StV 1985, 102) in einer dem Urteil vom 27. März 2003
nachfolgenden Entscheidung
(Beschluß vom 27. Januar 2004 - 3 StR 479/03) nochmals
ausdrücklich
klargestellt. Hieran fehlt es jedoch regelmäßig,
wenn der Täter alkoholkrank
ist oder wenn der Alkohol ihn zumindest weitgehend beherrscht (vgl.
BGH NStZ-RR 1999, 12; BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung
19, 26).
So verhält es sich hier.
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Nach den Feststellungen hat der Angeklagte den Hang, alkoholische
Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen. Er
trinkt spätestens seit seinem elften
oder zwölften Lebensjahr Alkohol. Zunächst trank er
ausschließlich Bier,
mit etwa 14 Jahren in zunehmendem Maße auch Whisky. Sein
Tagesablauf
war zuletzt weitgehend durch den Alkoholkonsum bestimmt: bis zur
Mittagszeit
trank er Bier, danach Whisky „oder anderen
Schnaps“. Nach seiner Verhaftung
litt der Angeklagte mehrere Wochen unter Entzugserscheinungen wie
Zittern
der Gliedmaßen und starkem Schwitzen.
Nach den Ausführungen des angehörten
Sachverständigen, dem das
Landgericht folgt, liegt zudem bei dem mit einem Intelligenzquotienten
von 82
intellektuell unterdurchschnittlich befähigten, unter
schwierigen häuslichen Verhältnissen
aufgewachsenen Angeklagten eine
Persönlichkeitsstörung in Form
einer Störung des Sozialverhaltens (ICD - 10 F 91) und einer
emotional
instabilen Persönlichkeitsstruktur (ICD - 10 F 60.3) vor. Der
Sachverständige
hat zwar einerseits ausgeschlossen, daß die festgestellte
Persönlichkeitsstörung
ursächlich für den Hang des Angeklagten zum
übermäßigen Konsum von
Alkohol sei, jedoch andererseits auch ausgeführt,
daß diese ihn weiterhin veranlassen
werde, exzessiv dem Alkohol zuzusprechen.
Nach all dem ist die Bewertung des Landgerichts, der Alkoholkonsum
könne dem Angeklagten jedenfalls nicht in dem Maße
schulderhöhend angelastet
werden, daß hier die Versagung einer Strafrahmenmilderung
gerechtfertigt
wäre, im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die getroffenen
Feststellungen belegen
entgegen der Auffassung der Revision hinreichend, daß sich
bei dem Angeklagten
seit seiner frühesten Jugend ein Hang zum Alkohol entwickelt
hat,
der ihn weitgehend beherrscht und ihm daher nicht ohne weiteres zum
Vorwurf
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gemacht werden kann (vgl. BGH StV 1985, 102; BGHR StGB § 21
Strafrahmenverschiebung
26). Das Landgericht hat bei seiner Ermessensausübung
zudem zu Recht dem Umstand Rechnung getragen, daß es vor der
Wahl zwischen
lebenslanger Freiheitsstrafe und einer zeitigen Freiheitsstrafe stand.
In
derartigen Fällen müssen besonders erschwerende
Gründe gegeben sein, um
die mit den Voraussetzungen des § 21 StGB verbundene
Schuldminderung so
auszugleichen, daß die gesetzliche Höchststrafe
verhängt werden darf (st.
Rspr., vgl. nur BGHR § 21 StGB Strafrahmenverschiebung 7, 8,
12, 18). Solche
hat das Landgericht rechtsfehlerfrei verneint.
Tepperwien Kuckein Athing
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