BGH,
Urt. v. 17.5.2001 - 4 StR 412/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 412/00
vom
17. Mai 2001
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Mai
2001,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Meyer-Goßner,
die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Dr. Kuckein,
Athing,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanovic
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Bielefeld vom 19. Mai 2000 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels
zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes zu einer
Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt; außerdem hat es
drei Schußwaffen,
Munition sowie Waffenzubehör eingezogen. Mit seiner hiergegen
eingelegten
Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts
und beanstandet
das Verfahren. Der Generalbundesanwalt hält einige der
Verfahrensrügen
für durchgreifend. Dem folgt der Senat nicht. Das Rechtsmittel
hat keinen Erfolg.
I.
Nach den getroffenen Feststellungen faßte der -
einschlägig vorbestrafte
- Angeklagte im März 1999 den Entschluß, gemeinsam
mit seinem Cousin
und früheren Mittäter Marek K. und mindestens einer
weiteren bislang nicht
ermittelten Person ein Kreditinstitut zu überfallen, da er
dringend finanzielle
Mittel benötigte. Am 25. März 1999 hielt sich der
Angeklagte in S
auf. Dort suchte er zunächst die Filiale der Commerzbank auf,
wo er sich um
8.39 Uhr am Automaten einen Kontoauszug ausdrucken ließ, um
sich ein Alibi
- 4 -
zu verschaffen. Um 8.52 Uhr betraten sodann der mit den dortigen
Verhältnissen
vertraute Angeklagte und zwei weitere Mittäter die Zweigstelle
der
Kreissparkasse H. . Die drei Männer waren maskiert und
führten eine Pump-
Gun sowie zwei Pistolen mit sich; es konnte nicht geklärt
werden, ob die
Schußwaffen geladen waren. Die beiden Mittäter
bedrohten die in den Geschäftsräumen
der Bank anwesenden Angestellten der Sparkasse - den stellvertretenden
Geschäftsführer W. und die Mitarbeiterin D. - mit
vorgehaltenen
Waffen. Einer der Täter dirigierte den stellvertretenden
Geschäftsführer in
den neben der Kundenhalle gelegenen Tresorraum und veranlaßte
den um
sein Leben fürchtenden Mann, den Kassenschrank zu
öffnen. Das dort deponierte
Bargeld - mindestens 209.000 DM - nahm der Täter an sich und
verstaute
es in einem mitgeführten Behältnis. Die
Bankangestellte mußte sich auf
Geheiß des zweiten Täters im Kassenraum auf den
Boden legen. Der Angeklagte,
der sich zunächst im Hintergrund gehalten hatte, griff in das
Geschehen
erst ein, als eine Kundin die Geschäftsräume des
Kreditinstituts betrat. Er hielt
nun die Angestellte mit der Pump-Gun in Schach, während einer
seiner Mittäter
die Kundin mit vorgehaltener Pistole zwang, sich in den Tresorraum zu
begeben
und dort neben dem stellvertretenden Geschäftsführer
auf den Boden zu
kauern. Sodann verließen die Täter mit ihrer Beute
die Sparkasse und ergriffen
mit einem vor dem Gebäude abfahrbereit abgestellten Pkw, mit
dem sie bereits
zum Tatort gefahren waren, die Flucht.
II.
Die Verfahrensbeschwerden dringen nicht durch.
1. Erfolglos bleibt die Rüge der Verletzung des § 261
StPO. Zwar beanstandet
der Beschwerdeführer zu Recht, daß das Ergebnis des
in der Hauptverhandlung
verlesenen Gutachtens des Landeskriminalamts Nordrhein-
5 -
Westfalen vom 30. September 1999 hinsichtlich der Spuren am Lenkrad des
Fluchtfahrzeugs mit dem Kennzeichen OS im Urteil nicht richtig
wiedergegeben
ist. Die Strafkammer führt im Rahmen der
Beweiswürdigung aus, daß
sich ausweislich dieses Gutachtens Fingerspuren von Marek K. am Lenkrad
des Fluchtfahrzeugs befänden (UA 32). Demgegenüber
stellt das Gutachten
lediglich fest, es handele sich um eine Mischspur von mindestens drei
Personen,
wobei der Cousin des Angeklagten als Mitspurenleger nicht
auszuschließen
sei. Damit liegt ein Verstoß gegen § 261 StPO vor
(vgl. BGHSt 29, 18, 21;
BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 6, 10 und 18; BGH
NStZ 1998,
51 f.).
Der Senat schließt jedoch ein Beruhen des Urteils auf diesem
Verfahrensfehler
aus. Das Landgericht sieht in den am Lenkrad des Fluchtfahrzeugs
festgestellten Fingerspuren nämlich ersichtlich kein
tragfähiges Indiz zur
Überführung des Angeklagten. Vielmehr stellt es
insoweit lediglich ergänzende
Erwägungen zu Kontakten zwischen dem Angeklagten und weiteren
Mittätern
des Überfalls an, die bereits durch die Einlassung des
Angeklagten im Verlauf
einer früheren - später ausgesetzten -
Hauptverhandlung und andere Indizien
belegt sind. Der Angeklagte hat eingeräumt, sein Cousin Marek
K. , dessen
Täterschaft in dem Urteil festgestellt ist und auch von der
Revision nicht ausdrücklich
in Zweifel gezogen wird, habe sich im Zeitraum vom 22. März
1999
bis 25. März 1999 in seiner - des Angeklagten - Wohnung
aufgehalten. Schon
dies bildet eine ausreichende Grundlage für die Annahme, es
bestehe eine
enge Verbindung des Angeklagten zu den Mittätern des
Überfalls.
2. Vergeblich rügt die Revision die Verletzung des §
244 Abs. 3 Satz 2
StPO. Die Verteidigung hatte beantragt, die bei einem am 8.
März 1999 durchgeführten
Überfall auf die Sparkasse in B. entstandenen Aufnahmen
- 6 -
der Raumüberwachungskamera durch einen
Sachverständigen auswerten zu
lassen; dieses Gutachten werde ergeben, daß der Angeklagte
schon aufgrund
seiner Körpergröße als Täter
dieses Banküberfalls nicht in Betracht komme. In
der Anklage vom 5. August 1999 war dem Angeklagten auch dieser
Überfall
zur Last gelegt worden. Im Verlauf der später ausgesetzten
Hauptverhandlung
ist das Verfahren wegen der Tat vom 8. März 1999 nach
§ 154 Abs. 2 StPO
eingestellt worden.
Die Strafkammer hat die zu beweisende Tatsache in revisionsrechtlich
nicht zu beanstandender Weise als für die Entscheidung ohne
Bedeutung zurückgewiesen.
Ohne Bedeutung ist eine Tatsache dann, wenn ein Zusammenhang
zwischen ihr und der abzuurteilenden Tat nicht besteht oder wenn sie
trotz eines solchen Zusammenhangs nicht geeignet ist, die Entscheidung
irgendwie
zu beeinflussen (BGH StV 1997, 338; Kleinknecht/Meyer-Goßner
StPO 44. Aufl. § 244 Rdn. 54 m.w.N.). Die Strafkammer geht im
Rahmen ihrer
Beweiswürdigung nicht von einer Beteiligung des Angeklagten an
dem Überfall
vom 8. März 1999 aus. Zwar stellt sie fest, daß die
drei beim Angeklagten sichergestellten
Schußwaffen, an denen sich zahlreiche Fingerspuren des
Angeklagten
befanden, bei diesem Überfall verwendet worden sind, und
daß zwei
dieser Waffen auch bei der Tat vom 25. März 1999 zum Einsatz
kamen. Auch
sieht sie, daß identische Faserspuren sowohl in dem privaten
Pkw des Angeklagten
als auch in den Fluchtfahrzeugen beider Überfälle
gefunden wurden.
Dennoch hält die Strafkammer lediglich "eine überaus
enge Verbindung des
Angeklagten zur Tat und zu den Tätern der
Banküberfälle vom 8. März 1999
und vom 25. März 1999 für wahrscheinlich", stuft
diesen Gesichtspunkt aber
nur als schwaches Indiz ein, das "für sich allein betrachtet
nicht geeignet wäre,
sichere Rückschlüsse auf die Täterschaft des
Angeklagten zuzulassen" (UA
31/32).
- 7 -
Selbst wenn daher die Auswertung der Aufnahmen ergeben hätte,
daß
die abgebildeten Täter deutlich kleiner als der Angeklagte
waren, hätte dies für
das Landgericht Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten am
Überfall vom
25. März 1999 nicht zu begründen vermocht. Die
Größe der Täter, die die
Sparkasse in B. betreten haben und die auf den Aufnahmen der
Überwachungskamera abgebildet sind, läßt -
wie das Landgericht zutreffend
ausführt - keine sicheren Rückschlüsse
darauf zu, daß sämtliche an diesem
Überfall beteiligten Personen kleiner als der Angeklagte
waren, da die Aufnahmen
lediglich die in den Geschäftsräumen der Sparkasse
agierenden Täter
zeigen; Erkenntnisse über die Statur der an dem
Überfall vom 25. März 1999
beteiligten Täter können aus den Lichtbildern nicht
gewonnen werden.
3. Mit einer Aufklärungsrüge beanstandet die
Revision, die Strafkammer
habe es unterlassen, sämtliche beim Überfall am 8.
März 1999 im Schalterraum
anwesenden Kunden und Angestellten sowie vor dem Gebäude
befindlichen
Passanten, die in der ersten Hauptverhandlung geladen worden waren und
von
der Revision jetzt namentlich aufgeführt worden sind, als
Zeugen darüber zu
vernehmen, daß sich außerhalb des Gebäudes
keine weiteren Täter befanden,
die an dem Überfall beteiligt waren; denn hieraus
hätte sich ergeben, daß der
Angeklagte nicht an dem Überfall vom 8. März 1999
beteiligt war.
Das Landgericht mußte sich zur Vernehmung dieser Zeugen jedoch
nicht gedrängt sehen, denn eine Beteiligung an dem auf
ähnliche Art und Weise
durchgeführten Überfall vom 8. März 1999
wird dem Angeklagten nicht angelastet
und auch in der Beweiswürdigung nicht zu seinem Nachteil
herangezogen.
Vielmehr stellt die Strafkammer in ihrer Beweiswürdigung -
neben einer
Vielzahl weiterer Indizien - auf die gleichartige Begehungsweise des
Überfalls
auf die Volksbank in Hö. im Jahr 1992 ab, der zu einer
rechtskräftigen Ver-
8 -
urteilung des Angeklagten geführt hat und an dem Marek K.
ebenfalls beteiligt
gewesen ist. Im übrigen hätte auch durch die von der
Revision vermißte
Beweiserhebung eine Beteiligung des Angeklagten an dem
Überfall nicht ausgeschlossen
werden können. Es erscheint durchaus nachvollziehbar,
daß sich
der Angeklagte - wie auch zunächst bei dem Überfall
vom 25. März 1999 - im
Hintergrund gehalten hat.
4. Mit einer weiteren Aufklärungsrüge macht die
Revision geltend, die
Strafkammer habe das vom Angeklagten angegebene Alibi für die
Tatzeit des
Banküberfalls nicht ausreichend überprüft.
Der Polizei gegenüber hatte der
Angeklagte nach seiner Verhaftung konkrete Angaben über sein
angebliches
Alibi für die Tatzeit gemacht und vorgebracht, im Bereich der
Schulstraße hätten
ihn unter anderem zwei Personen beim Spaziergang mit seinem Hund gesehen
haben müssen, nämlich eine ältere Frau in
einem konkret bezeichneten
Gebäude und ein älterer Mann, der vor dem
gegenüberliegenden Haus gestanden
habe. Im Zuge der Ermittlungen hatte die Polizei eine ältere
Frau aus
dem bezeichneten Haus und einen Nachbarn befragt, die angaben, den
Angeklagten
am Vortag nicht gesehen zu haben; der Mann hatte ergänzend
hinzugefügt,
daß sein Hund mit hoher Wahrscheinlichkeit angeschlagen
hätte, wenn
eine andere Person vor dem Haus mit einem Hund vorbeigegangen
wäre.
Weitere Befragungen von Anwohnern wurden nicht durchgeführt.
Die Verpflichtung zur umfassenden Sachaufklärung gebietet es
dem Gericht
nicht, voraussichtlich nutzlose Beweiserhebungen bzw. Ermittlungen
anzustellen.
Das ist aber anzunehmen, wenn sich ein - hier noch zu ermittelnder -
Zeuge nach feststehender allgemeiner Lebenserfahrung unmöglich
mit einiger
Zuverlässigkeit an die Beweistatsache wird erinnern
können, über die er aussagen
soll (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1973, 372). In Fällen, in
denen Ermitt-
9 -
lungen über länger zurückliegende
Vorgänge anzustellen sind, ist die Eignung
der Ermittlungen anhand allgemeiner Lebenserfahrung unter
Berücksichtigung
aller Umstände, die dafür oder dagegen sprechen,
daß die Zeugen die in ihr
Wissen gestellten Wahrnehmungen gemacht und im Gedächtnis
behalten haben,
zu beurteilen (vgl. BGH NStZ 2000, 156 f.). Maßgebend sind
hier unter
anderem die Bedeutung des Vorgangs für den Zeugen, die
Häufigkeit ähnlicher
Vorgänge und die Länge des Zeitablaufs. Unter den
hier gegebenen Umständen
war eine zusätzliche Sachaufklärung nicht angezeigt.
Es greifen gleich
mehrere Gesichtspunkte ein, die sich gegenseitig verstärken:
Der Vorfall lag
mehr als ein Jahr zurück, es handelte sich um einen
für die potentiellen Zeugen
unbedeutenden - zudem kurzen - Vorgang und die Zeugen
müßten sich
nicht nur an die Person des Angeklagten und den Tag, sondern auch noch
exakt an die Uhrzeit erinnern.
5. Die weiteren Verfahrensrügen greifen aus den in der
Antragsschrift
des Generalbundesanwalts vom 20. Februar 2001 zutreffend dargelegten
Gründen - auch unter Berücksichtigung der
ergänzenden Ausführungen im
Schriftsatz der Verteidigung vom 3. Mai 2001 - nicht durch. Entgegen
der Ansicht
des Beschwerdeführers ist eine "lückenhafte
Beweiswürdigung" nicht gegeben,
da das Landgericht es lediglich als "wahrscheinlich", aber damit eben
nicht als sicher angesehen hat, daß die drei in einem Pkw
gesichteten Personen
mit den Tätern des Banküberfalls identisch waren.
III.
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der
Sachrüge deckt keinen den
Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
- 10 -
1. Die Beweiswürdigung der Strafkammer ist revisionsrechtlich
nicht zu
beanstanden. Allein dem Tatrichter ist die Aufgabe übertragen,
ohne Bindung
an Beweisregeln eigenverantwortlich zu prüfen, ob er an sich
mögliche Zweifel
überwinden und sich von einem bestimmten Geschehen
überzeugen kann
(BGHSt 10, 208, 209). Beachtet er dabei die ihm gezogenen Grenzen, so
hat
das Revisionsgericht die so gewonnene Überzeugung hinzunehmen
(vgl. Engelhardt
in KK 4. Aufl. § 261 Rdn. 51 m.w.N.). Die
Beweiswürdigung ist hier
jedoch nicht fehlerhaft, sie ist insbesondere nicht
widersprüchlich, unklar oder
nicht erschöpfend und verstößt auch nicht
gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze.
Die Überzeugungsbildung der Strafkammer beruht auf einer
tragfähigen
Tatsachengrundlage. Alle von ihr gezogenen Schlußfolgerungen
sind
plausibel, zwingend brauchen sie nicht sein.
2. Der Angeklagte hat sich jedoch entgegen der rechtlichen Wertung des
Landgerichts nicht eines schweren Raubes nach § 250 Abs. 1 Nr.
1 a StGB,
sondern eines solchen nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB schuldig
gemacht, da
die Strafkammer nicht feststellen konnte, daß eine der von
den Tätern während
des Überfalls mitgeführten Waffen geladen war. Die
vom Angeklagten und seinen
Mittätern eingesetzten Tatwaffen stellen damit unter den hier
gegebenen
Umständen keine Waffen oder andere gefährliche
Werkzeuge dar, sondern
sind Werkzeuge oder Mittel im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b
StGB (vgl.
BGHSt 44, 103, 106; 45, 249, 250, 251; Tröndle/Fischer StGB
50. Aufl. § 244
Rdn. 3 m.w.N.). Einer Schuldspruchänderung bedarf es jedoch
insoweit nicht.
- 11 -
Auch der Strafausspruch hat Bestand, denn die abweichende rechtliche
Würdigung läßt den Strafrahmen
unverändert; zudem hat das Landgericht bei
der Strafzumessung den Ladezustand der Waffen strafmildernd
berücksichtigt.
Meyer-Goßner Maatz Kuckein
Athing Solin-Stojanovic |