BGH,
Urt. v. 17.10.2000 - 1 StR 406/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 406/00
vom
17. Oktober 2000
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17.
Oktober 2000, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Schäfer und die Richter am
Bundesgerichtshof Nack, Dr. Kolz, Hebenstreit, Schaal, Bundesanwalt als
Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts
Ingolstadt vom 20. April 2000 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im
Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die
Staatskasse.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die
Staatsanwaltschaft strebt mit ihrer Revision eine Verurteilung wegen
Mordes an.
Das allein auf die Sachbeschwerde gestützte - vom
Generalbundesanwalt nicht vertretene - Rechtsmittel ist
unbegründet.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte E. M. , die
Ehefrau des Angeklagten und das spätere Tatopfer, dem
Angeklagten in der Nacht zum 4. Juli 1999 nach einem heftigen Streit
erklärt, daß sie sich von ihm scheiden lassen werde,
und verbrachte die restliche Nacht auf der Gästecouch im Flur
der Ehewohnung. Am Morgen begab sich der Angeklagte zu der noch mit dem
Rücken auf der Couch liegenden E. M. , kniete sich vor ihr hin
und versuchte sie umzustimmen. Als sie ihren Entschluß
für unabänderlich erklärte, fühlte
sich der Angeklagte "tief gekränkt" und geriet
darüber so "in Wut", daß er sich
entschloß, seine Ehefrau zu töten. Zur
Verwirklichung dieser Absicht begann er ohne Vorankündigung,
E. M. mit beiden Händen am Hals zu würgen. Diese war
durch seinen Angriff völlig überrascht und deshalb zu
einer ernsthaften Gegenwehr oder zu einer Flucht nicht in der Lage. Sie
konnte zwar noch äußern, daß sie doch bei
ihm bleibe, der Angeklagte schenkte diesen Worten aber keinen Glauben
mehr und fuhr statt dessen unter vermehrter Kraftanstrengung mit dem
Würgen fort, um sein Vorhaben zu Ende zu bringen. Als sich
nach einiger Zeit der Brustkorb seines Opfers immer noch hob und
senkte, hörte der Angeklagte mit dem Würgen auf und
drückte nunmehr ein großes Couchkissen in
Erstickungsabsicht solange auf das Gesicht seiner Ehefrau, bis er vom
Eintritt des Todes überzeugt war. E. M. verstarb aufgrund der
strangulierenden Gewalteinwirkung gegen ihren Hals.
Das Landgericht hat den Angeklagten nicht wegen Mordes, sondern wegen
Totschlags verurteilt. Das Mordmerkmal der Heimtücke hat es
verneint, weil es keine sichere Überzeugung davon habe
gewinnen können, daß der Angeklagte die Arg- und
Wehrlosigkeit seines Opfers bewußt ausnutzte. Es habe sich um
eine affektbetonte Spontantat gehandelt, da der Angeklagte seine
Ehefrau in plötzlich aufsteigender Wut und Verbitterung
über deren Entschluß, ihn zu verlassen,
getötet habe. Es sei deshalb nicht auszuschließen,
daß ihm bei Beginn des Würgevorgangs nicht
bewußt war, einen durch seine Ahnungslosigkeit
gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu
überraschen.
2. Die Bewertung des Landgerichts läßt keinen
Rechtsfehler erkennen.
Die Schwurgerichtskammer ist in Übereinstimmung mit der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs rechtsfehlerfrei davon
ausgegangen, daß eine Verurteilung wegen Mordes in der
Alternative der heimtückischen Begehungsweise ausscheidet,
wenn der Angeklagte nicht die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des
Opfers für die Tat erfaßt und bewußt
ausgenutzt hat (vgl. BGHSt 6, 121; BGH NStZ 1984, 21; BGH NStZ 1997,
491). Hierzu muß der Täter die Arg- und
Wehrlosigkeit des Opfers in ihrer Bedeutung für die hilflose
Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne
erfaßt haben, daß er sich dessen bewußt
ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff
schutzlosen Menschen zu überraschen (BGHR StGB § 211
Abs. 2 Heimtücke 1, 9 und 26).
Soweit das Landgericht sich nicht vom Vorliegen dieser subjektiven
Erfordernisse des Mordmerkmals der Heimtücke hat
überzeugen können, ist dies aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Aufgabe, sich auf der
Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine Überzeugung vom
tatsächlichen Geschehen - mithin auch von den subjektiven
Gegebenheiten - zu verschaffen, obliegt grundsätzlich allein
dem Tatrichter. Seine Beweiswürdigung hat das Revisionsgericht
regelmäßig hinzunehmen. Es ist ihm verwehrt, sie
durch eine eigene zu ersetzen oder sie etwa nur deshalb zu beanstanden,
weil aus seiner Sicht eine andere Bewertung der Beweise näher
gelegen hätte. Kann der Tatrichter vorhandene Zweifel nicht
überwinden, so kann das Revisionsgericht eine solche
Entscheidung nur im Hinblick auf Rechtsfehler
überprüfen, insbesondere darauf, ob die
Beweiswürdigung in sich widersprüchlich, unklar oder
lückenhaft ist, die Beweismittel nicht ausschöpft,
Verstöße gegen Denkgesetze oder
Erfahrungssätze aufweist oder ob der Tatrichter
überspannte Anforderungen an die für eine
Verurteilung erforderliche Gewißheit gestellt hat (st. Rspr.,
vgl. BGH NStZ 1983, 277; BGH NStZ 1984, 180). Die Revision hat nicht
dargetan und es ist auch sonst nicht ersichtlich, daß ein
solcher Fehler hier gegeben ist.
a) Mit der Beanstandung, das Landgericht habe sich nicht damit
auseinandergesetzt, daß der Angeklagte von kleiner,
schmächtiger Statur, seine Ehefrau jedoch relativ
kräftig gewesen sei, kann die Beschwerdeführerin
schon deshalb keinen Erfolg haben, weil die Urteilsfeststellungen
hierzu nichts enthalten. Die in diesem Zusammenhang von der
Beschwerdeführerin angeführten Lichtbilder sind
insoweit sämtlich urteilsfremd und können deshalb -
entsprechende Verfahrensrügen sind nicht erhoben - nicht in
das Revisionsverfahren eingeführt werden.
b) Auch im übrigen greift der - hier allein in Betracht
kommende - Angriffspunkt etwaiger Lückenhaftigkeit der
Beweiswürdigung nicht durch. Das Landgericht hat sich mit
allen maßgeblichen - auch für ein
Ausnutzungsbewußtsein des Angeklagten sprechenden -
Gesichtspunkten auseinandergesetzt. Soweit die Revision geltend macht,
der Angeklagte habe blitzschnell gehandelt, um das Opfer nicht
mißtrauisch zu machen, und er habe das Würgen als
"effektivste Tötungshandlung" gewählt, damit Nachbarn
nicht aufmerksam würden, entfernt sie sich damit wiederum -
worauf die Verteidigung wie auch der Generalbundesanwalt zutreffend
hinweisen - von den zugrundeliegenden Feststellungen des Landgerichts.
Danach hat der Angeklagte spontan in plötzlich aufsteigender
Wut und Verbitterung gehandelt und fester gewürgt, weil er dem
Einlenken seiner Ehefrau nicht getraut hat. Auf dieser allein
maßgebenden Tatsachengrundlage liegt die
Möglichkeit, daß der Angeklagte die Bedeutung der
Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat nicht erkannt
hat, sogar so nahe, daß es besonderer - hier nicht
ersichtlicher - Umstände bedurft hätte, aus denen
sich ergibt, daß der Angeklagte trotz seiner Erregung die
für die Heimtücke entscheidenden Gesichtspunkte in
sein Bewußtsein aufgenommen hat, wenn auch Heimtücke
weder eine längere Überlegung noch das Vorhandensein
eines länger erwogenen Tatplanes verlangt (vgl. BGH NStZ 1984,
21; BGH NStZ 1987, 555 m.w.Nachw.).
Was die Beschwerdeführerin im übrigen einwendet,
erschöpft sich in dem unzulässigen Versuch, die
tatrichterliche Würdigung durch eine eigene zu ersetzen.
II.
Die gemäß § 301 StPO gebotene
Prüfung des Urteils auf Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten hat ebenfalls einen Mangel nicht aufgedeckt. Insbesondere
begegnet der Weg, auf dem das Landgericht zur Bejahung der vollen
Schuldfähigkeit des Angeklagten gelangt ist, keinen
durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Bei der Bestimmung des geringen
Gewichts der Persönlichkeitsstörung
bezüglich des gesetzlichen Merkmals der "schweren anderen
seelischen Abartigkeit" hat es nicht isoliert auf die Charakterstruktur
des
Angeklagten abgestellt, sondern - wie sich deutlich aus dem
Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt - auch die Tat in ihren
konkreten Zusammenhängen im Blick gehabt.
Schäfer Nack Kolz
Hebenstreit Schaal |