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BGH, Urteil vom 17. Oktober 2002 - 3 StR 153/02


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 17.10.2002 - 3 StR 153/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 153/02
vom
17. Oktober 2002
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Anstiftung zur tateinheitlichen versuchten Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion
und versuchten Brandstiftung
zu 2. Beihilfe zur tateinheitlichen versuchten Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion
und versuchten Brandstiftung
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Oktober
2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Tolksdorf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Winkler,
Pfister,
von Lienen,
Hubert
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten W. ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten
W. wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom
28. November 2001 aufgehoben, soweit es diesen Angeklagten
betrifft. Die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt bleiben
aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels
der Staatsanwaltschaft, an eine allgemeine Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen der Staatsanwaltschaft und
des Angeklagten W. sowie die Revision des Angeklagten
O. werden verworfen.
3. Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten W. wegen Anstiftung zur tateinheitlichen
Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und Brandstiftung zu
einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, sowie den Angeklagten O. und den
Nichtrevidenten S. wegen Beihilfe zur tateinheitlichen versuchten Herbeiführung
einer Sprengstoffexplosion und versuchten Brandstiftung jeweils zu einer
Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die Vollstreckung aller Strafen hat es
zur Bewährung ausgesetzt. Mit ihrer zum Nachteil des Angeklagten W. ein-
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gelegten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Verurteilung dieses Angeklagten
wegen mittäterschaftlicher Begehungsweise. Die Angeklagten W.
und O. erstreben mit ihren Revisionen die Aufhebung des Urteils. Die
Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten W. führen zur Aufhebung
des Urteils, soweit es diesen Angeklagten betrifft. Im übrigen bleiben
sie, ebenso wie die Revision des Angeklagten O. , ohne Erfolg.
Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte W.
den Entschluß gefaßt, den von Fremdbetrieben genutzten Hallenkomplex eines
ihm gehörenden Grundstücks in B. zerstören zu lassen, und deshalb
den Nichtrevidenten S. mehrfach gebeten, ihm jemanden zu vermitteln, der
gegen Zahlung von Geld die Zerstörung der Hallen übernehmen würde. S.
sprach den Angeklagten O. an, der seinerseits in der Ukraine zwei
Männer, P. und Ob. , für die Tat gewinnen
konnte. Diese kamen nach Deutschland und bereiteten in der Nacht zum
6. August 2000 die Gebäude zur Zerstörung vor. Sie schütteten eine größere
Menge Benzin in den Hallen aus, montierten ein Schlauchsystem an die Gasleitung
zur Erzeugung eines Luft-Gas-Gemisches und bauten mit Zeitschaltuhren
versehene Elektrogeräte auf. Sie setzten diese Vorrichtungen sodann aber
nicht in Betrieb, sondern entfernten sich vom Tatort und konnten Deutschland
verlassen. Die Vorrichtungen wurden entdeckt und konnten beseitigt werden.
Ein Recycling-Betrieb, der den überwiegenden Teil der Hallenfläche und Büroräume
vom Angeklagten angemietet hatte, erlitt durch die Kontaminierung von
Kunststoffgranulat mit Benzindämpfen einen Gesamtschaden von 1,6 Mio DM.
I. Die Revision der Staatsanwaltschaft
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1. Die Aufklärungsrüge, mit der die Vernehmung der gesondert Verfolgten
P. und Ob. vermißt wird, ist unzulässig, da sie nicht
mitteilt, ob und welche Angaben diese Personen gemacht haben; dadurch ist
nicht ersichtlich, weswegen sich die Strafkammer zu der Beweiserhebung hätte
gedrängt sehen müssen.
2. Die Bewertung des Landgerichts, der Angeklagte W. sei Anstifter
und nicht Mittäter, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Ob ein Tatbeteiligter als Mittäter eine Tat begeht, ist nach den gesamten
Umständen, die von der Verurteilung umfaßt sind, in wertender Betrachtung zu
beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte für die Beurteilung können gefunden
werden im Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, im Umfang der Tatbeteiligung
und in der Tatherrschaft oder wenigstens im Willen zur Tatherrschaft,
so daß Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem
Willen abhängen (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 14). Dabei
kann bereits eine Beteiligung an Handlungen im Vorfeld der eigentlichen Tatbestandsverwirklichung
ausreichen, um Mittäterschaft zu begründen, sofern
sich diese Mitwirkung nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden nicht als
bloße Förderung fremden Tuns, sondern als Teil der Tätigkeit aller darstellt
(BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 12 m. w. N.). Eine Anwesenheit am Tatort ist
für die Annahme der Mittäterschaft nicht erforderlich (BGH NStZ-RR 1997, 260
m. w. N.).
Die tatrichterliche Bewertung über das Vorliegen von Täterschaft oder
Teilnahme ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur einer begrenzten
revisionsrechtlichen Kontrolle zugänglich (BGH NStZ-RR 2001, 148;
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2002, 74). Die Zubilligung eines dem Tatrichter eingeräumten Beurteilungsspielraums
mit der Konsequenz, daß die bloße Möglichkeit einer anderen tatrichterlichen
Beurteilung das gefundene Ergebnis nicht rechtsfehlerhaft macht,
setzt aber eine umfassende Würdigung des Beweisergebnisses als Grundlage
der Bewertung voraus (BGH NStZ-RR 2002, 74). Eine solche Würdigung läßt
das angefochtene Urteil vermissen.
Das Landgericht hat bei seiner Entscheidung, das Verhalten des Angeklagten
als Anstiftung einzustufen, darauf abgestellt, daß der Angeklagte "zwar
das überwiegende Interesse" an der von ihm initiierten Tat hatte, jedoch "an
der unmittelbaren Tatausführung ... nicht beteiligt" war und keinen "ausschlaggebenden
Einfluß" auf das genaue Vorgehen bei der Tat hatte. Dabei hat das
Landgericht eine Reihe von gewichtigen Umständen nicht erkennbar in die Abwägung
einbezogen. So hatte der Angeklagte die beiden aus der Ukraine
stammenden Täter bei ihrer Ankunft im Auto abgeholt und ihnen den Tatort
gezeigt, eine Liste mit Gegenständen, die die Täter benötigten, entgegengenommen,
die Unterkunft der Täter organisiert und bezahlt; er hatte eine Krankenversicherung
für sie abgeschlossen, einen Gebrauchtwagen für sie erworben
und bar bezahlt sowie einige Einzelheiten der Tatausführung und den
Zeitpunkt, zu dem die Tat stattfinden sollte, mit den Tätern abgesprochen.
3. Die von diesem Abwägungsfehler nicht berührten, rechtsfehlerfrei getroffenen
Feststellungen zum äußeren Sachverhalt können aufrechterhalten
bleiben. Der neue Tatrichter kann ergänzende, zu ihnen nicht in Widerspruch
stehende Feststellungen treffen. Soweit die Revision der Staatsanwaltschaft
die vollständige Aufhebung des Urteils und damit auch aller Feststellungen
erstrebt, bleibt sie daher ohne Erfolg.
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II. Die Revision des Angeklagten W.
1. Die Verfahrensrüge, das Urteil sei nicht fristgerecht zu den Akten gebracht
worden, weil der Richter J. das Urteil nicht unterschrieben habe
(§ 338 Nr. 7 StPO), versagt. Ihr liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
Während des Laufs der Urteilsabsetzungsfrist war einer der Beisitzer, Richter
J.
, mit Ablauf des 31. Dezember 2001 aus allen Kammern am Sitz des Landgerichts
in Lüneburg ausgeschieden und ab 1. Januar 2002 jeweils mit der Hälfte
seiner Arbeitskraft dem Amtsgericht Celle sowie verschiedenen auswärtigen
Strafkammern des Landgerichts Lüneburg am Amtsgericht Celle zugewiesen
worden. Der Vorsitzende hat daraufhin am 28. Januar 2002 den folgenden
Verhinderungsvermerk unterschrieben: "Ri J. ist versetzt und an der
Unterschrift gehindert." Er ist dabei, wie durch seine dienstliche Erklärung bestätigt
wird, von der tatsächlichen Verhinderung des Richters zur Unterschriftsleistung
ausgegangen. Ein Rechtsfehler kann darin nicht gefunden werden.
Der Wechsel des Dienstortes von Lüneburg nach Celle ist allgemein geeignet
gewesen, den Richter von der Unterschrift abzuhalten (vgl. BGHR StPO
§ 275 Abs. 2 Satz 2 Verhinderung 1; BGH NStZ-RR 1999, 46). Dem innerhalb
der Revisionsbegründungsfrist Vorgetragenen kann nicht entnommen werden,
daß der Vorsitzende denjenigen Beurteilungsspielraum überschritten hat, der
ihm bei der Entscheidung darüber, ob ein Beisitzer aus tatsächlichen Gründen
verhindert ist, zugebilligt wird (vgl. BGHR StPO § 275 Abs. 2 Satz 2 Verhinderung
3 unter Hinweis auf Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 275
Rdn. 48). Der Vortrag, der Richter sei auch noch Ende Januar 2002 häufig am
Landgericht in Lüneburg gewesen und habe dort andere Urteile der Strafkam-
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mer unterschrieben, ist erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist erfolgt
und damit unbeachtlich.
2. Soweit die Revision, teilweise in Verfahrensrügen teilweise in materiellrechtliche
Beanstandungen eingekleidet, die Beweiswürdigung der Strafkammer
in Zweifel zieht, zeigt sie keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
Gleiches gilt für die geäußerten Bedenken gegen das rechtliche Zusammentreffen
von § 306 StGB und § 308 StGB. Wegen der Einzelheiten nimmt der
Senat Bezug auf die Darlegungen, mit denen der Generalbundesanwalt seinen
Antrag auf Verwerfung der Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2
StPO begründet hat.
3. Die Revision des Angeklagten W. führt allein zur Aufhebung des ihn
betreffenden Schuldspruchs. Bei der Verurteilung wegen Anstiftung zur tateinheitlichen
Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und Brandstiftung hat das
Landgericht nicht berücksichtigt, daß die Haupttäter entgegen der Erwartung
des Angeklagten die Tat nicht vollendet haben und der Angeklagte nur hinsichtlich
dessen haftet, was tatsächlich verwirklicht wurde. Der Senat kann den
Schuldspruch nicht dahin ändern, daß der Angeklagte nur der Anstiftung zur
tateinheitlichen versuchten Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und versuchten
Brandstiftung schuldig ist, weil die tatrichterliche Beurteilung, der Angeklagte
sei Anstifter gewesen, ihrerseits unzureichend begründet ist (vgl.
oben I. 2.).
4. In der Aufhebung des Schuldspruchs, der Fehler sowohl zugunsten
wie auch zu Lasten des Angeklagten enthält, liegt, weil die Feststellungen zum
äußeren Sachverhalt aufrechterhalten bleiben und die Verhängung einer milde-
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ren Strafe durch den neuen Tatrichter ausgeschlossen erscheint, kein solcher
Erfolg des Rechtsmittels, daß es unbillig wäre, den Angeklagten mit den gesamten
Kosten des Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
III. Die Revision des Angeklagten O.
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der allgemein erhobenen Sachrüge
hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Tolksdorf Winkler Pfister
von Lienen Hubert



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