BGH,
Urt. v. 17.9.2008 - 5 StR 189/08
5 StR 189/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 17. September 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17.
September 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt H.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt S.
als Vertreter des Nebenklägers B. K. ,
Rechtsanwältin B.
als Vertreterin der Nebenklägerin R. K. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Revisionen der Nebenkläger B. und R. K. gegen das Urteil
des Landgerichts Chemnitz vom 14. Januar 2008 werden verworfen.
Die Kosten der Rechtsmittel und die dem Angeklagten dadurch
entstandenen notwendigen Auslagen fallen den Beschwerdeführern
zur Last.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von 13 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Dagegen wenden
sich die Revisionen der als Nebenkläger zugelassenen Eltern
der Getöteten mit der Sachrüge. Die Rechtsmittel
haben - entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts - keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils war die
Geschädigte seit ihrem 16. Lebensjahr im Jahre 2002 die
Freundin des Angeklagten. Nachdem sie ein Studium der
Betriebswirtschaftslehre an der Technischen Hochschule in Chemnitz
begonnen hatte, zog der Angeklagte im Frühjahr 2006 zu ihr.
Seit Ende 2006 kam es zwischen beiden zunehmend zu Auseinandersetzungen
wegen der Arbeitslosigkeit des Angeklagten und seines Bierkonsums, in
seltenen Fällen auch zu Handgreiflichkeiten. Der Angeklagte
hatte der Geschädigten in den fünf Jahren ihrer
Beziehung zweimal eine Ohrfeige gegeben, sie ihm vier- bis
fünfmal.
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Im Verlauf des Tattages, 4. Juli 2007, hatte der Angeklagte in der
gemeinsamen Wohnung in erheblichen Mengen Bier konsumiert. Die
Geschädigte, die den Tag zunächst an der Hochschule
verbracht hatte und daran anschließend bis gegen 20 Uhr in
einem Bekleidungsgeschäft gearbeitet hatte, kam gegen 21 Uhr
in die Wohnung. Nach kurzer Zeit kam es zwischen ihr und dem
Angeklagten zu dem „üblichen Streit“, der
über zwei Stunden geführt wurde. In seinem Verlauf
wurden Beleidigungen ausgetauscht und die Geschädigte trat
nach dem Angeklagten, worauf dieser ihre Beine festhielt. Nachdem die
Geschädigte, die zwischenzeitlich ihre Jeans ausgezogen hatte
und im Schneidersitz auf dem Bett saß, dem Angeklagten eine
Ohrfeige gegeben hatte, fasste der neben ihr kniende Angeklagte sie am
Hals, drückte sie nieder und würgte sie; dabei
stützte er sich mit seinem gesamten Körpergewicht auf
die Geschädigte. Erst als er sah, dass die
Geschädigte blau anlief und ihr die Zunge aus dem Mund ragte,
ließ er von ihr ab. Die Geschädigte verstarb
unmittelbar danach durch Ersticken, was der Angeklagte bei Vornahme
seiner Handlung zumindest billigend in Kauf genommen hatte.
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2. Erfolglos beanstanden die Revisionen die Verneinung des Mordmerkmals
Heimtücke. Das Landgericht hat den im Wesentlichen aufgrund
der geständigen Einlassung des Angeklagten zum Tatverlauf
festgestellten Sachverhalt erschöpfend gewürdigt und
das Mordmerkmal der Heimtücke rechtsfehlerfrei verneint.
Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die
Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung
ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das
keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage
überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein
Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren.
Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei
Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten
Angriffs (st. Rspr., vgl. u. a. BGH NStZ 2006, 503, 504 m.w.N.).
Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit ist es
erforderlich, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in
ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen
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und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich
bewusst ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber einem
Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. BGH, Urteil
vom 20. Juli 2004 - 1 StR 145/04; BGH NStZ 2003, 535; BGHR StGB
§ 211 Abs. 2 Heimtücke 2, 9).
a) Es ist insbesondere angesichts der festgestellten
Tatumstände nicht zu beanstanden, dass das Landgericht ein
bewusstes Ausnutzen einer „möglicherweise
gegebenen“ Arglosigkeit der Geschädigten durch den
Angeklagten dem festgestellten Sachverhalt nicht zu entnehmen
vermochte. Das Ausnutzungsbewusstsein bedarf zwar in objektiv klaren
Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter
auch bei Taten aus rascher Eingebung keiner näheren Darlegung.
Anders kann es jedoch gerade bei „Augenblickstaten",
insbesondere bei affektiven Durchbrüchen oder sonstigen
heftigen Gemütsbewegungen sein. Dann kann je nach den
Umständen eine nähere Darlegung geboten sein, warum
der spontan agierende Täter trotz seiner Erregung die
für die Heimtücke maßgebenden Aspekte in
sein Bewusstsein aufgenommen hat (BGH NStZ-RR 2005, 264 - 266; vgl.
Schneider in MünchKomm-StGB § 211 Rdn. 140 m.w.N.).
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Es war indes hier nicht zwingend sicher festzustellen, dass der
Angeklagte in diesem Bewusstsein handelte. Es liegt gerade kein
„objektiv klarer Fall“ der Arg- und Wehrlosigkeit
des Opfers vor. Da der Tat ein heftiger Streit mit
Tätlichkeiten und unmittelbar eine Ohrfeige der
Geschädigten gegenüber dem Angeklagten vorausgingen,
hat das Landgericht in lebensnaher Wertung angenommen, dass sich der
erheblich alkoholisierte Angeklagte (etwa 2 Promille BAK) in seinem vom
Landgericht festgestellten Zustand affektiver Erregung spontan zu der
Tat hinreißen ließ. In dieser Situation lag es
sogar nahe, dass der Angeklagte die für die Heimtücke
maßgeblichen Umstände aufgrund seiner Erregung nicht
in sein Bewusstsein aufgenommen hat. Einer Darlegung und
Würdigung weiterer Beweisanzeichen (vgl. BGH, Urteil vom 27.
Februar 2008 - 2 StR 603/07) bedurfte es dann nicht mehr.
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b) Das Landgericht verneint im Übrigen mit vertretbaren
Erwägungen bereits die objektiven Voraussetzungen des
Mordmerkmals der Heimtücke. Es erwägt zwar zum einen
die vom Angeklagten geschilderte Situation vor der Tat - das Ausziehen
der Hose durch die Geschädigte und das Sitzen auf dem Bett -,
zum anderen das Fehlen von Spuren der Abwehr der Geschädigten,
was dafür spricht, dass sie im Zeitpunkt des Angriffs durch
den Angeklagten weder mit einem lebensbedrohlichen noch mit einem gegen
ihre körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren Angriff
rechnete. Gleichwohl vermochte es dem Geständnis des
Angeklagten zulässigerweise nicht hinreichend sicher zu
entnehmen, dass die Geschädigte zum Zeitpunkt der Tat keinen
Angriff des Angeklagten erwartet hatte.
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Die genannten Umstände der Tat lassen keinen sicheren Schluss
auf die Arg- und Wehrlosigkeit der Geschädigten bei Beginn des
mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs zu. Die
Tatsache, dass sie sich während des über zwei Stunden
geführten Streits mit dem Angeklagten die Hose auszog und sich
auf das Bett setzte, spricht lediglich dafür, dass sie zu dem
Zeitpunkt dieser Handlungen nicht mit einem erheblichen Angriff des
Angeklagten rechnete. Demgegenüber lässt sich nicht
hinreichend sicher feststellen, dass ihre Arglosigkeit auch im
Zeitpunkt der Tat noch andauerte, zumal sie den Angeklagten unmittelbar
zuvor geohrfeigt hatte.
Grundsätzlich können Arg- und Wehrlosigkeit zwar auch
gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung
vorausgeht, das Tatopfer aber gleichwohl nicht mit einem erheblichen
Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet (vgl.
BGH NStZ-RR 2004, 234, 235; BGHR StGB § 211 Abs. 2
Heimtücke 13, 21; Schneider in MünchKomm-StGB
§ 211 Rdn. 126 f.). Indes musste solches hier dem
festgestellten Sachverhalt nicht sicher entnommen werden. Auch der
Umstand, dass die Geschädigte den Angeklagten bereits in der
Vergangenheit vier- bis fünfmal geohrfeigt hatte, ohne dass
dies Anlass für schwerwiegende Tätlichkeiten des
Angeklagten war, lässt nicht den sicheren Schluss darauf zu,
dass die Geschädigte in der konkreten Tatsituation
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nicht mit einem erheblichen Angriff des erkennbar alkoholisierten und
erregten Angeklagten rechnete.
Schließlich ist auch die Tatsache, dass im Rahmen der
Obduktion keine Abwehrverletzungen festgestellt wurden, kein zwingender
Anhaltspunkt dafür, dass der Angriff für das Opfer
völlig überraschend kam. Einen entsprechenden
Erfahrungssatz gibt es nicht. Es erscheint vielmehr möglich,
dass die Geschädigte in der konkreten Angriffssituation nicht
etwa aufgrund von Arglosigkeit, sondern aufgrund körperlicher
Unterlegenheit zur Leistung einer effektiven Gegenwehr nicht mehr in
der Lage war. Dies gilt zumal angesichts des - urteilsfremden -
Hinweises der Nebenkläger auf erhebliche Unterschiede in
Köpergröße und Gewicht zwischen
Geschädigter und Angeklagtem.
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Basdorf Brause Schaal
Schneider Dölp |