BGH,
Urt. v. 17.9.2009 - 4 StR 325/09
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 325/09
vom
17. September 2009
in dem Sicherungsverfahren
gegen
wegen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17.
September 2009, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz
als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof Athing, Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer als beisitzende Richter,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Essen vom 10. März 2009 wird verworfen.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels der
Staatsanwaltschaft und die dem Beschuldigten dadurch entstandenen
notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat es im Sicherungsverfahren abgelehnt, die
Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus
anzuordnen. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft,
mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das - vom
Generalbundesanwalt vertretene - Rechtsmittel bleibt erfolglos.
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1. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des
Landgerichts leidet der jetzt 46 Jahre alte Beschuldigte seit vielen
Jahren an einer paranoiden Schizophrenie bei schizoid-depressiver
Persönlichkeitsstruktur und schädlichem Gebrauch von
Alkohol. Seit Beginn seiner Erkrankung ist er nicht in der Lage, seine
Impulse zu kontrollieren und sich in seinem Handeln zu steuern. Die
seit mindestens 16 Jahren andauernde Grunderkrankung ist nach den
überzeugenden Ausführungen des gehörten
psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. L. trotz
langjähriger Behandlung in der Unterbringung weiterhin ohne
jeden Behandlungsfortschritt vorhanden.
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Der Beschuldigte ist bereits in der Vergangenheit durch schwerwiegende
Straftaten in Erscheinung getreten. An seinem 22. Geburtstag im Juni
1985 erstach er im Zustand erheblicher Alkoholisierung einen Bekannten,
als dieser ihn zu sexuellen Handlungen veranlassen wollte.
Anschließend stach er auch den Bruder des Bekannten nieder,
der nach kurzer Zeit verblutete. Das Landgericht wertete seinerzeit die
Tötungsdelikte als Vollrausch, verurteilte den Beschuldigten
im Strafverfahren zu vier Jahren Freiheitsstrafe und ordnete seine
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Die
Alkoholentwöhnungstherapie erwies sich als erfolglos, weshalb
der Beschuldigte in den Strafvollzug verlegt wurde, aus dem er Ende
April 1991 entlassen wurde.
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Bereits ein Jahr nach seiner Entlassung wurde der Beschuldigte erneut
straffällig. Wiederum im Zustand erheblicher Alkoholisierung
zwang er die spätere Geschädigte, die er erst am
Tatabend in einer Gaststätte kennen gelernt und die ihn mit zu
sich in ihre Wohnung genommen hatte, erst zum Oral- und
anschließend zum Geschlechtsverkehr. Das Landgericht sprach
ihn wegen Schuldunfähigkeit vom Vorwurf der tateinheitlichen
sexuellen Nötigung und Vergewaltigung frei, ordnete aber seine
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Diese wurde seit
Anfang April 1993 im L. -Z. für Forensische Psychiatrie in Li.
vollzogen, von wo der Beschuldigte Anfang März 2002 in die H.
-K. nach He. verlegt wurde. Von dort wurde er Anfang November 2004 in
das "Haus L. " nach M. verlegt. Dort kam es am 1./2. Juli 2008 zu dem
Tatgeschehen, das Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist und auf
Grund dessen die früher angeordnete Unterbringung seither
erneut in Li. vollzogen wird.
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Bei dem verfahrensgegenständlichen Tatgeschehen verlangte der
Beschuldigte von der im "Haus L. " tätigen Erzieherin, Frau S.
, Maß-
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nahmen wegen des von ihr bei ihm nach seiner Rückkehr von
einem Spaziergang festgestellten, verbotenen Alkoholkonsums zu
unterlassen, was sie ablehnte, worauf er sich mit einem Messer
bewaffnete, ihr androhte, sie abzustechen, und von ihr die Herausgabe
von Geld verlangte. Unter dem Eindruck der Bedrohung händigte
sie ihm mehr als 100 Euro aus. Er hielt sie aber weiterhin in seiner
Gewalt, fesselte sie und schloss sie ein. Darüber hinaus
veranlasste er sie, ihm acht Flaschen Bier zu besorgen, die er
austrank. Am nächsten Morgen verlangte er, während er
der Geschädigten S. das Messer an die Kehle setzte, von zwei
hinzugekommenen weiteren Bediensteten, ihn nach C. zu fahren. Beiden
gelang aber die Flucht. Sodann forderte er die Geschädigte S.
auf, die Polizei anzurufen. Während er später von
einem Fenster der Einrichtung aus über Mobiltelefon mit der
Polizei verhandelte, hielt er der Geschädigten weiter das
Messer an die Kehle, bemächtigte sich dann aber einer weiteren
Geisel und verlangte fünf Flaschen Bier und seine Verbringung
nach E. . Als ihm dies zugesichert wurde, ließ er sich
schließlich widerstandslos festnehmen.
2. Das Landgericht hat das - von dem Beschuldigten eingeräumte
- Tatgeschehen als erpresserischen Menschenraub, Geiselnahme und
[richtig: schwere] räuberische Erpressung
(§§ 239 a, 239 b und 255 i.V.m. § 250
[irrtümlich: „252“; UA 15]) StGB gewertet.
Der Beschuldigte konnte jedoch nicht bestraft werden, weil er - wovon
sich das Landgericht rechtsfehlerfrei überzeugt hat - auf
Grund seiner psychiatrischen Erkrankung bei Tatbegehung
schuldunfähig (§ 20 StGB) war. Das Landgericht hat -
auch insoweit in Übereinstimmung mit den Ausführungen
des psychiatrischen Sachverständigen - dem Beschuldigten eine
"extrem hohe Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit"
bescheinigt, die seine dauerhafte Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus "unter sehr streng kontrollierten,
reizarmen Bedingungen" erforderlich mache.
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Gleichwohl hat es von einer (zweiten) Unterbringung des Angeklagten in
einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB abgesehen,
weil dies "nicht erforderlich", sondern mit Blick auf die bereits auf
Grund des früheren Urteils bestehende dauerhafte Unterbringung
"unverhältnismäßig" sei. Von einer weiteren
Unterbringungsanordnung seien keine Wirkungen zu erwarten, die
über diejenigen des ersten, zur Zeit weiter vollzogenen
Maßregelausspruchs hinausgingen. Das neuerliche Tatgeschehen
habe bereits zum weiteren Vollzug unter strengsten
Sicherheitsmaßnahmen in Li. geführt. Bei ihren
Prognoseentscheidungen habe die Strafvollstreckungskammer das
neuerliche Tatgeschehen ohnehin zu berücksichtigen. Im
Übrigen weise das Tatgeschehen letztlich auch keine Steigerung
in der kriminellen „Qualität“
gegenüber der früheren Straffälligkeit des
Beschuldigten auf. Wie der Sachverständige dargelegt habe,
habe schließlich auch medizinisch eine zweite
Unterbringungsanordnung keine Auswirkungen auf die Behandlung des
Beschuldigten.
3. Die Staatsanwaltschaft greift die Entscheidung des Landgerichts im
Ergebnis ohne Erfolg an.
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Das Landgericht hat seiner Entscheidung - wie auch die
Beschwerdeführerin nicht verkennt - die Grundsätze zu
Grunde gelegt, die in der Rechtsprechung zur wiederholten Anordnung der
Unterbringung nach § 63 StGB entwickelt worden sind. Danach
ist die erneute Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus zwar nicht schon deshalb von vornherein ausgeschlossen,
weil diese Maßregel bereits auf Grund eines in einem
früheren Verfahren ergangenen Urteils gegen den Beschuldigten
vollzogen wird. Maßgeblich ist bei der Prüfung der
Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinne aber
darauf abzustellen, ob die erneute Anordnung zur Erreichung des
Maßregelziels der Besserung (Heilung) und Sicherung geeignet
und erforderlich ist, weil von
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ihr Wirkungen ausgehen, die der erste Maßregelausspruch nach
§ 63 StGB nicht zeitigt, was insbesondere dann der Fall sein
wird, wenn das neue Urteil erhebliche Auswirkungen auf Dauer und
Ausgestaltung des Maßregelvollzugs haben kann (BGHSt 50, 199;
BGH, Beschluss vom 9. Mai 2006 - 3 StR 111/06 = NStZ-RR 2007, 8;
BayObLG NStZ-RR 2004, 295, 297; Pollähne JR 2006, 316; krit.
Grünebaum R&P 2004, 187, 190 f.). Dass Letzteres in
Bezug auf den Beschuldigten und den Vollzug der Unterbringung der Fall
ist, hat das Landgericht umfassend geprüft und mit
nachvollziehbaren Erwägungen ausgeschlossen. Dies
lässt nach dem eingeschränkten
Prüfungsmaßstab des Revisionsgerichts einen
Rechtsfehler nicht erkennen, auch wenn eine andere Entscheidung
möglich gewesen wäre oder sogar näher
gelegen hätte.
Das Landgericht hat eine in dem nunmehr abgeurteilten Tatgeschehen
liegende Steigerung der Aggressivität und damit der
Gefährlichkeit des Beschuldigten gegenüber der
Vergewaltigungstat von 1992, die Anlass für die erste
Unterbringungsanordnung war, tragfähig verneint. Dabei kam mit
Blick auf die von dem Beschuldigten verwirklichten
Straftatbestände weder der Konkurrenzfrage noch den
gesetzlichen Regelstrafrahmen entscheidende Bedeutung zu. Die
Einwendungen der Beschwerdeführerin hiergegen
erschöpfen sich letztlich in dem in der Revision untauglichen
Versuch, die Wertung des Landgerichts durch eine eigene zu setzen.
Davon abgesehen, kann in diesem Zusammenhang auch das als Vollrausch
gewertete Tötungsgeschehen von 1985 nicht außer
Betracht bleiben. Dieses hat zwar nicht selbst zu einer Anordnung nach
§ 63 StGB geführt; ihm lag aber der
schädliche Gebrauch von Alkohol durch den Beschuldigten zu
Grunde, der ein Teilaspekt seines andauernden psychiatrischen Zustandes
ist, auf dem seine Gefährlichkeit beruht.
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Der in dem hier im Strengbeweisverfahren festgestellten Tatgeschehen
erneut zum Ausdruck gekommenen hohen Gefährlichkeit des
Beschuldigten werden die zuständigen Stellen, wie dies bereits
die nach dem Tatgeschehen unverzüglich erfolgte
Zurückverlegung des Beschuldigten nach Li. zeigt, im Rahmen
der weiteren Vollzugsgestaltung und der Vollstreckungsentscheidungen
Rechnung tragen. Unter diesen Umständen hat die Strafkammer
mit ihrer Annahme, dass die Ausgestaltung und der weitere Vollzug der
Unterbringung, insbesondere deren Dauer, der erneuten Anordnung der
Maßregel nicht bedurften, den ihr eröffneten
Beurteilungs- oder Bewertungsspielraum nicht überschritten.
Schließlich durfte das Landgericht - auch darin dem
Sachverständigen folgend - berücksichtigen, dass sich
auch medizinisch eine weitere Anordnung auf die Behandlung des
Beschuldigten nicht auswirken würde.
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Nach alledem hat es bei der angefochtenen Entscheidung sein Bewenden.
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Maatz Athing Solin-Stojanović
Franke Mutzbauer |