BGH,
Urt. v. 18.12.2002 - 2 StR 149/02
2 StR 149/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
18. Dezember 2002
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 18.
Dezember 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan und die Richter am
Bundesgerichtshof Dr. h.c. Detter, Dr. Bode, Rothfuß, Prof.
Dr. Fischer, Bundesanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Trier vom 3. Dezember 2001 mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 2 und 3
sowie 6 bis 8 verurteilt worden ist, hinsichtlich der beiden
Gesamtstrafen und soweit die Sperrfrist für die Erteilung der
Fahrerlaubnis aus dem Strafbefehl des Amtsgerichtes Trier vom 15.
November 2000 aufrecht erhalten worden ist.
2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei
Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit
vorsätzlicher Körperverletzung, im anderen Fall mit
gefährlicher Körperverletzung, und wegen
vorsätzlicher Körperverletzung zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten,
darüber hinaus wegen Vergewaltigung in zwei Fällen,
jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher
Körperverletzung, wegen Mißhandlung von
Schutzbefohlenen in drei Fällen sowie wegen
vorsätzlicher Körperverletzung in drei
Fällen unter nachträglicher Einbeziehung einer
Geldstrafe zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und
vier Monaten verurteilt. Seine hiergegen eingelegte, auf
Verfahrensrügen sowie die Sachrüge gestützte
Revision hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
1. Die Rüge eines Verfahrensverstoßes nach
§ 338 Nr. 5 i.V.m. § 247 StPO ist
unbegründet. Die Voraussetzungen einer Ausschließung
des Angeklagten für die Dauer der Vernehmung der
Nebenklägerin gemäß § 247 Abs. 1
Satz 1 StPO lagen unzweifelhaft vor. Diese Maßnahme wurde
nicht dadurch rechtsfehlerhaft, daß das Landgericht zuvor
einen entsprechenden Antrag mit möglicherweise fehlerhafter
Begründung abgelehnt hatte.
Die vom Angeklagten zu Protokoll der Geschäftsstelle erhobenen
Verfahrensrügen sind, soweit sie den Anforderungen des
§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügen, offensichtlich
unbegründet.
2. Die Prüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der
Sachrüge ergibt in den Fällen II. 1, 4, 5 sowie II.
9, 10, 11 keinen Rechtsfehler. Die Einwendungen der Revision gegen die
Beweiswürdigung des Landgerichts decken weder einen
Verstoß gegen einen wissenschaftlich gesicherten
Erfahrungssatz noch einen Erörterungsmangel auf. Auch die
Einzelstrafen in diesen Fällen sind rechtsfehlerfrei und
können bestehen bleiben.
3. Dagegen hält die Beurteilung der Konkurrenzen in den
Fällen II. 2 und 3 sowie II. 6, 7 und 8 der
Urteilsgründe rechtlicher Prüfung nicht stand.
Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm der Angeklagte im August
2000 einen von seiner damals 5-jährigen Tochter J. durch
Spielen an einem Wasserhahn verursachten Schaden zum Anlaß,
J. sowie ihre 6-jährige Schwester S. zu schlagen, ihnen Haare
auszureißen und sie mehrmals in der Nacht zu wecken, um sie
zu verprügeln. Seiner Tochter S. fügte er durch
Quetschen einer Brustwarze erhebliche Blutergüsse zu; beide
Kinder erlitten Hämatome am ganzen Körper
(Fälle II. 2, 3).
Zwei Monate später geriet der Angeklagte aus nichtigem
Anlaß über das Verhalten seiner Töchter in
Wut. Er verprügelte beide Kinder, indem er mit den
Händen heftig auf sie einschlug. Seine Ehefrau, die
Nebenklägerin, schlug er mit den Händen und trat sie
mit Füßen (Fälle II. 6, 7, 8).
a) Das Landgericht hat die Fälle II. 2 und 3 als sachlich
zusammentreffende Taten nach § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB
(Einzelstrafen jeweils 1 Jahr und sechs Monate), die Fälle II.
6, 7 und 8 als gleichfalls tatmehrheitlich zusammentreffende Vergehen
nach § 223 Abs. 1 StGB (Einzelstrafen jeweils sieben Monate)
beurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der
Angeklagte habe in den Fällen II. 2 und 3 seine Kinder
gequält und roh mißhandelt, da er ihnen wiederholt
teils länger dauernde Schmerzen zugefügt habe. In den
Fällen II. 6, 7, 8 liege Tateinheit nicht vor, da der
Angeklagte höchstpersönliche Rechtsgüter
verletzt habe (UA S. 21 f.). Diese Begründung
erschöpft die Frage der Einheit oder Mehrheit von Taten in den
beiden Tatkomplexen nicht; vielmehr legt sie die Annahme nahe, der
Tatrichter habe die Möglichkeit natürlicher oder
rechtlicher Handlungseinheiten schon aufgrund des
höchstpersönlichen Charakters der jeweils verletzten
Rechtsgüter für ausgeschlossen gehalten und
weitergehende Feststellungen daher - von seinem Standpunkt aus
folgerichtig - nicht getroffen. Dieser Ansatz verkürzt die
Frage jedoch und steht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
nicht in Einklang.
b) Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Landgerichts, daß
sich die Verletzung höchstpersönlicher
Rechtsgüter, namentlich von Leben und körperlicher
Integrität, in der Regel auch dann als Mehrheit
selbständiger Taten darstellt, wenn die Angriffe zeitnah
aufeinander folgen oder auf derselben Motivation des Täters
beruhen (vgl. BGHSt 16, 397, 398; BGH NStZ 1984, 311; 1996, 129;
Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. vor § 52 Rdn. 2 c
m.w.N.). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. So
können Verletzungshandlungen gegen mehrere Personen schon nach
§ 52 Abs. 1 StGB zu einer Handlung im Rechtssinn verbunden
sein, wenn sie in einer Ausführungshandlung zusammenfallen
oder sich überschneiden. Liegt eine solche
Handlungsidentität nicht vor, so kommt eine Bewertung als
natürliche Handlungseinheit und damit als eine Tat im
Rechtssinn in Betracht, wenn mehrere Handlungen so miteinander
verknüpft sind, daß eine getrennte Beurteilung ihren
Unrechts- und Schuldgehalt nicht zutreffend erfassen würde.
Das ist zwar bei Handlungen, welche sich nacheinander gegen
verschiedene Personen richten, in der Regel nicht der Fall (BGHSt 2,
246, 247; BGH NStZ 1984, 311; BGH StV 1994, 537, 538; vgl. auch
Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. Rdn. 14 vor § 52 m.w.N.); es
kann aber je nach den Umständen des Einzelfalls namentlich
dann gegeben sein, wenn Angriffe auf mehrere Opfer zeitgleich und
wechselweise erfolgen (BGH NStZ 1985, 217; StV 1990, 544; Senatsbeschl.
vom 25. Mai 1995 - 2 StR 239/95; v. 25. Juni 1997 - StV 1998, 72).
c) Die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit liegt hier
jedenfalls in dem in den Fällen II. 6, 7, 8 abgeurteilten
Tatkomplex nicht fern. Nähere Feststellungen hierzu
enthält das Urteil nicht, da es hierauf von dem - insoweit
unzutreffenden - Standpunkt des Landgerichts aus nicht ankam.
Das gilt entsprechend auch in den Fällen II. 2, 3, in denen
das Landgericht das mehrmalige Wecken und Schlagen beider Kinder
offenbar jeweils als eine tatbestandliche Handlungseinheit im Sinne von
§ 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB angesehen hat, ohne die
Tatmodalitäten des Quälens und des rohen
Mißhandelns zu unterscheiden und die Tatumstände
näher darzulegen. Auch insoweit können weitergehende
Feststellungen zu einer abweichenden Beurteilung führen; je
nach den tatsächlichen Umständen könnten
sowohl natürliche oder rechtliche Handlungseinheiten als auch
eine Mehrzahl selbständiger Taten nach § 223 Abs. 1
oder § 225 Abs. 1 StGB vorliegen. Der neue Tatrichter wird
Gelegenheit haben, insoweit genauere Feststellungen zu treffen.
4. Mit dem Wegfall der fünf für die genannten Taten
verhängten Einzelstrafen - jeweils ein Jahr und sechs Monate
für die Fälle II. 2 und II. 3, jeweils sieben Monate
für die Fälle II. 6, II. 7 und II. 8 - ist auch der
ersten vom Landgericht verhängten Gesamtfreiheitsstrafe die
Grundlage entzogen. Dies führt auch zur Aufhebung der zweiten
Gesamtfreiheitsstrafe; die Gesamtstrafenbildung ist insgesamt neu
vorzunehmen. Dabei wird der neue Tatrichter zu prüfen haben,
ob die Zäsurwirkung der in die zweite Gesamtstrafe
nachträglich einbezogenen Verurteilung vom 15. November 2000
zu einer Geldstrafe durch Bezahlung oder zwischenzeitliche
Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe entfallen ist (vgl. BGHSt 32,
190, 193; BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung
2, 3, 5, 7; Senatsbeschluß vom 2. März 1994 - 2 StR
740/93; st. Rspr.).
5. Die Aufrechterhaltung der Sperrfrist aus dem Strafbefehl vom 15.
November 2000 muß unabhängig davon entfallen. Die
Frist war schon zum Zeitpunkt des tatrichterlichen Urteils abgelaufen.
Rissing-van Saan Detter Bode Rothfuß Fischer |