BGH,
Urt. v. 18.1.2006 - 2 StR 394/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 394/05
vom 18.1.2006
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u. a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
18.01.2006, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan und der Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Bode, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Otten,
Richter am Bundesgerichtshof Rothfuß, Richterin am
Bundesgerichtshof Roggenbuck, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
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Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Darmstadt vom 21. Januar 2005 wird verworfen. Der Angeklagte hat die
Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Von Rechts wegen
Gründe: Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der
Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall
in Tateinheit mit Beleidigung und in dem anderen Fall mit
Nötigung, wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und
seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung
formellen und materiellen Rechts. Die Verfahrensrüge ist nicht
näher ausgeführt und daher unzulässig
(§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Sachrüge ist
unbegründet. 1 Die Feststellungen zu den beiden Anlasstaten
vom 14. Oktober 2002, zum bisherigen Krankheitsverlauf mit zahlreichen,
auch lang dauernden Aufenthalten in psychiatrischen
Krankenhäusern, zu den übrigen persönlichen
Verhältnissen und den weiteren Vorfällen vom 5.
November 2002, Mitte Fe- bruar 2003, 24. Februar 2003, 26. und 28.
März 2003, derentwegen die Staatsanwaltschaft
gemäß § 154 Abs. 1 StPO von der
Strafverfolgung abgesehen hat, lassen keinen Rechtsfehler erkennen. 2
Der näheren Erörterung bedarf jedoch die Frage, ob
der die Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit am 14.
Oktober 2002 begründende Zustand 3
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hinreichend festgestellt ist und eine tragfähige Grundlage
für die erforderliche Gefährlichkeitsprognose gegeben
ist. Auch insoweit genügt das angefochtene Urteil den
sachlich-rechtlichen Anforderungen. Die Anordnung der Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus wegen einer im Zustand der
Schuldunfähigkeit begangenen Tat darf gemäß
§ 63 StGB nur erfolgen, wenn die Gesamtwürdigung des
Täters und seiner Taten ergibt, dass von ihm infolge seines
Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb
für die Allgemeinheit gefährlich ist. Eine
zuverlässige Beurteilung, ob dies der Fall ist, setzt aber
zunächst eine eindeutige Bewertung des Zustands des
Täters voraus. Hierfür muss geklärt werden,
ob er (noch) die Fähigkeit besitzt, das Unrecht seines Tuns zu
erkennen und er lediglich nicht in der Lage ist, danach zu handeln,
oder ob ihm bereits die Fähigkeit fehlt, das Unerlaubte seiner
Tat einzusehen. Dabei ist aber zu bedenken, dass fehlende Einsicht die
Steuerungsfähigkeit für die konkrete Tat
zwangsläufig entfallen lässt (vgl. Jähnke LK
11. Aufl. § 20 Rdn. 36; Lenckner/Perron in
Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 20 Rdn. 25
jeweils m.w.N.) mit der Folge, dass dann, wenn die
Einsichtsfähigkeit fehlt, auch die
Steuerungsfähigkeit nicht mehr gegeben ist, sich die Frage
nach der Steuerungsfähigkeit für die Beurteilung der
Schuldfähigkeit also gar nicht mehr stellt (vgl.
Jähnke aaO; Nedopil, Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 128
für den Bereich der Schizophrenie). Zudem gibt es
Krankheitsbilder, die von vornherein ambivalent angelegt sind und beide
Fähigkeiten vollständig aufheben können
(vgl. BGHR StGB § 63 Zustand 11). 4 Die Erwägungen
des Landgerichts und das festgestellte Krankheitsbild belegen
hinreichend, dass bei dem Angeklagten zur Tatzeit die
Fähigkeit, das Unerlaubte seiner Taten einzusehen, als auch
die Steuerungsfähigkeit infolge einer zumindest mittelschweren
schizoaffektiven Psychose (ICD F 25.0) aufge-5
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hoben waren. Insoweit teilt der Senat die vom Generalbundesanwalt
erhobenen Bedenken nicht. Das sachverständig beratene
Landgericht stellt zunächst fest, der Angeklagte habe die
Taten vom 14. Oktober 2002 zum Nachteil der Zeugin M. , die Gegenstand
des Verfahrens sind, im Zustand aufgehobener Einsichts- und
Steuerungsfähigkeit begangen (UA S. 9). Im Rahmen der
Beweiswürdigung wird das Gutachten des
Sachverständigen Prof. Dr. H., dem sich das Landgericht
angeschlossen hat, näher mitgeteilt. Danach sei die Erkrankung
des Angeklagten als Residualzustand nach zahlreichen schizoaffektiven,
insbesondere schizomanischen Episoden einzuordnen, die zu einer
weitgehend therapieresistenten Persönlichkeitsverformung mit
desorganisiertem kognitiven Stil, sozialen und emotionalen
Verhaltensauffälligkeiten geführt habe. Für
die Tatzeit sei davon auszugehen, dass eine akute schizomanische
Episode (ICD F 25.0) bestanden habe. Bereits am Tag nach dem Vorfall
wurde der Angeklagte wegen eines nicht angeklagten weiteren Vorfalls
gegenüber einer anderen Hausmitbewohnerin nach § 1
HFEG bis zum 30. Oktober 2002 in einem psychiatrischen Krankenhaus
untergebracht und in den ersten sieben Tagen trotz sofort begonnener
Medikation fixiert. Die Aufnahmediagnose lautete - wie auch bei den
früheren stationären Aufnahmen des Angeklagten in
psychiatrischen Krankenhäusern - auf maniforme Symptomatik bei
bekannter schizoaffektiver Psychose (ICD F 25.0). Es sei davon
auszugehen, dass die schizoaffektive Psychose bereits vor dem
Aufnahmetag, also auch bereits zur Tatzeit bestand. Da der Angeklagte
anfangs fixiert werden musste, sei von einem schweren, insbesondere
fremd- aber auch selbstgefährdenden Ausmaß der
Erkrankung auszugehen. Der Angeklagte habe somit zur Tatzeit an einer
schizoaffektiven Psychose mittelschwerer oder gar schwerer
Ausprägung und somit an einer krankhaften seelischen
Störung im Sinne von § 20 StGB gelitten. 6
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Der psychiatrische Sachverständige hat darüber hinaus
eine schwere andere seelische Abartigkeit nicht ausschließen
können, da bei dem Angeklagten eine residuale
Persönlichkeitsdeformierung vorliege. Er leide an einer
narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die dazu
führe, dass der Angeklagte immer wieder versuche, Kontrolle
über andere auszuüben, andere seine
Überlegenheit spüren zu lassen und insbesondere
Frauen Angst einzujagen. Dies entspreche auch dem Bild, das die Kammer
in der Hauptverhandlung von dem Angeklagten gewonnen hat. Die
Persönlichkeitsstörung komme nach der Bewertung des
Sachverständigen in ihren Auswirkungen auf die Einsichts- und
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten einer Psychose nahe oder
gleich. Im Hinblick auf den Aufnahmebefund und den Behandlungsverlauf
in der psychiatrischen Klinik sei die schizoaffektive Psychose
gegenüber der Persönlichkeitsstörung aber
eindeutig führend gewesen. Auf Grund dieser zumindest
mittelschwer ausgeprägten Psychose sei der Angeklagte am 14.
Oktober 2002 nicht in der Lage gewesen, das Unrecht seiner Tat
einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Die psychotische
Erkrankung des Angeklagten habe sich unmittelbar auf sein Tatverhalten
ausgewirkt, wie sich aus seinen wirren und sinnlosen
Äußerungen ergebe, bei denen er mit den Augen
gerollt und tierisches Gebrüll von sich gegeben habe (vgl. UA
S. 13/15). 7 Nach diesen Erwägungen verbleiben für
den Senat unter den Umständen des vorliegenden Falles,
insbesondere auch im Hinblick auf das im Urteil festgestellte
Gesamtverhalten des Angeklagten seit den ersten psychotischen
Schüben im Jahr 1991 keine Zweifel, dass nach der Beurteilung
des Sachverständigen und des Landgerichts bei dem Angeklagten
zur Tatzeit sowohl die Einsichtsfähigkeit als auch die
Steuerungsfähigkeit aufgehoben waren. 8 Auch die
Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts hält der
sachlich-rechtlichen Prüfung stand. Das Landgericht hat
hinreichend dargelegt, dass die 9
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Anlasstaten vom 14. Oktober 2002 - ebenso wie die zahlreichen weiteren
Vorfälle davor und danach - auf der krankhaften seelischen
Störung des Angeklagten beruhen und dass infolge seines
Zustands erhebliche rechtswidrige Taten, insbesondere in der engeren
und häuslichen Umgebung des Angeklagten zu erwarten sind. Da
der Angeklagte keine Krankheits- und Behandlungseinsicht zeigt, ist die
notwendige psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung derzeit
nur in der stationären Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus gewährleistet. Dies belegt zweifelsfrei die
Erfolglosigkeit der intensiven sozialpsychiatrischen Betreuung des
Angeklagten in der Zeit von Mai 2000 bis März 2003 als ihm ein
Betreuer bestellt worden war. Die Betreuung musste aufgehoben werden,
weil sich der Angeklagte als "nicht betreubar" erwiesen hatte (vgl. UA
S. 4). Die Maßregelanordnung ist im Hinblick auf das Gewicht
der Anlasstaten und ihre Folgen sowie der zu erwartenden neuen Taten
auch verhältnismäßig (§ 62 StGB).
Rissing-van Saan Bode Otten Rothfuß Roggenbuck |