BGH,
Urt. v. 18.1.2007 - 4 StR 489/06
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
4 StR 489/06 URTEIL
vom
18.01.2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
18.01.2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Staatsanwalt Dr.
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Dortmund vom 9. Januar 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als
Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags unter Einbeziehung
der Strafen aus zwei früheren Verurteilungen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt;
ferner hat es im Adhäsi-onsverfahren den Erben des Tatopfers
dem Grunde nach einen Schmerzensgeldanspruch gegen den Angeklagten
zuerkannt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner
Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung
sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der
Sachrüge Erfolg.
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1. Das Landgericht hat festgestellt:
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Opfer des Tötungsgeschehens war der zur Tatzeit
20-jährige Maik M., Sohn der Cornelia M., mit der der
Angeklagte seit Anfang Mai 2005 eine Beziehung eingegangen war. Am
Tattage, den der Angeklagte, Maik M. und dessen Mutter weitgehend
gemeinsam verbrachten, kam es wiederholt zu heftigen
Auseinandersetzungen zwischen Maik M. und seiner Mutter, in die der
Ange-
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klagte zunächst beschwichtigend eingriff. Im Verlauf eines
dieser Streitgespräche zog Maik M. einen metallenen
Teleskopstab heraus und drohte damit "wer etwas wolle, könne
kommen". Die Streitigkeiten zwischen Maik M. und seiner Mutter setzten
sich auch am Abend in deren Wohnung fort. Dabei griff Maik M. seine
Mutter nunmehr auch tätlich an, worauf der Angeklagte ihn zur
Seite stieß. Darauf begannen sich Maik M. und der ihm
körperlich weit unterlegene Angeklagte, die inzwischen am
Esstisch im Wohnzimmer Platz genommen hatten, miteinander zu streiten,
wobei Maik M. mehrfach aus dem Sitzen heraus mit der Hand oder Faust in
Richtung des Angeklagten schlug, der jedoch jedes Mal ausweichen
konnte. Nunmehr drohte der Angeklagte, der ein Springmesser mit 8,5 cm
langer Klinge bei sich führte, dem späteren Tatopfer
damit, er werde ihm "wenn er nicht aufhöre, ein Messer in den
Kopf hauen". Aus Zorn über das Verhalten des Maik M. ihm und
dessen Mutter gegenüber versetzte der Angeklagte dem
Geschädigten mit dem Messer einen wuchtigen Stich in dessen
linke obere Brust, wobei er das Messer von oben nach unten
führte und es zunächst stecken ließ. Maik
M. erlitt infolge des Stichs eine Lungenverletzung und eine
Öffnung der Intercostalarterie, was zu einem raschen und
erheblichen Blutverlust in die Brusthöhle hinein
führte; er wurde "fast unmittelbar aktionsunfähig"
und ging zu Boden. Möglicherweise stützte ihn dabei
der Angeklagte, den sein Handeln im Zorn sofort reute und der deshalb
versuchte, den Blutaustritt durch Aufdrücken eines Handtuchs
zu stillen. Die über Notruf benachrichtigte Polizei sowie
Rettungsdienst und Notarzt trafen den Angeklagten kniend neben dem
Opfer an. Die ihm tatzeitnah entnommene Blutprobe ergab für
den Tatzeitpunkt eine maximale Blutalkoholkonzentration von 3,10
‰. Nach Einschätzung der Tatortbeamten als auch des
Arztes bei der Blutentnahme erschien der Angeklagte zwar alkoholisiert,
wies aber keine alkoholtypischen Ausfallerscheinungen auf.
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Maik M. wurde alsbald nach der Tat in eine Klinik
überführt und dort notfallmäßig
versorgt. Trotz zweier Operationen verstarb er am Vormittag des
folgenden Tages aufgrund eines durch die Stichverletzung verursachten
verblutungsschockbedingten Multiorganversagens.
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2. Ohne Rechtsfehler hat die Schwurgerichtskammer eine
Notwehrrechtfertigung (§ 32 StGB) ebenso wie die
irrtümliche Annahme einer Notwehrlage durch den Angeklagten
(Putativnotwehr) ausgeschlossen. Gleichwohl hat die Verurteilung wegen
Totschlags keinen Bestand, weil die Beweiswürdigung, mit der
das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz bejaht hat, der
rechtlichen Nachprüfung nicht stand hält.
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Der Angeklagte hat einen Tötungsvorsatz bestritten; er habe
gar nicht stechen wollen, vielmehr sei „das
passiert“, als sich Maik M. am Tisch zu ihm vorgebeugt habe
(UA 21). Diese Einlassung hält das Schwurgericht zur inneren
Tatseite für widerlegt. Die Annahme des Landgerichts, der
Angeklagte habe nicht nur in dem Bewusstsein gehandelt, Maik M.
könne sterben, sondern ihm sei dies "mindestens
gleichgültig" gewesen (UA 28), setzt sich indes nur
unzureichend mit den Besonderheiten dieses Falles auseinander. Zwar
liegt es bei besonders gefährlichen Verhaltensweisen wie einem
- zumal mit erheblicher Wucht - geführten Stich in die
Brustgegend, nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit
rechnet, das Opfer könne dabei zu Tode kommen, und dies, wenn
er gleichwohl von der Tat nicht Abstand nimmt, auch billigend in Kauf
nimmt. Anders liegt es aber dann, wenn sich aus dem Tatablauf und der
Person des Täters besondere Umstände ergeben, die es
zweifelhaft erscheinen lassen, ob der Angeklagte tatsächlich
die Gefahr des Todeseintritts erkannt und den Tod des Opfers im Sinne
billigender Inkaufnahme hingenommen hat (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2003,
603; 2006, 169). Solche Besonderheiten, die näherer
Erörterung bedurften, liegen hier vor.
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Insbesondere stellt es einen durchgreifenden Rechtsmangel dar, dass das
Landgericht dem Angeklagten zwar im Rahmen der Strafzumessung zugute
hält, dass ihn die Tat unmittelbar reute und er sich darum
bemüht hat, seinem Opfer durch Stillung der Blutung zu helfen,
es dieses Nachtatverhalten aber nicht bei der Prüfung des
Tötungsvorsatzes erörtert. Dieses Nachtatverhalten,
durch das sich der Angeklagte im unmittelbaren Anschluss an den
Messerstich bemühte, Maik M. zu retten, konnte schon
für sich Zweifel daran begründen, dass der Angeklagte
bei der Tat dessen Tod erkannt und billigend hingenommen hat (BGH NStZ
2006, 169; BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 11). Gegen die
Annahme des Schwurgerichts, dem Angeklagten sei der Tod des Maik M.
„mindestens gleichgültig“ gewesen, kann
zudem auch die Reaktion des Angeklagten bei seiner ersten polizeilichen
Vernehmung am Tag nach der Tat deuten; auf die Mitteilung, Maik M. sei
verstorben, stammelte er, er sei kein Mörder, und brach in
Tränen aus, worauf die Vernehmung abgebrochen werden musste.
Zwar kann ein solches Nachtatverhalten immer auch bloßer
Ausdruck einer spontanen Ernüchterung des Täters
sein, der sich angesichts der sichtbaren Tatfolgen der Verantwortung
für seine Tat entziehen will. Abgesehen davon, dass das
Schwurgericht darauf bei der Beweiswürdigung zur inneren
Tatseite aber nicht abgestellt hat, bedürfte eine solche
Annahme sorgfältiger Prüfung unter Beachtung des
Zweifelsgrundsatzes, an der es hier gerade fehlt.
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Hinzu kommt, dass der Angeklagte infolge seiner hochgradigen
Alkoholisierung in seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne des
§ 21 StGB „sicher“ erheblich vermindert
war und er in diesem Zustand durch das Verhalten des Maik M. zum Zorn
gereizt im Sinne des § 213 1. Alt. StGB auf der Stelle zu der
Tat hingerissen wurde (UA 33). Schon die damit vom Schwurgericht selbst
angenommene tatauslösende affektive Erregung des Angeklagten
konnte auch Einfluss auf dessen Vorstellungsbild über die
möglichen Folgen seines Tuns, zumindest a-
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ber auf das Billigungselement des Vorsatzes gewinnen (vgl. BGH NStZ
2006, 169). Auch damit setzt sich das Landgericht nicht auseinander.
Jedenfalls in ihrer Gesamtheit können die aufgezeigten
Umstände dafür sprechen, dass der Angeklagte zwar
eine Gefährdung des Maik M. in sein Bewußtsein
aufgenommen, nicht aber eine mögliche Todesfolge erkannt und
in seinen Willen aufgenommen hatte (vgl. BGHR StGB § 212 Abs.
1 Vorsatz, bedingter 11).
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3. Die Verurteilung wegen Totschlags kann nach alledem keinen Bestand
haben. Über die Sache ist deshalb insgesamt - auch
hinsichtlich des Adhäsi-onsanspruchs - neu zu verhandeln und
entscheiden.
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Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible |