BGH,
Urt. v. 18.10.2006 - 2 StR 340/06
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 340/06
vom
18.10.2006
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
- 2 -
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
18.10.2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen
vom 18.05.2006 wird auf ihre Kosten verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur
Bewährung ausgesetzt. Dagegen wendet sich die Revision der
Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
2
Die Angeklagte hatte 1974 begonnen, als Aushilfe im Imbisswagen des
späteren Tatopfers C. zu arbeiten. 1981 heiratete die
Angeklagte den im Jahre 1928 geborenen C. . Von Beginn der Beziehung an
wurde sie von ihrem erheblich älteren Mann körperlich
misshandelt und verbal gedemütigt. C. hielt zu Hause eine
Holzstange bereit, die er „die Hausordnung“ nannte
und mit der er die Angeklagte jedes Mal schlug, wenn ihm etwas
missfiel. 1994 trat er der Angeklagten mit Arbeitsschuhen ins Gesicht,
so dass diese sämtliche oberen Vorderzähne verlor. Im
Jahre 1997 oder 1998 erlitt der schwer herzkranke C. einen
Schlaganfall, wodurch er in seinen körperlichen
Fähigkeiten erheblich eingeschränkt war.
3
- 4 -
Dennoch zerschnitt er der Angeklagten bei einem Messerangriff im Januar
2003 die Fingersehnen einer Hand. Im Oktober 2003 schlug er ihr eine
Thermoskanne auf den Kopf.
Am 4. März 2005 gegen 21.00 Uhr rief C. aus dem Wohnzimmer
lautstark nach seiner Frau. Als die Angeklagte zu ihm lief, beschimpfte
er sie und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht und gegen die Arme, so
dass sie zu Boden stürzte. Die Angeklagte ergriff aufgrund
eines spontanen Tatentschlusses einen in der Nähe liegenden,
in ein Tuch eingewickelten Handfäustel und schlug damit
mindestens zweimal kraftvoll auf den Hinterkopf ihres Ehemannes ein,
wobei ihr bewusst war, dass dieser dadurch sterben könnte, was
sie billigend in Kauf nahm. Anschließend rief die Angeklagte
ihren Sohn und zwei Frauen an, damit diese ihr helfen sollten.
Gegenüber einer der Zeuginnen äußerte sie:
„Ich glaube, ich habe den umgebracht“. Sie begab
sich in den Keller, wo sie später in einem apathisch und
verwirrt wirkenden Zustand aufgefunden wurde. Das Landgericht geht von
einer maximalen Blutal-koholkonzentration zur Tatzeit von etwas
über 2 %o aus. Ihr Sohn, der als erster im Haus eintraf,
alarmierte die Rettungskräfte. . C. hatte zwei große
Platzwunden am Hinterkopf mit Zertrümmerung der
Schädeldecke erlitten. Die offene Schädelverletzung
musste notoperativ mit Mikroplatten verschlossen werden. C. wurde durch
die Verletzung harn- und stuhlinkontinent, nicht geh- oder
stehfähig und bei der Körperhygiene und beim Essen
auf Pflegeleistungen Dritter angewiesen, bis er am 10. März
2006 infolge eines akuten Herzversagens und nicht als Folge der Tat
starb.
4
Das Landgericht hat bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten
bejaht. Wer wie die Angeklagte mit einem Hammer gleich zweimal mit
solcher Wucht auf den Hinterkopf eines anderen Menschen schlage, dass
die Schädeldecke an der Schlagstelle zertrümmert
werde, rechne damit, dass die dadurch hervor-
5
- 5 -
gerufenen Verletzungen tödlich seien und nehme dies zum
Zeitpunkt des Schlages zumindest billigend in Kauf. Ein
strafbefreiender Rücktritt vom Versuch des Totschlags liege
nicht vor. Die Angeklagte, die geglaubt habe, alles für den
Eintritt des Todes erforderliche getan zu haben, habe nichts getan, um
ihren Mann zu retten.
2. Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagte habe zumindest mit
bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, hält der
rechtlichen Nachprüfung stand. Die Ausführungen des
Landgerichts genügen hier angesichts der Besonderheiten der
Tatumstände noch den Anforderungen, die an die Darlegung und
Begründung des Tatvorsatzes zu stellen sind.
6
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der
Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als
möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, dass er
ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der
Tatbestandsverwirklichung abfindet; bewusste Fahrlässigkeit
liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der als
möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht
einverstanden ist und ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraut, der
tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. Da diese beiden
Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen
bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren
Tatseite, also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement,
in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch
tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGHSt 36, 1, 9 f;
BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 33).
7
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt
es bei gefährlichen Gewalthandlungen zwar nahe, dass der
Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne
dabei zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein
gefährliches Handeln fortsetzt, auch einen solchen Erfolg
billigend in Kauf
8
- 6 -
nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der
objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters
auf bedingten Tötungsvorsatz grundsätzlich
möglich. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber
einer Tötung ist jedoch immer auch die Möglichkeit in
Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der
Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein
solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei einer spontanen,
unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten
Einzelhandlung kann aus dem Wissen von einem möglichen
Erfolgseintritt nicht allein ohne Berücksichtigung der sich
aus der Persönlichkeit des Täters und der Tat
ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das -
selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative
Vorsatzelement gegeben ist (Senat NStZ 2003, 603; BGHR StGB §
15 Vorsatz, bedingter 4). Danach ist es im Einzelfall denkbar, dass der
Täter zwar alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu
einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, dass er sich
aber - etwa infolge einer psychischen Beeinträchtigung -
gleichwohl nicht bewusst ist, dass sein Tun zum Tod des Opfers
führen kann oder dass er ernsthaft und nicht nur vage darauf
vertraut, der Tod werde nicht eintreten (vgl. BGHR StGB § 212
Abs. 1 Vorsatz, bedingter 27). Nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs wird aber in der Regel das Vertrauen auf ein
Ausbleiben des tödlichen Erfolges dann zu verneinen sein, wenn
der vorgestellte Ablauf eines Geschehens einem tödlichen
Ausgang so nahe ist, dass nur noch ein glücklicher Zufall
diesen verhindern kann (vgl. nur BGHR StGB § 212 Abs. 1
Vorsatz, bedingter 38). Wird das Opfer in einer Weise verletzt, die
offensichtlich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit - etwa einem Stich in
das Herz vergleichbar - zum Tode führt (vgl. BGHR aaO 35 und
51) liegt (zumindest) bedingter Tötungsvorsatz auf der Hand,
ohne dass es dafür besonderer Anforderungen an die Darlegung
der inneren Tatseite in den Urteilsgründen bedarf (vgl. BGHR
aaO 57; BGH NStE Nr. 27 zu § 212 StGB).
- 7 -
b) So liegt der Fall hier. Angesichts der durch beide Schläge
jeweils bewirkten offenen Schädelfrakturen lag die Gefahr
eines tödlichen Ausgangs auf der Hand. Bereits der erste
Schlag hat zu einer großen Platzwunde und einer
Zertrümmerung der Schädeldecke geführt. Auch
wenn die Angeklagte affektiv erregt und mittelgradig alkoholisiert war,
hat sie die unübersehbare Gefährlichkeit der
Verletzung erkannt und dennoch mit gleicher Wucht nochmals
zugeschlagen. Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagte trotz
des Ausmaßes der von ihr dem Geschädigten
zugefügten Verletzungen auf einen glücklichen Ausgang
vertraute, sind demgegenüber zumal angesichts des Alters des
Geschädigten und dessen schwerer Herzerkrankung nicht
erkennbar.
9
3. Auch einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des
Totschlags hat das Landgericht rechtsfehlerfrei verneint. Nach den
maßgeblichen Urteilsfeststellungen hat die Angeklagte ihren
Sohn, ihre Stiefmutter und die Zeugin B. gerade nicht angerufen, um die
Rettung des Geschädigten zu veranlassen, sondern allein, damit
diese ihr selbst helfen sollten.
10
Rissing-van Saan Bode Otten
Fischer Roggenbuck |