BGH,
Urt. v. 18.9.2002 - 2 StR 266/02
2 StR 266/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
18. September 2002
in der Strafsache gegen
wegen schweren Raubes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 18.
September 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan als Vorsitzende, die Richter am
Bundesgerichtshof Dr. h.c. Detter, die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten, und die Richter am Bundesgerichtshof Rothfuß,
Prof. Dr. Fischer als beisitzende Richter, Staatsanwalt als Vertreter
der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Frankfurt am Main vom 28. Februar 2002
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, daß der
Angeklagte des schweren Raubes in Tateinheit mit schwerer
räuberischer Erpressung, erpresserischem Menschenraub,
sexueller Nötigung und mit Freiheitsberaubung schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit
mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs
Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Anrechnung der in Italien
erlittenen Auslieferungshaft hierauf angeordnet. Dagegen richtet sich
die auf die Sachrüge gestützte, vom
Generalbundesanwalt vertretene, zum Nachteil des Angeklagten eingelegte
Revision der Staatsanwaltschaft, die eine Verurteilung auch wegen
tateinheitlich begangenen erpresserischen Menschenraubs und schwerer
räuberischer Erpressung erstrebt. Soweit auch eine
Strafbarkeit des Angeklagten nach §§ 239 b Abs. 1 2.
Alt., 316 a StGB in Betracht kommt, ist die Verfolgung in der
Revisionshauptverhandlung nach § 154 a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1
Nr. 1 StPO auf die Tatbestände des schweren Raubes, der
schweren räuberischen Erpressung, des erpresserischen
Menschenraubs, der sexuellen Nötigung und der
Freiheitsberaubung beschränkt worden.
Das Rechtsmittel führt zur Änderung des Schuldspruchs
und zur Aufhebung des Strafausspruchs.
Nach den Feststellungen hatten der Angeklagte und ein unbekannt
gebliebener Mittäter am 9. Oktober 1993 gegen 12.15 Uhr
beschlossen, den auf einem Parkplatz in K. geparkten PKW der Zeugin L.
an sich zu bringen, um sich damit ins Ausland abzusetzen. Der
Angeklagte ergriff die Zeugin von hinten, als sie gerade in ihr
Fahrzeug einsteigen wollte, hielt ihr eine mit Platzpatronen geladene
Schreckschußpistole an den Hals und stieß sie auf
den Beifahrersitz. Er setzte sich neben sie auf den Beifahrersitz und
bedrohte sie weiter mit der Pistole, die er ihr in den Rücken
und Nackenbereich hielt, während der Mittäter, der
der Zeugin die Autoschlüssel abgenommen hatte, das Fahrzeug
Richtung Ka. fuhr. Auf der Fahrt gaben der Angeklagte und sein
Mittäter an, daß sie RAF-Terroristen seien und den
Auftrag hätten sie zu töten, weiter drohten sie ihr,
die Wirbelsäule zu zerschießen. Nach einem Halt, bei
dem die Zeugin und der Angeklagte auf die Rückbank wechselten,
wurde die Zeugin aufgefordert, Geld zum Tanken zu geben. Aus Angst vor
den Tätern übergab sie ihnen 100, DM.
Schließlich sollte die Zeugin im S. -Kreis in der
Nähe eines Waldrandes freigelassen werden. Aufgrund eines
nunmehr gefaßten Entschlusses vollzog der Angeklagte gegen
den Willen der Zeugin, die sich aber aus Angst nicht wehrte, den
Analverkehr und zwang die Zeugin ihn manuell zu befriedigen.
Anschließend - gegen 16.00 Uhr - fuhren der Angeklagte und
sein Mittäter mit dem Fahrzeug der Zeugin davon.
Der Angeklagte, der seit 1993 nach einem Wirbelsäulenbruch zu
60 % erwerbsgemindert ist, außerdem an einer Leberzirrhose
und einer Blasenlähmung leidet, hielt sich sodann mehrere
Jahre in Frankreich und Italien auf. Da sein Gesundheitszustand sich
verschlechterte, stellte er sich, um zur Behandlung nach Deutschland zu
kommen, im Mai 2001 den italienischen Polizeibehörden. Am 22.
Oktober 2001 wurde er an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert.
Das Landgericht hat die Wegnahme des Fahrzeugs als schweren Raub nach
§§ 249 Abs. 1 aF, 250 Abs. 1 Nr. 2 aF StGB, die durch
den Angeklagten erzwungenen sexuellen Handlungen als damit
tateinheitlich begangene sexuelle Nötigung
gemäß § 178 Abs. 1 aF StGB gewertet. Eine
Verurteilung nach § 239 a StGB hat es abgelehnt, weil der
Bemächtigungssituation für die abgenötigte
Handlung keine eigenständige Bedeutung zugekommen sei. Die
Forderung der Täter, ihnen Geld zum Auftanken des Fahrzeugs zu
geben und die daraufhin erfolgte Übergabe von 100, DM durch
die Zeugin hat das Landgericht nicht gewürdigt.
Dies begegnet durchgreifenden Bedenken.
Zutreffend macht die Beschwerdeführerin geltend, daß
das Landgericht den Unrechtsgehalt des Tatgeschehens nicht
erschöpft hat.
Das Verhalten des Angeklagten und seines Mittäters
erfüllt, soweit sie von der Zeugin zum Auftanken des Fahrzeugs
100, DM forderten und erhielten, den Tatbestand des § 239 a
Abs. 1 2. Alt. StGB in Tateinheit mit schwerer räuberischer
Erpressung nach §§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 2 aF StGB.
Der Angeklagte und sein Mittäter haben die Zeugin
entführt und sich ihrer bemächtigt, als sie die
Zeugin mit aufgesetzter Pistole zwangen in das Fahrzeug einzusteigen
und mehrere Stunden mitzufahren. Zwar verfolgten sie damit
zunächst nur den Zweck, sie daran zu hindern, alsbald Anzeige
zu erstatten. Durch die Entführung war jedoch eine Zwangslage
für die Zeugin geschaffen, die sie dem ungehemmten
Einfluß der Täter aussetzte und die der Angeklagte
und sein Mittäter in der Folge nutzten, um sie mit mindestens
konkludenten Todesdrohungen zur Herausgabe von Geld zu
nötigen. Die Zeugin, die auch nach dem Wechsel auf die
Rückbank von dem neben ihr sitzenden Angeklagten weiterhin mit
der Pistole bedroht wurde, gab - wie für den Angeklagten und
seinen Mittäter offensichtlich war - das Geld allein unter dem
Eindruck der andauernden Todesdrohungen heraus. Dies genügt
für die zweite Alternative des § 239 a Abs. 1 StGB.
Der Grundsatz der Spezialität steht dem Schuldspruch nicht
entgegen. Tateinheitlich ist daneben der Tatbestand der schweren
räuberischen Erpressung sowohl nach dem zur Tatzeit als auch
nach dem derzeit geltenden Recht erfüllt, da die konkrete
Verwendung der Schreckschußpistole geeignet war, erhebliche
Verletzungen beizubringen (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 nF StGB).
Hinzu tritt in weiterer Tateinheit Freiheitsberaubung (§ 239
StGB). Im vorliegenden Fall geht die Freiheitsentziehung zeitlich
über die in § 239 a StGB vorausgesetzte
Einschränkung der persönlichen Fortbewegungsfreiheit
des Opfers erheblich hinaus und weist daher einen
eigenständigen Unrechtsgehalt auf.
Die Tatbestände der §§ 249, 250 Abs. 1 Nr. 2
aF, 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 2 aF, 239 a Abs. 1 2. Alt., § 239
Abs. 1 und § 178 Abs. 1 aF StGB wurden tateinheitlich
verwirklicht (§ 52 StGB).
Der Schuldspruch war danach zu ändern. § 265 StPO
steht nicht entgegen, weil nicht ersichtlich ist, daß der
geständige Angeklagte sich anders als geschehen hätte
verteidigen können.
Die Strafe muß nunmehr durch den neuen Tatrichter auf der
Grundlage des geänderten Schuldspruchs neu zugemessen werden.
Die durch § 301 StPO veranlaßte Prüfung hat
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Rissing-van Saan Detter Otten Rothfuß RiBGH Fischer ist wegen
Urlaubs an der Unterschrift gehindert.
Rissing-van Saan
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