BGH,
Urt. v. 19.12.2002 - 1 StR 405/02
1 StR 405/02
StGB § 46a Nr. 1 und 2
Bei Gewaltdelikten und Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist
für einen erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich mit der
zu Gunsten des Angeklagten wirkenden Folge der Strafmilderung nach
§ 46a i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB
regelmäßig ein Geständnis zu verlangen.
BGH, Urt. vom 19. Dezember 2002 - - LG Konstanz -
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
19. Dezember 2002
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat aufgrund der Verhandlung
vom 18. Dezember 2002 in der Sitzung am 19. Dezember 2002, an denen
teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Nack und
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Boetticher, Schluckebier,
Hebenstreit, die Richterin am Bundesgerichtshof Elf, Oberstaatsanwalt
beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger, Justizangestellte
, Justizangestellte als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Konstanz vom 15. Mai 2002 im Strafausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer
Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der
Freiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Mit ihrer zu
Ungunsten des Angeklagten eingelegten, wirksam auf den Strafausspruch
beschränkten Revision greift die Staatsanwaltschaft mit einer
Verfahrensrüge und der Sachbeschwerde die Bemessung der
Freiheitsstrafe und die Strafaussetzung zur Bewährung an. Sie
wendet sich insbesondere gegen die mit einem
Täter-Opfer-Ausgleich nach § 46a Nr. 1 StGB
begründete Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1
StGB. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen lernten sich der Angeklagte und die
20jährige Geschädigte in einer Diskothek kennen. Sie
tauschten dort einvernehmlich Zärtlichkeiten aus. Sie
verließen gemeinsam die Diskothek und gingen über
einen Parkplatz zu einer nahegelegenen Autowaschanlage. In einer
Waschbox hielt der Angeklagte plötzlich mit einer Hand das
Handgelenk der Geschädigten fest und drückte sie
gegen die Wand. Gegen ihren erkennbaren Willen küßte
er sie heftig, faßte unter ihr Oberteil und knetete fest ihre
Brüste. Er zog ihre Hose bis zu den Knien herunter und
führte zwei oder drei Finger seiner anderen Hand in ihre
Scheide ein. Anschließend versuchte er mit seinem Penis von
hinten in die Scheide einzudringen, was ihm nicht gelang;
dafür führte er an ihr den Oralverkehr durch. Er
fügte dem Tatopfer aufgrund dieser Behandlung Kratzwunden
sowie erhebliche Schmerzen zu.
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung die von ihm an der
Geschädigten vorgenommenen sexuellen Handlungen in der
Waschbox eingeräumt. Er hat aber bestritten,
Nötigungsmittel angewandt zu haben; alle sexuellen Handlungen
seien einverständlich erfolgt. Die Kammer hat sich jedoch
aufgrund der glaubhaften Aussage der Geschädigten von der
Schuld des Angeklagten überzeugt.
2. Zur Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB hat die Strafkammer
folgendes ausgeführt: Nach der Vernehmung des Tatopfers in der
Hauptverhandlung sei der zunächst bestreitende Angeklagte mit
einem gerichtlichen Hinweis gemäß § 155a
StPO auf die Möglichkeiten des Täter-Opfer-Ausgleichs
hingewiesen worden. Er sei daraufhin von seiner ursprünglichen
Einlassung insoweit abgewichen, als er ein
"Mißverständnis bzw. ein Verschulden
einräumte". Der Angeklagte habe sich bei dem Tatopfer - nach
Auffassung der Kammer ernsthaft - entschuldigt. Er habe kein volles
Geständnis abgelegt, was in Anbetracht der in der
Hauptverhandlung anwesenden Familienangehörigen und Freunde
des Angeklagten sowie seiner Verlobten nachvollziehbar sei. Er habe in
der Hauptverhandlung ernsthaft angeboten, sich durch Vermittlung eines
Sozialtherapeuten mit dem Tatopfer an einen Tisch zu setzen und ihr
durch ein Gespräch dabei zu helfen, die Sache
endgültig zu verarbeiten. Ferner habe er sich bereit
erklärt, zum Ausgleich des immateriellen Schadens ein
Schmerzensgeld von 3.500 Euro zu bezahlen. Seine Familie habe diesen
Betrag in der Hauptverhandlung zur Verfügung gestellt und der
Geschädigten ausgehändigt, "die diesen Betrag durch
ihren Beistand als gewissen Ausgleich akzeptiert" habe (UA S. 7). Zur
weiteren Begründung hat die Strafkammer ausgeführt,
ein Täter-Opfer-Ausgleich könne in jeder Lage des
Verfahrens erfolgen. Der Angeklagte habe erst durch den gerichtlichen
Hinweis von der Möglichkeit eines
Täter-Opfer-Ausgleichs erfahren. Er habe zwar dem Tatopfer
eine peinliche Befragung nicht erspart, habe sich aber am Ende der
Beweisaufnahme darum bemüht, einen kommunikativen
Prozeß mit der Geschädigten in die Wege zu leiten.
Er habe auch seiner in der Hauptverhandlung anwesenden Familie
zugesagt, den Betrag von 3.500 Euro durch Arbeitsleistungen
zurückzuerstatten. Die Kammer habe - auch unter Beobachtung
des in Haftsachen besonders zu berücksichtigenden
Beschleunigungsgrundsatzes - davon abgesehen, die Hauptverhandlung zur
Ermöglichung einer weiteren Kommunikation zwischen dem
Angeklagten und der Geschädigten auszusetzen.
3. Die Beschwerdeführerin trägt - insoweit
enthält die Revisionsbegründung eine noch
zulässige Verfahrensrüge nach § 261 StPO -
vor, der Angeklagte habe im Ermittlungsverfahren Zeugen benannt, die
bekunden sollten, die Geschädigte biete sich vor der Diskothek
gegen Geld an. Nachdem sich dieses als falsch herausgestellt habe, sei
dem Angeklagten, dem im gesamten Ermittlungs- und Hauptverfahren ein
Verteidiger zur Seite gestanden habe, im
Eröffnungsbeschluß ein Hinweis nach § 155a
StPO auf einen Ausgleich gegeben worden. Dessen ungeachtet habe seine
Verteidigung über zwei Verhandlungstage auf einen Freispruch
abgezielt. Dies habe in einem Antrag auf Einholung eines
Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache gegipfelt,
die Geschädigte habe die Unwahrheit gesagt. Das darin zum
Ausdruck gekommene weitere Bestreiten des Angeklagten hätte
nicht mit dem erneuten rechtlichen Hinweis gemäß
§ 155a StPO unterlaufen werden dürfen. Auch nach dem
Hinweis habe sich der Angeklagte nur dahin eingelassen, es handele sich
um ein Mißverständnis und es tue ihm leid. Er habe
damit die vorsätzliche Mißachtung der sexuellen
Selbstbestimmung relativiert und die Tat weiter in Abrede gestellt.
Dies komme auch darin zum Ausdruck, daß der Verteidiger im
Schlußvortrag Freispruch beantragt habe. Nach dem
gerichtlichen Hinweis hätten sich mehrere im Gerichtssaal
anwesende Familienmitglieder entfernt und 2.500 Euro beigebracht. Erst
nach den Schlußvorträgen habe der Vater des
Angeklagten dem Vertreter der Nebenklage 2.500 Euro in Anwesenheit des
Tatopfers übergeben. Der Vater habe zugesichert, im Laufe des
Tages weitere 1.000 Euro zu übergeben und habe auf
Drängen des Nebenklägervertreters zugesagt, die
Kosten des Adhäsionsverfahrens und die bis dahin angefallenen
Gebühren zu übernehmen. Aufgrund dieser
Umstände seien wesentliche Voraussetzungen des
Täter-Opfer-Ausgleichs nicht erfüllt. Der Angeklagte
habe seine schädigende Handlung niemals eingeräumt.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Die
Bejahung der Voraussetzungen des Täter-Opfer-Ausgleichs
gemäß § 46a StGB durch das Landgericht
begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Der Gesetzgeber verfolgt mit der Übernahme des im
Jugendstrafrecht erfolgreich angewandten
Täter-Opfer-Ausgleichs (§ 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7,
§ 45 Abs. 2 Satz 2 JGG) in das allgemeine Strafrecht die
Absicht, auch im Erwachsenenstrafrecht die Belange des Opfers von
Straftaten stärker in den Mittelpunkt des Interesses zu
rücken. Gleichzeitig kann der Täter auf diesem Wege
besser als mit bloßer Bestrafung zur Einsicht in die
Verwerflichkeit seines Tuns und zur Übernahme von
Verantwortung für die Folgen seiner Straftat
veranlaßt werden (BTDrucks. 12/6853 S. 21). § 46a
StGB will einen Anreiz für Ausgleichsbemühungen
seitens des Täters schaffen, dem Opfer durch sein
persönliches Einstehen für die Folgen der Tat, durch
immaterielle Leistungen oder auch durch materielle
Schadensersatzleistungen Genugtuung zu verschaffen. Allerdings will die
Norm mit den Anforderungen an einen friedensstiftenden Ausgleich auch
in dem aus generalpräventiver Sicht erforderlichen Umfang
sicherstellen, daß nicht jede Form des Schadensausgleichs
ausnahmslos und ohne Rücksicht auf den Einzelfall dem
Täter zugute kommt (BTDrucks. aaO S. 21). Der Gesetzgeber hat
zwar mit § 46a StGB - ähnlich mit § 31 BtMG
für aufklärungsbereite
Betäubungsmittelstraftäter - für um
Ausgleich und Wiedergutmachung bemühte Beschuldigte den Anreiz
eines Strafmilderungsgrundes geschaffen; die Vorschrift soll aber kein
Instrument zur einseitigen Privilegierung reuiger Täter sein
(Schöch, 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der
Wissenschaft S. 309, 323; zur Gefahr, daß die Vorschrift
entgegen den gesetzgeberischen Intentionen doch zu einem Freikauf durch
den Täter führen kann, vgl. BGH Beschl. vom 14.
Dezember 1999 - 4 StR 554/99 - , StV 2000, 129).
2. § 46a Nr. 1 StGB macht das Angebot an den Täter
und das Opfer, mit Hilfe eines Vermittlers oder einer sonstigen auf
Ausgleich ausgerichteten Kommunikation eine von allen Beteiligten
einverständlich getragene Regelung zu finden, die geeignet
ist, Konflikte beizulegen, die zu der Straftat geführt haben
oder durch sie verursacht wurden. Ergeben die
Ausgleichsbemühungen, daß die Wiedergutmachung ganz
oder zum überwiegenden Teil aus materiellen Leistungen in Form
von Schadensersatz oder Schmerzensgeld bestehen, so verlangt §
46a Nr. 2 StGB, daß der Täter diese
tatsächlich erbracht und dafür erhebliche
persönliche Anstrengungen unternommen und Verzicht geleistet
hat. Beide Alternativen des § 46a StGB beschreiben
selbständige Voraussetzungen, die übereinstimmend
einen Schadensausgleich bezwecken. Der Tatrichter kann die
Strafmilderung für den Täter nach den
Umständen des Einzelfalles auf jede der beiden Alternativen
stützen; liegen jedoch die Voraussetzungen für beide
Alternativen vor, können sie nebeneinander festgestellt werden
(Lackner/Kühl StGB 24. Aufl. § 46a Rdn. 4a). Der
Unterschied zwischen Nr. 1 und Nr. 2 besteht darin, daß Nr. 2
für die materiellen Wiedergutmachungsleistungen den Eintritt
des Erfolges (d.h. die geleistete Zahlung) verlangt, während
sich Nr. 1 unter Umständen mit den mit dem erstrebten Erfolg
verbundenen Ausgleichsbemühungen (hinsichtlich der materiellen
Leistungen deren Zusage) begnügt (Schöch aaO S. 309
ff., 319, 323, 335).
a) Der Gesetzgeber hat sich in § 46a Nr. 1 StGB inhaltlich an
der im Jugendstrafrecht geltenden Konfliktregelung des § 10
Abs. 1 Nr. 7 JGG und den dort zur Verfügung stehenden
jugendspezifischen Modellen des formalisierten
Täter-Opfer-Ausgleichs orientiert. Bei der Übernahme
des Täter-Opfer-Ausgleichs in das allgemeine Strafrecht hat er
sich wegen der Vielfalt der nach Landesrecht geregelten Verfahren und
wegen der nur bedingt möglichen Übertragbarkeit auf
kein formalisiertes Verfahren festgelegt. Bei dieser Konzeption ist er
auch anläßlich der Einführung der
verfahrensrechtlichen Grundnormen der § 155a und §
155b StPO geblieben (Gesetz vom 20. Dezember 1999; BGBl. I S. 2491),
mit denen er den in das materielle Strafrecht eingestellten
Täter-Opfer-Ausgleich verfahrensrechtlich verankern und
stärken wollte (BTDrucks. 14/1928 S. 8).
Der 1. Strafsenat hat schon kurz nach Inkrafttreten die Vorschrift des
§ 46a StGB dahin ausgelegt, daß dessen Wortlaut -
entgegen der Entwurfsbegründung - offen
läßt, ob die Lösung des der Tat
zugrundeliegenden Gesamtkonflikts "stets" unter Anleitung eines Dritten
anzustreben ist oder ob dies nur "tunlichst" geschehen soll.
Dafür hat der Senat aber in ständiger Rechtsprechung
zumindest einen "kommunikativen Prozeß zwischen
Täter und Opfer" verlangt, der auf einen umfassenden Ausgleich
der durch die Tat verursachten Folgen gerichtet sein muß. Er
hat damit gegenüber dem in
Täter-Opfer-Ausgleichs-Verfahren von fachkundigen Personen
vermittelten "Gespräch als Medium parteiautonomer
Konfliktregulierung" (Messmer, Täter-Opfer-Ausgleich,
Zwischenbilanz und Perspektiven, Bonner Symposium, 1991, S. 127) einen
offeneren Kommunikationsbegriff gewählt, um auch anderen
Kommunikationsformen zur Schadenswiedergutmachung Raum zu lassen.
Sofern ein Verfahren nicht offensichtlich für einen
Täter-Opfer-Ausgleich ungeeignet ist, sollen
Staatsanwaltschaft und Gericht nach § 155a StPO
grundsätzlich in die Prüfung eintreten, ob ein
Ausgleich zwischen Beschuldigtem und Verletztem erreicht werden kann.
Dies gilt nach § 155a Satz 1 und 2 StPO ausdrücklich
für jedes Stadium des Verfahrens (BTDrucks. aaO S. 8).
Schwerpunkt der durch Dritte vermittelten Ausgleichsbemühungen
wird nach dem gesetzgeberischen Willen aber das Ermittlungsverfahren
mit der dazu neu geschaffenen Möglichkeit der Einstellung des
Verfahrens nach § 153 a Abs. 1 Nr. 5 StPO sein. In der
Hauptverhandlung kann der Tatrichter ebenfalls noch auf den
Täter-Opfer-Ausgleich hinwirken, jedoch wird das in diesem
Verfahrensstadium bei einem bestreitenden oder schweigenden Angeklagten
nur eingeschränkt möglich und angezeigt sein.
b) Die Eignung eines Verfahrens für den
Täter-Opfer-Ausgleich und das Maß des zu
verlangenden kommunikativen Prozesses sind abhängig von dem
zugrundeliegenden Delikt, vom Umfang der beim Tatopfer eingetretenen
Schädigungen und damit von dem Grad der persönlichen
Betroffenheit des Opfers. Schwere - auf einzelne Opfer bezogene -
Gewaltdelikte, insbesondere Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung
(etwa Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, sexueller
Mißbrauch von Kindern) sind nicht prinzipiell vom
Täter-Opfer-Ausgleich ausgeschlossen. Allerdings wird in
diesen Fällen der kommunikative Prozeß seltener
durch ein persönliches Gespräch zwischen
Täter und Opfer geprägt sein. Für den
erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich wird eher eine
über Angehörige, den Verteidiger und den
Nebenklägervertreter oder den Beistand vermittelte
Kommunikation ausreichen. Um der Gefahr zu begegnen, daß der
Täter die Vergünstigung des § 46a i.V.m.
§ 49 Abs. 1 StGB durch "ein routiniert vorgetragenes
Lippenbekenntnis" oder einen Anwaltsschriftsatz erlangt, oder das Opfer
während der Kommunikation Pressionen aussetzt und dem
Tatrichter bei Sexualstraftaten oder Körperverletzungsdelikten
"ein versöhntes Opfer" präsentiert, hat der
Tatrichter seine Feststellungen zum erfolgreichen oder nicht
erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich in den
Urteilsgründen darzulegen. Dabei wird er insbesondere den
Willen des Opfers zur Versöhnung und die Frage einer erzielten
Genugtuung zu berücksichtigen haben (vgl. König, Anm.
zum Urt. vom 25. Mai 2001 - 2 StR 78/01 - JR 2002, 251, 253).
aa) Nach dem Wortlaut des § 46a StGB ist ein bestimmtes
Prozeßverhalten des Beschuldigten nicht ausdrücklich
gefordert. Da es aber beim Täter-Opfer-Ausgleich um eine
strafrechtliche Konfliktskontrolle geht, muß der Beschuldigte
prinzipiell - im Einzelfall in Abwägung zwischen dem Ziel der
Schuldmilderung und dem nemotenetur-Prinzip - akzeptieren,
daß er für das am Opfer begangene Unrecht
einzustehen hat; dazu gehört auch, daß er die
Opferrolle respektiert. Der rechtliche Konflikt über die
Rollenverteilung von Täter und Opfer kann nicht jedesmal von
den Beteiligten neu und individuell festgelegt werden
(Rössner, Bonner Symposium aaO S. 210, 217). Das bedeutet,
daß ein explizit bestreitender Beschuldigter von einer
Überweisung an eine nach landesrechtlichen Vorschriften
für den Täter-Opfer-Ausgleich zuständige
geeignete Stelle oder von einer durch Dritte vermittelten
friedensstiftenden Kommunikation ausgeschlossen bleiben muß.
Dagegen kann neben dem geständigen Täter auch der
schweigende Täter in die Kommunikation einbezogen werden (vgl.
Hartmann, Staatsanwaltschaft und Täter-Opfer-Ausgleich, 1998,
S. 68).
bb) Dem entspricht, daß der Bundesgerichtshof für
den kommunikativen Prozeß verlangt, daß das
Verhalten des Täters im Verfahren "Ausdruck der
Übernahme von Verantwortung" ist, um die friedensstiftende
Wirkung der Schadenswiedergutmachung zu entfalten (Senat, Beschl. vom
25. Juli 1995 -
1 StR 205/95 -, NStZ 1995, 492, 493; BGH, Beschl. vom 20. Februar 2001 -
4 StR 551/00 - , StV 2001, 346; BGH, Beschl. vom 25. Oktober 2000 - 5
StR 399/00 - , NStZ 2001, 200; kritisch zu dieser Wortwahl
Schöch aaO S. 326; König, Anm. zu BGH, Urt. vom 25.
Mai 2001 - 2 StR 78/01, JR 2002, 251, 252). Hieran hält der
Senat fest. Im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung kann nur
dem Täter die Strafmilderung nach § 46a i.V.m.
§ 49 Abs. 1 StGB zuteil werden, der gegenüber seinem
Opfer eine konstruktive Leistung erbringt, die diesem Genugtuung
verschafft.
Jedenfalls für Gewaltdelikte und Delikte gegen die sexuelle
Selbstbestimmung, die sich gegen einzelne Opfer gerichtet haben, wird
für einen erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich mit der
zu Gunsten des Angeklagten wirkenden Folge der Strafmilderung nach
§ 46a i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB
regelmäßig ein Geständnis zu verlangen
sein. Oftmals wird dem Opfer gerade ein Bekennen des Täters zu
seiner Tat im Strafverfahren besonders wichtig sein, so daß
ohne ein Geständnis die angestrebte Wiedergutmachung kaum
denkbar sein wird (BGH, Beschl. vom 20. September 2002 - 2 StR 336/02
-, StV 2002, 649). Es obliegt dem Tatrichter, unter Beachtung dieses
Maßstabs nach den Umständen des Einzelfalls in
wertender Betrachtung festzustellen, inwieweit der Täter
freiwillig Verantwortung für sein Handeln übernimmt.
Dies wird namentlich der Fall sein, wenn er die Haltung des Opfers zu
respektieren lernt und diese zu seinem eigenen Verhalten in Bezug setzt
(Oberlies, Streit 1999 S. 110). Eine solche Einzelfallprüfung
ist erforderlich, um der in der tatrichterlichen Rechtsprechung zu
beobachtenden Entwicklung des Täter-Opfer-Ausgleichs zu einem
Freikauf von der Verantwortung zu Lasten der Opfer entgegenzuwirken.
cc) Die Strafmilderung nach § 46a Nr. 1 StGB
läßt bei einem Täter, dem es erkennbar auf
die Aussöhnung ankommt und dessen persönliche
Leistungen sich als "Ausdruck der Übernahme von Verantwortung"
erweisen, im Einzelfall auch schon das "Bemühen um umfassenden
Ausgleich" ausreichen. Im Fall eines materiellen Ausgleichs steht der
Annahme ausreichender Bemühungen nicht von vornherein
entgegen, daß der Täter den finanziellen Ausgleich
durch seinen Verteidiger und etwa erst zu einem Zeitpunkt
veranlaßt hat oder sich dazu verpflichtet hat, zu dem ihn das
Opfer bereits auf Zahlung in Anspruch genommen hat (BGH, Beschl. vom
14. Dezember 1999 - 4 StR 554/99, StV 2000, 129; BGH, Beschl. vom 17.
Juni 1998 - 1 StR 249/98; StV 1999, 89).
dd) Aus der Sicht des Opfers ist es für die verlangte
Kommunikation unabdingbar, daß der Verletzte in den Dialog
mit dem Täter über die zur Wiedergutmachung
erforderlichen Leistungen einbezogen wird. Ein erfolgreicher
Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne des § 46a Nr. 1 StGB
setzt grundsätzlich voraus, daß das Opfer die
Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich
akzeptiert (BGH, Urt. vom 31. Mai 2002 - 2 StR 73/02 -, NStZ 2002,
646). Dies ergibt sich schon daraus, daß überhaupt
nur angemessene und nachhaltige Leistungen die erlittenen
Schädigungen ausgleichen und zu einer Genugtuung für
das Opfer führen können (ebenso Oberlies, Streit 2000
S. 99, 110). Läßt sich das Tatopfer - etwa weil das
Delikt oder Art und Umfang der Schädigungen ihm einen
Ausgleich unmöglich machen - auf einen kommunikativen
Prozeß nicht ein, so ist - wie es der 1999
eingeführte § 155a Satz 3 StPO ausdrücklich
klargestellt - das Verfahren für die Durchführung
eines Täter-Opfer-Ausgleichs nicht geeignet (vgl. BTDrucks.
14/1928 S. 8).
Grundsätzlich kann nichts anderes gelten für die in
§ 46a Nr. 1 StGB genannten "Bemühungen" des
Täters, die im Einzelfall ausreichen können, um zu
einem erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich zu gelangen.
Verweigert der Verletzte auch insoweit seine Zustimmung, so hat dies
der Täter trotz der herabgesetzten Anforderungen an einen
erfolgreichen Ausgleich hinzunehmen, denn ohne Zustimmung des Opfers
fehlt bereits die Basis für sein Bemühen
(offengelassen für den Fall des nicht festgestellten
entgegenstehenden Willens von Bankangestellten als Opfer eines
Banküberfalls, denen der Täter Schmerzensgeld
angeboten und Schadensersatz an die Banken geleistet hatte, von BGH,
Urt. vom 25. Mai 2001 - 2 StR 78/01 - , NStZ 2002, 364 mit Anm.
Kühl/Häger JZ 2002, 363; Dölling/Hartmann
NStZ 2002, 366 und König JR aaO S. 252). Allein auf die Sicht
"eines vernünftigen Dritten" kann es nicht ankommen
(Schöch aaO S. 322; Oberlies aaO S. 107; a.A. Kilchling NStZ
1996, S. 309, 314 unter Berufung auf SK-Horn § 46a Rdn. 3).
Dem Tatrichter wird vielmehr auferlegt, unter Berücksichtigung
der Interessen des Opfers und des Täters in wertender
Betrachtung zu entscheiden, "wie sich das Tatopfer etwa in dem Fall zu
den Bemühungen des Angeklagten stellt und welche Folgen die
Schmerzensgeldverpflichtung für den Angeklagten hat, aber auch
wie sicher deren Erfüllung ist" (BGH, Beschl. vom 22. August
2001 - 1 StR 333/01 - , NStZ 2002, 29).
ee) Kommt es nach diesem Maßstab zu einer Kommunikation
zwischen Täter und Opfer, ist der
Täter-Opfer-Ausgleich gelungen, wenn das Tatopfer in die
Kommunikation einbezogen ist und dieses die erbrachten Leistungen oder
Bemühungen nach Form und Inhalt als Wiedergutmachung
akzeptiert hat (BGH, Urt. vom 31. Mai 2002 - 2 StR 73/02 -, NStZ 2002,
646). Als Fälle eines fehlgeschlagenen Ausgleichs sind solche
Ergebnisse einer Kommunikation anzusehen, bei denen eine Einigung wegen
unterschiedlicher Vorstellungen über die immateriellen oder
materiellen Leistungen nicht zustande gekommen oder deren
Vereinbarungen nicht eingehalten worden sind.
(1) Eine Ausgleichsvereinbarung ist schon dann nicht erfolgreich, wenn
der Täter die ideelle Komponente seiner Wiedergutmachung nicht
erfüllt, er etwa eine Entschuldigung nur formal abgibt und das
Tatopfer diese deshalb nicht annimmt. Gleiches gilt für
Arbeitsleistungen, die der Täter zu Gunsten des Tatopfers
persönlich oder gegenüber gemeinnützigen
Einrichtungen anbietet. Ein vollwertiger Täter-Opfer-Ausgleich
liegt auch nicht vor, wenn ein vom Tatopfer getragener
Aussöhnungsversuch zwischen Verwandten, Freunden oder den
beauftragten Anwälten nicht zustande kommt.
(2) Für die materielle Wiedergutmachung genügt allein
die Erfüllung von dem Tatopfer nach dem Zivilrecht ohnehin
zustehenden Schadensersatzansprüchen nicht (BGH, Urt. vom 25.
Mai 2001 - 2 StR 78/01 -, NStZ 2002, 364). Der Täter
muß einen über die rein rechnerische Kompensation
hinausgehenden Beitrag erbringen (BGH, Urt. vom 18. November 1999 - 4
StR 435/99 - , NStZ 2000, 205). Andererseits kann aber im Einzelfall
ein Ausgleich erfolgreich sein, wenn der Täter sein gesamtes
Vermögen zur Schadenswiedergutmachung zur Verfügung
stellt und so persönlichen Verzicht leistet und den
Geschädigten zum überwiegenden Teil
entschädigt (BGH, Beschl. vom 19. Oktober 1999 - 1 StR 515/99
- , NStZ 2000, 83).
(3) Die Vereinbarung und die Zahlung von Schmerzensgeld müssen
sich an den zivilrechtlichen Schmerzensgeldansprüchen messen
lassen. Eine Vereinbarung über ein Schmerzensgeld, das in
einem Mißverhältnis zu den zivilrechtlich zu
realisierenden Schadensersatz- und Schmerzensgeldleistungen steht, kann
nicht zu einem erfolgreichen Ausgleich führen (Oberlies aaO S.
110). Akzeptiert etwa das Tatopfer einer Vergewaltigung unter dem Druck
des Strafverfahrens eine von dem Verteidiger des Angeklagten und dem
Nebenklägervertreter vereinbarte schriftliche Abrede, weil sie
befürchtet, ansonsten keinerlei Ersatzleistungen von dem
Angeklagten zu erhalten, reicht dies nicht aus (BGH, Urt. vom 31. Mai
2002 - 2 StR 73/02 -, NStZ 2002, 646).
(4) Findet eine an den dargestellten Maßstäben zu
messende Kommunikation statt, äußert sich das
Tatopfer aber nicht zu dem vereinbarten Ausgleich oder den
Bemühungen des Täters, so kann daraus nicht in jedem
Fall auf eine ausdrückliche Ablehnung der Verletzten mit der
Konsequenz eines nicht erfolgreichen Ausgleichs geschlossen werden. In
diesem Fall müssen sich die Urteilsgründe dazu
verhalten, ob darin der verständliche Wunsch nach
"Nichtbefassung" im Sinne einer Ablehnung zu sehen ist. Mit der
Ausgestaltung der Vorschrift als "vertyptem Strafmilderungsgrund"
wollte der Gesetzgeber einen nachhaltigen Anreiz für
Ausgleichsbemühungen im Strafrecht schaffen. Das verbietet
nach Auffassung des Senats in diesen Fällen ein allzu enges
Verständnis der Vorschrift jedenfalls in denjenigen
Fällen, in denen ein kommunikativer Prozeß zwischen
Täter und Opfer stattgefunden hat; dies wird vornehmlich
für Taten im Familienverbund oder innerhalb sonstiger
persönlicher Beziehungen zu gelten haben (Senat, Urt. vom 27.
August 2002 - 1 StR 204/02 -, StV 2002, 654).
c) Nach der als prozessuale Grundnorm anzusehenden Vorschrift des
§ 155a Satz 1 StPO "sollen" die Staatsanwaltschaft und das
Gericht in jedem Stadium des Verfahrens prüfen, ob ein
Ausgleich zwischen Beschuldigtem und Verletztem erreichbar ist (vgl.
BTDrucks. 14/1928 S. 8). In der Hauptverhandlung ist es dem Tatrichter
je nach den Umständen des Einzelfalles nicht verwehrt, zur
Anbahnung oder Durchführung des
Täter-Opfer-Ausgleichs die Hauptverhandlung zu unterbrechen.
Allerdings ergibt die Verfahrensvorschrift des § 155a StPO
(vgl. auch den unverändert gebliebenen § 265 Abs. 3
StPO) keinen Anspruch des Angeklagten auf Unterbrechung oder Aussetzung
der Hauptverhandlung.
d) Auf der Grundlage dieser Maßstäbe hat der
Tatrichter die wesentlichen Einzelheiten über den
erfolgreichen oder den nicht erfolgreichen Ausgleich
einschließlich der Frage der Zustimmung oder der Verweigerung
des Tatopfers in den Urteilsgründen in dem Umfang darzulegen,
daß sie die revisionsgerichtliche
Überprüfung - insbesondere unter Beachtung der
Opferinteressen - ermöglichen. Die Urteilsgründe
müssen die "wertende Betrachtung" und die Ausübung
tatrichterlichen Ermessens erkennen lassen, ob der Tatrichter die
Voraussetzungen des Täter-Opfer-Ausgleichs annimmt und danach
von der so eröffneten Milderungsmöglichkeit Gebrauch
macht.
3. Das Landgericht hat diese Maßstäbe nicht
ausreichend beachtet. Die Urteilsgründe belegen die
Voraussetzungen eines erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleichs
nicht.
a) Ein ernsthaftes, auf einen Ausgleich mit der Geschädigten
gerichtetes Bemühen des Angeklagten nach § 46a Nr. 1
StGB ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Nach den
bisherigen Feststellungen hat die Strafkammer in der Hauptverhandlung
mit ihrem wiederholten Hinweis nach § 155a StPO nach
durchgeführter Beweisaufnahme einschließlich der
Einvernahme des Tatopfers auf den Täter-Opfer-Ausgleich
hingewirkt. Dies ist zwar nach dessen Satz 1 StPO rechtlich
zulässig. Allerdings hätte die Strafkammer bei dieser
Sachlage näher darlegen müssen, woher sie die
Überzeugung nimmt, es sei dem Angeklagten zu diesem
späten Zeitpunkt um eine friedensstiftende Kommunikation
gegangen. Dazu bestand Anlaß, weil sich bereits aus dem
wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen ergab, daß der
Angeklagte versucht hat, das Tatopfer herabzuwürdigen. Auch
nachdem sich diese Behauptung als nachweislich falsch herausgestellt
hatte und ihm im Eröffnungsbeschluß ein Hinweis auf
den Täter-Opfer-Ausgleich gegeben worden war, hat er in der
Hauptverhandlung die Geschädigte der falschen Aussage
bezichtigt. Er hat ihr auch die Vernehmung in der Hauptverhandlung
nicht erspart. Er hat sogar noch den Beweisantrag gestellt, ein
Sachverständiger werde zu dem Ergebnis gelangen, sie habe in
ihrer Vernehmung die Unwahrheit gesagt. Erst danach hat der Angeklagte
die gegen den Willen der Geschädigten durchgeführten
sexuellen Handlungen als "Mißverständnis" bezeichnet
und sich entschuldigt. Seine Bereitschaft, sich durch Vermittlung eines
Therapeuten mit der Geschädigten an einen Tisch zu setzen, um
"ihr dabei durch ein Gespräch dabei zu helfen, die Sache
endgültig zu verarbeiten", zeigt nicht ohne weiteres auf,
daß das Verhalten des Angeklagten sich als Übernahme
von Verantwortung für seine Tat erweist. Dafür
spricht letztlich auch, daß sein Verteidiger im
Schlußvortrag Freispruch beantragt hat. Angesichts dieser
Umstände liegt eine Strafmilderung nach § 46a StGB
i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB eher fern.
b) Nach den Urteilsgründen genügt auch die Zahlung
des Schmerzensgeldes von 3.500 Euro den Anforderungen des §
46a Nr. 1 StGB nicht. Die Urteilsgründe teilen lediglich mit,
der Angeklagte müsse einen Betrag von 3.500 Euro an seine
Familie zurückzahlen, die diesen Betrag als Schmerzensgeld zur
Verfügung gestellt und der Geschädigten
ausgehändigt habe. Demgegenüber sprechen die von der
Revision mitgeteilten tatsächlichen Umstände zur
Sammlung, der Übergabe und dem Vorzählen des Geldes
in Gegenwart der Geschädigten eher dafür,
daß die Familie den Angeklagten "freigekauft" hat. Die
Strafkammer räumt nicht aus, daß diese Form des
Aushandelns des "Preises" eine einseitig dem Täter
günstige Strafmilderung bewirkt hat, damit aber die
Genugtuungsfunktion des Täter-Opfer-Ausgleichs auf seiten des
Tatopfers nicht erfüllt wurde.
c) Aus den Urteilsgründen ergibt sich schließlich
kein Anhalt dafür, daß die Geschädigte den
Täter-Opfer-Ausgleich "ernsthaft mitgetragen" und diesen als
friedensstiftende Konfliktregelung "innerlich akzeptiert" hat. Die
Urteilsgründe teilen dazu vielmehr mit, die
Geschädigte habe "diesen Betrag durch ihren Beistand auch als
gewissen Ausgleich akzeptiert".
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