BGH,
Urt. v. 19.2.2004 - 4 StR 524/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 524/03
vom
19.02.2004
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19.
Februar
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Nebenkläger-Vertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft
gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom
27. Mai 2003 werden verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und
die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen. Die Kosten der Revision der
Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten dadurch
entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse
zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer
Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden
sich sowohl
der Angeklagte als auch (zu seinen Ungunsten) die Staatsanwaltschaft
- diese beschränkt auf den Strafausspruch - mit ihren jeweils
auf die Sachrüge
gestützten Revisionen. Die Revision der Staatsanwaltschaft
wird vom Generalbundesanwalt
nicht vertreten.
Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lernte der Angeklagte das
spätere Tatopfer, die Nebenklägerin K. , Mitte das
Jahres 2000 in einer
"Kneipe" kennen. Gegen Ende des Jahres fanden erste Intimkontakte statt,
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im Januar 2001 zog der Angeklagte in die Wohnung der
Nebenklägerin ein. In
der Folgezeit kam es immer wieder zu Streitigkeiten, die dazu
führten, daß die
Nebenklägerin den Angeklagten zweimal aus ihrer Wohnung wies
und beide
sich jeweils mehrere Monate lang trennten. Die erste
Versöhnung fand statt,
bevor im September 2001 der gemeinsame Sohn geboren wurde. Nachdem die
Nebenklägerin den Angeklagten im Dezember 2001 nochmals aus
ihrer Wohnung
gewiesen hatte, weil er sie geschlagen und bestohlen hatte, nahm sie ihn
dennoch erneut bei sich auf.
Am Morgen des 8. Februar 2003 kam es wieder zu einem Streit zwischen
dem Angeklagten und der Nebenklägerin, bei dem sie ihn
abermals aus
ihrer Wohnung wies. Der Angeklagte kam dem nach. Kurze Zeit
später schickte
er ihr eine SMS auf ihr Handy, in der er ankündigte, am
nächsten Tag seine
Sachen abholen zu wollen. Die Nebenklägerin antwortete ihm, er
solle sie sofort
holen, sonst werde sie diese vor die Tür werfen, und er solle
ihr den Wohnungsschlüssel
zurückgeben. Daraufhin kehrte der Angeklagte - in
alkoholisiertem
Zustand (Tatzeit-BAK: 1,33 ‰) - zu der
Nebenklägerin zurück, begann
zu randalieren und gab ihr eine "Kopfnuß". Als sie ihn
daraufhin aufforderte,
die Wohnung zu verlassen, schloß er die Wohnungstüre
ab, steckte den
Schlüssel ein, verriegelte auch die Zimmertüren und
bestand darauf, "die Angelegenheit
'auszudiskutieren' ". Es folgte ein mehrere Stunden lang andauernder
Streit, bei dem der Angeklagte zunehmend aggressiver wurde und
Gegenstände
zerstörte. Schließlich holte er ein Steak-Messer aus
der Küche und
drohte, sich damit umzubringen, weil er nicht wisse, wohin er gehen
solle,
wenn ihn die Nebenklägerin rauswerfe.
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Der Angeklagte richtete sodann seine Aggressionen wieder gegen die
Nebenklägerin. Er entschloß sich - aus
Verärgerung über ihr Verhalten -, sie
sexuell zu quälen und zu demütigen. Er drohte, den
gemeinsamen Sohn und
die Nebenklägerin umzubringen, ergriff zur Bestärkung
seiner Drohung eine
Ölsprühdose, entfachte aus ihr eine Stichflamme und
erklärte, hiermit das Kind
anzuzünden, wenn sie nicht tue, was er wolle.
In dem sich anschließenden, längere Zeit dauernden
Geschehen riß der
Angeklagte der Nebenklägerin u.a. Kleidungsstücke vom
Leib; er würgte sie
kurz, als sie versuchte, sich zu wehren, drohte ihr wiederum mit
Verbrennen,
wenn sie ihm nicht zu Willen sei, fesselte ihr die Hände auf
den Rücken,
steckte ihr, als sie zu weinen begann, kurze Zeit ihre Bluse in den
Mund,
drohte ihr mit dem auf dem Wohnzimmertisch liegenden Messer und vollzog
mit der aufgrund des vorangegangenen Geschehens völlig
verängstigten Nebenklägerin
den geschützten Geschlechtsverkehr und den Mundverkehr. Als er
von ihr auch den Analverkehr verlangte, sagte sie ihm - um diesen zu
verhindern
- der Wahrheit zuwider, sie sei schwanger, woraufhin er sofort von ihr
abließ,
die Fesselung löste und sich entschuldigte. Der Angeklagte
wollte wissen,
ob sie wirklich schwanger sei, worauf sie zugab, ihn angelogen zu
haben. Er
forderte sie dann zu weiteren sexuellen Handlungen auf. Als er ihre
Verzweiflung
bemerkte, entschuldigte er sich erneut für sein Verhalten,
versprach ihr,
ihr nichts mehr zu tun, und legte sich schlafen.
2. Das Landgericht hat das Tatgeschehen - entsprechend der nach den
§§ 154, 154 a StPO beschränkten Anklage -
rechtlich als Vergewaltigung
(§ 177 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB)
gewürdigt; der
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Strafzumessung hat es den Strafrahmen des § 177 Abs. 5 StGB
zugrundegelegt.
Zu Gunsten des Angeklagten hat es gewertet, daß er nicht
vorbestraft
sei, er schon Untersuchungshaft verbüßt habe und als
Erstverbüßer besonders
haftempfindlich sei, er zur Tatzeit alkoholbedingt etwas enthemmt und
zudem
übermüdet gewesen sei, daß es sich bei dem
Opfer um seine damalige Lebensgefährtin
gehandelt habe, mit der er zuvor wiederholt auf freiwilliger Basis,
auch unter Benutzung von Fesseln (UA 14, 16), sexuellen Verkehr gehabt
habe,
es sich bei der Tat um eine typische Beziehungstat gehandelt habe und
der
Angeklagte nicht ernsthaft vorgehabt habe, die Nebenklägerin
und den gemeinsamen
Sohn zu verletzen. Zu seinen Lasten hat es die hohe kriminelle
Energie berücksichtigt, die dadurch zum Ausdruck gekommen sei,
daß der Angeklagte
sowohl den Vaginal- als auch den Oralverkehr erzwungen habe, der
Angeklagte zwei verschiedene gefährliche Werkzeuge,
nämlich die in Brand
gesetzte Ölsprühdose und das Messer, bei der Tat
verwendet, er sein Opfer
darüber hinaus gefesselt und teilweise geknebelt habe, sich
die Gewaltandrohung
auch auf das gemeinsame Kind bezog, die Tat sich über einen
längeren
Zeitraum hingezogen habe und bei der Nebenklägerin nicht
unerhebliche psychische
Folgen zurückgeblieben seien.
Das Landgericht kommt nach einer Gesamtabwägung zu dem
Ergebnis,
daß den strafmildernden Gesichtspunkten ein
Übergewicht zukomme, so daß
"von einem minder schweren Fall des besonders schweren Falles der
Vergewaltigung
im Sinne von § 177 Abs. 5 StGB" auszugehen sei. Hierbei sei
insbesondere
zu berücksichtigen, daß es sich um eine
Vergewaltigung zum Nachteil
der bisherigen Lebensgefährtin gehandelt habe, was nicht dem
typischen Bild
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der Vergewaltigung im Sinne des § 177 StGB entspreche, und die
objektive
Gefahr einer schweren körperlichen Verletzung der
Nebenklägerin und des
Kindes nicht bestanden habe. Unter nochmaliger umfassender
Würdigung aller
Strafzumessungsgesichtspunkte kommt die Strafkammer zu dem
Schluß, daß
eine Freiheitsstrafe von vier Jahren tat- und schuldangemessen sei.
3. Revision des Angeklagten
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der vom
Angeklagten allein erhobenen
allgemeinen Sachrüge läßt keinen den
Angeklagten beschwerenden
Rechtsfehler erkennen. Seine Revision ist daher unbegründet.
4. Revision der Staatsanwaltschaft
Auch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
Die Beschwerdeführerin rügt, daß die
Strafzumessung rechtsfehlerhaft,
insbesondere die Annahme eines minder schweren Falles nicht
gerechtfertigt
und zudem nicht eindeutig sei, ob die Strafkammer ihrer Strafzumessung
den
Strafrahmen des § 177 Abs. 5 Halbsatz 1 oder den des
§ 177 Abs. 5 Halbsatz
2 StGB zugrundegelegt hat.
Mit ihrem Revisionsvorbringen zeigt die Staatsanwaltschaft keinen
durchgreifenden Rechtsfehler auf.
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Die Bewertung der Tat als minder schwerer Fall (§ 177 Abs. 5
StGB) ist
angesichts der festgestellten Strafmilderungsgründe noch
vertretbar und daher
vom Revisionsgericht hinzunehmen. Auch die Strafzumessung im
übrigen weist
keinen den Bestand des Urteils gefährdenden Rechtsfehler auf.
Die Strafzumessung, zu der auch die Frage gehört, ob ein minder
schwerer Fall vorliegt, ist grundsätzlich Aufgabe des
Tatrichters. Nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die
Entscheidung, ob ein
minder schwerer Fall anzunehmen ist, maßgebend, ob das
gesamte Tatbild,
einschließlich aller subjektiven Momente und der
Täterpersönlichkeit, vom
Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle so
sehr abweicht, daß die
Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint (vgl. nur BGHR
StGB § 177 Abs. 5 Strafrahmenwahl 2 m.w.N.). Dabei liegt es im
pflichtgemäßen
Ermessen des Tatrichters, im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu
entscheiden,
welches Gewicht den einzelnen Milderungsgründen im
Verhältnis zu
den Erschwerungsgründen beizumessen ist. Das Revisionsgericht
darf die Gesamtwürdigung
nicht selbst vornehmen, sondern nur nachprüfen, ob dem
Tatrichter
bei seiner Entscheidung ein (durchgreifender) Rechtsfehler unterlaufen
ist (vgl. BGH StV 2002, 20; 2003, 395 f.; BGH, Urteil vom 26. Juni 2001
- 5 StR
151/01). Das ist hier nicht der Fall.
Allerdings ist der Revision zuzugeben, daß das Landgericht
die für die
Wahl des Ausnahmestrafrahmens (§ 177 Abs. 5 StGB) bei
§ 177 Abs. 4 Nr. 1
StGB erforderlichen Prüfungsschritte (vgl. hierzu BGH NStZ
2001, 646; StV
2002, 20 f.; BGH bei Pfister NStZ-RR 2000, 358 f.) nicht im einzelnen
dargelegt,
es insbesondere nicht ausdrücklich erörtert hat, ob
nicht die Strafuntergrenze
dem § 177 Abs. 2 StGB (zwei Jahre Freiheitsstrafe) zu
entnehmen ist.
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Darin liegt hier jedoch kein durchgreifender Rechtsfehler; denn das
Landgericht
hat mit der Formulierung, es liege ein "minder schwerer Fall des
besonders
schweren Falles der Vergewaltigung" vor, noch zureichend zum Ausdruck
gebracht, daß es - wie auch die sich weit von der
Mindeststrafe des § 177
Abs. 2 StGB entfernende verhängte Strafe zeigt - bei Anwendung
des hier allein
in Betracht kommenden § 177 Abs. 5 2. Halbsatz StGB den
Strafrahmen
des § 177 Abs. 2 StGB (Vergewaltigung) nicht aus dem Auge
verloren hat.
Soweit die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründung
geltend
macht, die Verwirklichung des Regelbeispiels des § 177 Abs. 2
Nr. 1 StGB
werde nicht durch strafmildernde Gesichtspunkte in der Weise
überlagert, daß
die Annahme eines minder schweren Falles gerechtfertigt sei, gewichtet
sie die
Feststellungen anders als das Landgericht und ersetzt die
Strafzumessung des
Gerichts durch ihre eigene Strafzumessung. Damit kann sie im
Revisionsverfahren
jedoch nicht gehört werden.
Tepperwien Kuckein Athing
!
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