BGH,
Urt. v. 19.2.2008 - 5 StR 599/07
5 StR 599/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
19.2.2008
in dem Sicherungsverfahren
gegen
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
19.2.2008, an der teilgenommen haben:
Richterin Dr. Gerhardt
als Vorsitzende,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Prof. Dr. Jäger
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
- 3 -
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Hamburg vom 25. September 2007 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Antrag der Staatsanwaltschaft, die
Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus
oder in einer Entziehungsanstalt anzuordnen, abgelehnt. Die vom
Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat mit
der Sachrüge Erfolg.
1. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Beschuldigte die ihm in
der Antragsschrift zur Last gelegten vier rechtswidrigen Taten begangen
hat, die es rechtlich als Bedrohung, Widerstand gegen
Vollstreckungsbeamte, Sachbeschädigung sowie unerlaubtes
Führen einer Waffe gewertet hat. Jedenfalls bei den ersten
drei Taten sei der Beschuldigte aufgrund einer psychotischen
Störung schuldunfähig gewesen, bei der Begehung des
Waffendelikts sei die Aufhebung der Schuldfähigkeit aufgrund
eines Alkoholentzugsdelirs nicht auszuschließen. Es fehle
jedoch an der weiteren Voraussetzung für die Anordnung einer
Maßregel nach § 63 oder § 64 StGB, dass
nämlich infolge des Krankheitszustands weitere erhebliche
rechtswidrige Taten zu erwarten sind und der Beschuldigte deshalb
für die Allgemeinheit gefährlich ist.
2
- 4 -
Zu dem jeweiligen Tatablauf hat das Landgericht folgende Feststellungen
getroffen:
3
In der Nacht zum 5. Juli 2006 bedrohte der Beschuldigte einen
Mitbewohner unter Vorhalt eines Messers mit dem Tode und schlug zudem
mit dem Messer gegen dessen Gehstock.
4
Als die daraufhin verständigten Polizeibeamten das Zimmer des
Beschuldigten betraten, saß er auf seinem Bett, wobei er in
der Hand ein Küchenmesser hielt; er war erregt und beschimpfte
die Beamten. Das Messer legte er trotz Aufforderung nicht weg. Als die
Beamten schließlich Pfefferspray einsetzten,
„fuchtelte“ er „mit dem Messer
unkontrolliert in die Richtung der Polizeibeamten“.
5
6
Am Morgen des 15. August 2006 warf der Beschuldigte seine ihm nicht
gehörende Zimmereinrichtung aus dem im Erdgeschoss gelegenen
Zimmer auf die Straße. Bei Eintreffen der Polizeibeamten
hielt er einen Hammer in der Hand, mit dem er zunächst
„herumfuchtelte“, ihn dann aber auf Aufforderung
beiseite legte. Am Nachmittag des Tages schlug der Beschuldigte den
Putz von den Wänden. Dies beendete er kurzfristig, als erneut
Polizeibeamte eintrafen. Als diese sich wieder entfernt hatten, riss er
das Parkett, die Fensterverschalung, Steckdosen und die Verkabelung
heraus.
Am 1. September 2006 ging der Beschuldigte abends über das
„Alstervergnügen“ auf dem Jungfernstieg.
Dabei trug er einen leicht gebogenen Dolch mit einer fast 20 Zentimeter
langen Klinge mit sich, der im Hosenbund steckte, aber zur
Hälfte sichtbar war. Als er deswegen von Polizeibeamten
abgeführt wurde, versuchte er nach Passanten zu treten, was
ihm nur einmal in abgemilderter Weise gelang.
7
2. Die Feststellungen zu den vom Beschuldigten begangenen Taten sind
rechtsfehlerfrei. Die Ablehnung der Unterbringung in einem
psychiatrischen
8
- 5 -
Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt hält jedoch
rechtlicher Prüfung nicht stand. Denn die
äußerst knapp gehaltenen Erwägungen lassen
eine Nachprüfung der tatrichterlichen Annahmen zur
Schuldunfähigkeit und zur Gefährlichkeit nicht zu.
a) Es fehlt bereits an einer nachvollziehbaren und eindeutigen
Bewertung des Zustands des Beschuldigten. Dies lässt besorgen,
dass die Art der Störung, ihr Schweregrad und damit die
Gefährlichkeit des Beschuldigten unzutreffend beurteilt worden
sind.
9
Das sachverständig beratene Landgericht führt hierzu
- dem Sachverständigen folgend - lediglich aus, dass sich bei
dem Angeklagten aufgrund einer Alkoholabhängigkeit eine
psychotische Störung mit Verfolgungs- und Beziehungsideen
entwickelt habe, die eine krankhafte seelische Störung im
Sinne des § 20 StGB darstelle. Diese Störung habe bei
den ersten drei Taten bestanden und zur Aufhebung der
Einsichtsfähigkeit geführt. Eine Aufhebung der
Fähigkeit zur Unrechtseinsicht könne auch
für die vierte Tat nicht ausgeschlossen werden, wahrscheinlich
habe aber ein Alkoholentzugsdelir vorgelegen. Eine erheblich
verminderte Steuerungsfähigkeit bei dieser Tat sei daher nicht
auszuschließen.
10
aa) Wenn sich der Tatrichter - wie hier - darauf beschränkt,
sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der
Schuldfähigkeit anzuschließen, muss er dessen
wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so
wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur
Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (BGHSt 34,
29, 31; BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2007 - 3 StR 412/07; BGH NStZ
2003, 307). Hier fehlt es aber an der Darlegung der die gutachterlichen
Diagnosen tragenden Befunde. Es wird weder begründet, aufgrund
welcher Symptome die Störungsbilder diagnostiziert wurden,
noch, wie diese in der konkreten Tatsituation auf den Beschuldigten
eingewirkt haben. Insbesondere teilt das Landgericht hierzu nicht mit,
welche
11
- 6 -
Anhaltspunkte bei der vierten Tat zur Annahme eines anderen
Krankheitsbildes mit abweichenden Auswirkungen auf die
Schuldfähigkeit geführt haben.
bb) Für die vierte Tat fehlt es schließlich auch an
einer eindeutigen Bewertung, welche der beiden Alternativen des
§ 20 StGB bei dem Beschuldigten vorgelegen hat. Es darf nicht
offen bleiben, ob die psychische Störung die Einsichts- oder
die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten vermindert oder
aufgehoben hat (BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1
und Gefährlichkeit 5; BGH NStZ-RR 2003, 232; 2004, 38 f.).
Nach den Urteilsgründen steht aber nicht fest, ob das
Alkoholentzugsdelir dazu geführt hat, dass der Beschuldigte
nicht die Fähigkeit besessen hat, das Unerlaubte seines Tuns
zu erkennen, oder ob er lediglich außerstande gewesen ist,
nach dieser Einsicht zu handeln. Dies kann Auswirkungen auf die
Beurteilung der Gefährlichkeit für die Allgemeinheit
haben. Zudem ist ihnen nicht zu entnehmen, dass jedenfalls die
Voraussetzungen des § 21 StGB bei der Tat am 1. September 2006
sicher vorgelegen haben.
12
13
b) Auch die übrigen Ausführungen des Landgerichts zur
fehlenden Gefährlichkeit des Beschuldigten für die
Allgemeinheit begegnen durchgreifenden Bedenken, da sie eine
ausreichende Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des
Beschuldigten und seiner Taten vermissen lassen. So ist weder sein
bisheriger Lebensweg dargelegt, noch finden sich Ausführungen
zu einer eventuellen Vordelinquenz.
Das Landgericht ordnet sämtliche Taten in den
„Bereich der unteren Kriminalität“ ein,
erheblich im Sinne der §§ 63, 64 StGB seien diese
nicht, schließ-lich sei der Beschuldigte niemals
„übergriffig“ geworden. Dabei verkennt es,
dass es bei der ersten und der vierten Tat zu Übergriffen
gekommen ist. So attackierte der Beschuldigte zwar seinen Mitbewohner
nicht unmittelbar mit dem Messer, setzte dieses aber gegen dessen
Gehstock ein. Für die vierte Tat bleiben die versuchten - in
einem Fall vollendeten - Übergriffe auf Passanten unbeachtet.
Selbst wenn das Landgericht eine Körperverletzung als
Symptomtat nicht feststellen konnte (vgl. zum Erfordernis des
Strafantrags BGHSt 31, 132,
14
- 7 -
134), hätte das gegen die körperliche
Integrität Dritter gerichtete Verhalten des Beschuldigten doch
in die Gesamtwürdigung betreffend die Gefährlichkeit
einbezogen werden müssen. Auch hätte die aus den
Taten 1., 2. und 4. ersichtliche Affinität des Beschuldigten
zu Messern nicht unberücksichtigt bleiben dürfen.
3. Der neue Tatrichter hat die Frage der Gefährlichkeit des
Beschuldigten für die Allgemeinheit (vgl. BGH NStZ-RR 2005,
72, 73; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 9; §
62 Verhältnismäßigkeit 2) umfassend neu zu
prüfen. Falls der neue Tatrichter diese bejahen sollte, weist
der Senat darauf hin, dass die Notwendigkeit der
Unterbringungsanordnung nach § 63 StGB grundsätzlich
nicht durch minder einschneidende Maßnahmen - hier die vier
Monate vor dem Urteil einsetzende regelmäßige
Medikamenteneinnahme - aufgehoben wird, sondern solche
täterschonende Mittel Bedeutung nur für die Frage
erlangen, ob die Vollstreckung der Unterbringung
gemäß § 67b StGB zur Bewährung
ausgesetzt werden kann (BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit
6, 28 und Beweiswürdigung 1).
15
Gerhardt Raum Brause
Schaal Jäger |