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BGH, Urteil vom 19. Juli 2001 - 4 StR 144/01


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 19.7.2001 - 4 StR 144/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 144/01
vom
19. Juli 2001
in der Strafsache gegen
wegen schwerer Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Juli 2001, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Meyer-Goßner, die Richter am Bundesgerichtshof Maatz, Dr. Kuckein, die Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic, der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann als beisitzende Richter, Staatsanwalt in der Verhandlung, Bundesanwalt bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwältin als Nebenkläger-Vertreterin, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1.
Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 9. November 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Landau zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit ihren hiergegen eingelegten Revisionen rügen die Nebenkläger die Verletzung sachlichen Rechts. Der Nebenkläger beanstandet, daß das Schwurgericht bei der zu seinem Nachteil begangenen Tat zu Unrecht den Tötungsvorsatz verneint habe und den Angeklagten insoweit nur wegen schwerer Körperverletzung verurteilt hat. Die Nebenklägerin wendet sich dagegen, daß das Landgericht den Angeklagten wegen der zu ihrem Nachteil begangenen Tat nicht wegen vorsätzlicher Körperverletzung schuldig gesprochen hat. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
1. Nach den Feststellungen kam es zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger zu einer verbalen Auseinandersetzung, weil sich letzterer dadurch gestört fühlte, daß der Hund des Angeklagten an seinem Gartentor emporsprang. Der alkoholisierte Angeklagte (BAK zur Tatzeit 2,44 %) stieß das Gartentor nach innen auf und betrat aufgebracht das Grundstück. Sein Hund rannte, begleitet von dem Kommando "Faß!", auf den Nebenkläger zu. Dieser versuchte, den Hund mit einem etwa eineinhalb Kilogramm schweren Rechen mit langen eisernen Zinken auf Distanz zu halten. Der Angeklagte entwand ihm jedoch den Rechen, wobei der Geschädigte hinfiel und mit dem Rücken auf einer betonierten Fläche zu liegen kam. Sodann schlug er mit dem Rechen mindestens zweimal heftig in Richtung des Kopfes des Nebenklägers. Der erste Schlag traf den Kopf, der zweite, noch wuchtiger geführte Schlag den linken Arm des Nebenklägers, den dieser schützend hochgerissen hatte. Als der Angeklagte danach mit den Worten "Ich schlag dich tot!" zu einem dritten Schlag ausholte, gelang es der Nebenklägerin, den Rechenstiel mit beiden Händen zu ergreifen und den Angeklagten an einem weiteren Schlag auf ihren Ehemann zu hindern. Bei dem Gerangel zog sie sich schmerzhafte Prellungen und Stauchungen an beiden Handgelenken zu. Plötzlich ließ der Angeklagte den Rechen los und verließ mit seinem Hund das Grundstück; dabei rief er aufgebracht unter anderem: "Ich schlag euch alle zusammen."
Der Nebenkläger erlitt durch den Schlag auf den Kopf lebensgefährliche Verletzungen, unter anderem ein linksseitiges offenes Schädel-Hirntrauma mit teilweiser Zertrümmerung des Schädeldaches. Er ist seither dauernd pflegebedürftig. Seine rechte Körperhälfte ist noch immer weitgehend gelähmt; er kann weder sprechen noch lesen oder schreiben; zusätzlich leidet er unter Konzentrationsstörungen sowie an hirnorganisch bedingten Krampfanfällen. Eine wesentliche Besserung seines Zustands ist nicht zu erwarten.
2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht bezüglich der Tat zum Nachteil des Nebenklägers einen bedingten Tötungsvorsatz abgelehnt hat, begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, daß der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, daß er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles wegen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38, 39 m.w.N.).
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, daß der Täter mit der Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs rechnet (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 35). Angesichts der festgestellten Tatumstände erscheint die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe nicht damit gerechnet, daß der Nebenkläger infolge seines Handelns zu Tode kommen könnte [UA 13], fernliegend. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß der Angeklagte zur Tatzeit unter Alkohol- und Drogeneinfluß stand. Zwar kann im Einzelfall das Wissenselement des Eventualvorsatzes fehlen, wenn dem Täter trotz Kenntnis aller Umstände das Risiko des Todeseintritts infolge einer psychischen Beeinträchtigung nicht bewußt war. Hier führte die alkoholische Beeinflussung des - trinkgewohnten - Angeklagten aber lediglich dazu, daß "eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit nicht völlig auszuschließen" war [UA 20].
b) Auch für das Willenselement stellt die Lebensbedrohlichkeit gefährlicher Gewalthandlungen ein gewichtiges Beweisanzeichen dar, jedoch ist angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sorgfältig zu prüfen, ob der Täter, der sein gefährliches Handeln durchführt, obwohl er mit der Möglichkeit tödlicher Verletzungen rechnet, den Tod des Opfers billigend in Kauf nimmt (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3, 5, 33, 35 und 38 jeweils m.w.N.). In diese Prüfung sind vor allem die konkrete Angriffsweise, die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motivation miteinzubeziehen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 39).
Das Schwurgericht geht bei seinen Erwägungen zwar im Ansatz von diesen Kriterien aus. Seine Ausführungen lassen jedoch besorgen, daß es dem äußeren Tatgeschehen nicht den ihm zukommenden hohen Indizwert für die Billigung des Todes eingeräumt hat. Das gezielte und heftige Schlagen mit dem beidhändig geführten Rechen auf einen so empfindlichen Körperbereich wie den Kopf und die dadurch verursachten lebensbedrohlichen Verletzungen legen die Billigung des Todeseintritts wegen der offensichtlichen Lebensgefährlichkeit sehr nahe (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51). Dies gilt vor allem deshalb, weil das wuchtige Zuschlagen mit einem schweren Rechen im einzelnen nicht mehr kontrollierbar ist. Hier kommt noch hinzu, daß das am Boden liegende Opfer in seinen Ausweich- und Abwehrhandlungen erkennbar eingeschränkt war. Daß sich nicht feststellen ließ, in welche Richtung die Metallzinken des Rechens beim Schlagen wiesen, ist entgegen der Ansicht des Landgerichts für die Frage des bedingten Tötungsvorsatzes ohne Bedeutung, da - wie der Tatablauf auch zeigt - die Gefährlichkeit der Handlung nicht davon abhängt. In einem solchen Fall darf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur hohen Hemmschwelle bei Tötungsdelikten nicht dahin mißverstanden werden, daß durch sie die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als einem gewichtigen, auf Tötungsvorsatz hinweisenden Beweisanzeichen in der praktischen Rechtsanwendung in Frage gestellt werden soll (vgl. BGHR aaO).
c) Rechtlich tragfähige Anhaltspunkte dafür, daß der Angeklagte trotz der offensichtlichen Lebensgefährlichkeit seines Tuns ernsthaft und nicht nur vage (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3, 24) darauf vertraut haben könnte, der Nebenkläger würde nicht zu Tode kommen, hat das Landgericht nicht festgestellt und liegt bei dem Tatgeschehen eher fern; im übrigen sprechen auch die vom Angeklagten beim Ausholen zu einem dritten Schlag geäußerten Worte "Ich schlag dich tot!" dagegen.
Daß der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen spontan und impulsiv gehandelt hat, schließt eine Billigung des Todes ebensowenig aus wie seine Alkoholisierung, die bei dem trinkgewohnten Angeklagten lediglich zu einer Enthemmung und - nicht völlig ausschließbar - zu einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit geführt hat. Auch das Fehlen eines - aus der Sicht des Täters - nachvollziehbaren Beweggrundes für eine so schwere Tat, wie die Tötung eines Menschen, braucht jedenfalls bei der gegebenen Sachlage nicht gegen einen bedingten Vorsatz zu sprechen. Dasselbe gilt entgegen der Ansicht des Landgerichts schließlich für das unmotivierte Abbrechen des Vorgehens nach dem Eingreifen der Nebenklägerin.
d) Da somit der bedingte Tötungsvorsatz nicht rechtsfehlerfrei verneint worden ist, ist das Urteil auf die Revision des Nebenklägers mit den Feststellungen aufzuheben.
Der neu entscheidende Tatrichter wird die Frage, ob der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat, unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Falles erneut zu prüfen haben. Sollte er zur Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes kommen, wird er auch die Möglichkeit des Rücktritts vom Versuch zu erörtern haben. Dafür wird entscheidend sein, ob der Versuch nach der Vorstellung des Täters nach der letzten Ausführungshandlung noch unbeendet oder bereits beendet war (vgl. dazu Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 24 Rdn. 14 f.).
3. Das Urteil weist auch insoweit einen Rechtsfehler auf, als das Landgericht nicht geprüft hat, ob der Angeklagte über den Tatbestand des § 226 Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB hinaus den Qualifikationstatbestand des § 226 Abs. 2 StGB verwirklicht hat. Der Senat verweist insoweit auf seine Entscheidung vom 14. Dezember 2000 - 4 StR 327/00 (StV 2001, 162, 163). Daß der Angeklagte die schweren Folgen als sichere Auswirkungen seines Handelns vorausgesehen hat, liegt nach dem bisher festgestellten Geschehensablauf nahe.
Im Falle einer Verurteilung wegen bedingt vorsätzlich begangenen versuchten Totschlags wird zu beachten sein, daß das zugleich verwirklichte Körperverletzungsdelikt dadurch nicht verdrängt wird, sondern als tateinheitlich begangen auch im Schuldspruch zum Ausdruck zu bringen ist (vgl. BGHSt 44, 196, 199, 200; BGHR StGB § 225 Konkurrenzen 1, 2).
4. Soweit das Landgericht bezüglich der Tat zum Nachteil der Nebenklägerin ohne nähere Begründung eine lediglich fahrlässig begangene Körperverletzung angenommen hat, hat das Urteil ebenfalls keinen Bestand. Das Landgericht hat nicht erörtert - was hier aber nahe liegt -, ob der Angeklagte die festgestellten Verletzungen der Nebenklägerin nicht mit zumindest bedingtem Vorsatz verursacht hat. Dazu wird der neue Tatrichter weitere Feststellungen, unter anderem zur Dauer und Intensität des "Gerangels" sowie zum Kräfteverhältnis der Beteiligten, zu treffen haben.
5. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Landau zurück.
Meyer-Goßner Maatz Kuckein
Solin-Stojanovic Ernemann



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