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BGH, Urteil vom 19. Juli 2005 - 4 StR 184/05


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 19.7.2005 - 4 StR 184/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 184/05
vom
19.07.2005
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19.07.2005,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz
als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanovi,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil
des Landgerichts Saarbrücken vom 29. Dezember 2004,
soweit es den Angeklagten Sch. betrifft, im Rechtsfolgenausspruch
mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung
zu einer Freiheitsstrafe von 11 Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil
richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die
sich gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung wendet. Das
Rechtsmittel hat Erfolg; zugleich führt es zur Aufhebung des Strafausspruchs.
Die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung
ist schon deshalb unwirksam (vgl. dazu Kuckein in KK-StPO
5. Aufl. § 344 Rdn. 12 m.w.N.), weil die Strafkammer im Zusammenhang mit
der Gefährlichkeitsprognose einen Bezug zur Haftdauer hergestellt hat. Damit
unterliegt der Rechtsfolgenausspruch insgesamt der Überprüfung durch das
Revisionsgericht.
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I. Die Begründung, mit der das Landgericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung
abgelehnt hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Nach den Urteilsfeststellungen liegen die formellen Voraussetzungen
für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 und 2
StGB vor.
Der 1957 geborene Angeklagte ist vor der hier abgeurteilten Tat bereits
dreimal wegen einschlägiger Delikte verurteilt worden und hat wegen dieser
Taten weit mehr als zwei Jahre Freiheitsstrafe verbüßt. Wegen einer im Januar
1983 begangenen räuberischen Erpressung zum Nachteil der Deutschen Bahn
verurteilte ihn das Landgericht Saarbrücken durch Urteil vom 8. Juni 1983 zu
einer Freiheitsstrafe von vier Jahren, die er bis zum 20. September 1985 teilverbüßte.
Im August 1990 wollten der Angeklagte und ein Mittäter sich durch
einen Banküberfall Geld verschaffen. Sie stiegen nachts in eine Bankfiliale ein
und bedrohten einen morgens eintreffenden Bankangestellten mit zwei geladenen
und schußbereiten Revolvern. Ihr Vorhaben scheiterte jedoch, weil der
Angestellte Alarm auslöste. Wegen dieser Tat wurde der Angeklagte vom
Landgericht Saarbrücken im Dezember 1990 wegen versuchten schweren
Raubes zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, welche er bis zum
2. September 1994 teilverbüßte. Bereits im April 1995 beging der Angeklagte
einen weiteren Raubüberfall, wobei er einen schußwaffenähnlichen Gegenstand
als Drohmittel einsetzte. Das Landgericht Saarbrücken verurteilte ihn
deswegen im März 1996 wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer
Freiheitsstrafe von acht Jahren. Während der Verbüßung dieser Strafe absolvierte
der Angeklagte mit großem Erfolg eine Schreinerlehre und konnte des-
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wegen als Freigänger die Meisterschule besuchen. Als sich anstaltsintern
Schwierigkeiten wegen der für die Ausbildung erforderliche Computerbenutzung
ergaben, fühlte sich der Angeklagte frustriert und verabredete mit dem
Mitangeklagten, der sein Zellengenosse im Freigängerhaus war, den verfahrensgegenständlichen
Banküberfall zu begehen. Am 2. Oktober 2003 betraten
beide mit Wollmützen maskiert eine Sparkassenfiliale, bedrohten einen Angestellten
und eine Kundin mit Schreckschußpistolen und erbeuteten insgesamt
6.980 Euro. Auf ihrer Flucht im Pkw des Angeklagten wurden sie von Polizeibeamten
verfolgt und gestellt. Dem Angeklagten gelang es, zu Fuß zu flüchten,
während sein Mittäter mit der Beute festgenommen wurde.
2. Das Landgericht geht, ohne dies allerdings im Urteil auszuführen, in
Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen davon aus, daß
es sich bei der verfahrensgegenständlichen Tat um eine Hangtat handelt. Dem
Zusammenhang der Urteilsgründe ist zu entnehmen, daß beim Angeklagten ein
Hang besteht, in Konfliktsituationen schwerwiegende Straftaten zu begehen.
Gleichwohl hat die Strafkammer von der Anordnung der Sicherungsverwahrung
abgesehen, weil sie die materielle Voraussetzung einer Gefährlichkeit des Angeklagten
im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB für nicht gegeben erachtet.
Hiergegen wendet sich die Revisionsführerin zu Recht.
a) Grundlage der Gefährlichkeitsprognose sind ausschließlich die Verhältnisse
zur Zeit der Hauptverhandlung, nicht der Entlassung aus der sich anschließenden
Strafhaft. Denkbare, aber nur erhoffte positive Veränderungen
und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug bleiben der obligatorischen
Prüfung vor dessen Ende, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung
noch erfordert (§ 67 c Abs. 1 StGB), vorbehalten (vgl. Ullenbruch in
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MünchKomm StGB § 66 Rdn. 135 m.w.N.). Nur wenn in der Hauptverhandlung
festgestellt wird, daß die unter den bisherigen Lebensverhältnissen an sich
gegebene Gefährlichkeit nach dem Strafvollzug nicht mehr bestehen werde
oder daß sie durch weniger einschneidende und sicher ausführbare Maßnahmen
behoben werden kann, ist die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
ausgeschlossen. Diesen Maßstäben wird die Prognoseentscheidung
des Landgerichts nicht gerecht.
b) Soweit die Strafkammer bei ihrer Gesamtwürdigung auf die "grundsätzlich
günstigen kriminogenen Faktoren" - wie u.a. die Herkunft aus normalbürgerlichen
Verhältnissen, die Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit, die affektive
Zugänglichkeit und das ungewöhnlich hohe Potential der Selbstreflektion -
abstellt, hat sie sich nicht hinreichend damit auseinandergesetzt, daß der Angeklagte
trotz dieser Faktoren innerhalb von etwa 20 Jahren schwerwiegende
Straftaten begangen hat, derentwegen er zu insgesamt 18 Jahren Freiheitsstrafe
rechtskräftig verurteilt worden ist.
Aus demselben Grund trägt auch die Feststellung, daß seit der vorletzten
Tat vom April 1995 eine "außerordentliche und ungewöhnlich positive Entwicklung
des Angeklagten" eingetreten sei, zu der die Drogenentwöhnung und
der erfolgreiche Lehrabschluß gehören, die Prognose des Landgerichts nicht,
da es trotz dieser Entwicklung zu der verfahrensgegenständlichen Tat gekommen
ist. Auch wenn hinsichtlich der Banküberfälle keine Steigerung der Gewaltintensität
zu erkennen ist, vermag dies die günstige Prognose des Landgerichts
ebenfalls nicht zu stützen, denn nach wie vor handelt es sich bei den
vom Angeklagten begangenen Taten um solche, die der Schwerkriminalität
zuzurechnen sind. Daß der Angeklagte über die intellektuellen und charakterli-
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chen Fähigkeiten verfügt, trotz seiner langjährigen kriminellen Laufbahn zukünftig
ein straffreies Leben zu führen, spricht nicht gegen seine Gefährlichkeit,
da er diese Fähigkeiten auch bisher nicht in diesem Sinne genutzt hat. Der
vom Landgericht besonders hervorgehobene Umstand, daß der Angeklagte
erstmals mit therapeutischer Unterstützung die Ursachen seines strafbaren
Verhaltens zu ergründen versucht, mag zwar ein erstes Zeichen von Umkehr
sein; er ist aber entgegen der Ansicht des Landgerichts kein entscheidender
Einwand gegen eine fortdauernde Gefährlichkeit. Dies ergibt sich bereits daraus,
daß das Landgericht es für erforderlich hält, daß der Angeklagte den
nunmehr folgenden langjährigen Freiheitsentzug für die Fortsetzung der therapeutisch
zu unterstützenden Arbeit an den Ursachen seines Verhaltens nutzen
wird.
Soweit die Strafkammer schließlich - wenn auch nur flankierend (UA 18)
- darauf abstellt, daß der Angeklagte die verhängte Freiheitsstrafe von
11 Jahren voraussichtlich erst im Alter von fast 60 Jahren verbüßt haben wird,
trägt dies ebenfalls die Gefährlichkeitsprognose nicht. Der Tatrichter darf - zumal
bei der Frage der obligatorischen Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1
StGB - dem Alter des Angeklagten und den Wirkungen eines jahrelangen
Strafvollzugs allenfalls dann Bedeutung beimessen, wenn schon bei Urteilsfindung
mit Sicherheit angenommen werden kann, daß aufgrund dessen eine Gefährlichkeit
des Täters bei Ende des Vollzugs der Strafe nicht mehr bestehen
wird. Die Würdigung der Strafkammer, die bereits jetzt vorhandenen körperlichen
Gebrechen des Angeklagten, der an Nierensteinen, Bandscheibenproblemen,
Tinnitus und fortschreitender Schwerhörigkeit leidet, würden sich während
des Strafvollzugs sicher nicht bessern und die Rückfallwahrscheinlichkeit
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mindern, belegt die geforderte Gewißheit künftigen Legalverhaltens jedenfalls
nicht.
Über die Anordnung der Sicherungsverwahrung muß nach alledem neu
entschieden werden.
II. Der Senat hebt zugleich auch den Strafausspruch auf, da - zumal angesichts
der Höhe der verhängten Strafe - nicht ausschließbar ist, daß diese
bei Anordnung der Sicherungsverwahrung niedriger ausgefallen wäre (vgl.
BGH StV 2000, 615, 617 m.w.N.; NStZ-RR 2005, 39, 40).
Zudem belegt das Urteil nicht, daß das Landgericht zu Recht den Strafrahmen
des § 250 Abs. 2 StGB zugrundegelegt hat. Zwar ist dem Gesamtzusammenhang
der Urteilsgründe zu entnehmen, daß die von dem Mittäter des
Angeklagten zur Bedrohung eingesetzte Schreckschußpistole geladen war.
Das Landgericht hat aber nicht festgestellt, daß der Angeklagte Kenntnis vom
Ladezustand dieser Waffe hatte. Dazu wird die neu entscheidende Strafkammer
ergänzende Feststellungen zu treffen haben.
Maatz Kuckein Athing
Solin-Stojanovi Ernemann



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