BGH,
Urt. v. 19.10.2001 - 2 StR 259/01
StGB § 211 Abs. 2
Mord aus niedrigen Beweggründen kann auch dann vorliegen, wenn
der Täter in dem Bewußtsein handelt, keinen Grund
für eine Tötung zu haben oder zu brauchen, oder wenn
er bewußt seine frustrationsbedingten Aggressionen an einem
unbeteiligten Opfer abreagiert.
BGH, Urteil vom 19. Oktober 2001 - 2 StR 259/01 - LG Bonn
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 259/01
vom
19. Oktober 2001
in der Strafsache gegen
1.
2.
3.
wegen Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung
vom 17. Oktober 2001 in der Sitzung vom 19. Oktober 2001, an denen
teilgenommen haben: Vizepräsident des Bundesgerichtshofes Dr.
Jähnke als Vorsitzender, die Richter am Bundesgerichtshof Dr.
h.c. Detter, Dr. Bode, Rothfuß, Prof. Dr. Fischer als
beisitzende Richter, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als
Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt in der Verhandlung als
Verteidiger des Angeklagten V. J. , Rechtsanwalt in der Verhandlung als
Verteidiger des Angeklagten W. J. , Rechtsanwalt in der Verhandlung als
Verteidiger des Angeklagten L. , Justizhauptsekretärin in der
Verhandlung, Justizangestellte bei der Verkündung als
Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle, für Recht
erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Bonn vom 20. November 2000 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat die Angeklagten des Totschlags schuldig gesprochen
und den Angeklagten V. J. zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren, den
Angeklagten W. J. zu einer solchen von acht Jahren sowie den
Angeklagten L. zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren verurteilt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die zum Nachteil der Angeklagten
eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt
vertreten wird. Mit der Sachrüge wird insbesondere
beanstandet, daß die Kammer eine Verurteilung der Angeklagten
wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen abgelehnt hat.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
II.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Die Angeklagten trafen sich am Morgen des 3. Juni 2000 mit dem
späteren Tatopfer G. im K. in W. , einem Treffpunkt von
Arbeits- und Obdachlosen, an dem auch erheblich dem Alkohol
zugesprochen wird. Sie tranken zunächst friedlich gemeinsam
Schnaps und Bier. Zur Tatzeit gegen 13.00 Uhr hatten sie maximal
folgende Blutalkoholkonzentrationen: V. J. 1,83%o, W. J. 2,2%o, L.
1,9%o und G. 2,33%o. Nachdem V. J. sich für kurze Zeit von den
anderen entfernt hatte, begann G. , den die Angeklagten bisher
für einen Deutschen gehalten hatten, der aber
tatsächlich Pole war, auf Polnisch zu fluchen.
Hierüber geriet L. dermaßen in Wut, daß er
G. zwei Faustschläge in das Gesicht versetzte, worauf dieser
sofort zu Boden ging. L. und W. - J. traten nun mehrfach gegen den Kopf
- vor allem ins Gesicht - des reglos am Boden liegenden Opfers.
Auslöser dieses Gewaltausbruchs war nach den Feststellungen
des Landgerichts bei dem Angeklagten L. , daß G. sich durch
sein polnisches Fluchen als jemand zu erkennen gegeben hatte, der
innerhalb der eigenen rußlanddeutschen, arbeitslosen und
Alkohol trinkenden gesellschaftlichen Randgruppe zumindest intuitiv als
sozial noch tiefer stehend angesehen wurde. Als Reflex auf das
unbefriedigende Erleben seiner eigenen Situation entlud sich bei ihm in
affektiver Art und Weise das aufgestaute Aggressionspotential. W. J.
schloß sich der Mißhandlung vor einem
ähnlichen persönlichen Hintergrund angesichts seiner
Tendenz zum "Mitläufer" an.
Nunmehr kam auch V. J. zurück und beteiligte sich in einem
spontanen Ausbruch von Gewaltbereitschaft an den weiteren
Mißhandlungen des bereits bewußtlosen Opfers, ohne
den Anlaß für die Tat zu kennen. Alle drei
Angeklagten traten mehrere Minuten auf den Hals und den Kopf des Opfers
ein, wobei sie laut grölten. Nachdem sie kurz innegehalten
hatten, hob L. das Opfer so hoch, daß dessen Kopf nach unten
hing, woraufhin die beiden Mitangeklagten mit ausholenden Bewegungen in
das Gesicht des Opfers traten. Hierbei erkannten die Angeklagten die
besondere Gefährlichkeit ihres Tuns und nahmen den Tod des
Opfers zumindest billigend in Kauf. Nachdem sie erneut innegehalten und
das Opfer zu Boden gelassen hatten, traten sie weiter auf dessen Kopf
und Hals ein, bevor sie schließlich von ihm
abließen. G. erstickte kurze Zeit später an Blut,
das ihm infolge der Tritte und angesichts seiner
Bewußtlosigkeit in die Luftröhre gelaufen war.
III.
Die Begründung, mit der das Landgericht das Mordmerkmal der
niedrigen Beweggründe abgelehnt hat, begegnet hinsichtlich
aller Angeklagter durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Kammer hat
insoweit den Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt,
insbesondere nicht erörtert, welche Motive bei den Angeklagten
zum Zeitpunkt der mit Tötungsvorsatz ausgeführten
Handlungen vorgelegen haben.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein
Tötungsbeweggrund niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher
Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders
verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich auf Grund
einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat,
die Lebensverhältnisse des Täters und seine
Persönlichkeit einschließt (BGHSt 35, 116, 127; BGHR
StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 23 und 39).
Bei einer Tötung aus Wut oder Verärgerung kommt es
darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen
Gesinnung beruhen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige
Beweggründe 23; BGH StV 1987, 150, 151; Jähnke in LK
10. Aufl. § 211 Rdn. 31).
1. Hinsichtlich des Angeklagten L. geht die Kammer zwar zu Recht davon
aus, daß hinreichende Anhaltspunkte für
Ausländerhaß als Tatmotiv nicht vorliegen. Eine
verfestigte, zumindest gegen Menschen polnischer Herkunft gerichtete,
ausländerfeindliche Einstellung des Angeklagten
läßt sich - entgegen der Auffassung der
Staatsanwaltschaft - den Urteilsfeststellungen insgesamt nicht
entnehmen. Daß die Kammer insoweit die vorangegangene
Verurteilung des Angeklagten L. übersehen haben
könnte, ist nach dem Gesamtzusammenhang der
Urteilsgründe auszuschließen, da sie die
Vorverurteilung nicht nur festgestellt, sondern auch bei der
Beweiswürdigung ausdrücklich herangezogen hat, so
daß ihr dieser Gesichtspunkt bei der rechtlichen Bewertung
nicht entgangen sein kann. 32
Die Kammer nimmt jedoch an, daß der Angeklagte seine
Aggressionen an G. ausließ, weil er ihn wegen der Benutzung
der polnischen Sprache als jemanden ansah, der in der sozialen Achtung
noch tiefer stand als er selbst. Dennoch lehnt sie das Vorliegen eines
niedrigen Beweggrundes ab, weil das Fluchen auf polnisch lediglich der
äußere Tatanlaß gewesen sei, die Tat
selbst jedoch nicht von inneren Einstellungen, sondern von einem
frustrationsbedingten Ausbruch einer hohen affektiven Belastung
geprägt sei.
Der vom Landgericht unternommene Versuch einer Trennung zwischen
"äußerem Tatanlaß" und "innerer
Triebfeder" ist gerade bei der hier gegebenen Sachlage - bei der die
Benutzung der polnischen Sprache dazu geführt hat,
daß der Angeklagte das Opfer als sozial niedriger ansah und
deshalb seine Aggressionen an ihm abließ - rechtlich zu
beanstanden. Auf welchem Weg es zu dieser strikten Trennung gelangt,
wird nicht mitgeteilt. Sollte die Strafkammer gemeint haben,
daß das Tatmotiv nicht in das Bewußtsein des
Angeklagten gedrungen ist - wofür die Verwendung des Wortes
"intuitiv" sprechen könnte - hätte eine solche eher
fernliegende Feststellung der Begründung bedurft. Die
Handlungsantriebe sind hier insgesamt von so einfacher Struktur,
daß ohne nähere Darlegung nicht zu verstehen ist,
warum der Angeklagte sich eben dieser Umstände nicht
bewußt gewesen sein sollte (vgl. BGHR StGB § 211
Abs. 2 niedrige Beweggründe 13). Die Ausführungen des
Landgerichts lassen die erforderliche Gesamtwürdigung aller
für die Handlungsantriebe maßgeblichen
äußeren und inneren Faktoren (vgl. dazu BGHR StGB
§ 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 34) vermissen. Die
Kammer hätte sich insbesondere auch damit auseinander setzen
müssen, daß die Tötung eines anderen allein
deshalb, weil er in der Wertvorstellung des Täters als
geringer eingeordnet wird, nach allgemeiner sittlicher
Würdigung auf tiefster Stufe steht und besonders
verachtenswert ist (vgl. BGH NJW 1971, 571, 574; BGHR StGB §
211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 23). Dabei wäre auf
die Motivation des Angeklagten zum Zeitpunkt der mit
Tötungsvorsatz begangenen Handlungen abzustellen gewesen (vgl.
BGH NStZ 1981, 100, 101).
2. Dieser Rechtsfehler liegt auch beim Angeklagten W. J. vor. Denn er
hat sich nach den Feststellungen der Kammer dem Tatentschluß
des L. als Mitläufertyp vor einem ähnlichen
persönlichen Hintergrund angeschlossen, so daß die
obigen Ausführungen für ihn entsprechend gelten. Aus
niedrigen Beweggründen handelt auch derjenige, der sich die
entsprechenden Beweggründe anderer zu eigen macht (vgl. u.a.
BGH, Urt. vom 7. September 1993 - 5 StR 455/93).
3. Der Angeklagte V. J. hat allerdings nach den Feststellungen den
äußeren Tatanlaß nicht mitbekommen, sich
vielmehr in einem spontanen Ausbruch von Gewaltbereitschaft den
Tathandlungen der anderen angeschlossen. Die Kammer geht davon aus,
daß bei ihm - abgesehen von dem offenkundigen Willen zur
Gewaltausübung - ein Motiv für die Tat fehlt. Sie
lehnt das Vorliegen eines niedrigen Beweggrundes ab, da bei ihm
gruppendynamische Effekte zum Tragen gekommen seien. Auch insoweit
weist das Urteil einen Erörterungsmangel auf.
Da das Landgericht insbesondere hinsichtlich des Angeklagten V. J. -
aber auch bezüglich der beiden anderen Angeklagten - meinte,
kein Motiv für die Tötung des G. feststellen zu
können, hätte es sich eingehend damit
auseinandersetzen müssen, daß ein niedriger
Beweggrund auch dann gegeben sein kann, wenn der Täter in dem
Bewußtsein handelt, keinen Grund für eine
Tötung zu haben oder zu brauchen. Eine solche Einstellung, bei
der der Täter meint, nach eigenem Gutdünken
über das Leben des Opfers verfügen zu
können, steht auf sittlich tiefster Stufe und ist besonders
verachtenswert.
Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, daß die
Tötung eines Menschen, zu der der Täter weder durch
das Verhalten des Opfers noch durch sonstige, außerhalb
seiner Person liegende Umstände veranlaßt worden
ist, in der Regel auf das Vorliegen von niedrigen Beweggründen
schließen läßt (BGH, Urt. vom 26. Juli
1979 - 4 StR 298/79). Denn derjenige, der einen anderen Menschen zum
Objekt seiner Wut und Gereiztheit, an deren Entstehung der andere nicht
den geringsten Anteil hat, macht, beweist ein
außerordentliches Maß von Mißachtung der
körperlichen Integrität seines Opfers. Darin kommt
eine Gesinnung zum Ausdruck, die Lust an körperlicher
Mißhandlung und willkürliches Aufwerfen zum Herrn
über die körperliche Unversehrtheit anderer zum
Inhalt hat und deshalb sittlich auf tiefster Stufe stehend, somit als
niedrig gewertet werden muß (BGH NStZ 1981, 100, 101).
Das bewußte Abreagieren von frustrationsbedingten
Aggressionen des Täters an einem unbeteiligten Opfer steht dem
gleich. Der Täter mißachtet dabei
vollständig den personalen Eigenwert eines Opfers und spielt
sich aus reiner Willkür zum Herrn über Leben und Tod
auf, was als sittlich besonders verwerflich und somit als niedriger
Beweggrunde zu qualifizieren ist (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2
niedrige Beweggründe 23 und 13; BGH NJW 1971, 571, 572;
Beschl. vom 2. März 1995 - 4 StR 67/95).
Soweit die Kammer hinsichtlich der Angeklagten L. und W. J.
(hilfsweise) das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des
Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe verneint hat, sind die
Ausführungen rechtlich ebenfalls zu beanstanden. In
subjektiver Hinsicht muß zwar hinzukommen, daß sich
der Täter bei der Tat der Umstände bewußt
ist, die seine Beweggründe als niedrig erscheinen lassen, und,
soweit gefühlsmäßige oder triebhafte
Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherrschen und
willensmäßig steuern kann (BGHSt 28, 210, 212; BGH
StV 1984, 72; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige
Beweggründe 15).
Insoweit sind die Erörterungen der Kammer jedoch
äußerst knapp und genügen den an eine
revisionsrechtlich überprüfbare Begründung
zu stellenden Anforderungen nicht. Das Landgericht setzt sich zum einem
nicht damit auseinander, daß nach den Urteilsfeststellungen
keine kurze Spontantat vorlag, sondern ein länger andauerndes
Geschehen, währenddessen die Angeklagten zeitweise innehielten
und die Position ihres Opfers veränderten. Daß ihnen
auch dabei die Umstände, die den Antrieb zum Handeln als
besonders verwerflich erscheinen lassen, nicht ins Bewußtsein
gekommen sind, hätte - wie der Senat oben bereits
ausgeführt hat - näherer Darlegung bedurft. Zudem hat
die Kammer nicht berücksichtigt, daß die Schwelle
für die Annahme, der Täter habe seine Antriebe
gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern
können, umso niedriger ist, je schwerwiegender die
Tötungstat ist (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige
Beweggründe 26 und 39). Zum anderen hat das Landgericht schon
deshalb keine umfassende Würdigung vorgenommen, weil es nicht
erkannt hat, daß weitere als niedrig zu bewertende
Beweggründe in Betracht kommen.
Das Urteil war daher hinsichtlich aller drei Angeklagter aufzuheben.
Der neue Tatrichter wird den Fall unter den vom Senat aufgezeigten
Gesichtspunkten neu zu prüfen haben.
Sollte er aufgrund der erneuten Hauptverhandlung zur Feststellung eines
direkten Tötungsvorsatzes der Angeklagten kommen, wird er sich
zudem mit dem Mordmerkmal der Mordlust zu befassen haben. Aus Mordlust
tötet derjenige, bei dem der Tod des Opfers als solcher der
einzige Zweck der Tat ist, insbesondere der allein aus Freude an der
Vernichtung eines Menschen handelt (BGHSt 34, 59, 61; BGH NJW 1994,
2629, 2630). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sollen mit
diesem Mordmerkmal Fälle erfaßt werden, bei denen
weder ein in der Person des Opfers oder in der besonderen Tatsituation
liegender Anlaß noch ein über den
Tötungsakt selbst hinausgehender Zweck die Tat bestimmt (BGHSt
34, 59, 61).
Jähnke Detter Bode Rothfuß Fischer |