BGH,
Urt. v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 416/08
vom
2. Dezember 2008
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________
StGB § 266a
AO § 370 Abs. 1 und 3
1. Die Berechnung der nach § 266a StGB vorenthaltenen
Sozialversicherungsbeiträge richtet sich in Fällen
illegaler Beschäftigungsverhältnisse nach §
14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV.
2. Zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehung.
BGH, Urt. vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08 - LG Landshut
in der Strafsache
gegen
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wegen Steuerhinterziehung u. a.
- 3 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2.
Dezember 2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
der Angeklagte persönlich,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Landshut vom 21. April 2008 wird mit der Maßgabe als
unbegründet verworfen, dass der Angeklagte statt in 43
Fällen in 33 Fällen des Vorenthaltens von
Arbeitsentgelt schuldig ist.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 48
Fällen, Beihilfe zur Steuerhinterziehung in vier
Fällen und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von
Arbeitsentgelt in 43 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von
einem Jahr und elf Monaten verurteilt. Die Revision des
Beschwerdeführers, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts
rügt, führt lediglich zur Berichtigung eines
offensichtlichen Schreibversehens in der Urteilsformel. Im
Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO.
1
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I.
Nach den Urteilsfeststellungen betrieb der Angeklagte als Einzelfirma
ein TrockenbauUnternehmen, das für verschiedene Auftraggeber
als Subunternehmer tätig war. Aufgrund der Preisvorgaben der
Auftraggeber war dem Angeklagten in den Jahren 2001 bis 2005 ein
„auskömmliches Wirtschaften“ nur dadurch
möglich, dass er den wesentlichen Teil seiner Arbeitnehmer
„schwarz“ beschäftigte, ohne die
Arbeitsverhältnisse den zuständigen Stellen zu melden
und ohne für diese Personen Lohnsteuern und
Sozialversicherungsbeiträge abzuführen.
Darüber hinaus erklärte er die Umsatzerlöse,
die er aufgrund der Tätigkeit der nicht gemeldeten
Arbeitnehmer erzielte, in den für die betreffenden
Zeiträume abzugebenden Umsatzsteuervoranmeldungen und
-jahreserklärungen nicht. Er wollte hierdurch die
Abführung von Umsatzsteuern auf die unter Einsatz der illegal
beschäftigten Arbeitnehmer erbrachten Leistungen vermeiden. Um
andererseits den Auftraggebern zu ermöglichen, die an ihn als
Subunternehmer geleisteten Zahlungen ertragsteuerlich als
Betriebsausgaben ansetzen und umsatzsteuerlich einen Vorsteuerabzug
geltend machen zu können, unterstützte der Angeklagte
die Auftraggeber bei der Beschaffung sog. Abdeckrechnungen. Bei diesen
Rechnungen handelte es sich um Scheinrechnungen mit gesondertem
Vorsteuerausweis, mit denen unter dem Namen von Firmen, die
tatsächlich nicht tätig geworden waren, Leistungen
abgerechnet wurden. Die Abdeckrechnungen für die L. AG
erstellte der Angeklagte selbst. Sowohl dem Angeklagten als auch seinen
Auftraggebern war bewusst, dass die vorgeblichen Aussteller der
Rechnungen die darin ausgewiesenen Umsatzsteuern weder anmelden noch an
die Finanzbehörden abführen würden.
2
Insgesamt verkürzte der Angeklagte durch diese Vorgehensweise
in den Jahren 2001 bis 2005 Umsatzsteuern in Höhe von mehr als
373.000 Euro sowie Lohnsteuer von 354.000 Euro und enthielt er den
Einzugsstellen Gesamt-
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sozialversicherungsbeiträge in Höhe von mehr als
947.000 Euro vor, davon Arbeitnehmeranteile an der Sozialversicherung
in Höhe von über 473.000 Euro. Zudem
ermöglichte er durch das Ausstellen von Scheinrechnungen den
Verantwortlichen der L. AG, in den Jahren 2001 bis 2004 in
Umsatzsteuervoranmeldungen und -jahreserklärungen
ungerechtfertigt Vorsteuern in einer Gesamthöhe von mehr als
220.000 Euro geltend zu machen.
II.
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen tragen den
Schuldspruch. Die Urteilsformel ist lediglich dahin zu berichtigen,
dass der Angeklagte statt in 43 Fällen nur in 33
Fällen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (§ 266a
StGB) schuldig ist. Bei der Nennung von 43 Taten des Vorenthaltens von
Arbeitsentgelt in der Urteilsformel handelt es sich um ein
offensichtliches Verkündungsversehen; dies ergibt sich
zweifelsfrei aus den Urteilsgründen, die lediglich 33
Einzeltaten aufführen und diesen jeweils bestimmte
Einzelstrafen zuordnen. Die Berichtigung kann der Senat selbst
vornehmen (vgl. BGH NStZ 2000, 386; Kuckein in KK, 6. Aufl., §
354 Rdn. 20 m.w.N.).
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III.
Die Strafzumessung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von
Arbeitsentgelt enthält keinen den Angeklagten beschwerenden
Rechtsfehler. Auch der Schuldumfang - die Höhe der
vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge - ist zutreffend
bestimmt.
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1. Da die Strafkammer in den Urteilsgründen die Zahl der
Einzeltaten zutreffend bestimmt hat, wirkt sich die
Schuldspruchberichtigung auf den Strafausspruch nicht aus.
6
2. Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht bei den einzelnen
Taten jeweils auch den zutreffenden Schuldumfang zugrunde gelegt. Dies
gilt auch, soweit es in den Fällen D 10 bis D 33 der
Urteilsgründe den Angeklagten wegen Vorenthaltens von
Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) verurteilt hat. Das Landgericht
hat hierbei die Höhe der den Einzugsstellen vorenthaltenen
Sozialversicherungsbeiträge unter Heranziehung der Vorschrift
des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bestimmt, indem es die an die
illegal beschäftigten Arbeitnehmer gezahlten Löhne
als Nettoarbeitsentgelt gewertet hat.
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a) Die Schätzung der an die illegal beschäftigten
Arbeitnehmer tatsächlich ausgezahlten Lohnsummen ist rechtlich
nicht zu beanstanden. Da der Angeklagte über die
Beschäftigung der bei den Einzugsstellen nicht angemeldeten
Arbeitnehmer keine Aufzeichnungen führte, durfte das
Landgericht die Höhe der an diese Personen gezahlten
Löhne auf der Grundlage der ihm zur Verfügung
stehenden Erkenntnisse schätzen (vgl. BGHSt 38, 186, 193; BGHR
StGB § 266a Sozialabgaben 5; BGH wistra 2007, 220 f.). Dies
waren hier insbesondere die vom Landgericht festgestellten
Umsätze des Angeklagten mit den Auftraggebern, der Umstand,
dass die Auftraggeber das erforderliche Material zur Verfügung
stellten, und die Tatsache, dass es sich bei den vorgenommenen Arbeiten
fast ausschließlich um Lohnarbeiten handelte (UA S. 19, 37).
Angesichts dieser Erkenntnisse und des Umstandes, dass nach den
Feststellungen des Landgerichts auch in anderen - mit den
verfahrensgegenständlichen vergleichbaren - Fällen
bei Arbeiten im Rahmen von Trockenbaumaßnahmen 60 Prozent der
Rechnungssummen als Löhne ausgezahlt wurden, ist die
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Schätzung der ausgezahlten Lohnsummen auf 60 Prozent des
Nettoumsatzes des Angeklagten mit seinen Auftraggebern aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl. auch BGH wistra 1983,
107, 108; OLG Düsseldorf wistra 1988, 123, 124).
b) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet auch, dass das Landgericht in
den Fällen D 10 bis D 33 der Urteilsgründe, d.h.
für die Beitragsmonate ab August 2002, die so ermittelten
Lohnzahlungen nicht als Bruttolohn, sondern - wie sich aus den
mitgeteilten Beträgen ergibt - als Nettoarbeitsentgelt
gewertet und ausgehend hiervon anhand der jeweils gültigen
Beitragssätze die der Einzugsstelle vorenthaltenen
Sozialversicherungsbeiträge errechnet hat. Diese
Vorgehensweise rechtfertigt sich auch für das Strafrecht aus
der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV, die zum 1.
August 2002 in Kraft getreten ist (BGBl. I 2002, 2787 ff.).
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aa) Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 14
Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Rahmen des Gesetzes zur Erleichterung der
Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und
Schwarzarbeit vom 23. Juli 2002 (BGBl. I 2787 ff.) dem Umstand Rechnung
getragen, dass bei illegaler Beschäftigung Steuern und
Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt werden. Er hat daher
bestimmt, dass in solchen Fällen für die Berechnung
der Sozialversicherungsbeiträge zwischen den Beteiligten die
Zahlung eines Nettoarbeitsentgelts als vereinbart gilt, weil dem
Arbeitnehmer auch wirtschaftlich ein Nettoarbeitsentgelt
zufließt (BTDrucks. 14/8221 S. 14). Neben der Beseitigung von
Beweisschwierigkeiten zum Inhalt von Lohnvereinbarungen bei illegaler
Beschäftigung (BTDrucks. aaO) war die Verhinderung von
Wettbewerbsvorteilen, die sich die Beteiligten von illegalen
Beschäftigungsverhältnissen verschaffen, ein
wesentliches Anliegen des Gesetzgebers bei der Schaffung des Gesetzes
zur Erleichterung der
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- 9 -
Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und
Schwarzarbeit (BTDrucks. 14/8221 S. 11, 16).
bb) Bei der Regelung in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV handelt es
sich um die Fiktion einer Nettolohnabrede für illegale
Beschäftigungsverhältnisse, bei denen Steuern und
Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt werden. Diese
Fiktion greift unabhängig vom tatsächlichen Inhalt
der Lohnvereinbarung ein. Das Arbeitsentgelt der Beschäftigten
besteht daher in solchen Fällen aus dem als Nettolohn zu
behandelnden Barlohn, der um die darauf entfallenden Steuern und
Beiträge zur Sozialversicherung und zur
Arbeitsförderung zu erhöhen, d.h. zu einem Bruttolohn
„hochzurechnen“ ist (§ 14 Abs. 2 Satz 1
SGB IV). Denn Bemessungsgrundlage für die
Sozialversicherungsbeiträge ist stets das Bruttoarbeitsentgelt
(vgl. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V; § 162 Nr. 1
SGB VI; § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB VII; § 342 SGB III;
§ 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI i.V.m. § 226 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 SGB V; BSGE 64, 110, 111 f.). Illegale Beschäftigung im
Sinne der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV liegt nicht
nur bei verbotenen Beschäftigungsverhältnissen
(§ 134 BGB) vor, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber
pflichtwidrig die für die Arbeitsverhältnisse
vorgeschriebenen Meldungen nicht erstattet oder Beiträge
für die versicherten Arbeitnehmer nicht zahlt. Der Gesetzgeber
verwendet den Begriff der illegalen Beschäftigung als
„Sammelbegriff für eine Vielzahl von
Ordnungswidrigkeitstatbeständen oder Straftaten, von
Verstößen gegen das
Arbeitnehmerüberlassungsrecht bis hin zu
Verstößen gegen das Steuerrecht oder zum
Leistungsmissbrauch“ (BTDrucks. 14/8221, S. 11).
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cc) Mit Einführung der Vorschrift des § 14 Abs. 2
Satz 2 SGB IV wurde die bis dahin geltende Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs und des Bundessozialgerichts, nach der bei illegalen
Beschäftigungsverhältnissen mit
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Schwarzlohnabreden der Berechnung der vorenthaltenen
Sozialversicherungsbeiträge eine Bruttolohnvereinbarung zu
Grunde zu legen ist (vgl. BGHSt 38, 285; BGH wistra 1993, 148 f.; BSGE
64, 110 ff.), für den Bereich des Sozialversicherungsrechts
durch einen "Federstrich des Gesetzgebers" obsolet (BTDrucks. 15/726 S.
3 f.). Überzeugende Gründe, die Regelung des
§ 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV im Strafrecht nicht anzuwenden und
für die Bestimmung der Höhe der vorenthaltenen
Sozialversicherungsbeiträge im Sinne des § 266a StGB
weiterhin an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, bestehen
angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht.
(1) Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des
Bundessozialgerichts (vgl. BGH und BSG aaO) bezeichnet als
maßgeblichen gegen die Annahme einer Nettolohnvereinbarung
bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen sprechenden
Gesichtspunkt, dass die Abrede eines Schwarzlohns gerade beinhalte,
dass Steuern und Sozialversicherungsbeiträge nicht
abgeführt werden sollen. Die wesentliche Rechtsfolge einer
Nettolohnvereinbarung - die Befreiung des Arbeitnehmers von seiner
Lohnsteuerpflicht und seiner Beitragslast zu Lasten des Arbeitgebers -
werde daher von den Parteien des illegalen
Beschäftigungsverhältnisses nicht angestrebt (BGH
wistra 1993, 148 m.w.N.; BSGE 64, 110, 114 f., 116); vielmehr wolle in
solchen Fällen gerade auch der Arbeitgeber im Hinblick auf das
Arbeitsverhältnis keine Steuern und
Sozialversicherungsbeiträge abführen. Eine derartige
Vereinbarung führt zwar zur Nichtigkeit der Schwarzlohnabrede,
nicht aber zu der des gesamten
Beschäftigungsverhältnisses (vgl. BAGE 105, 187, 191
ff.). Die sich wegen der Nichtigkeit der Schwarzlohnabrede stellende
und „früher streitige Frage, ob bei derartigen
Zahlungen unter der Hand von Brutto- oder Nettolöhnen
auszugehen ist“ (BTDrucks. 15/726 S. 3 f.), hat der
Gesetzgeber nun mit der in § 14 Abs. 2
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Satz 2 SGB IV normierten Fiktion einer Nettolohnvereinbarung eindeutig
und abschließend geklärt (BTDrucks. aaO).
(2) Der Schuldumfang bei Straftaten der Beitragsvorenthaltung
gemäß § 266a StGB im Rahmen von illegalen,
aber versicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnissen bestimmt sich nach dem
nach sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben zu
ermittelnden Bruttoentgelt und der hieran anknüpfenden
Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge. Vorenthalten im
Sinne von § 266a StGB sind die nach den
sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften tatsächlich
geschuldeten Beiträge. Denn der Straftatbestand des §
266a StGB ist sozialrechtsakzessorisch ausgestaltet (BGHSt 47, 318 f.;
51, 125, 128 m.w.N.; 52, 67, 70). Der Umfang der abzuführenden
Beiträge bestimmt sich daher, wie die
Abführungspflicht selbst, nach materiellem
Sozialversicherungsrecht. Ein entgegenstehender Wille der
Vertragsparteien des Beschäftigungsverhältnisses ist
im Strafrecht ebenso unbeachtlich wie im Sozialversicherungsrecht.
Für die Beurteilung, ob ein sozialversicherungspflichtiges
Arbeitsverhältnis vorliegt, sind allein die
tatsächlichen Gegebenheiten maßgeblich. Liegt danach
ein Arbeitsverhältnis vor, können die
Vertragsparteien die sich hieraus ergebenden Beitragspflichten nicht
durch eine abweichende vertragliche Gestaltung beseitigen (vgl. BGH
NStZ 2001, 599, 600). Nach den tatsächlichen
Verhältnissen bemessen sich auch die
Sozialversicherungsbeiträge. Dabei entspricht die Lohnzahlung
aufgrund einer Schwarzlohnabrede nach der Wertung des Gesetzgebers bei
Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV bei
wirtschaftlicher Betrachtungsweise dem Nettoarbeitsentgelt eines
legalen Beschäftigungsverhältnisses (BTDrucks.
14/8221 S. 14). Eine rechtmäßige Vereinbarung, nach
der dem Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte Entgelt
verbleibt, ohne dass hierfür
Sozialversicherungsbeiträge aus einem nach § 14 Abs.
2 Satz 2 SGB IV ermittelten Bruttoentgelt berechnet werden, kann nicht
getroffen werden.
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(3) Der Umstand, dass der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2
SGB IV, mit der dem Phänomen der illegalen
Beschäftigung entgegengewirkt werden soll (vgl. BTDrucks.
15/726 S. 3 f.), im Ergebnis Sanktionscharakter zukommt (vgl.
Klattenhoff in Hauck/Noftz SGB, 38. Lfg. 2003, § 14 SGB IV
Rdn. 43 Fußnote 194), steht der Anwendung dieser Norm bei der
Bestimmung des Umfangs der im Sinne von § 266a StGB
vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge nicht entgegen.
Zwar bezweckt diese Vorschrift auch, den Arbeitgeber von einer
Schwarzlohnabrede abzuhalten (vgl. BAGE 105, 187, 194). Jedoch ist dies
nicht alleiniger Zweck der Vorschrift. Vielmehr soll § 14 Abs.
2 Satz 2 SGB IV Beweisschwierigkeiten beseitigen und der
wirtschaftlichen Situation bei einer Schwarzlohnabrede Rechnung tragen
(BTDrucks. 14/8221 S. 14). Damit hat die Vorschrift des § 14
Abs. 2 Satz 2 SGB IV einen materiellen Regelungsgehalt und nicht den
Charakter eines Säumnis- oder Verspätungszuschlages
oder eines Zwangsgelds (vgl. dazu BGHSt 43, 381, 400 ff.).
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(4) Der Senat verkennt nicht, dass die Anwendung des § 14 Abs.
2 Satz 2 SGB IV im Rahmen der Strafnorm des § 266a StGB zur
Folge hat, dass insoweit ein anderes Bruttoentgelt zugrunde zu legen
ist als bei der Bestimmung des Verkürzungsumfangs der bei
Schwarzlohnabreden zumeist ebenfalls verwirklichten Hinterziehung von
Lohnsteuer (vgl. Heitmann in Müller-Gugenberger/Bieneck,
Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. 2006, § 36 Rdn. 26; Boxleitner
in Wabnitz/Janovsky, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 3.
Aufl. 2007, Kap. 17 Rdn. 59 Fn. 89). Von der Schaffung einer der
Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV entsprechenden Norm
im Steuerrecht hat der Gesetzgeber aber wegen des dort geltenden
Zuflussprinzips bewusst abgesehen (BTDrucks. 15/2948 S. 7, 20).
Demgegenüber gilt im Sozialversicherungsrecht
grundsätzlich das Entstehungsprinzip (§ 22 Abs. 1 SGB
IV, BGHSt 47,
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318, 319; vgl. auch BSGE 41, 6, 11; 54, 136 ff.; 59, 183, 189; 75, 61,
65), das auch bei der Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV
Anwendung findet (einschränkend Seewald in Kasseler Kommentar
zum Sozialversicherungsrecht, 57. Ergänzungslieferung 2008 SGB
IV § 14 Rdn. 139; vgl. aber BAGE 105, 187, 191 ff.). Diese
Unterschiede zwischen Lohnsteuer und Sozialabgaben rechtfertigen auch
für das Strafrecht eine unterschiedliche Bemessungsgrundlage
für die Hinterziehung von Lohnsteuer einerseits und das
Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen andererseits
(vgl. BGHSt 47, 318, 319 zu § 266a StGB:
„unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt
wird“).
(5) Der Umstand, dass die Fiktion einer Nettolohnvereinbarung
gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV zu einem
Bruttoarbeitsentgelt führen kann, das den Wert der
Arbeitsleistung übersteigt (vgl. BSGE 64, 110, 117; Boxleitner
aaO Kap. 17 Rdn. 59), steht der Anwendung der Vorschrift § 14
Abs. 2 Satz 2 SGB IV bei der Bemessung der im Sinne von § 266a
StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ebenfalls
nicht entgegen. Auch insoweit ist zu berücksichtigen, dass
eine rechtmäßige Vereinbarung, nach der dem
Arbeitnehmer das tatsächlich ausgezahlte Entgelt verbleibt,
ohne dass hierfür Sozialversicherungsbeiträge aus
einem nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ermittelten Bruttoentgelt
berechnet werden, nicht getroffen werden kann (vgl. oben [2]). Die
strafrechtliche Verantwortlichkeit wird in diesem Zusammenhang
lediglich durch die dem Straftatbestand des § 266a StGB als
echtem Unterlassungsdelikt immanente Tatbestandsvoraussetzung
beschränkt, dass dem Arbeitgeber die Erfüllung der
Handlungspflicht möglich und zumutbar sein muss (BGHSt 47,
318, 320). An der Zumutbarkeit der Zahlung der gegenüber der
legalen Beschäftigung erhöhten
Sozialversicherungsbeiträge bestehen hier keine Zweifel, denn
der Angeklagte verschaffte sich durch die Schwarzlohnabrede
wirtschaftliche Vorteile im Wettbewerb gegenüber legal
tätigen Arbeitgebern.
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(6) Auch gegen die Berechnung des Bruttoarbeitsentgelts auf der
Grundlage der Lohnsteuerklasse VI bestehen im vorliegenden Fall keine
Bedenken (vgl. Boxleitner aaO Kap. 17 Rdn. 59 und SG Dortmund, Urt. vom
8. September 2008 - S 25 R 129/06 - BeckRS 2008 57420). Nach §
39c EStG ist diese Steuerklasse zu Grunde zu legen, wenn bei einem
Arbeitsverhältnis die Lohnsteuerkarte dem Arbeitgeber nicht
vorgelegt wird. Bei illegalen
Beschäftigungsverhältnissen besteht
regelmäßig kein Grund zu der Annahme, dass die
Arbeitnehmer dem Arbeitgeber ihre Lohnsteuerkarte vorgelegt haben.
Mangels erkennbarer Anhaltspunkte für eine andere Handhabung
ergibt sich hier auch aus dem Zweifelsgrundsatz nichts anderes (vgl.
BGH NStZ-RR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36 m.w.N.).
18
IV.
Auch die tatrichterliche Strafhöhenbemessung wegen
Steuerhinterziehung ist rechtsfehlerfrei. Die dem angefochtenen Urteil
insoweit zugrunde liegenden Strafzumessungserwägungen tragen
den nachfolgend dargelegten Kriterien Rechnung, die bei einer
Verurteilung wegen Steuerhinterziehung Anwendung finden müssen:
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1. Grundlage für die Zumessung der Strafe ist bei einer
Steuerhinterziehung - wie bei jeder anderen Straftat auch - die
persönliche Schuld des Täters. Dabei sind auch die
Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Strafe für
das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu
erwarten sind (§ 46 Abs. 1 StGB). § 46 Abs. 2 Satz 1
StGB bestimmt, dass bei der Zumessung der Strafe die Umstände
gegeneinander abzuwägen sind, die für und gegen den
Täter sprechen. Dabei kommen namentlich die in § 46
Abs. 2 Satz 2 StGB genannten Umstände in Betracht.
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- 15 -
2. Bei der Zumessung einer Strafe wegen Steuerhinterziehung hat das von
§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgegebene Kriterium der
„verschuldeten Auswirkungen der Tat“ im Rahmen der
erforderlichen Gesamtwürdigung besonderes Gewicht.
„Auswirkungen der Tat“ sind insbesondere die Folgen
für das durch die Strafnorm geschützte Rechtsgut. Das
durch § 370 AO geschützte Rechtsgut ist die Sicherung
des staatlichen Steueranspruchs, d.h. des rechtzeitigen und
vollständigen Steueraufkommens (vgl. BGHSt 36, 100, 102; 40,
109, 111; 41, 1, 5; 46, 107, 120). Deshalb ist die Höhe der
verkürzten Steuern ein bestimmender Strafzumessungsumstand
i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. auch BGH wistra 1998,
269, 270).
21
Das gilt nicht nur für die Strafrahmenwahl (§ 370
Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO), sondern auch für die konkrete
Strafzumessung in dem - wie hier vom Landgericht - zugrunde gelegten
Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO. Dass der Hinterziehungsbetrag
nicht nur ein bestimmender Strafzumessungsfaktor, sondern
darüber hinaus, dann wenn er hoch ist, ein auch für
die konkrete Strafzumessung gewichtiger Strafschärfungsgrund
ist, zeigt insbesondere die gesetzgeberische Wertung in § 370
Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO.
22
Schon die bis Ende des Jahres 2007 - und damit noch zur Tatzeit
geltende - Fassung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO hob die
Höhe des Hinterziehungsbetrags als einen Umstand heraus, der
zur Verschärfung des Strafrahmens führen konnte.
Danach war in der Regel ein nur mit Freiheitsstrafe (von sechs Monaten
bis zu zehn Jahren) bedrohter besonders schwerer Fall der
Steuerhinterziehung gegeben, wenn der Täter „aus
grobem Eigennutz in großem Ausmaß Steuern
verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile
erlangt“. Zwar musste nach der früheren Fassung
für die Erfüllung des Regelbeispiels zu
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- 16 -
dem objektiven Merkmal „in großem
Ausmaß“ noch das subjektive Merkmal „aus
grobem Eigennutz“ hinzukommen, gleichwohl hatte der
Gesetzgeber schon damals zum Ausdruck gebracht, dass die
Strafhöhenbemessung maßgeblich auch von der
Höhe des Hinterziehungsbetrags bestimmt wird.
3. Auch wenn der Hinterziehungsbetrag ein bestimmender
Strafzumessungsgrund für die Steuerhinterziehung ist, kann
allein dessen Ausmaß für die
Strafhöhenbemessung nicht in dem Sinne ausschlaggebend sein,
dass die Strafe gestaffelt nach der Höhe des
Hinterziehungsbetrags schematisch und quasi
„tarifmäßig“ verhängt
wird. Jeder Einzelfall ist vielmehr nach den von § 46 StGB
vorgeschriebenen Kriterien zu beurteilen.
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Das schließt indes nicht aus, die Strafhöhe an den
vom Gesetzgeber auch in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO
vorgegebenen Wertungen auszurichten. Das gilt auch für die
konkrete Strafzumessung innerhalb des gefundenen Strafrahmens, und zwar
auch beim Normalstrafrahmen des § 370 Abs. 1 AO. Gerade auch
bei der Bemessung der schuldangemessenen Strafe kommt dem Merkmal
„großes Ausmaß“ Bedeutung zu,
weil es aufzeigt, wann der Gesetzgeber eine Freiheitsstrafe (mit
erhöhtem Mindestmaß) für angebracht
hält. Dazu bedarf das Merkmal einer näheren
Konturierung.
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Der Senat ist der Ansicht, dass insoweit vergleichbare Kriterien wie
für das wortgleiche Merkmal in § 263 Abs. 3 Satz 2
Nr. 2 Alt. 1 StGB (auf das auch § 263a Abs. 2, § 266
Abs. 2 StGB verweisen) zur Anwendung kommen müssen.
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 48, 360; BGH
wistra 2004, 262, 263; StV 2007, 132) erfüllt ein
Vermögensverlust von mehr als 50.000 € beim
Regelbeispiel des besonders schweren Falles des Betrugs (§ 263
Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB) das Merkmal „in
großem Ausmaß“. Dazu hatte der Senat in
BGHSt 48, 360 ausgeführt:
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„Der Begriff des Vermögensverlustes großen
Ausmaßes ist nach objektiven Gesichtspunkten zu bestimmen
… Die Abgrenzung, die sich für § 263 Abs.
3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB wertmäßig an einem
Vermögensverlust in Höhe von 50.000 €
ausrichtet, schafft für die Praxis Rechtssicherheit. Im
Einzelfall bleibt genügend Spielraum für eine
gerechte Straffindung. Der Tatrichter hat ohnehin im Rahmen einer
Gesamtbetrachtung auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des
Regelbeispiels zu bewerten, ob tat- oder täterbezogene
Umstände vorliegen, die die Indizwirkung des Regelbeispiels
aufheben und trotz seiner Verwirklichung zur Verneinung eines besonders
schweren Falles führen können, oder ob auch ohne dass
dieses Regelbeispiel erfüllt ist besondere Umstände
einen unbenannten besonders schweren Fall zu begründen
vermögen oder etwa ein anderes benanntes Regelbeispiel
anzunehmen ist.“
b) Das vergleichbare Merkmal des „großen
Ausmaßes“ im Sinne des § 370 Abs. 3 Satz 2
Nr. 1 AO hat der Bundesgerichtshof bislang nicht - wie beim Betrug -
betragsmäßig bestimmt. Das lag in erster Linie
daran, dass bei der früheren Gesetzesfassung - zu der die
Entscheidungen ergangen sind - die objektive Komponente
(„großes Ausmaß“) mit der
subjektiven Komponente („aus grobem Eigennutz“)
verknüpft war, so dass eine eigenständige Auslegung
nur des Merkmals „großes
Ausmaß“ nicht veranlasst war.
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Wegen der Verknüpfung von objektivem und subjektivem Merkmal
hatte der Bundesgerichtshof eine Gesamtbetrachtung unter
Berücksichtigung aller Umstände gefordert (vgl. BGH
wistra 1993, 109,110). Von Bedeutung war dabei insbesondere, ob sich
das Ausmaß aus dem noch durchschnittlich vorkommen-
29
- 18 -
den Verkürzungsumfang heraushebt und ob ein
„Täuschungsgebäude großen
Ausmaßes“ vorliegt (vgl. BGH wistra 1987, 71, 72).
Auch in der Kommentarliteratur finden sich bisher sehr unterschiedliche
und daher keine hinreichend klaren Maßstäbe
für eine Grenzziehung. Während überwiegend -
indes unter Geltung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO aF -
für die Annahme des „großen
Ausmaßes“ eine Hinterziehung in
Millionenhöhe für erforderlich erachtet wurde
(Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn.
270; Klein/Gastde Haan, AO 9. Aufl. § 370 Rdn. 68;
Scheurmann-Kettner in Koch/Scholz, AO 5. Aufl. § 370 Rdn. 59),
finden sich in der neueren Literatur Stimmen, die eine
Steuerhinterziehung „in großem
Ausmaß“ bereits ab einem Mindestbetrag von 50.000
€ für möglich erachten (Kohlmann,
Steuerstrafrecht 38. Lfg. August 2008 § 370 AO Rdn. 1099.7;
Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 4.
Aufl. Rdn. 1022). Demgegenüber nehmen andere Autoren auch
für die neue Fassung des Merkmals ein
„großes Ausmaß“ erst bei einem
Betrag von 500.000 € (Blesinger in Kühn/v.
Wedelstädt, AO und FGO, 19. Aufl. § 370 AO Rdn. 114)
oder einer Hinterziehung in Millionenhöhe an (Rolletschke in
Rolletschke/Kemper, Steuerverfehlungen, 87.
Ergänzungslieferung § 370 AO Rdn. 169) und halten
teilweise auch weiterhin auch für die Bejahung des Merkmals
eine Gesamtschau aller Umstände für erforderlich
(Rolletschke in Stbg 2008, 49 und in Rolletschke/ Kemper aaO).
30
c) Das Merkmal „in großem
Ausmaß“ im Regelbeispiel des § 370 Abs. 3
Satz 2 Nr. 1 AO bedarf nach Ansicht des Senats - in gleicher Weise wie
beim Betrug - der Interpretation durch die Gerichte. Nur dann
erhält das Merkmal seine den Anforderungen der
Rechtssicherheit gerecht werdenden Konturen. Für eine
Vergleichbarkeit mit dem Betrug spricht auch, dass der 5. Strafsenat
31
- 19 -
des Bundesgerichtshofs in BGHSt 50, 299, 309 zu Recht
ausgeführt hat, es sei geboten, „dem drohenden
Ungleichgewicht zwischen der Strafpraxis bei der allgemeinen
Kriminalität und der Strafpraxis in Steuer- und
Wirtschaftsstrafverfahren entgegenzutreten und dem berechtigten
besonderen öffentlichen Interesse an einer effektiven
Strafverfolgung schwerwiegender Wirtschaftskriminalität
gerecht zu werden.“
Dass der Gesetzgeber nicht selbst bestimmt hat, wann bei der
Prüfung des Regelbeispiels von einem großen
Ausmaß auszugehen ist, steht einer verfassungskonformen
Auslegung nicht entgegen. Anders mag das etwa bei der Verwendung des
Begriffs des großen Ausmaßes als Tatbestandsmerkmal
eines Verbrechenstatbestandes sein (vgl. zu dem inzwischen aufgehobenen
§ 370a AO: BGH wistra 2004, 393 ff.; 2005, 30 ff.). Wie beim
Begriff des Vermögensverlustes großen
Ausmaßes im Regelbeispiel für einen besonders
schweren Fall des Betruges in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1
StGB ist der Begriff des großen Ausmaßes auch in
§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO in erster Linie nach objektiven
Kriterien zu bestimmen. Zwar ist anerkannt, dass die Auslegung
tatbestandsspezifisch zu erfolgen hat; gleichwohl ist bei von der
Begehungsweise und vom Unwertgehalt ähnlichen Delikten wie dem
Betrug und der Steuerhinterziehung eine einheitliche Grenzziehung in
Betracht zu ziehen (vgl. BGHSt 48, 360, 364).
32
Dem steht nicht entgegen, dass sich, anders als bei der
Einführung des § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB
(vgl. BTDrucks. 13/8587 S. 43), in den Materialien zur
Gesetzesentstehung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO nF keine
Anhaltspunkte dafür finden, ab welchem Grenzwert der
Gesetzgeber eine Steuerhinterziehung von „großem
Ausmaß“ als gegeben erachtet. Begründet
wird lediglich die Streichung des einschränkenden subjektiven
Merkmals des
33
- 20 -
„groben Eigennutzes“ (BTDrucks. 16/5846 S. 75).
Dass der Gesetzgeber hierbei an die Rechtsprechung anknüpfen
wollte, die den Begriff des „großen
Ausmaßes“ in den § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2
Alt. 1 StGB konkretisierte, kann daher nicht ohne weiteres angenommen
werden. Allerdings wollte der Gesetzgeber bereits mit der
Einführung des § 370 Abs. 3 AO zum Ausdruck bringen,
dass die Steuerhinterziehung „hinsichtlich ihrer
Gefährlichkeit und ihrer Strafwürdigkeit nicht
geringer zu bewerten ist als der Betrug“ (BGHSt 32, 95, 99
mit Hinweis auf BRDrucks. 23/71 S. 194).
d) Der Senat ist daher der Ansicht, dass das Merkmal „in
großem Ausmaß“ des § 370 Abs. 3
Satz 2 Nr. 1 AO wie beim Betrug nach objektiven
Maßstäben zu bestimmen ist. Das Merkmal
„in großem Ausmaß“ liegt danach
nur dann vor, wenn der Hinterziehungsbetrag 50.000 €
übersteigt.
34
aa) Der Senat hat dabei auch bedacht, dass bei großen
Geschäftsvolumina Steuerschäden in dieser
Größenordnung schneller erreicht werden als bei
wirtschaftlicher Betätigung im kleineren Umfang, dass der
Tatbestand der Steuerhinterziehung regelmäßig
bereits bei Gefährdung des Steueraufkommens verwirklicht wird
(vgl. § 370 Abs. 4 Satz 1 AO), dass die
Tatbestandsmäßigkeit weder direkten Vorsatz noch
Bereicherungsabsicht voraussetzt und dass regelmäßig
auch die bloße Untätigkeit den Straftatbestand der
Steuerhinterziehung erfüllt, weil die Abgabe von
Steuererklärungen gesetzlich vorgeschrieben ist (§
370 Abs. 1 Nr. 2 AO).
35
Gleichwohl lassen derartige „qualitative“
Besonderheiten des Einzelfalls die Erfüllung des
Ausmaßes der Steuerverkürzung unberührt, da
solche Umstände die Auswirkungen der Tat auf das
Steueraufkommen nicht verändern. Schutzgut des
Straftatbestandes der Steuerhinterziehung ist - wie oben ausge-
36
- 21 -
führt - das öffentliche Interesse am
vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen jeder einzelnen
Steuerart. Im Übrigen schafft eine Abgrenzung, die sich an
einer eindeutigen Betragsgrenze ausrichtet, größere
Rechtssicherheit für die Praxis. Eine solche Relation von
Geschäftsvolumen und Steuerschaden kann allerdings das Gewicht
des Hinterziehungsbetrags bei der Strafzumessung vermindern.
bb) Der Umstand, dass sich die Betragsgrenze von 50.000 € an
derjenigen des Vermögensverlustes großen
Ausmaßes im Sinne von § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt.
1 StGB orientiert, bedeutet zugleich, dass - ähnlich wie beim
Betrug - zwischen schon eingetretenem Vermögensverlust und
einem Gefährdungsschaden zu differenzieren ist:
37
(1) Die Betragsgrenze von 50.000 € kommt namentlich dann zur
Anwendung, wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom
Finanzamt erlangt hat, etwa bei Steuererstattungen durch
Umsatzsteuerkarusselle, Kettengeschäfte oder durch
Einschaltung von sog. Serviceunternehmen. Ist hier - der
„Steuerbetrug“ hat zu einem
„Vermögensverlust“ geführt -
diese Wertgrenze überschritten, dann ist das Merkmal
erfüllt.
38
(2) Beschränkt sich das Verhalten des Täters dagegen
darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über
steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und
führt das lediglich zu einer Gefährdung des
Steueranspruchs, dann kann das „große
Ausmaß“ höher angesetzt werden. Der Senat
hält hierbei eine Wertgrenze von 100.000 €
für angemessen.
39
- 22 -
cc) Ob die Schwelle des „großen
Ausmaßes“ überschritten ist, ist
für jede einzelne Tat im materiellen Sinne gesondert zu
bestimmen. Dabei genügt derjenige Erfolg, der für die
Vollendung der Steuerhinterziehung ausreicht (vgl. Franzen/Gast/Joecks,
Steuerstrafrecht 6. Aufl. § 370 AO Rdn. 268). Der Senat ist
der Ansicht, dass bei mehrfacher tateinheitlicher Verwirklichung des
Tatbestandes der Steuerhinterziehung das
„Ausmaß“ des jeweiligen Taterfolges zu
addieren ist, da in solchen Fällen eine einheitliche Handlung
im Sinne des § 52 StGB vorliegt, die für die
Strafzumessung einer einheitlichen Bewertung bedarf.
40
e) Liegt nach diesen Maßstäben eine Hinterziehung
von „großem Ausmaß“ vor, so hat
dies - unabhängig von der Frage, ob die Regelwirkung einer
besonders schweren Steuerhinterziehung im konkreten Fall zur Anwendung
kommt - „Indizwirkung“, freilich auch nicht mehr,
für die zu findende Strafhöhe. Das bedeutet:
41
Jedenfalls bei einem sechsstelligen Hinterziehungsbetrag wird die
Verhängung einer Geldstrafe nur bei Vorliegen von gewichtigen
Milderungsgründen noch schuldangemessen sein. Bei
Hinterziehungsbeträgen in Millionenhöhe kommt eine
aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei Vorliegen besonders
gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht (vgl. BGH
NStZ-RR 2007, 176, 178).
42
Schon deswegen wird bei der letztgenannten Fallgestaltung
(Millionenbetrag) ein Strafbefehlsverfahren
regelmäßig nicht geeignet erscheinen (vgl.
§ 400 AO i.V.m. § 407 StPO). Hinzu kommt, dass bei
Steuerverkürzungen in dieser Größenordnung
in der Regel auch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit
an der Wahrung der Gleichbehandlung vor Gericht - das eine
öffentliche Haupt-
43
- 23 -
verhandlung am besten gewährleistet - nicht gering zu achten
ist (vgl. § 407 Abs. 1 Satz 2 StPO).
f) Die „Indizwirkung“ des
„großen Ausmaßes“ kann
einerseits durch sonstige Milderungsgründe beseitigt,
andererseits aber auch durch Strafschärfungsgründe
verstärkt werden.
44
aa) Ein die Indizwirkung des Hinterziehungsbetrages beseitigender
Milderungsgrund ist etwa gegeben, wenn sich der Täter im
Tatzeitraum im Wesentlichen steuerehrlich verhalten hat und die Tat nur
einen verhältnismäßig geringen Teil seiner
steuerlich relevanten Betätigungen betrifft. Bedeutsam ist
daher das Verhältnis der verkürzten zu den gezahlten
Steuern. Hat sich der Täter vor der Tat über einen
längeren Zeitraum steuerehrlich verhalten, ist auch dies in
den Blick zu nehmen. In die vorzunehmende Gesamtwürdigung ist
auch die Lebensleistung und das Verhalten des Täters nach
Aufdeckung der Tat einzubeziehen, etwa ein (frühzeitiges)
Geständnis, verbunden mit der Nachzahlung verkürzter
Steuern oder jedenfalls dem ernsthaften Bemühen hierzu. Der
„Schadenswiedergutmachung“ durch Nachzahlung
verkürzter Steuern kommt schon im Hinblick auf die Wertung des
Gesetzgebers im Falle einer Selbstanzeige (§ 371 AO) besondere
strafmildernde Bedeutung zu.
45
bb) Gegen eine Geldstrafe oder - bei entsprechend hohem
Hinterziehungsbetrag - eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe
spricht es insbesondere, wenn der Täter Aktivitäten
entfaltet hat, die von vornherein auf die Schädigung des
Steueraufkommens in großem Umfang ausgelegt waren, etwa weil
der Täter unter Vorspiegelung erfundener Sachverhalte das
„Finanzamt als Bank“ betrachtete und in erheblichem
Umfang ungerechtfertigte Vorsteuererstattungen erlangt hat oder weil
der Täter die Steuerhinterziehung in sonstiger Weise ge-
46
- 24 -
werbsmäßig oder gar „als
Gewerbe“ betrieb. Gleiches gilt auch für den Aufbau
eines aufwändigen Täuschungssystems, die
systematische Verschleierung von Sachverhalten und die Erstellung oder
Verwendung unrichtiger oder verfälschter Belege zu
Täuschungszwecken.
Strafschärfende Bedeutung hat es zudem, wenn der
Täter besondere Unternehmensstrukturen aufgebaut hat, die auch
der Bereicherung durch Steuerhinterziehung dienen sollten, wenn der
Täter das Ziel verfolgt hat, das Steueraufkommen durch
wiederholte Tatbegehung über einen längeren Zeitraum
nachhaltig zu schädigen, wenn er andere Personen verstrickt
hat, wenn er systematisch Scheingeschäfte getätigt
oder Scheinhandlungen vorgenommen hat (vgl. § 41 Abs. 2 Satz 1
AO) oder wenn er in größerem Umfang buchtechnische
Manipulationen vorgenommen oder gezielt durch Einschaltung von
Domizilfirmen im Ausland oder Gewinnverlagerungen ins Ausland schwer
aufklärbare Sachverhalte geschaffen hat (vgl. auch die
Beispiele bei Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der
Strafzumessung 4. Aufl. Rdn. 1018 m.w.N.). Solche Umstände
sind bei anpassungsfähigen Hinterziehungssystemen, wie etwa
den sog. Umsatzsteuerkarussellgeschäften, bei
Kettengeschäften unter Einschaltung sog.
„Serviceunternehmen“ und im Bereich der illegalen
Arbeitnehmerüberlassungen regelmäßig
gegeben (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 176, 178).
47
4. Für Steuerhinterziehungen, die seit dem 1. Januar 2008 -
dem Inkrafttreten der neuen Fassung des § 370 Abs. 3 Satz 2
Nr. 1 AO durch das Gesetz zur Änderung der
Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter
Ermittlungsmethoden sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG v.
21. Dezember 2007 (BGBl. I 3198) - begangen wurden, kommt der
Streichung des subjektiven Merkmals „aus grobem
Eigennutz“ aus dem Regelbeispiel zusätzliches
Gewicht zu. Hier erfüllt schon das objektive Merkmal
„großes Aus
48
- 25 -
maß“ - wie es oben vom Senat bestimmt wurde - das
Regelbeispiel des besonders schweren Falles des § 370 Abs. 3
Satz 2 Nr. 1 AO.
Die Bejahung bzw. Verneinung des Regelbeispiels in einem ersten
Prüfungsschritt bei der Strafrahmenwahl bedeutet freilich,
dass - wie bei sonstigen Regelbeispielen - in einem zweiten Schritt zu
prüfen ist, ob die Besonderheiten des Einzelfalls die
Indizwirkung des Regelbeispiels entkräften, bzw. ob -
umgekehrt - ein unbenannter besonders schwerer Fall der
Steuerhinterziehung vorliegt, obwohl der Hinterziehungsbetrag unter
50.000 € liegt.
49
Insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze für die
Strafrahmenwahl bei Regelbeispielen. Danach entfällt die
Regelwirkung, wenn diese Faktoren jeweils für sich oder in
ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, dass sie bei der
Gesamtabwägung die Regelwirkung entkräften. Es
müssen in dem Tun oder in der Person des Täters
Umstände vorliegen, die das Unrecht seiner Tat oder seiner
Schuld deutlich vom Regelfall abheben, so dass die Anwendung des
erschwerten Strafrahmens unangemessen erscheint (ständige
Rspr.; vgl. BGHSt 20, 121, 125). Für die hierbei vorzunehmende
Gesamtabwägung haben namentlich die oben genannten Milderungs-
und Schärfungsgründe Gewicht.
50
5. Gemessen daran sind die dem Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO
entnommenen Einzelstrafen und die Gesamtstrafe rechtsfehlerfrei. Das
Landgericht hat zu Recht den hohen Steuerschäden das ihnen
zukommende Gewicht beigemessen. Namentlich die beiden Einsatzstrafen
von jeweils einem Jahr und drei Monaten für die
Umsatzsteuerhinterziehungen 2002 und 2003 mit hinterzogenen Steuern in
Höhe von jeweils über 150.000 € werden den
oben genannten Strafzumessungskriterien gerecht.
51
- 26 -
V.
Die Revision bemängelt, das Landgericht habe sowohl bei der
Beitrags- als auch bei der Steuerhinterziehung einerseits die
Höhe der durch die Taten verursachten Schäden zu
Lasten des Angeklagten gewertet, andererseits aber strafmildernd
berücksichtigt, dass die Schäden ausgeglichen worden
seien. Hiergegen ist jedoch nichts zu erinnern. Diese
Strafzumessungserwägungen erweisen sich nicht als
widersprüchlich. Gemäß § 46 Abs. 2
StGB sind sowohl die verschuldeten Folgen der Tat als auch die
Schadenswiedergutmachung strafzumessungsrelevante Faktoren. Bei einer
nachträglichen Schadenswiedergutmachung ist das Landgericht
nicht gehalten, den Umfang der zunächst hinterzogenen Steuern
und den Umfang der den Einzugsstellen zunächst vorenthaltenen
Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen der Strafzumessung
unberücksichtigt zu lassen.
52
VI.
Die Versagung der Strafaussetzung der verhängten
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten zur
Bewährung hält rechtlicher Nachprüfung noch
stand.
53
Allerdings weist die Revision mit Recht darauf hin, dass auch bei der
gemäß § 56 Abs. 2 StGB vom Tatgericht
vorzunehmenden Prüfung, ob die Vollstreckung einer
Freiheitsstrafe, die ein Jahr übersteigt, zur
Bewährung ausgesetzt werden kann, der Kriminalprognose des
Täters Bedeutung zukommt. Denn die Prüfung, ob
besondere Umstände von Gewicht im Sinne von § 56 Abs.
2 StGB vorliegen, erfordert eine Gesamtwürdigung der Tat und
der Persönlichkeit des Verurteilten. Zu den dabei zu
berücksichtigenden Umständen gehört auch
eine günstige Kriminalprognose (vgl. BGH StV 2003, 670; BGH
NStZ 1997, 434; jeweils m.w.N.). Es wäre daher
rechtsfehlerhaft, die Frage der
54
- 27 -
Kriminalprognose als von vornherein für die
Gesamtwürdigung bedeutungslos dahinstehen zu lassen (vgl. BGH,
Beschl. vom 11. Dezember 2002 - 1 StR 454/02). Anders verhält
es sich aber dann, wenn das Tatgericht die Gesamtwürdigung
auch auf der Basis einer günstigen Kriminalprognose
durchführt und dabei zum Ergebnis gelangt, dass selbst unter
dieser Prämisse besondere Umstände im Sinne von
§ 56 Abs. 2 StGB nicht vorliegen. Bei einem solchen Vorgehen
wird die Kriminalprognose des Täters nicht als bedeutungslos
angesehen; sie hat aber im konkreten Fall auf das Ergebnis der
Gesamtwürdigung keine für den Verurteilten
günstigen Auswirkungen.
So liegt der Fall hier. Die Strafkammer hatte zwar im Hinblick auf die
einschlägige Vorstrafe des Angeklagten und seinen
Bewährungsbruch erhebliche Zweifel daran, dass sich der
Angeklagte schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch
ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen
wird (UA S. 43). Aus dem Gesamtzusammenhang der vom Landgericht
insoweit angestellten Erwägungen ergibt sich aber, dass es im
Rahmen der durchgeführten Gesamtwürdigung auch unter
Berücksichtigung einer günstigen Kriminalprognose zum
Fehlen besonderer Umstände gelangt
55
- 28 -
ist. Der Senat entnimmt der missverständlichen Formulierung in
den Urteilsgründen, die Frage der Kriminalprognose
könne „letztlich“ offen bleiben, nicht,
die Strafkammer habe diese Frage für die nach § 56
Abs. 2 StGB als von vornherein unbeachtlich gehalten.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander |