BGH,
Urt. v. 20.12.2007 - 3 StR 318/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 318/07
vom
20.12.2007
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
WÜK Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3
Zu den Folgen einer verspätet erteilten Belehrung eines
ausländischen Beschuldigten über sein Recht auf
Unterrichtung der konsularischen Vertretung seines Heimatstaates (in
Abgrenzung zu BGHSt [1 StR 273/07 und 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02]).
BGH, Urt. vom 20.12.2007 - 3 StR 318/07 - LG Lübeck
in der Strafsache
gegen
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1.
2.
wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge
- 3 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
20.12.2007, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Becker
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
Pfister,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Lübeck vom 2. April 2007 werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Beihilfe zum
Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu
einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Darüber
hinaus hat es die Einziehung sichergestellten Kokains und zweier
Mobiltelefone sowie den Verfall eines Geldbetrages angeordnet. Die auf
die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten
Revisionen der Angeklagten bleiben erfolglos.
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I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Die beiden Angeklagten reisten am 8. Oktober 2006 im Pkw des
Angeklagten S. von Oslo nach Hamburg, trafen dort den aus
Brüssel kommenden Betäubungsmittelkurier C. , der
1.485,4 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 341,5 Gramm KHC mit
sich führte, und fuhren sodann mit C.
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nach Puttgarden, um mit ihm über den dortigen
Fährhafen wieder nach Norwegen auszureisen. Vor der Ausreise
wurde das Betäubungsmittel im Kofferraum des Fahrzeugs
entdeckt. Die Angeklagten und C. wurden vorläufig festgenommen.
II.
Die Überprüfung des landgerichtlichen Urteils hat
weder in materiell- noch in verfahrensrechtlicher Hinsicht einen
durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
Näherer Erörterung bedarf nur die von beiden
Angeklagten erhobene Verfahrensrüge, das Landgericht habe bei
der Urteilsfindung rechtsfehlerhaft ihre Aussagen bei ihrer
zollbehördlichen Beschuldigtenvernehmung und ihrer Vernehmung
durch den Ermittlungsrichter verwertet, obwohl sie als
Ausländer zuvor nicht über ihr Recht auf
konsularischen Beistand nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 des Wiener
Übereinkommens über konsularische Beziehungen
(WÜK) vom 24. April 1963 (BGBl II 1969, 1585) belehrt worden
seien.
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1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
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Der Angeklagte M. hat die mazedonische, der Angeklagte S. die serbische
Staatsangehörigkeit. Weder nach ihrer Festnahme am 8. Oktober
2006 noch anlässlich ihrer am Folgetag unter Zuziehung eines
Dolmetschers von Zollbeamten durchgeführten Vernehmung wurden
sie über ihr Recht auf Benachrichtigung der konsularischen
Vertretung ihres jeweiligen Heimatstaates gemäß Art.
36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK belehrt; vor der Vernehmung am
9. Oktober 2006 wurden sie lediglich über ihr Recht zu
schweigen und auf Befragung eines Verteidigers hingewiesen (§
136 Abs. 1 Satz 2 StPO). Beide An-
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geklagte machten sodann Angaben zur Sache. Im Anschluss daran
äußerten sie sich auch gegenüber dem
Ermittlungsrichter, der Haftbefehl gegen sie erließ. Gegen
Ende des Vorführungstermins wurden sie belehrt, dass sie die
Benachrichtigung der konsularischen Vertretung ihres jeweiligen
Heimatstaates verlangen könnten. Dies lehnten sie ab.
In der Hauptverhandlung haben sich die beiden Angeklagten nicht zum
Tatvorwurf eingelassen. Das Landgericht hat die Angaben der Angeklagten
im Ermittlungsverfahren durch Vernehmung der Verhörspersonen
in die Hauptverhandlung eingeführt. Die Verteidigung hat der
Verwertung dieser Aussagen unter Hinweis auf die unterbliebene
Belehrung der Angeklagten über ihr Recht auf Benachrichtigung
des jeweiligen Konsulats widersprochen. Das Landgericht hat die Angaben
der Angeklagten bei ihren Vernehmungen durch die Zollbeamten gleichwohl
im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt. Es hat
sie ungeachtet der unterbliebenen Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 Buchst.
b Satz 3 WÜK für verwertbar erachtet, weil die
Angeklagten bei ihrer Vorführung vor dem Ermittlungsrichter zu
erkennen gegeben hatten, kein Interesse an der Unterstützung
durch das Konsulat ihres jeweiligen Heimatstaats zu haben.
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2. Die zulässig erhobene (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO)
Verfahrensrüge ist nicht begründet. Zwar liegt ein
Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK
vor (a), den die Angeklagten im Revisionsverfahren gelten machen
können (b). Der Verfahrensverstoß führt
jedoch nicht dazu, dass das Landgericht die Angaben der Angeklagten
anlässlich ihrer Vernehmungen im Ermittlungsverfahren nicht
verwerten durfte (c). Auch sonst beruht das Urteil nicht auf der
unterlassenen Belehrung (d). Dieser ist auch nicht im Wege einer
Kompensati-on Rechnung zu tragen (e).
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a) Der Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3
WÜK liegt darin, dass die beiden Angeklagten nicht
unverzüglich nach ihrer Festnahme über ihr
Konsultationsrecht belehrt worden sind.
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aa) Sowohl der Angeklagte M. als mazedonischer als auch der Angeklagte
S. als serbischer Staatsangehöriger unterfallen dem
Schutzbereich des Konsularrechtsübereinkommens. Beide Staaten
sind ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland Vertragsstaaten dieses
Übereinkommens. Dieses gilt in der deutschen Rechtsordnung im
Range eines Bundesgesetzes und ist von den
Strafverfolgungsbehörden unmittelbar anzuwenden (BVerfG [1.
Kammer des Zweiten Senats] NJW 2007, 499, 501, 503).
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bb) Um ausländischen konsularischen Vertretungen die
Wahrnehmung ihrer Aufgaben in Bezug auf ihre Staatsangehörigen
zu erleichtern, verpflichtet Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 1
WÜK die zuständigen Behörden der
Bundesrepublik dazu, die konsularische Vertretung des Entsendestaates
unverzüglich zu unterrichten, wenn im Konsularbezirk ein
Angehöriger dieses Staates festgenommen, in Straf- oder
Untersuchungshaft genommen oder ihm anderweitig die Freiheit entzogen
ist und der Betroffene dies verlangt. Dieser Pflicht des Staates zur
Unterrichtung der betreffenden konsularischen Vertretung steht nicht
nur ein Recht des Entsendestaates gegenüber; Art. 36
WÜK schafft zugleich ein subjektives Recht des einzelnen
Staatsangehörigen, über das er nach Art. 36 Abs. 1
Buchst. b Satz 3 WÜK von den zuständigen
Behörden zu belehren (unterrichten) ist. Diese
Belehrungspflicht knüpft - standardisiert - an die fremde
Staatsangehörigkeit des Betroffenen an. Sie gilt auch
für den Fall, dass dieser seinen Lebensmittelpunkt in der
Bundesrepublik Deutschland hat, und setzt keine
ausländerspezifische oder situationsbedingte Hilflosigkeit
voraus (BGH,
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Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02, zur
Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
cc) Die Belehrung der Angeklagten durch den Ermittlungsrichter war
verspätet und damit nicht ausreichend.
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Die Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK
entsteht in dem Augenblick, in welchem dem ausländischen
Betroffenen die Freiheit entzogen worden ist, sofern die
zuständige Behörde Kenntnis von dessen
Staatsangehörigkeit hat oder sich Anhaltspunkte dafür
ergeben, dass es sich bei dem Betroffenen wahrscheinlich um einen
Ausländer handelt (vgl. BVerfG NJW 2007, 499, 503 unter
Berufung auf das "Avena"-Urteil des Internationalen Gerichtshofs [IGH]
vom 31. März 2004, ILM 43 [2004], 581, 602 f.; Kreß
GA 2007, 296, 301). Zur Belehrung ist daher nicht erst der Richter
verpflichtet. Die Belehrungspflicht obliegt vielmehr allen
zuständigen Strafverfolgungsorganen des Empfangsstaates
einschließlich der festnehmenden Polizeibeamten (BVerfG NJW
2007, 499, 503 unter Berufung auf IGH, Urt. vom 27. Juni 2001,
ICJ-Reports 2001, 464 - "LaGrand" [nichtamtliche Übersetzung
in EuGRZ 2001, 287] sowie vom 31. März 2004, ILM 43 [2004],
581 - "Avena").
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Nach diesen Grundsätzen waren bereits die festnehmenden
Zollbeamten verpflichtet, die Angeklagten über ihr
Konsultationsrecht zu belehren. Dass es sich aus Sicht der Beamten bei
den Angeklagten zumindest wahrscheinlich um Ausländer
handelte, ergibt sich nicht nur aus den norwegischen Kennzeichen des
vom Angeklagten S. geführten Fahrzeugs, sondern wird auch
daraus deutlich, dass die Beamten den Angeklagten die Belehrung
gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO auf Englisch
erteilten.
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- 9 -
dd) Der Umstand, dass die Angeklagten, nachdem sie vom
Ermittlungsrichter auf ihr Recht auf Benachrichtigung des
zuständigen Konsulats hingewiesen worden waren, eine
konsularische Hilfe abgelehnt haben, macht den Verstoß nicht
ungeschehen. Dieser ist unabhängig davon gegeben, ob der
Betroffene die Hilfe seines Staates in Anspruch nehmen will (vgl. IGH,
Urt. vom 27. Juni 2001 [nichtamtliche Übersetzung in EuGRZ
2001, 287, 290]).
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b) Die Angeklagten können die Verletzung der Belehrungspflicht
mit der Revision geltend machen. Sie haben sie vor dem Landgericht im
Zusammenhang mit der Vernehmung der Verhörspersonen vor dem in
§ 257 StPO bestimmten Zeitpunkt geltend gemacht und hierauf
gestützt der Verwertung ihrer durch diese Zeugen in die
Hauptverhandlung eingeführten Angaben aus den Vernehmungen im
Ermittlungsverfahren widersprochen. Damit liegt ein "spezifizierter
Widerspruch" vor, von dem nach der - seine Entscheidung nicht tragenden
- Auffassung des 1. Strafsenats jedenfalls in Fällen einer
nachgeholten Belehrung die zulässige Geltendmachung eines
Verstoßes gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK
im Revisionsverfahren abhängig sein soll (BGH NJW 2007, 3587,
3588 f., zum Abdruck in BGHSt bestimmt; vgl. BGH, Beschl. vom 25.
September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02: Notwendigkeit eines
spezifizierten Widerspruchs offengelassen für den Fall
völligen Unterlassens der Belehrung; s. auch BVerfG NJW 2007,
499, 504). Ob dieser Ansicht zu folgen ist, kann hier daher offen
bleiben. Doch weist der Senat darauf hin, dass das Erfordernis eines
derartigen Widerspruchs ohnehin nur dann zu erwägen
wäre, wenn der Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst.
b Satz 3 WÜK überhaupt zu einem Verwertungsverbot
für Angaben des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren zum
Tatvorwurf führen könnte; dies ist indessen gerade
nicht der Fall (s. unten c). Für die eventuelle Rüge,
das Urteil beruhe unabhängig von einem derartigen
Verwertungsverbot auf dem Unterlassen der Belehrung, weil der An-
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geklagte hierdurch in sonstiger Weise in seinen Verteidigungsrechten
eingeschränkt gewesen sei (s. unten d), ist ein derartiger
Widerspruch nach Ansicht des Senats jedenfalls nicht
Zulässigkeitsvoraussetzung.
c) Die Verletzung von Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK hat
kein Beweisverwertungsverbot zur Folge. Die Annahme eines solchen
Verwertungsverbots ist völker- und verfassungsrechtlich nicht
geboten und auch sonst der Sache nach nicht gerechtfertigt (ebenso BGH,
Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02).
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aa) Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots in Fällen einer
unterlassenen Belehrung über das Konsultationsrecht ergibt
sich nicht aus der Rechtsprechung des IGH. In den von ihm zu Art. 36
Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK entschiedenen Fällen
(siehe dazu Wagner/Raasch/Pröpstl, Wiener
Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24.
April 1963, S. 258 f.), in denen eine Belehrung nach dieser Vorschrift
jeweils gänzlich unterblieben war, beanstandete der IGH, dass
den Beschuldigten dort aufgrund des nationalen Verfahrensrechts des
Empfangsstaats schon gar keine Möglichkeit zur
Verfügung gestanden habe, die unterbliebene Belehrung zu
rügen. Dem Beschuldigten müsse aber ein Verfahren
offen stehen, in welchem er die Verletzung der Belehrungspflicht
geltend machen und deren Auswirkung auf das Strafverfahren
überprüfen lassen könne. Nach der
Rechtsprechung des IGH ist die notwendige Konsequenz eines
Verstoßes gegen die Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1
Buchst. b Satz 3 WÜK somit, dass das Strafurteil im Schuld-
und Strafausspruch unter Berücksichtigung des
Verstoßes gegen die Rechte aus dem
Konsularrechtsübereinkommen überprüfbar sein
müsse. Der IGH hat dazu in der LaGrand-Entscheidung
ausgeführt, dass nach Verletzung der Belehrungspflicht "eine
Entschuldigung in den Fällen nicht ausreichen würde,
in denen die
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Betroffenen langjährigen Haftstrafen unterworfen oder
verurteilt und mit schweren Strafen bestraft werden. In Fällen
einer derartigen Verurteilung und Bestrafung würde es" dem
Empfangsstaat (im Fall der LaGrand-Entscheidung: den Vereinigten
Staaten) "obliegen, die Überprüfung und erneute
Behandlung der Verurteilung und Bestrafung unter
Berücksichtigung der Verletzung der Konventionsrechte zu
ermöglichen. Diese Verpflichtung kann in unterschiedlicher Art
und Weise erfüllt werden. Die Wahl der Mittel bleibt" dem
Empfangsstaat "überlassen" (IGH, Urt. vom 27. Juni 2001
[nichtamtliche Übersetzung in EuGRZ 2001, 287, 294]; im
amtlichen Text: "In the case of such a conviction and sentence, it
would be incumbent upon the United States to allow the review and
reconsideration of the conviction and sentence by taking account of the
violation of the rights set forth in the Convention. This obligation
can be carried out in various ways. The choice of means must be left to
the United States" [LaGrand <Germany v. United States of
America>, Judgement, I.C.J. Reports 2001, 466, 514]). Konkrete
Vorgaben, zu welchem Ergebnis diese Überprüfung des
Urteils führen müsse, macht der IGH nicht und fordert
dementsprechend insbesondere auch kein Beweisverwertungsverbot
für Äußerungen des Beschuldigten im Falle
unterlassener Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3
WÜK (so auch Burchard JZ 2007, 891, 893; Kreß GA
2007, 296, 304; Paulus StV 2003, 57, 58 f.).
bb) Auch verfassungsrechtlich ist die Annahme eines
Beweisverwertungsverbots nicht geboten. So hat das
Bundesverfassungsgericht klargestellt, die Rechtsprechung des IGH sei
nicht dahin zu verstehen, dass im Falle eines Belehrungsfehlers nach
Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK zwingend von der
Unverwertbarkeit der zustande gekommenen Beweisergebnisse auszugehen
sei; im Übrigen obliege es dem Bundesgerichtshof
festzustellen, ob ein Verwer-
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tungsverbot anzunehmen sei oder welche Konsequenzen aus dem
Verfahrensfehler sonst zu ziehen seien (BVerfG NJW 2007, 499, 503).
cc) Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist auch in der Sache
nicht gerechtfertigt. Insbesondere lässt sich die
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Verstößen
gegen die in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO geregelten
Belehrungspflichten nicht auf einen Verstoß gegen die
Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK
übertragen.
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Nicht jeder Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift, die eine
Belehrungspflicht vorsieht, zieht ein Beweisverwertungsverbot nach
sich. Die Entscheidung für oder gegen ein Verwertungsverbot
ist vielmehr aufgrund einer Abwägung der im
Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen Gebote und Ziele
zu treffen (vgl. BVerfG NJW 2007, 499, 503). Der Senat geht in
Übereinstimmung mit dem 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
(BGH, Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02;
vgl. auch Kreß GA 2007, 296, 304 f.) davon aus, dass sich bei
einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach Art. 36 Abs. 1
Buchst. b Satz 3 WÜK die Rechtslage in Abwägung der
widerstreitenden Interessen, namentlich unter Berücksichtigung
von Art und Gewicht des Verstoßes und der wesentlichen
Belange der Urteilsfindung im Strafverfahren, anders darstellt als bei
der in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Belehrung
über das Schweigerecht und das Verteidigerkonsultati-onsrecht.
Die beiden Belehrungspflichten sind einander nicht ausreichend
ähnlich; sie unterscheiden sich sowohl im Hinblick auf ihre
Voraussetzungen als auch auf ihre Bedeutung für ein
mögliches Beweisergebnis zu Lasten des Beschuldigten. So setzt
die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO eine
Vernehmungssituation voraus, kommt jedem Beschuldigten
unabhängig von dessen Staatsangehörigkeit zugute und
betrifft inhaltlich mit den Rechten des Be-
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schuldigten auf Selbstbelastungsfreiheit und auf effektive Verteidigung
dessen zentrale Schutzrechte. Demgegenüber knüpft die
Belehrung nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK an eine
freiheitsentziehende Maßnahme und damit einen Umstand an,
durch den die Aussagefreiheit des Beschuldigten jedenfalls dann nicht
berührt wird, wenn die Festnahme erst erfolgt, nachdem der
Beschuldigte vernommen worden ist. Eine Belehrungspflicht vor Beginn
einer Vernehmung, an deren Ende möglicherweise eine Festnahme
des Beschuldigten erfolgen wird, sieht der Wortlaut von Art. 36
WÜK nicht vor. Zudem kommt die Belehrungspflicht über
das Konsultationsrecht nur Beschuldigten mit einer fremden
Staatsangehörigkeit zugute. Schließlich handelt es
sich bei dieser Belehrung inhaltlich lediglich um einen
zusätzlichen Schutz; den betroffenen ausländischen
Beschuldigten kommen jedoch alle sonstigen rechtsstaatlichen
Verteidigungsstandards unvermindert zugute.
Das angefochtene Urteil erweist sich somit nicht deswegen als
rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht bei seiner
Beweiswürdigung die Angaben der Angeklagten bei ihren
Vernehmungen im Ermittlungsverfahren berücksichtigt hat.
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d) Im Schrifttum wird darüber hinaus die Möglichkeit
erörtert, dass sich der Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1
Buchst. b Satz 3 WÜK selbst bei Verneinung eines
Verwertungsverbots in anderer Weise zu Lasten des Beschuldigten und
seiner Verteidigungsmöglichkeiten auswirken und als Folge
hiervon das gegen ihn ergehende Urteil im Schuld- oder
Rechtsfolgenausspruch nachteilig beeinflussen könne
(Kreß GA 2007, 296, 306; möglicherweise aA -
Beruhensprüfung nur bei Annahme eines Beweisverwertungsverbots
- BVerfG NJW 2007, 499, 504 [Rdn. 76]; siehe auch Burchard JZ 2007,
891, 893; Paulus StV 2003, 57, 60). Dem ist hier indessen nicht weiter
nachzugehen. Dass sie durch die zunächst unterlassene
Belehrung in ihren Verteidigungsmöglichkeiten in irgendei-
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ner Hinsicht entscheidungserheblich eingeschränkt gewesen
wären, behaupten die Beschwerdeführer in ihrem
Rügevorbringen schon selbst nicht. Im Übrigen
wäre hier ohne weiteres auszuschließen, dass sich
das Unterbleiben der Belehrung unmittelbar nach der
vorläufigen Festnahme im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO
auf das Urteil ausgewirkt haben könnte; denn die Angeklagten
haben nach der Belehrung durch den Ermittlungsrichter über ihr
Recht, die konsularische Vertretung ihrer Heimatstaaten benachrichtigen
zu lassen, auf eine solche Benachrichtigung ausdrücklich
verzichtet. Hieraus ist zu schließen, dass ein
rechtsfehlerfreies Verfahren, bei dem die Angeklagten bereits bei ihrer
Festnahme durch die Zollbeamten über ihr Recht aus Art. 36
Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK belehrt worden wären, zu
keinem anderen Entschluss der Angeklagten geführt
hätte und daher auch in diesem Falle eine Unterrichtung der
zuständigen Konsulate unterblieben wäre.
e) Die Revisionen der Angeklagten sind daher zu verwerfen.
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Allerdings hat es der 5. Strafsenat in seinem Beschluss vom 25.
September 2007 (5 StR 116/01 und 5 StR 475/02) für angezeigt
erachtet, in Fällen, in denen die Belehrung nach Art. 36 Abs.
1 Buchst. b Satz 3 WÜK völlig unterblieben ist,
diesem Verstoß im Wege einer Kompensation dadurch Rechnung zu
tragen, dass ein Teil der gegen den Angeklagten verhängten
Strafe für vollstreckt erklärt wird. Dieser Ansicht
vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Folgen, die
Verstöße gegen das Verfahrensrecht (gleich, ob
dieses nationalen oder völkervertragsrechtlichen Ursprungs
ist) in der Revisionsinstanz nach sich ziehen, sind in den
§§ 337, 338, 353, 354 StPO abschließend
geregelt: Beruht ein Urteil ganz oder teilweise auf einem
Verfahrensfehler, so ist es in dem entsprechenden Umfang aufzuheben;
ist ein Beruhen dagegen auszuschließen, so ist die Revision
zu verwerfen. Andere Möglichkeiten bestehen
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nicht. Insbesondere ist es dem Staat verwehrt, dem Angeklagten
Verfahrensverstöße, die sich auf das Urteil
ausgewirkt haben, durch einen Vollstreckungsrabatt
gewissermaßen "abzuhandeln"; denn dies würde auf die
Dauer zu einer nicht hinnehmbaren Relativierung des Verfahrensrechts
führen.
Aus der Rechtsprechung zur Kompensation konventions- und damit
gleichzeitig rechtsstaatswidriger Verstöße
insbesondere gegen das Gebot zügiger Durchführung von
Strafverfahren (Art. 5 Abs. 3 Satz 1, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK), kann
nichts Gegenteiliges abgeleitet werden. Diese Rechtsprechung beruht auf
den Besonderheiten der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten, insbesondere dem Verständnis, das Art. 34 MRK
in der Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte gefunden hat; den dort formulierten Grundsatz, dass der
Angeklagte für die besonderen immateriellen Belastungen, die
er durch die Verfahrensverzögerung erlitten hat, durch eine
ausdrückliche und bezifferte Kompensation zu
entschädigen ist, hat das Bundesverfassungsgericht als auch
aus der Rechtsstaatsgarantie verfassungsrechtlich abzuleitendes
Erfordernis bestätigt (s. näher den Vorlagebeschluss
des Senats NJW 2007, 3294 ff.). Hieran haben sich die Strafgerichte
auszurichten. Dies ändert indes nichts daran, dass es sich bei
dieser Kompensation um ein mit dem sonstigen Straf- und
Strafverfahrensrecht nur schwerlich in Einklang zu bringendes
Rechtsinstitut handelt. Es ist daher nicht auf Bereiche auszudehnen, in
denen seine Anwendung durch entsprechende völkervertrags- oder
verfassungsrechtliche Vorgaben nicht geboten ist. So liegt es bei
Verstö-ßen gegen Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3
WÜK. Weder das Konsularübereinkommen noch das
Rechtsstaatsgebot schreiben vor, dass der Angeklagte für ein
(zeitweiliges) Unterbleiben der Belehrung über das
Konsultationsrecht zu entschädigen ist. Vielmehr muss allein
gewährleistet sein, dass er den Verstoß im
Strafverfahren geltend machen und dort zur
Überprüfung stellen kann, ob
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dieser sich in maßgeblicher Weise auf seine
Verteidigungsrechte und damit gegebenenfalls auf seine Verurteilung
ausgewirkt hat (s. oben).
Die Auffassung des Senats weicht nicht in entscheidungserheblicher
Weise von der Rechtsansicht des 5. Strafsenats ab; denn dieser hat
ausdrücklich offen gelassen, ob im Falle einer alsbald
nachgeholten Belehrung, wie sie hier durch den Ermittlungsrichter
vorgenommen wurde, eine Kompensation nicht gänzlich
entbehrlich ist (Beschl. vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 und 5
StR 475/02, Rdn. 30).
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Becker Miebach Pfister
Hubert Schäfer |