BGH,
Urt. v. 20.2.2002 - 2 StR 486/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 486/01
vom
20. Februar 2002
in der Strafsache gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 20.
Februar 2002, an der teilgenommen haben: Vizepräsident des
Bundesgerichtshofes Dr. Jähnke als Vorsitzender, die Richter
am Bundesgerichtshof Dr. h.c. Detter, Dr. Bode, die Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Otten, der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr.
Fischer als beisitzende Richter, Bundesanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts
Frankfurt am Main vom 29. Mai 2001 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch
entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen
Mißbrauchs von Kindern und sexuellen Mißbrauchs von
Kindern in jeweils elf Fällen in Tateinheit mit dem
Sichverschaffen des Besitzes von kinderpornographischen Schriften,
sowie wegen Sichverschaffens des Besitzes von kinderpornographischen
Schriften in einem weiteren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
acht Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es die
Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus und
die Einziehung verschiedener Gegenstände angeordnet.
Die auf die Sachrüge gestützte Revision der
Staatsanwaltschaft richtet sich allein dagegen, daß das
Landgericht die Anordnung von Sicherungsverwahrung abgelehnt hat. Das
Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fertigte der Angeklagte
während eines vierwöchigen Besuchs seiner damals
fünfjährigen Nichte J. in 18 Fällen Film-
und Fotoaufnahmen von dem nackten Mädchen. Unter anderem
filmte der Angeklagte, wie er das Kind am Körper
berührte und mit ihm nachstellte, es werde geschlachtet. Er
hängte seine Nichte nackt und an den Füßen
gefesselt, mit dem Kopf nach unten, an einer in der Wohnung
angebrachten elektrischen Seilwinde auf, was ihn stark sexuell erregte.
Auch in diesem Zustand fotografierte und filmte er das Kind mit Hilfe
der auf einem Stativ stehenden Videokamera. Dabei faßte er es
an und stellte teilweise wiederum Schlachtszenen nach, indem er auch
mit einem Küchenmesser an dem Körper des Kindes
hantierte, ohne es aber zu verletzen. Obwohl es mit zunehmender Dauer
und Häufigkeit dieser Behandlung immer heftiger protestierte,
ließ der Angeklagte das Mädchen mehrfach einige
Minuten lang laut schreiend und weinend an der Seilwinde
hängen. Er kämpfte immer wieder mit der Idee, das
Mädchen umzubringen, damit sie ihn nicht verraten
könnte, konnte diesen Drang aus Zuneigung zu dem Kind aber
überwinden.
Wenige Wochen vor den geschilderten Vorfällen
überredete der Angeklagte seine damals 13jährige
Nichte N. zu fünf Besuchen in seiner Wohnung, nach denen sie
jeweils Geldbeträge zwischen 20 und 100 DM erhielt. Auch
während dieser Besuche fertigte der Angeklagte Videoaufnahmen,
wobei er das nie völlig entkleidete Mädchen zum Teil
fesselte und u.a. in dessen Genital- und Analbereich manipulierte.
2. Der Angeklagte weist eine schwere sexuelle Perversion in Form des
Sadismus mit geringfügigen masochistischen Zügen und
kannibalistischen sowie pädophilen Neigungen auf. Infolge
dieser als schwere andere seelische Abartigkeit zu qualifizierenden
Störung war er bei allen Taten in seiner
Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt, ohne
daß seine Schuldfähigkeit gänzlich
aufgehoben war. Der Angeklagte, der eine von Gewalt und sexuellem
Mißbrauch geprägte Kindheit erlebte, hatte seit
seinem zwanzigsten Lebensjahr abnorme sexuelle Phantasien entwickelt,
die z.B. das Aufhängen und Schlachten von Frauen zum
Gegenstand hatten. Er befriedigte seine Bedürfnisse viele
Jahre lang mit Hilfe einschlägiger pornographischer Videos.
Auch sammelte er Zeitungsartikel über Kannibalen und
Massenmörder von Kindern; aus Werbeblättern mit
Abbildungen aufgehängter Schweinehälften und Fotos
kleiner blonder Mädchen fertigte er Collagen. Kurz vor den
oben geschilderten Geschehnissen hatte der nicht einschlägig
vorbestrafte Angeklagte bereits unter einem Vorwand zwei kleine
Mädchen zu sich nach Hause mitgenommen, diese dann aber
unbehelligt gehen lassen.
Die angeordnete Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus hat die
Kammer damit begründet, daß sämtliche Taten
in der sexuellen Abnormität des Angeklagten wurzeln und er
auch zukünftig für die Allgemeinheit sehr
gefährlich ist. Das Landgericht meint aber, bei dem
Angeklagten liege kein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im
Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB vor, da für ihn
nicht eine so schwere Störung prognostiziert werden
müsse, daß die Allgemeinheit vor ihm nur im Wege der
Sicherungsverwahrung geschützt werden könne. Es sei
nicht auszuschließen, daß der Angeklagte in der
Lage sein werde, im Rahmen der Unterbringung seine positiven
Charaktereigenschaften dauerhaft zu mobilisieren und in Zukunft bei
genügend gefestigten Lebensstrukturen seinen Sexualtrieb
ausreichend zu beherrschen.
II. Die Begründung, mit der das Landgericht die materiellen
Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung verneint, ist nicht frei von
Rechtsfehlern. Diese führen gleichwohl nicht zur Aufhebung des
Urteils, weil die Anordnung von Sicherungsverwahrung gegen den
Angeklagten im Ergebnis zu Recht unterblieben ist.
1. Unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen ist die Wertung
des Landgerichts zu § 63 StGB einerseits und § 66
StGB andererseits in sich widersprüchlich. Die Kammer geht bei
dem Angeklagten aufgrund der sexuellen Perversion von einem seine
Schuldfähigkeit dauernd beeinträchtigenden Zustand
aus und stellt fest, daß alle abgeurteilten Taten in seiner
sexuellen Abnormität wurzeln, er daher auch in Zukunft
für die Allgemeinheit sehr gefährlich ist. Mit dieser
Beurteilung unvereinbar ist der dann gezogene Schluß, der
Angeklagte weise keinen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten auf.
Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB
verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters,
der ihn immer wieder neue Straftaten begehen läßt.
Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten
entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer
wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet,
ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer
Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Entscheidend ist
nur das Bestehen des verbrecherischen Hanges, nicht dessen Ursache,
denn anders als bei dem die Gefährlichkeit
begründenden Zustand im Sinne der §§ 63, 64
StGB beschreibt das Gesetz seine möglichen Ursachen nicht
(vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; BGH NStZ 1999, 502; BGHSt
24, 160, 161). Die hier abgeurteilten Anlaßtaten stellen sich
ohne weiteres als symptomatisch für die verbrecherische
Neigung des Angeklagten dar, da sich in ihnen ein Hang zur Begehung
erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 3 S. 1 StGB
bereits hinreichend manifestiert hat.
Auch die weitere Argumentation in dem angefochtenen Urteil begegnet
rechtlichen Bedenken. Denn die Strafkammer stellt im Rahmen der
Gefährlichkeitsprognose nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB
auf eine - allenfalls mögliche, mehr erhoffte als erwartete -
weitere positive Entwicklung des Angeklagten ab. Für die
Beurteilung der Gefährlichkeit des Täters sind aber
die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Urteilsfindung entscheidend
(st.Rspr., BGHSt 24, 160, 164; BGH NStZ-RR 1998, 206). Zwar
können im Rahmen der Ermessensentscheidung (§ 66 Abs.
2, Abs. 3 Satz 2 StGB) auch solche Gesichtspunkte beachtlich sein, die
sich auf den voraussichtlichen Zeitpunkt der Entlassung beziehen; die
Gefährlichkeit eines Täters kann u.U. dann verneint
werden, wenn schon bei Urteilsfindung mit Sicherheit angenommen werden
kann, daß sie bei Ende des Vollzugs der Strafe nicht mehr
bestehen wird. Die bloße Möglichkeit
künftiger Besserung oder die Hoffnung auf sich
ändernde Lebensumstände können die
Gefährlichkeit eines Täters jedoch nicht
ausräumen (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 206; Urteil vom 7. November
2000 - 1 StR 377/00).
Der Hangtäter ist für die Allgemeinheit
gefährlich, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, daß
er auch in Zukunft Straftaten begehen wird und diese eine erhebliche
Störung des Rechtsfriedens darstellen. Diese
Wahrscheinlichkeit ist regelmäßig schon gegeben,
wenn die Eigenschaft als Hangtäter festgestellt ist. Nur wenn
zwischen der letzten Hangtat und dem Zeitpunkt der
Urteilsverkündung neue Umstände eingetreten sind, die
die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten entfallen lassen,
kann die Gefährlichkeit verneint werden; dabei müssen
diese Umstände feststehen (BGHR StGB § 66 Abs. 1
Gefährlichkeit 1, 3 und 5 m.w.N.).
Daß von dem Angeklagten zur Zeit der Urteilsfindung die
Gefahr weiterer, den Anlaßtaten vergleichbarer Straftaten
ausging, ergibt sich aus den Urteilsgründen zu Entstehung,
Verlauf, Ausbruch und Weiterentwicklung der sexuellen Perversion des
Angeklagten. Umstände, die die hieraus folgende
Gefährlichkeitsprognose entkräften könnten,
sind weder festgestellt noch sonst ersichtlich. Unerheblich ist bei der
Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 66
StGB, daß möglicherweise der Gefährlichkeit
des Angeklagten auch durch eine Unterbringung nach § 63 StGB
begegnet werden kann.
2. Unbeschadet der fehlerhaften Rechtsanwendung durch das Landgericht
ist die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung im Ergebnis aber nicht
zu beanstanden. Denn bei der hier gegebenen Konstellation ist im
Hinblick auf § 72 StGB für die Verhängung
von Sicherungsverwahrung kein Raum.
Liegen sowohl die Voraussetzungen des § 63 StGB als auch des
§ 66 StGB vor, ist die kumulative Anordnung beider
Maßregeln grundsätzlich möglich, da die
Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gegenüber der
Sicherungsverwahrung kein geringeres, sondern ein anderes Übel
darstellt (st.Rspr., vgl. BGHSt 5, 312, 314; BGH NStZ 1998, 35). Unter
Beachtung des Grundsatzes, daß der Sicherungsverwahrung als
"letztes Mittel der Kriminalpolitik" in starkem Maße
ultima-ratio-Charakter zukommt (vgl. BGHSt 30, 220, 222; Gesetzentwurf
der Bundesregierung zum SexualdelBekG vom 14. November 1997, BTDrucks.
13/8586, S. 8), wird eine Anordnung beider Maßregeln freilich
nur ausnahmsweise erfolgen, sofern die Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus zur Erreichung des Maßregelzwecks
- Abwehr der Gefährlichkeit des Täters - im
Einzelfall nicht ausreicht und Gründe vorliegen, die ein
Nebeneinander der beiden Maßregeln
zweckmäßig erscheinen lassen. Ausschlaggebend
für die Auswahl oder Häufung der Maßregeln
sind dabei die besonderen Umstände des Einzelfalles (BGHSt 5,
315).
Wenn - wie im vorliegenden Fall - der im Rahmen von § 66 StGB
vorausgesetzte Hang ausschließlich auf einen psychischen
Defekt zurückgeht, welcher gleichzeitig die erheblich
verminderte Schuldfähigkeit begründet, ist die
Unterbringung nach § 63 StGB vorrangig und deren alleinige
Anordnung im Regelfall auch ausreichend (vgl. BGHR StGB § 63
Konkurrenzen 3; BGH NStZ 1998, 35; BGHSt 42, 306, 308). Da §
63 StGB das Bestehen von Heilungsaussichten nicht voraussetzt, sondern
auch dem Schutz der Allgemeinheit vor kranken und gefährlichen
Tätern dient, gilt dies prinzipiell auch bei mangelnder oder
zweifelhafter Therapierbarkeit des Angeklagten (vgl. BGH NStZ 1995,
588; 1998, 35). Daß die Unterbringung von schwer oder gar
nicht therapiefähigen Sexualstraftätern im
psychiatrischen Krankenhaus tatsächliche Schwierigkeiten in
der Vollzugspraxis mit sich bringt (vgl. Gutachten der
unabhängigen Expertenkommission vom 31. Januar 1996, MSchrkrim
1996, 147, 156 f.; Hanack in LK 11. Aufl. § 72 Rdn. 25),
vermag an der rechtlichen Ausgangssituation nichts zu ändern.
Abweichend von dem dargelegten Grundsatz kann sich ein
Bedürfnis für die zusätzliche Anordnung der
Sicherungsverwahrung neben der Unterbringung (§ 72 Abs. 2
StGB) ausnahmsweise dann ergeben, wenn im konkreten Fall zu besorgen
ist, daß der von § 63 StGB vorausgesetzte Zustand
des Täters - etwa nach erfolgreicher Therapie oder aus anderen
Gründen - später entfällt, die
Gefährlichkeit aufgrund eines weiterhin gegebenen Hanges aber
gleichwohl fortbesteht. Denn bei Wegfall der gesetzlichen
Voraussetzungen des § 63 StGB wäre diese
Maßregel in analoger Anwendung des § 67c Abs. 2 S. 5
StGB für erledigt zu erklären, selbst wenn von dem
Untergebrachten weiterhin Straftaten zu befürchten sind (vgl.
BGHSt 42, 306, 310; OLG Hamm NStZ 1982, 300; OLG Karlsruhe MDR 1983,
151; OLG Frankfurt StV 1985, 117). Anhaltspunkte für eine
derartige Konstellation sind den Urteilsgründen nicht zu
entnehmen. Bei der hier gegebenen Sachlage ist auch nicht ersichtlich,
daß weitere, in diese Richtung gehende Feststellungen zu
treffen wären.
Jähnke Detter Bode
Otten Fischer
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