BGH,
Urt. v. 20.2.2002 - 5 StR 538/01
5 StR 538/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 20. Februar 2002
in der Strafsache gegen
1.
2.
3.
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 20.
Februar 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Basdorf, Richterin Dr. Gerhardt, Richter Dr. Brause, Richter
Schaal als beisitzende Richter, Richterin am Landgericht als Vertreter
der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt D , Rechtsanwalt B als Verteidiger
für den Angeklagten M , Rechtsanwalt Ba ,
Rechtsanwältin Bau als Verteidiger für den
Angeklagten T , Rechtsanwalt Z als Verteidiger für den
Angeklagten To , Rechtsanwältin Br als Vertreterin der
Nebenklägerin D , Justizhauptsekretärin als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Bremen vom 4. April 2001, soweit es die Angeklagten To , T
und M betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Von der Aufhebung ausgenommen sind die Feststellungen zum
Geschehensablauf der Tat, zum Tötungsvorsatz und zur
gemeinschaftlichen Tatbegehung der genannten drei Angeklagten; diese
Feststellungen bleiben aufrechterhalten.
2. Die Revisionen der Angeklagten To , T und M gegen das vorgenannte
Urteil werden verworfen.
3. Die Angeklagten tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel und die den
Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen der
Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
I.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Totschlags in zwei
Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen zwischen 13 und 15 Jahren
verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützten
Revisionen der Angeklagten decken keinen zu ihrem Nachteil wirkenden
Rechtsfehler auf. Dagegen haben die Revisionen der Staatsanwaltschaft,
die mit der Sachrüge die Verurteilung der Angeklagten wegen
Totschlags anstelle wegen Mordes beanstandet, Erfolg.
II.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen sind die in der
Türkei geborenen Angeklagten kurdischer
Volkszugehörigkeit. Während die Angeklagten M und To
seit 1985 in Deutschland leben und als Asylberechtigte anerkannt sind,
ist der Asylantrag des seit 1997 in Deutschland lebenden Angeklagten T
abgelehnt worden. Alle Angeklagten wie auch die beiden
späteren Tatopfer hielten sich in den vergangenen Jahren in
Bremen im wesentlichen im kurdischstämmigen Umfeld auf und
entwickelten unterschiedlich starke Aktivitäten für
die in Deutschland vereinsrechtlich verbotene "Arbeiterpartei
Kurdistans" (Partya Karkeren Kurdistan, PKK).
A nahm als Kurde an dem bewaffneten Kampf der PKK in der
Türkei teil. Er erlitt bei einem Schußwechsel eine
Querschnittslähmung, so daß er beide Beine nicht
mehr bewegen konnte und an den Rollstuhl gebunden war. Er kam 1994 im
Alter von 18 Jahren nach Bremen, wurde als Asylbewerber anerkannt und
war für die dortigen Sympathisanten der PKK ein Kriegsheld.
Ende 1998 lernte er die damals 17 Jahre alte D kennen, die 1996 mit
ihren kurdischen Eltern und Geschwistern nach Bremen gekommen war.
Beide wollten heiraten, hielten dies aber zunächst vor den
Eltern D geheim. Entgegen den herkömmlichen Regeln der
kurdischen Gesellschaft teilte A der Mutter mit, daß er
beabsichtige D zu heiraten. Als deren Vater davon erfuhr, lehnte er ein
solches Ansinnen kategorisch ab. Er betrachtete A vor allem "als
Behinderten, der schon daher nicht der richtige Mann für seine
Tochter" sei. Außerdem war er der Auffassung, daß A
als PKK-Mitglied nicht heiraten dürfe. Der Vater machte
deshalb dem Verantwortlichen der PKK für das Gebiet Bremen
Vorwürfe. Er fühlte sich in seiner Ehre verletzt und
verlangte von der PKK die Wiederherstellung seiner Ehre, da nach seinem
Verständnis A ein "Kader" der PKK war und diese auch
für dessen Verhalten verantwortlich war.
Mehrere Versuche des Vaters und von ihm beauftragter Personen, die
Beziehung zu beenden, scheiterten. Vielmehr zog D im Mai 1999 sogar zu
A in dessen Wohnung. In der kurdischen Gemeinschaft wurde das Vorgehen
der beiden jungen Leute ebenfalls nicht gutgeheißen.
Insbesondere A wurde zunehmend ausgegrenzt. Dennoch heirateten A und D
Anfang Juni 1999 heimlich in einer Moschee nach islamischem Recht.
Da die als unehrenhaft empfundene Beziehung zwischen A und D in den
kurdischen Kreisen weiterhin Gesprächsstoff war,
fühlte sich der Gebietsverantwortliche der PKK zur
Lösung des Problems aufgerufen. In den Morgenstunden des 24.
August 1999 befahl er zunächst den Angeklagten To und M und
kurz darauf auch dem Angeklagten T , den A und die D zu töten.
Die Angeklagten waren zwar "konsterniert über den ihnen
gegebenen Tötungsbefehl". Sie versuchten den
Tötungsbefehl abzuwenden, unterwarfen sich diesem aber
schließlich.
Die Angeklagten fuhren unter einem Vorwand mit den beiden Opfern zu
einer einsam gelegenen Stelle am Außendeich der Weser.
Nachdem alle Personen aus dem Fahrzeug ausgestiegen waren, begannen die
Angeklagten mit der Tötung der beiden Opfer, ohne auf deren
Flehen zu reagieren. Zunächst packten die Angeklagten T und To
die D an den Armen und zogen sie über die Deichkrone etwa 75
Meter weit in Richtung des Weserufers. Sodann wurde ihr Kopf mehrere
Minuten in den Schlick gedrückt, bis sie erstickte. Um ihren
Tod sicherzustellen, wurde auf ihren Kopf noch Schlick
aufgehäuft. Die Angeklagten T und To wendeten sich nun dem A
zu, der sich in der Nähe des Autos befand. Einer der beiden
Angeklagten schlug mit einem Radmutterschlüssel elfmal mit
Wucht auf dessen Kopf ein. Außerdem wurde weitere Gewalt
gegen ihn angewendet, so daß er unter anderem mehrere
Schädelbrüche erlitt. Zusätzlich fuhr der
Angeklagte M mit dem Fahrzeug zweimal gegen das auf dem Boden liegende
Opfer und schleifte es mit. Nach etwa 15 bis 30 Minuten verstarb A .
III. Revisionen der Angeklagten
Die Sachrügen sind unbegründet. Die Verurteilung der
Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Totschlags in zwei Fällen
enthält keinen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil. Die
Einwendungen der Revisionen sind offensichtlich unbegründet.
IV. Revisionen der Staatsanwaltschaft
1. Das Landgericht hat die Tat rechtsfehlerfrei als gemeinschaftlich
begangene vorsätzliche Tötung in jeweils zwei
Fällen beurteilt. Es hat auch angenommen, daß "die
Tötung von zwei sich liebenden Personen letztlich allein der
Zuneigung dieser Personen zueinander wegen, die sie nicht bereit sind
aufzugeben, regelmäßig und objektiv als besonders
verwerflich und sozial rücksichtslos anzusehen" ist. Der
Tatrichter hat aber das Vorliegen einer Tötung aus niedrigen
Beweggründen verneint, weil in der gegebenen Situation "nach
den archaischen Sitten- und Wertvorstellungen aller beteiligten
Personen eine Schlichtung nicht mehr möglich" war, die
"Tötung der Beziehungspartner selbst in diesem extremen Fall
danach erlaubt" sei, für die Angeklagten "Fragen der Ehre und
Angst vor der sozialen Ausgrenzung im Vordergrund" standen und es "den
Angeklagten aufgrund ihrer stark verinnerlichten heimatlichen
Wertvorstellungen nicht bewußt war, daß ihre
Beweggründe objektiv als besonders verwerflich und sozial
rücksichtslos anzusehen" sind; letzteres beanstandet die
Staatsanwaltschaft zu Recht.
a) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat "niedrig"
sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe
stehen, mithin in deutlich weiterreichendem Maße als bei
einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders
verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung
aller äußeren und inneren für die
Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren
zu erfolgen (vgl. BGHSt 35, 116, 127; BGH StV 1996, 211, 212). Dabei
ist der Maßstab für die Bewertung eines Beweggrundes
den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland
und nicht den Anschauungen einer Volksgruppe, die die sittlichen und
rechtlichen Werte dieser Rechtsgemeinschaft nicht anerkennt, zu
entnehmen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige
Beweggründe 29; BGH, Beschl. vom 24. April 2001 - 1 StR
122/01; Jähnke in LK 10. Aufl. § 211 Rdn. 39). Nur
ausnahmsweise, wenn dem Täter bei der Tat die
Umstände nicht bewußt waren, die die Niedrigkeit
seiner Beweggründe ausmachen, oder wenn es ihm nicht
möglich war, seine gefühlsmäßigen
Regungen, die sein Handeln bestimmen, gedanklich zu beherrschen und
willensmäßig zu steuern (vgl. BGHR StGB §
211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 2, 4, 10, 12, 15, 24, 28),
kann anstatt einer Verurteilung wegen Mordes aus niedrigen
Beweggründen lediglich eine Verurteilung wegen Totschlages in
Betracht kommen. Dieser Anforderung werden die Ausführungen
des Landgerichts nicht gerecht.
Allerdings hat das Landgericht sich mit der Frage, welche Motive der
Tat zugrunde liegen, durchaus auseinandergesetzt. Es hat aber innerhalb
dieser Prüfung nicht alle Umstände bedacht, die
für die Beurteilung der Beweggründe als insgesamt
niedrig von Bedeutung sein können. Es hat dabei nicht in
Betracht gezogen, daß der von A nach Auffassung der drei
Angeklagten durch die "Entführung" als solcher begangene
Verstoß gegen die Regeln ihrer Gesellschaft und der Partei
"aus Sicht der Angeklagten durchaus eine Maßregelung, aber
nicht eine Tötung" rechtfertigte. Über den
Tötungsbefehl waren die Angeklagten hiernach aufgrund ihrer
eigenen Wertvorstellungen entsetzt.
Zu Unrecht hat das Landgericht bei der Bewertung der
Beweggründe der Angeklagten zudem nicht ausdrücklich
erwogen, daß - wie an anderer Stelle des Urteils
ausgeführt wird - den Angeklagten "im Fall einer
Befehlsverweigerung keinesfalls eine Bestrafung in Form von
körperlichen Übergriffen oder gar einer
Tötung" drohte. Schlimmstenfalls mußten sie "mit
einem Ansehens- und Ehrverlust innerhalb der kurdischen Gemeinschaft,
eventuell auch mit einer Ausgliederung aus dem Leben der kurdischen
Gemeinschaft" rechnen. Die den Angeklagten vom Landgericht bei der
rechtlichen Würdigung zugute gehaltene Motivation kann vor dem
Hintergrund der befohlenen Tat nicht abstrakt und losgelöst
von den Beweggründen der Befehlsgeber beurteilt werden. Die
hochgradige Verwerflichkeit des Tötungsbefehls war den
Angeklagten bekannt. Sie führten den Befehl gleichwohl aus,
ohne daß ihnen für den Fall der Verweigerung
verglichen mit dem furchtbaren Tatgeschehen auch nur annähernd
gleichermaßen schlimme Konsequenzen gedroht hätten.
Unter diesen Voraussetzungen liegt es nahe, ihre eigenen
Beweggründe als niedrig zu bewerten.
Zudem hat das Landgericht weitere Umstände nicht bedacht, die
gegen die Annahme sprechen, daß die Angeklagten nicht
erfaßt hatten, daß ihre eigenen Wertvorstellungen,
die ihnen die Wiederherstellung der Ehre aufgaben, in dieser Form in
der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland keine Billigung
finden. Gegen die bereits seit 1985 in Deutschland lebenden Angeklagten
To und M ist 1991 ein Strafverfahren wegen versuchten Totschlags
geführt worden, weil sie mit weiteren Mittätern auf
einer Kurdenhochzeit daran mitgewirkt haben sollen, daß ein
türkischer Asylbewerber aus Blutrache niedergeschlagen und mit
einem Messer in die Brust gestochen wurde. Der Angeklagte T lebt zwar
erst seit 1997 in Deutschland. Er hat nach den getroffenen
Feststellungen aber ein "ambivalentes Verhältnis zum
kurdischen Verein und zur PKK". Der Sache des "Volkes" fühlte
er sich durchaus verbunden, war aber nicht gewillt, stärkere
Aktivitäten für den Verein bzw. die PKK zu entfalten.
2. Die Verneinung weiterer Mordmerkmale - angesichts der insoweit
hinreichenden Feststellungen zur Motivlage auch das Merkmal der
Grausamkeit betreffend - erweist sich hingegen letztlich als
rechtsfehlerfrei.
3. Die Feststellungen des Tatrichters, die den bisherigen Schuldspruch
wegen gemeinschaftlichen Totschlags tragen, sind rechtsfehlerfrei
getroffen worden; sie können sämtlich bestehen
bleiben. Aufzuheben sind mit dem Schuldspruch und dem gesamten
Strafausspruch daher lediglich die bislang mangelhaften Feststellungen
zum Motiv, wegen des Zusammenhangs auch die zur
Schuldfähigkeit. Die maßgeblichen Feststellungen im
Zusammenhang mit der Tatplanung sind unter Berücksichtigung
der Auffassung des Senats von einem neuen Tatrichter zu treffen, der
danach zu entscheiden haben wird, ob die Angeklagten wie bislang oder
aber wegen gemeinschaftlichen Mordes aus niedrigen
Beweggründen zu verurteilen sind.
Harms Basdorf Gerhardt
Brause Schaal
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