BGH,
Urt. v. 20.2.2003 - 3 StR 222/02
3 StR 222/02
1. StPO § 200, § 265 Abs. 1 und 4
Auch bei einer durch die Natur der Sache bedingt im
Tatsächlichen ungenauen Fassung der Anklageschrift (vgl. BGHSt
40, 44) ist ein Hinweis entsprechend § 265 StPO
grundsätzlich nicht vorgeschrieben, wenn sich im Laufe der
Hauptverhandlung nähere Konkretisierungen von
Einzelfällen durch genauere Beschreibungen von
Tatmodalitäten oder Begleitumständen ergeben
(Abgrenzung zu BGHSt 44, 153). Ein Hinweis kann nur ausnahmsweise
geboten sein, etwa um das Recht des Angeklagten auf rechtliches
Gehör oder den Schutz vor Überraschungsentscheidungen
zu gewährleisten.
2. StPO § 59, § 61 Nr. 2
Wird ein Zeuge in einem späteren Abschnitt einer
Hauptverhandlung noch einmal vernommen, bedarf es einer neuen
Entscheidung über die Vereidigung. Diese umfaßt
grundsätzlich die gesamte bisherige Aussage des Zeugen.
3. StPO § 247
War der Angeklagte, der für die Dauer der Vernehmung eines
Zeugen nach § 247 StPO ausgeschlossen war, bei der Verhandlung
und Entscheidung über dessen Vereidigung verfahrensfehlerhaft
nicht anwesend, so wird der Verfahrensfehler
regelmäßig geheilt, wenn die Verhandlung und
Entscheidung über die Vereidigung desselben Zeugen nach einer
erneuten Vernehmung in Anwesenheit des Angeklagten stattfindet.
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
20. Februar 2003
in der Strafsache gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat aufgrund der
Verhandlungen vom 19. Dezember 2002 und vom 13. und 20. Februar 2003,
an denen teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Tolksdorf, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach,
Winkler, Pfister, Hubert als beisitzende Richter,
Staatsanwältin - am 19. Dezember 2002, 13. und 20. Februar
2003 -, Bundesanwalt - am 19. Dezember 2002 - als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger - am 19. Dezember 2002
und 13. Februar 2003 - , Rechtsanwältin als Vertreterin der
Nebenklägerinnen - am 19. Dezember 2002 und 13. Februar 2003
-, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Mönchengladbach vom 22. Oktober 2001 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und
die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen
notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen
Mißbrauchs von Kindern in drei Fällen und sexuellen
Mißbrauchs von Schutzbefohlenen in drei Fällen zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und ihn
im übrigen freigesprochen. Die hiergegen gerichtete Revision
des Angeklagten rügt die Verletzung formellen und materiellen
Rechts. Sie bleibt ohne Erfolg.
I. Entgegen der Auffassung der Revision liegt eine wirksame Anklage
vor; ein Verfahrenshindernis besteht deshalb nicht. Lassen sich - wie
hier - wegen der Gleichförmigkeit der Begehungsweise und der
lange zurückliegenden Tatzeiten aufgrund der Angaben der
Geschädigten im Ermittlungsverfahren keine konkreten
Einzelfälle im Anklagesatz darstellen, so wird den
Anforderungen an die gebotene Individualisierung der Taten dadurch
genügt, daß in der Anklage das Tatopfer, die Art und
Weise der Tatbegehung in ihren Grundzügen, ein bestimmter
Tatzeitraum und die Zahl der den Gegenstand des Vorwurfs bildenden
Straftaten mitgeteilt werden (vgl. BGHSt 40, 44, 46 f.). Diesen
Anforderungen entspricht die Anklage. Daß das Tatgeschehen
bei einem Teil der Fälle lediglich als Geschlechtsverkehr des
Angeklagten mit dem Opfer beschrieben wird, ist ersichtlich Folge des
dort immer wieder gleich oder sehr ähnlich ablaufenden
Geschehens.
II. Die Rüge, das Landgericht habe § 265 StPO
verletzt, weil es angesichts der in den Tatkomplexen II 7 und 8 ungenau
gefaßten Anklageschrift den Angeklagten hätte
unterrichten müssen, welchen genaueren Geschehensablauf es dem
weiteren Verfahren zugrunde legen wolle, ist unbegründet.
1. In der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen
Anklageschrift wurde dem Angeklagten zur Last gelegt, in der Zeit
zwischen Anfang 1994 und dem 14. Geburtstag seiner Tochter am 30.
September 1996 in mindestens 33 Fällen mit ihr den
Geschlechtsverkehr vollzogen (Komplex II 7 der Anklage) sowie dieses
Verhalten vom September 1996 bis Mai 1997 in mindestens acht weiteren
Fällen fortgesetzt zu haben (Komplex II 8 der Anklage).
Das Landgericht hat den Angeklagten im Komplex II 7 der Anklage unter
Freisprechung im übrigen wegen eines sexuellen
Mißbrauchs verurteilt (Fall II 2 c der
Urteilsgründe) und hierzu festgestellt, der Angeklagte habe
seine 12 oder 13 Jahre alte Tochter Jessica ins Schlafzimmer gerufen,
wo er sie unter dem Vorwand, er müsse ein etwaiges
Übergewicht feststellen, veranlaßt habe, sich
auszuziehen. Sodann habe er den Körper des Kindes mit einem
Maßband vermessen, es aufgefordert, sich auf das Bett zu
knien, von hinten mit ihm den Geschlechtsverkehr durchgeführt
und in ein mitgebrachtes Handtuch ejakuliert. Zum Komplex II 8 der
Anklage hat das Landgericht den Angeklagten in drei
Einzelfällen des sexuellen Mißbrauchs von
Schutzbefohlenen schuldig gesprochen. Nach den Feststellungen zum Fall
II 2 d der Urteilsgründe vollzog der Angeklagte mit seiner
etwa 14 Jahre alten Tochter den Geschlechtsverkehr, nachdem er sie auf
ihrem Bett eine Zeitschrift lesend angetroffen und sie gefragt hatte,
ob sie wisse, wo der "G-Punkt" sei. Im Fall II 2 e der
Urteilsgründe kürzte der Angeklagte als Belohnung
für das Stillhalten seiner Tochter beim festgestellten
Geschlechtsverkehr einen zuvor verhängten
vierwöchigen Stubenarrest ab. Im Fall II 2 g der
Urteilsgründe kam es zum Geschlechtsverkehr mit der etwa 14
Jahre alten Tochter, als diese in der Badewanne unter dem Angeklagten
lag und dabei wegen des ihr bis zum Kinn stehenden Wassers
Beklemmungsgefühle verspürte; der Angeklagte
ejakulierte ins Wasser und forderte seine Tochter auf, die Badewanne
umgehend zu verlassen.
2. Bei dieser Sachlage beanstandet der Beschwerdeführer zu
Unrecht, daß ihm ein gebotener Hinweis nicht erteilt worden
sei und er deswegen nicht habe erkennen können, daß
das Gericht beabsichtige, die in den Ziffern II 7 und 8 enthaltenen
Anklagevorwürfe, soweit er verurteilt worden ist, wie
geschehen zu konkretisieren.
a) Zutreffend ist allerdings, daß der Bundesgerichtshof in
seiner jüngeren - von der Literatur durchweg zustimmend
wiedergegebenen (vgl. u. a. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO
24. Aufl. § 265 Rdn. 79; Meyer-Goßner, StPO 46.
Aufl. § 265 Rdn. 22 f.) - Rechtsprechung in einer Reihe von
Entscheidungen, auf die sich der Beschwerdeführer für
seinen Standpunkt beruft, ausgeführt hat, im Falle einer nach
der Natur der angeklagten Taten im Tatsächlichen
notwendigerweise ungenauen Fassung der Anklageschrift (vgl. BGHSt 40,
44) sei das Gericht verpflichtet, den Angeklagten zu unterrichten,
welchen genauen Tatablauf es dem weiteren Verfahren zugrunde legen
wolle (BGHSt 40, 44, 48; 44, 153; BGH NStZ 1999, 42). Dem entspricht
die Forderung, daß Mängel in der
Informationsfunktion der Anklage durch entsprechende Hinweise in der
Hauptverhandlung zu beheben seien (BGH NStZ 1996, 95).
Zu den näheren Voraussetzungen der Hinweispflicht in diesen
Fallkonstellationen wie auch zu den Anforderungen an die Art und Weise
der Erteilung des Hinweises finden sich unterschiedliche Aussagen:
aa) Es gibt Entscheidungen, die schlicht feststellen, daß das
Gericht, wenn sich die in der Anklage im Tatsächlichen nicht
oder wenig konkret beschriebenen Vorwürfe in der
Hauptverhandlung konkretisieren, mit Hinweisen nach oder entsprechend
§ 265 StPO zu reagieren hat (vgl. u. a. BGHSt 40, 44; 43, 293,
299; 44, 153; BGH NStZ 1996, 95). Entsprechende
Äußerungen sind aber nicht dahin zu verstehen,
daß jede Konkretisierung - und sei sie auch noch so
unbedeutend - die Verpflichtung zur Erteilung eines Hinweises
begründet. Kernaussage der zitierten Entscheidungen ist
vielmehr, daß eine Anklage ungeachtet ihrer
Konkretisierungsdefizite im Tatsächlichen wirksam ist, wenn
(und weil) die eigentlich gebotene Konkretisierung mit Blick auf
Besonderheiten der Sache nicht geleistet werden kann. Soweit zur
Kompensation solcher Anklagemängel eine Hinweispflicht
statuiert wird, sind die Erwägungen in diesen Entscheidungen
nicht tragend. Dementsprechend sind ihnen auch keine Anhaltspunkte zu
entnehmen, welchen Grad die Konkretisierung in der Hauptverhandlung
erreichen und welche Umstände (Tatzeit, Tatort,
Begleitumstände oder Ablauf der Tat) sie betreffen
muß, damit die Hinweispflicht entsteht. Das gilt auch
für das Urteil BGHSt 44, 153, das sich der Hinweispflicht in
zentralen - allerdings nicht entscheidungstragenden - Aussagen, auch
leitsatzmäßig, widmet und deren Entstehen daran
knüpft, daß sich "die Möglichkeit der
genaueren Beschreibung des Tatablaufs ergibt".
Eine nähere Beschreibung der Voraussetzungen der
Hinweispflicht enthält der Beschluß BGH NStZ 1996,
295 f.. Danach hat "das Gericht, wenn es bei einer zwar noch
zulässigen, aber ungenauen Fassung der Anklage - anders als
diese - von nach Ort, Zeit und Tatbegehung konkret bestimmten Taten
ausgehen will, den Angeklagten entsprechend § 265 StPO darauf
hinzuweisen". Ob diese Wendung wörtlich verstanden werden
will, die Hinweispflicht also eine Konkretisierung in Bezug auf Ort,
Zeit und Tatbegehung voraussetzt oder schon dann entsteht, wenn die
Hauptverhandlung konkretere Angaben zu einem dieser Umstände
ermöglicht, sich insbesondere etwa der in der Anklage noch
unbestimmte Tattag präzise festlegen läßt,
kann der Entscheidung auch unter Berücksichtigung ihrer
weiteren Ausführungen nicht eindeutig entnommen werden.
Außer Zweifel dürfte aber stehen, daß das
Gericht keine Hinweise zu erteilen braucht, wenn sich die
Konkretisierung auf Umstände beschränkt, die nicht
unmittelbar die Tat betreffen, sondern Feststellungen in Bezug auf die
Tatplanung oder -vorbereitung (so - unmittelbar allerdings für
den Fall der Veränderung der Sachlage gegenüber der
Anklage - BGH NStZ 2000, 48; BGH, Beschl. vom 5. April 2000 - 3 StR
95/00). Keine Hinweispflicht besteht, wenn die neuen Einzelheiten
"lediglich den Tatablauf näher kennzeichnen" (BGH StraFo 2003,
95). Dazu, ob die Konkretisierung Tatsachen betreffen muß, in
denen die Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes gefunden werden (so -
für die Hinweispflicht bei Veränderung der Sachlage
gegenüber der Anklage - BGH NStZ 2000, 48; BGH, Beschl. vom 5.
April 2000 - 3 StR 95/00), hat sich die Rechtsprechung nicht
geäußert.
bb) Hinsichtlich der Anforderungen an die Art und Weise, in der
erforderliche Hinweise zu erteilen sind, wird es teilweise für
ausreichend erachtet, daß der Angeklagte durch den Gang der
Hauptverhandlung unterrichtet wird (vgl. etwa BGH NStZ 1996, 295). Das
wird in anderen Entscheidungen dahin präzisiert, daß
es nicht ausreicht, wenn die neuen Gesichtspunkte lediglich von einer
Beweisperson im Rahmen von Vernehmungen oder der Erstattung von
Gutachten angesprochen werden; vielmehr muß das Gericht
selbst dem Angeklagten deutlich machen, daß es die in der
Anklage nicht enthaltenen neuen tatsächlichen
Umstände in seine Erwägungen einbeziehen will (BGH
NStZ-RR 1997, 72, 73 m. w. N.). Nach anderen Entscheidungen
muß er durch ausdrücklichen Hinweis konkret und
eindeutig unterrichtet werden (vgl. BGHSt 44, 153; BGH, Urt. vom 5.
November 2002 - 1 StR 254/02). Die vom 1. Strafsenat in der
Entscheidung BGHSt 44, 153 (auch im Leitsatz, allerdings obiter dictu)
vertretene Auffassung, die Unterrichtung "(müsse) -
regelmäßig im Hauptverhandlungsprotokoll -
dokumentiert werden" hat sich nicht durchgesetzt und wird auch vom 1.
Strafsenat - wie dieser ausdrücklich klargestellt hat - nicht
mehr vertreten (BGH, Urt. vom 5. November 2002 - 1 StR 254/02; BGH NJW
1999, 802 f.). 30
b) Der Senat zweifelt, ob die - auch von ihm (NStZ 1996, 95) vertretene
- Auffassung, daß Konkretisierungsdefizite der Anklage, die
sich aus der Natur der angeklagten Taten ergeben und ungeachtet ihrer
nachteiligen Auswirkungen für eine sachgerechte Verteidigung
hinzunehmen sind, in der Hauptverhandlung durch Hinweise nach oder
entsprechend § 265 StPO auszugleichen seien, zutrifft und ob
die dem entsprechende Rechtsprechung in dieser Allgemeinheit
fortgeführt werden kann. Nach erneuter
Überprüfung hält er, wenn sich im Laufe der
Hauptverhandlung nähere Konkretisierungen von
Einzelfällen durch genauere Beschreibungen von
Tatmodalitäten oder Begleitumständen ergeben, einen
gerichtlichen Hinweis, mit dem die Verfahrensbeteiligten
darüber informiert werden, daß auch diese sich durch
die Beweisaufnahme ergebenden Präzisierungen in die
Urteilsfindung einbezogen werden können, im Grundsatz
für nicht geboten. Ein solcher Hinweis, der lediglich
Informationsdefizite einer Anklageschrift ausgleichen soll, die
hinsichtlich der vorgeschriebenen Umgrenzung des Anklagevorwurfs ihre
Funktion erfüllt (anderenfalls wäre sie unwirksam,
vgl. BGHSt 40, 44, 45 m. w. N.), ist gesetzlich nicht vorgeschrieben
und im Regelfall auch mit Blick auf die Verteidigungsinteressen des
Angeklagten nicht geboten.
Für diese Auffassung spricht zunächst § 265
StPO. Die Vorschrift begründet schon nach ihrem Wortlaut eine
Hinweispflicht (nur) bei der Veränderung des rechtlichen
Gesichtspunkts (§ 265 Abs. 1 StPO) und beim Auftreten
straferhöhender oder die Anordnung einer Maßregel
der Besserung und Sicherung rechtfertigender Umstände
(§ 265 Abs. 2 StPO). Demgegenüber sieht sie als
Rechtsfolge auf bloße Veränderungen der Sachlage,
die nicht zugleich zu einer - hinweispflichtigen - Änderung
der rechtlichen Bewertung führt, ausschließlich die
Aussetzung der Hauptverhandlung vor, die das Gericht auf Antrag oder
von Amts wegen anzuordnen hat (§ 265 Abs. 3 und 4 StPO).
Diese differenzierte Regelung entspricht auch dem Sinn und Zweck des
§ 265 StPO, der den Angeklagten vor Überraschungen
schützen will (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25.
Aufl. § 265 Rdn. 5). Gelangt das Gericht zu einer
gegenüber der Anklage veränderten
Einschätzung der Rechtslage, so ist diese Änderung
aus der Beweisaufnahme und dem Gang der Hauptverhandlung ohne einen
entsprechenden Hinweis nicht ohne weiteres zu erkennen; im Interesse
des Angeklagten soll eine solche Änderung der rechtlichen
Bewertung, zumal sich auch das Gericht in der
Eröffnungsentscheidung festgelegt hat, welche Gesetze es
für anwendbar hält,
unmißverständlich kundgetan und der Hinweis als
wesentliche Förmlichkeit im Protokoll festgehalten werden.
Demgegenüber kann es dem Angeklagten und seiner Verteidigung
regelmäßig nicht verborgen bleiben, wenn sich -
aufgrund dessen Einlassung oder als Ergebnis der Beweisaufnahme - der
ihm vorgeworfene Sachverhalt anders oder konkreter darstellt, als in
der Anklage beschrieben. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber bei der
Formulierung des § 265 Abs. 4 StPO ausdrücklich eine
Hinweispflicht bei veränderter Sachlage gegenüber den
"erheblichen, in der Anklage nicht aufgeführten Tatsachen"
für entbehrlich gehalten, weil der Angeklagte
"vermöge seiner ununterbrochenen Anwesenheit in der
Verhandlung ... ausreichende Gelegenheit hat, sich mit den neuen
Ergebnissen der Verhandlung bekanntzumachen" (Hahn, Materialien zur
Strafprozeßordnung, Abt. 1 S. 209).
Dementsprechend würde in einem solchen Fall ein gerichtlicher
Hinweis darauf, daß es im weiteren von dem näher
konkretisierten Sachverhalt ausgehen will, die Verteidigungsposition
des Angeklagten nicht stärken, den Gang der Hauptverhandlung
aber unnötig und empfindlich stören. Im Regelfall
würde der gerichtliche Hinweis in der Sache auf die
bloße Wiederholung des Inhalts einer Zeugenaussage, unter
Umständen sogar der eigenen, nunmehr geständigen
Einlassung des Angeklagten, hinauslaufen und diesem nicht mehr
vermitteln, als das, wovon er ohnehin ausgeht, nämlich
daß auch das Gericht - wie er selbst - die den Sachverhalt
konkreter als die Anklage beschreibenden Bekundungen zur Kenntnis
genommen hat und sich mit ihnen auseinandersetzen wird.
Die Annahme einer grundsätzlichen gerichtlichen Hinweispflicht
in den hier in Rede stehenden Fällen läßt
sich zudem kaum damit in Einklang bringen, daß aus §
265 StPO keine Pflicht zur Unterrichtung folgt, wenn das Gericht die
Aussage eines Zeugen etwa anders als die Verteidigung verstanden hat,
und daß sich das Gericht auch zu Inhalt und Ergebnis
einzelner Beweiserhebungen nicht erklären muß (BGHSt
43, 212). Hinzu kommt schließlich, daß - wie
dargelegt - handhabbare Kriterien, bei welchem Grad der Konkretisierung
des (zulässigerweise) unbestimmt angeklagten Verhaltens die
Hinweispflicht entsteht, bislang nicht gefunden sind (siehe zu a) aa))
und sich auch kaum finden lassen dürften.
All diese Bedenken gegen die Anerkennung einer prinzipiellen
Verpflichtung des Gerichts, auf im Vergleich zur Anklage neu
hervorgetretene Tatsachen hinzuweisen, schließen freilich
nicht aus, daß im Einzelfall ausnahmsweise eine solche
Pflicht bestehen kann, um das rechtliche Gehör des Angeklagten
zu gewährleisten, ihm eine sachgerechte Einstellung der
Verteidigung zu ermöglichen oder ihn vor
Überraschungsentscheidungen zu schützen. Sie mag
unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens oder der gerichtlichen
Fürsorgepflicht begründet sein und etwa dann in
Betracht kommen, wenn das Tatgericht durch eine zunächst
geäußerte Sacheinschätzung einen
Vertrauenstatbestand geschaffen hat, aber im weiteren Verlauf der
Hauptverhandlung zu anderen Erkenntnissen gelangt (vgl. Julius in
HK-StPO, 3. Aufl. § 265 Rdn. 10). Denkbar erscheint dem Senat
eine Hinweispflicht auch dann, wenn aus dem Verteidigungsverhalten des
Angeklagten offenbar wird, daß dieser nicht erkannt hat,
daß sich das ihm mit der Anklage noch unbestimmt vorgeworfene
Verhalten nach Tatzeit, Tatort oder wesentlichen Einzelheiten des
Tatablaufs in bestimmter Weise konkretisiert hat.
c) Gemessen daran war das Landgericht nicht verpflichtet, den
Angeklagten im Anschluß an die Vernehmung der
Geschädigten darauf hinzuweisen, daß es in
Erwägung ziehe oder beabsichtige, dem Schuldspruch die im
Urteil festgestellten - gegenüber der Anklage in Bezug auf
Tatzeiten, Tatorte und Begleitumstände näher
konkretisierten - Sachverhalte zugrundezulegen. Eine solche
Hinweispflicht besteht im Grundsatz nicht. Eine Ausnahmekonstellation,
in der sie begründet sein könnte, hat die Revision
nicht geltend gemacht und ist dem Revisionsvorbringen auch sonst nicht
zu entnehmen.
d) Die Sache gibt zu einer Anfrage bei den anderen Strafsenaten des
Bundesgerichtshofes gemäß § 132 Abs. 3 GVG
keinen Anlaß. Mit seiner Entscheidung weicht der Senat von
entscheidungserheblich geäußerten Auffassungen der
anderen Senate nicht ab. Die Ansicht, daß das Gericht
Mängel der (gleichwohl wirksamen) Anklage in der Form von
ungenauen Beschreibungen der Tat zum Anlaß für
Hinweise nehmen muß, wenn sich in der Hauptverhandlung
Möglichkeiten der Konkretisierung ergeben, ist durchweg nur in
nicht entscheidungstragenden Erwägungen
geäußert worden. Zudem sind von der Hinweispflicht
ausdrücklich ausgenommen solche Konkretisierungen, die - wie
hier - "lediglich den Tatablauf näher kennzeichnen" (BGH, Urt.
vom 5. November 2002 - 1 StR 254/02).
Zu einer Aufhebung hat eine entsprechende Verfahrensrüge -
soweit ersichtlich - lediglich im Beschluß des 4. Strafsenats
vom 19. Dezember 1995 (4 StR 691/95 = BGH NStZ 1996, 295)
geführt. Auch in dieser Entscheidung war die Annahme einer
Hinweispflicht bei Konkretisierung des unbestimmten Anklagevorwurfs
durch neu hervorgetretene Tatsachen aber nicht entscheidungstragend.
Wie sich aus der mitgeteilten Verfahrensrüge ergibt, hatte in
jener Sache schon die Anklage die dem Angeklagten zur Last gelegten
Taten konkret geschildert. In der Hauptverhandlung hat sich dann ein
anderer Sachverhalt herausgestellt. Damit handelt es sich aber nicht um
einen Fall neuer Tatsachen, die den unbestimmten Anklagevorwurf
konkretisieren, sondern um den Fall einer veränderten
Sachlage, in dem schon die Anklage den vorgeworfenen Sachverhalt
konkret geschildert und die Hauptverhandlung zur Feststellung eines
davon abweichenden Sachverhalts geführt hat. Im
übrigen lag dem Beschluß des 4. Strafsenats die
besondere Fallgestaltung zugrunde, daß der Angeklagte die im
Urteil festgestellten tatsächlichen Umstände nicht
einmal aus der Aussage des geschädigten Kindes, auf das die
tatrichterliche Überzeugung gestützt war, entnehmen
und seine Verteidigung darauf einstellen konnte. Für eine
solche Sachlage bestehen hier keine Anhaltspunkte.
3. Ob in der Konsequenz der oben zu 2. b) dargelegten
Erwägungen die für die Fallgruppe der
Veränderung der Sachlage von der Rechtsprechung entwickelte
(vgl. dazu Gillmeister in StraFo 1997, 8 ff.) - ebenfalls über
§ 265 StPO hinausgehende, der älteren Rechtsprechung
und Literatur noch unbekannte (vgl. etwa die Kommentierung zu
§ 265 StPO bei Eb. Schmidt Lehrkommentar Teil II) -
Verpflichtung des Gerichts zur Erteilung von Hinweisen im hier nicht
gegebenen Fall einer Veränderung der Sachlage
gegenüber dem in der Anklage beschriebenen Sachverhalt
zwingend geboten erscheint, bedarf hier nicht der Prüfung.
Immerhin könnte aber der Umstand, daß eine Anklage
mit präzisen Angaben zu Ablauf und Umständen der Tat
einen Vertrauenstatbestand schafft, der ausgeräumt werden
muß, wenn das Gericht von einem anderen Sachverhalt ausgehen
will, eine differenzierende Betrachtung nahelegen.
III. Auch die auf § 338 Nr. 5 StPO gestützte
Verfahrensrüge, daß über die Vereidigung
der Zeugen Jessica und Natascha B. , bei letzterer auch über
ihre Entlassung, in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt und
entschieden worden sei, greift nicht durch.
Folgendes prozessuale Geschehen liegt zugrunde: Im
Hauptverhandlungstermin vom 27. August 2001 wurde der Angeklagte
für die Dauer der Vernehmung der Zeugin Jessica B. nach
§ 247 Satz 1 StPO ausgeschlossen. Nach der Vernehmung der
Zeugin ordnete der Vorsitzende in Abwesenheit des Angeklagten das
Absehen von der Vereidigung nach § 61 Nr. 2 StPO an. Als der
Angeklagte wieder anwesend war, wurde die Zeugin entlassen und der
Angeklagte über ihre Aussage informiert. Am 12. September und
1. Oktober 2001 kam es - jetzt in Anwesenheit des Angeklagten - zu
weiteren Vernehmungen der Zeugin, die jeweils, ohne daß der
Angeklagte dem widersprochen hätte, auf Anordnung des
Vorsitzenden nach § 61 Nr. 2 StPO unvereidigt blieb und im
allseitigen Einverständnis entlassen wurde.
Auch während der Vernehmung der Zeugin Natascha B. am 27.
August 2001 wurde der Angeklagte nach § 247 Satz 1 StPO aus
dem Sitzungssaal entfernt. Nach der Vernehmung traf der Vorsitzende
eine Verfügung nach § 61 Nr. 2 StPO in Abwesenheit
des Angeklagten. Auch bei der Entscheidung über die Entlassung
der Zeugin war der Angeklagte nicht zugegen. In der Sitzung vom 1.
Oktober 2001 wurde die Zeugin erneut, nun in Anwesenheit des
Angeklagten, vernommen. Die Anordnung des Vorsitzenden, nach der die
Zeugin nach § 61 Nr. 2 StPO unvereidigt blieb, stieß
auch hier nicht auf den Widerspruch des Angeklagten.
1. Die Verhandlung und Entscheidung über die Vereidigung der
Zeuginnen Jessica und Natasche B. nach deren Vernehmung am 27. August
2001 in Abwesenheit des aus der Sitzung entfernten
Beschwerdeführers verstieß gegen dessen
Anwesenheitsrecht. § 247 Satz 1 und Satz 2 StPO
läßt die Entfernung des Angeklagten nur
während der Vernehmung eines Zeugen zu. Die Verhandlung und
Entscheidung über die Vereidigung eines Zeugen
gehören nicht zur Vernehmung im Sinne des § 247 StPO
und bilden einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung (BGHR StPO
§ 338 Nr. 5 Angeklagter 23 m. w. N.).
In der Regel erfüllt ein Verstoß gegen das
Anwesenheitsrecht des Angeklagten während dieses
Verfahrensteils die Voraussetzungen des unbedingten Revisionsgrundes
nach § 338 Nr. 5 StPO (BGH NStZ 2000, 440). Hier greift dieser
Revisionsgrund jedoch nicht ein. War nämlich ein Angeklagter,
der für die Dauer der Vernehmung eines Zeugen nach §
247 StPO ausgeschlossen war, bei der Verhandlung und Entscheidung
über dessen Vereidigung verfahrensfehlerhaft nicht anwesend,
so wird der Verfahrensfehler regelmäßig geheilt,
wenn die Verhandlung und Entscheidung über die Vereidigung
desselben Zeugen nach einer erneuten Vernehmung, wie hier in den
Terminen vom 12. September und 1. Oktober 2001, in Anwesenheit des
Angeklagten stattfindet; jedenfalls kann in einem solchen Fall die
Verhandlung und Entscheidung über die Vereidigung des Zeugen
nach dessen erster Vernehmung nicht als ein wesentlicher Teil der
Hauptverhandlung angesehen werden.
Hinsichtlich der Vereidigung eines mehrfach vernommenen Zeugen ist von
folgenden Grundsätzen auszugehen:
Wird ein Zeuge in einem späteren Abschnitt der
Hauptverhandlung nochmals vernommen, bedarf es einer neuen Entscheidung
über die Vereidigung (BGHSt 1, 346, 348 f.; BGH bei Spiegel
DAR 1981, 195). Diese bezieht sich grundsätzlich auf die
gesamte bis dahin erstattete Aussage. Denn der Tatrichter kann - etwa
bei einem Verletzten im Sinne des § 61 Nr. 2 StPO -
frühestens nach dem Abschluß der gesamten Aussage
alle diejenigen Umstände überblicken, die
für die Ausübung seines Ermessens von Bedeutung sein
können. Dabei bindet ihn die Vorentscheidung nicht, vielmehr
kann der zunächst unvereidigt gebliebene Zeuge nach einer
erneuten Vernehmung wiederum unvereidigt bleiben oder vereidigt werden
(Dahs in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 61 Rdn. 42).
Eine unterschiedliche Entscheidung über die Vereidigung eines
Zeugen kommt - auch bei einer wiederholten Vernehmung - nur
für Teile einer Aussage in Betracht, die verschiedene Taten
betreffen. Dies gilt etwa, wenn ein Zeuge nur durch eine von mehreren
Taten, zu denen er berichtet, im Sinne des § 61 Nr. 2 StPO
verletzt worden ist (BGHSt 17, 248, 249). Selbst dabei ist aber zu
beachten, daß eine Teilvereidigung dann nicht statthaft ist,
wenn die Taten in einem inneren Zusammenhang miteinander stehen,
insbesondere ein nicht oder nur schwer trennbares Gesamtgeschehen
bilden (st. Rspr., vgl. BGHR StPO § 60 Nr. 2 Teilvereidigung
1, 3 und 5 m. w. N.). Ebenso kann ein Eid weder auf einzelne
Bekundungen noch auf zeitlich getrennte Abschnitte eines
Tatsachenkomplexes beschränkt werden (Senge in KK 4. Aufl.
§ 59 Rdn. 4).
Ausgehend hiervon war das Recht des Angeklagten auf Anwesenheit bei der
Verhandlung und Entscheidung über die Vereidigung der
gemäß § 247 StPO in seiner Abwesenheit
vernommenen Zeuginnen - ungeachtet seiner verfahrensfehlerhaften
Abwesenheit während dieses Verfahrensabschnitts im
Hauptverhandlungstermin vom 27. August 2001 - im Ergebnis dadurch
gewahrt, daß er wiederholt, nämlich in den Terminen
vom 12. September und 1. Oktober 2001, anwesend war, als über
die Vereidigung der Zeuginnen nach ihrer nochmaligen Vernehmung erneut
verhandelt wurde. Dadurch hatte er auch Gelegenheit, auf die
Entscheidung über die Vereidigung der Zeuginnen auf ihre
gesamte Aussage, einschließlich ihrer Bekundungen am 27.
August 2001, Einfluß zu nehmen. Anhaltspunkte dafür,
daß das Landgericht bei seinen Entscheidungen über
die Vereidigung der Zeuginnen in den Terminen vom 12. September und 1.
Oktober 2001 nur hinsichtlich der an diesen Terminen gemachten Angaben
von einer Vereidigung absehen wollte, sind nicht ersichtlich. Eine
solche Teilentscheidung wäre im übrigen nach den
aufgezeigten Maßstäben nicht zulässig
gewesen, weil die weiteren Vernehmungen der Zeuginnen denselben Taten
galten und deren näherer Aufklärung, insbesondere
durch Feststellungen zur Aussagegenese und Glaubwürdigkeit der
Zeuginnen, dienten (UA S. 30 ff.).
2. Die Rüge, auch über die Entlassung der Zeugin
Natascha B. sei im Termin vom 27. August 2001 verfahrensfehlerhaft in
Abwesenheit des aus dem Sitzungssaal entfernten
Beschwerdeführers verhandelt und entschieden worden, kann
wegen Heilung des Fehlers keinen Erfolg haben. Insofern ist im
übrigen anerkannt, daß die Entlassung eines Zeugen
dann nicht als wesentlicher Teil der Hauptverhandlung zu bewerten ist,
wenn der Angeklagte - wie hier der Beschwerdeführer - nach
Unterrichtung über den Inhalt der Aussage auf Fragen an den
Zeugen verzichtet (BGH NStZ 1998, 425; BGH StV 2000, 240; BGH StraFo
2001, 128).
IV. Im übrigen hat die Nachprüfung des Urteils
aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil
des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Auch die
Sachrüge bleibt erfolglos. Zur Strafrahmenwahl in den
Fällen des sexuellen Mißbrauchs von Kindern bemerkt
der Senat, daß das Landgericht zu Recht § 176 Abs. 3
StGB aF herangezogen hat. Da die Annahme eines minder schweren Falles
fern lag, handelt es sich nach der gebotenen konkreten
Betrachtungsweise bei § 176 Abs. 3 StGB aF gegenüber
§ 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB nF um das mildere Recht (vgl. BGH
bei Pfister NStZ-RR 1999, 323).
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