BGH,
Urt. v. 20.6.2000 - 5 StR 25/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
5 StR 25/00
URTEIL
vom 20. Juni 2000
in der Strafsache gegen
1.
2.
3.
4.
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20.
Juni 2000, an der teilgenommen haben: Richterin Dr. Tepperwien als
Vorsitzende, Richter Häger, Richter Basdorf, Richterin Dr.
Gerhardt, Richter Dr. Raum als beisitzende Richter, Bundesanwalt als
Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt S als Verteidiger der
Angeklagten M , Rechtsanwalt B als Verteidiger des Angeklagten L ,
Rechtsanwältin L als Verteidigerin des Angeklagten Sch ,
Rechtsanwalt K als Verteidiger des Angeklagten Ki , Rechtsanwalt
Bö als Beistand des Nebenklägers,
Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers
gegen das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 17. Dezember 1998 werden
verworfen.
Die Landeskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft
und die dadurch den Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu
tragen.
Der Nebenkläger hat die Kosten seines Rechtsmittels und die
dadurch den Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat - soweit hier von Bedeutung - die vier Angeklagten
wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen
Aussetzung zu Freiheitsstrafen bzw. zu Jugendstrafen verurteilt. Die
Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger machen mit ihren
Revisionen - jeweils auf die Sachrüge gestützt -
geltend, das Landgericht habe rechtsfehlerhafterweise sich nicht vom
Tötungsvorsatz der vier Angeklagten überzeugt und
dementsprechend eine jeweilige Verurteilung wegen versuchten Mordes
verabsäumt. Die Rechtsmittel bleiben - dem Antrag des
Generalbundesanwalts entsprechend - ohne Erfolg.
In der Silvesternacht 1997 kam es bei einer Feier zu einer
Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem
Nebenkläger. Die Angeklagten mißhandelten den
Nebenkläger erheblich. Anschließend verbrachten sie
den verletzten und bewußtlosen Nebenkläger auf ein
freies Feld, wo sie ihn zurückließen. Als der
Nebenkläger erwachte, konnte er in ein Krankenhaus gebracht
werden, wo sein Leben durch eine sofortige Operation gerettet wurde.
I.
Soweit das Landgericht sich nicht vom Tötungsvorsatz der
Angeklagten hat überzeugen können, liegt dem kein
sachlichrechtlicher Fehler zugrunde.
Die Aufgabe, sich auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine
Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen - mithin auch
von der subjektiven Tatseite - zu verschaffen, obliegt
grundsätzlich allein dem Tatrichter. Seine
Beweiswürdigung hat das Revisionsgericht
regelmäßig hinzunehmen. Es ist ihm verwehrt, sie
durch eine eigene zu ersetzen oder sie etwa nur deshalb zu beanstanden,
weil aus seiner Sicht eine andere Bewertung der Beweise näher
gelegen hätte. Kann der Tatrichter vorhandene, wenn auch nur
geringe Zweifel nicht überwinden, so kann das Revisionsgericht
eine solche Entscheidung nur im Hinblick auf Rechtsfehler
überprüfen, insbesondere darauf, ob die
Beweiswürdigung in sich widersprüchlich, unklar oder
lückenhaft ist, die Beweismittel nicht ausschöpft,
Verstöße gegen Denkgesetze oder
Erfahrungssätze aufweist oder ob der Tatrichter
überspannte Anforderungen an die für eine
Verurteilung erforderliche Gewißheit gestellt hat (st. Rspr.,
vgl. BGH NStZ 1983, 277, 278; BGH NStZ 1984, 180). Ein solcher Fehler
ist hier nicht gegeben.
1. Mit der bloßen Beanstandung, das Landgericht habe "weder
die Aussage des Geschädigten noch die Bekundungen der Zeugen
St , K , G und R noch den Ortstermin vom 28. Oktober 1998
gewürdigt", kann die Staatsanwaltschaft keinen Erfolg haben.
Die damit angesprochenen Beweiserhebungen sind sämtlich
urteilsfremd. Diesbezügliche Verfahrensrügen sind
nicht erhoben.
2. Im übrigen kommt allein der - im Ergebnis jedoch nicht
durchgreifende - Gesichtspunkt etwaiger Lückenhaftigkeit der
Beweiswürdigung in Betracht, weil das Urteil - wie den
Beschwerdeführern zuzugeben ist - insofern knapp ist. Dies
gilt insbesondere deshalb, weil es bei äußerst
gefährlichen Gewalthandlungen besonders nahe liegt,
daß der Täter auch mit der Möglichkeit,
daß das Opfer zu Tode kommen könne, rechnet und,
weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln beginnt oder
fortsetzt, einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGHR StGB
§ 212 Abs. 1 - Vorsatz, bedingter 3, 37 m.N.). Andererseits
ist angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer
Tötung immer die Möglichkeit in Betracht zu ziehen,
daß der Täter die Gefahr der Tötung nicht
erkannt oder darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht
eintreten (BGH NStZ 1983, 407 m.N.; BGHR StGB § 212 Abs. 1 -
Vorsatz, bedingter 5).
Diesen Gesichtspunkten hat das Landgericht jedoch mit folgenden
Erwägungen noch hinreichend Rechnung getragen: "Zwar bestand
bei einer damals herrschenden Außentemperatur von 6
°C eine Gefahr der Unterkühlung des
Geschädigten, die die Angeklagten als eine von ihnen
verursachte Lebens- oder Leibesgefahr des Geschädigten
zumindest als möglich
voraussahen und billigten. Darin liegt aber noch nicht das
Einverständnis damit, daß diese Gefahr in einen
wirklichen Schaden an Leben oder Leib umschlage. So war es auch hier.
Die Angeklagten spürten nach ihrem eigenen Empfinden zumindest
keine extreme Kälte. Auch über das Ausmaß
der Verletzungen des Geschädigten, die, wie später
festgestellt, zum Teil lebensbedrohlich waren, waren sich die
Angeklagten nicht im Klaren" (UA S. 54).
Schließlich mußten auch die zuvor von den
Angeklagten geführten Reden, den Nebenkläger vom
Balkon zu werfen, ihn "einzubuddeln" oder in einen Fluß zu
werfen, nicht weiter als im Urteil geschehen erörtert werden.
Erkennbar hat das Landgericht diese "Spekulationen", die es als
"ziellos" und "halbherzig" bezeichnet, als durch das weitere
Tatgeschehen überholt erachtet.
II.
Schließlich deckt die sachlichrechtliche
Überprüfung des Urteils im Umfang der Anfechtung
weder einen sonstigen Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten noch
einen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf.
Tepperwien Häger Basdorf
Gerhardt Raum |