BGH,
Urt. v. 20.3.2003 - 4 StR 527/02
4 StR 527/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
vom
20. März 2003
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 20.
März 2003, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien, Richter am Bundesgerichtshof Maatz,
Dr. Kuckein, Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic, Richter
am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann als beisitzende Richter, Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger
für den Angeklagten K. , Rechtsanwalt als Verteidiger
für den Angeklagten W. , Justizangestellte als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1.
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Stendal vom 24. Juni 2002 mit den Feststellungen aufgehoben
a) im Fall II 2 der Urteilsgründe,
b) im Einzelstrafausspruch im Fall II 1 der Urteilsgründe,
soweit es den Angeklagten W. betrifft,
c) in den Gesamtstrafaussprüchen bezüglich beider
Angeklagter,
d) soweit davon abgesehen worden ist, die Unterbringung der Angeklagten
in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung, darüber
hinaus den Angeklagten K. wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit
vorsätzlicher Körperverletzung und wegen eines
weiteren Falles der vorsätzlichen Körperverletzung,
den Angeklagten W. zudem wegen versuchten Raubes und wegen Diebstahls
verurteilt. Gegen den Angeklagten W. hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe
von einem Jahr und neun Monaten verhängt. Den Angeklagten K.
hat das Landgericht unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer
rechtskräftigen Verurteilung und unter Aufrechterhaltung einer
Maßregel nach § 69 a StGB zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und zur Zahlung
von Schmerzensgeld und Schadensersatz an den Nebenkläger
verurteilt.
Mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen
beanstandet die Staatsanwaltschaft insbesondere, daß die
Angeklagten im Fall II 2 der Urteilsgründe nicht des
versuchten schweren Raubes gemäß
§§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c), 22, 23 Abs. 1 StGB in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung
(§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) schuldig gesprochen wurden;
weiterhin wendet sie sich gegen die Schuld- und
Strafaussprüche im Fall II 1 der Urteilsgründe und
dagegen, daß die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten
in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. Die Rechtsmittel haben
teilweise Erfolg; im übrigen sind sie unbegründet.
1. Soweit sich die Revisionen gegen die Schuldsprüche im Fall
II 2 der Urteilsgründe richten, haben sie mit der
Sachrüge Erfolg; eines Eingehens auf die
Verfahrensrüge bedarf es deshalb nicht.
a) Nach den insoweit getroffenen Feststellungen des Landgerichts
verabredeten die angetrunkenen Angeklagten, dem nächsten
Passanten mittels Gewalt Geld wegzunehmen, um weitere alkoholische
Getränke bezahlen zu können. "Über
Schläge hatten beide nicht gesprochen". Die Angeklagten
maskierten sich und liefen zu dem 72jährigen Rentner Fritz S.
und dessen Ehefrau. Der Angeklagte K. schlug mit der Faust in das
Gesicht des Rentners, so daß das Opfer mit dem Kopf auf die
Bordsteinkante stürzte, wodurch zwei Zähne aus dessen
Prothese herausfielen. Sodann trat er mit seinen
Füßen, an denen er Turnschuhe trug, auf den
Oberschenkel und in den Rücken des am Boden liegenden
Geschädigten, und schlug auf ihn ein. Der Angeklagte W. stand
in einer Entfernung von einigen Metern "wie unbeteiligt dabei", da er
erkannt hatte, daß der Angeklagte K. dem Opfer weit
überlegen war und deswegen "weder tatkräftige
´Hilfe´ noch Ansporn benötigte, um
für beide das erhoffte Geld zu erlangen". Da die Ehefrau des
Geschädigten zu schreien anfing, gab der Angeklagte K. , der
um Entdeckung fürchtete, die weitere Tatausführung
auf und entfernte sich mit dem Angeklagten W. vom Tatort.
Durch die körperliche Mißhandlung erlitt der
Geschädigte eine Gehirnerschütterung,
Rißwunden in der Nasenscheidewand und an der Augenbraue,
zahlreiche Blutergüsse und Prellungen. Seit der Tat leidet er
an stark erhöhtem Blutdruck.
b) Mit Recht beanstandet die Revisionsführerin, daß
das Landgericht dem Angeklagten W. die
Körperverletzungshandlungen des Angeklagten K. nicht
zugerechnet hat. Allein der Umstand, daß über
Schläge bzw. Tritte als Mittel der von beiden Angeklagten zum
Zweck der Wegnahme ins Auge gefaßten Gewalt vor der Tat nicht
ausdrücklich gesprochen worden war, läßt
das Vorgehen des Angeklagten K. noch nicht als Exzess erscheinen.
Für ein - wenn auch stillschweigend vereinbartes -
einverständliches Handeln spricht vielmehr, daß sich
der Angeklagte W. von den tätlichen Angriffen des
Mitangeklagten, die dem gemeinsamen Ziel der Beuteerlangung dienten,
während der Tat in keiner Weise distanziert hat. Zudem hatte
er wenige Tage vor der Tat zum Nachteil des Rentners S. ein
ähnlich gewaltsames Vorgehen des Angeklagten K. zur Begehung
eines Eigentumsdelikts genutzt (Fall II 1 der Urteilsgründe,
in dem sich das Landgericht nicht vom Vorliegen eines gemeinsamen
Raubentschlusses überzeugen konnte). Dies zeigt, daß
schwerwiegende Tätlichkeiten des Angeklagten K. im Zeitpunkt
des gemeinsamen Tatentschlusses im Fall II 2 für den
Angeklagten W. weder überraschend noch unerwünscht
waren. Schließlich hat das Landgericht nicht in seine
Würdigung einbezogen, daß beide Angeklagten nur
wenige Augenblicke nach dem gescheiterten Raubversuch zum Nachteil des
Zeugen S. nach gleichem Muster einen weiteren Raub begangen haben (Fall
II 3), der wiederum mit einem Faustschlag des Angeklagten K. in das
Gesicht des Geschädigten begonnen und später mit
Faustschlägen von beiden Angeklagten fortgesetzt wurde.
c) Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht daher nicht erörtert,
ob sich beide Angeklagte wegen gemeinschaftlicher Begehung der
gefährlichen Körperverletzung nach § 224
Abs. 1 Nr. 4 StGB schuldig gemacht haben. Außerdem kommt in
Betracht, daß auch der Tatbestand des § 224 Abs. 1
Nr. 2 StGB erfüllt wurde. Nach ständiger
Rechtsprechung kommt es für die Frage, ob der Schuh am
Fuß als ein gefährliches Werkzeug im Sinne dieser
Vorschrift anzusehen ist, auf die - in den Urteilsgründen
nicht näher dargelegten - Umstände des Einzelfalles
an (vgl. BGHR StGB § 223 a Abs. 1 Werkzeug 3 m.w.N.).
Insbesondere hätte es Ausführungen zur Beschaffenheit
des Schuhes bedurft (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1989, 920), da
auch Turnschuhe der heute üblichen Art durchaus geeignet sein
können, erhebliche Körperverletzungen
herbeizuführen (vgl. BGH NStZ 1999, 616 f. m.w.N.).
d) Weiterhin hätte das Landgericht hinsichtlich des versuchten
Raubes die Qualifikation des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c)
StGB prüfen müssen. Diese ist gegeben, wenn durch die
Raubtat ein anderer in die konkrete Gefahr einer schweren
Gesundheitsschädigung gebracht wird. Er umfaßt nicht
allein die Gefahren, die von Raubhandlungen generell ausgehen; vielmehr
sind auch solche Gefahren einbezogen, denen das konkrete Opfer allein
wegen seiner individuellen Schadensdispositon durch die Raubhandlung
ausgesetzt ist (vgl. BGH NStZ 2002, 542 f.). Dabei können sich
die Gesundheitsgefahren, die durch eine mit Gewaltausübung
verbundene Raubhandlung für ein gesundes, im Vollbesitz seiner
körperlichen und geistigen Kräfte befindliches Opfer
begründet werden, deutlich von denjenigen unterscheiden, die
durch eine vergleichbare Handlung beispielsweise für einen
alten Menschen oder einen durch Krankheit oder sonstige
körperliche Gebrechen geschwächten Betroffenen
eintreten. Hier hätte der Tatrichter bedenken müssen,
daß der Angeklagte K. das 72jährige Opfer so heftig
mit der Faust ins Gesicht geschlagen hat, daß dieses mit dem
Kopf auf die Bordsteinkante stürzte und eine
Gehirnerschütterung davontrug. Wie die Revision zu Recht
beanstandet, liegt unter diesen Umständen - zumal bei einem
älteren Menschen - die Gefahr schwerer Kopfverletzungen nicht
fern.
2. Der Strafausspruch im Fall II 1 der Urteilsgründe
bezüglich des insoweit wegen Diebstahls verurteilten
Angeklagten W. hält ebenfalls rechtlicher Prüfung
nicht stand, weil das Landgericht das Vorliegen eines besonders
schweren Falles des Diebstahls nach § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6
StGB nicht erörtert hat.
Nach den insoweit getroffenen Feststellungen schlug der Angeklagte K.
dem erheblich angetrunkenem Dietmar We. mit der Faust in das Gesicht,
so daß der Geschädigte zu Boden fiel.
Während er weiter mit Fäusten auf den am Boden
liegenden Geschädigten einschlug, zog der Angeklagte W. , vom
Angeklagten K. unbemerkt, aus der Gesäßtasche des
Geschädigten dessen Geldbörse mit mindestens 35, EUR
heraus und nahm sie an sich. Es liegt daher nahe, daß der
Angeklagte W. bei Begehung des Diebstahls die Hilflosigkeit des
Geschädigten ausgenutzt hat, der sich angesichts der
körperlichen Auseinandersetzung mit dem Angeklagten K. gegen
die Wegnahme nicht schützen konnte (vgl. BGHR StGB §
249 Abs. 1 Gewalt 3; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. §
243 Rdn. 21).
3. Schließlich haben die Rechtsmittel auch insoweit Erfolg,
als das Landgericht nicht geprüft hat, ob die Angeklagten
gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt
unterzubringen sind. Der Senat verweist hierzu auf die
Ausführungen des Generalbundesanwaltes in seiner
Antragsschrift.
4. Der Adhäsionsanspruch wird durch das Rechtsmittel der
Staatsanwaltschaft nicht berührt (vgl. dazu BGHSt 3, 210, 211;
Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 406 a Rdn. 4, 5).
Tepperwien Maatz Kuckein Solin-Stojanovic Ernemann |