BGH,
Urt. v. 20.5.2009 - 2 StR 576/08
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 576/08
vom
20. Mai 2009
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
- 2 -
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Mai
2009, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Cierniak,
Prof. Dr. Schmitt,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
1. Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des
Landgerichts Bad Kreuznach vom 15. Juli 2008 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren
verurteilt. Mit seiner auf die Sachrüge gestützten
Revision erstrebt der Nebenkläger eine Verurteilung wegen
versuchten Mordes. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte am
Tattag erfahren, dass seine 15-jährige Tochter wiederholt vom
Nebenkläger sexuell belästigt worden war. Um ihn zur
Rede zu stellen, begab sich der Angeklagte noch am selben Abend zu
einer Pizzeria in S. , wo jener als Kellner arbeitete. Als der
Nebenkläger nach Schließung der Pizzeria an sein in
der Nähe abgestelltes Auto getreten war, ging der Angeklagte
mit dem Ausruf "Was machst du mit meiner Tochter?" auf ihn los, wobei
er spätestens in diesem Moment den Entschluss fasste, ihn zu
töten. Hierzu zog er ein Taschenmesser hervor, das er in einer
Jackentasche verborgen gehalten hatte, ließ dessen Klinge
blitzschnell aufklappen und führte diese mit erheblicher Wucht
zwei Mal
2
- 4 -
mit schneidenden Bewegungen gegen Hals und Gesicht seines
Gegenübers. Hierbei äußerte der Angeklagte:
"Ich bring dich um". Obgleich lebensgefährlich verletzt,
gelang es dem Geschädigten, zurück in die ca. 50
Meter entfernte Pizzeria zu rennen und sich dort vor dem Angeklagten,
der ihm noch ein Stück nachsetzte und dabei rief:
„Läufst du weg“ und
„Bastard“, in Sicherheit zu bringen. Durch eine
sofortige Notoperation konnte das Leben des Nebenklägers
gerettet werden.
Das Landgericht hat das Vorgehen des Angeklagten als
heimtückischen Tötungsversuch gewertet, ist aber
unter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes davon ausgegangen, dass er mit
strafbefreiender Wirkung vom Mordversuch zurückgetreten sei
und hat ihn deshalb lediglich wegen gefährlicher
Körperverletzung verurteilt. Insbesondere weil der
Geschädigte noch in der Lage gewesen sei, ohne erkennbare
Beeinträchtigungen vom Tatort wegzulaufen, sei nicht
auszuschließen, dass der Angeklagte die
Lebensgefährlichkeit der von ihm bewirkten Verletzungen nicht
erkannt habe. Es liege nicht fern, dass er nach den Messerattacken zu
der Auffassung gelangt sei, den Geschädigten genug bestraft zu
haben. Zu Gunsten des Angeklagten müsse davon ausgegangen
werden, dass er im Moment der Flucht seines Opfers sein
Tötungsvorhaben aufgegeben und freiwillig von einer Verfolgung
und der von ihm noch für möglich gehaltenen
Tatvollendung Abstand genommen habe.
3
2. Die Würdigung des Landgerichts hält der
rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat einen
fehlgeschlagenen Versuch rechtsfehlerhaft verneint.
4
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet schon
insofern Bedenken, als es bei der Erörterung des
fehlgeschlagenen Versuchs einen fortbestehenden Tötungsvorsatz
des Angeklagten verneint hat. Das Landgericht hat
5
- 5 -
in diesem Zusammenhang lediglich die Äußerungen des
Angeklagten angesichts der Flucht des Nebenklägers und sein
Nachtatverhalten berücksichtigt, nicht aber den Umstand, dass
der Angeklagte zunächst die Verfolgung des
Nebenklägers aufgenommen hatte, was einen fortbestehenden
Tötungsvorsatz nahe legt. Dieser Erörterungsmangel
hat sich auf die Verneinung eines fehlgeschlagenen Versuchs auch im
Ergebnis ausgewirkt, denn das Landgericht hat auf diesen Gesichtspunkt
„entscheidend“ abgestellt.
b) Darüber hinaus hat das Landgericht die Reichweite des
Zweifelssatzes verkannt. Der Zweifelssatz bedeutet nicht, dass von der
dem Angeklagten jeweils (denkbar) günstigsten Fallgestaltung
auch dann auszugehen ist, wenn hierfür keine Anhaltspunkte
bestehen (std. Rspr., vgl. BGH StV 2001, 666, 667; NStZ-RR 2003, 166,
168). Unterstellungen zugunsten eines Angeklagten sind vielmehr nur
dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter hierfür reale
Anknüpfungspunkte hat (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 243; BGHR StPO
§ 261 Überzeugungsbildung 18). Das Landgericht hat
festgestellt, dass der Nebenkläger, der jünger und
schlanker war als der Angeklagte und trotz der ihm zugefügten
Verletzungen noch einige Minuten voll handlungsfähig war, in
Todesangst so schnell er konnte losgelaufen war. Danach
drängte sich auf, dass der Angeklagte den Nebenkläger
auf dem Weg zur Eingangstür der Pizzeria nicht hatte einholen
können und deshalb die Verfolgung aufgab. Anhaltspunkte
dafür, dass der Angeklagte bei Aufgabe der Verfolgung noch
geglaubt haben könnte, den Nebenkläger einholen zu
können, hat das Landgericht nicht festgestellt. Auch
6
- 6 -
für die Annahme, der Angeklagte könne das
Gefühl gehabt haben, den Nebenkläger genug bestraft
zu haben, ergeben sich aus den festgestellten Tatumständen
keine Hinweise. Es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil
auf diesen rechtsfehlerhaften Unterstellungen beruht. Die Sache muss
daher neu verhandelt werden.
Fischer Roggenbuck Appl
Cierniak Schmitt |