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BGH, Urteil vom 20. November 2003 - 4 StR 150/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 20.11.2003 - 4 StR 250/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 250/03
vom
20.11.2003
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
zu 1. und 2. wegen Raubes u.a.
zu 3. wegen Beihilfe zum Raub u.a.
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20.
November 2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Richterinnen am Bundesgerichtshof

    

Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Richter am Landgericht
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin des Angeklagten K. ,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin des Angeklagten R. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten G. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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I. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Dresden vom 20. Dezember 2002
1. in den Schuldsprüchen dahin geändert, daß bei
den Angeklagten K. und R. die Verurteilung
wegen tateinheitlich begangenen räuberischen
Angriffs auf Kraftfahrer und bei dem Angeklagten
G. die Verurteilung wegen Beihilfe
hierzu entfällt,
2. in den Strafaussprüchen mit den Feststellungen,
ausgenommen denjenigen zur Schuldfähigkeit,
aufgehoben.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten der
Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
III. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten werden
verworfen.
Von Rechts wegen
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Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten K. und R. jeweils des
räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit Raub, gefährlicher Körperverletzung
und Aussetzung für schuldig befunden und gegen den Angeklagten
K. eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten sowie
gegen den Angeklagten R. eine solche von vier Jahren und sechs Monaten
verhängt. Den Angeklagten G. hat es der Beihilfe zum räuberischen
Angriff auf Kraftfahrer in Tateinheit mit Beihilfe zum Raub, zur gefährlichen
Körperverletzung und zur Aussetzung für schuldig befunden und ihn zu einer
Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil
wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung
sachlichen Rechts rügen. Die Rechtsmittel der Angeklagten führen zum
Wegfall ihrer Verurteilung wegen räuberischen Angriffs auf einen Kraftfahrer
bzw. der Beihilfe hierzu und zur Aufhebung der Strafaussprüche; im übrigen
sind sie unbegründet.
I.
1. Das Landgericht hat festgestellt:
Am Abend des 1. Februar 2002 hielten sich die drei Angeklagten und
das spätere Tatopfer, Danilo S. , in der Gaststätte "C. " in Freital auf. K.
bemerkte, daß der ihm flüchtig bekannte S. über einen größeren Geldbetrag
verfügte. Er teilte dies dem Angeklagten R. mit, worauf beide Angeklagten
den Entschluß faßten, den stark angetrunkenen S. unter Hinzuziehung
des Angeklagten G. in dessen Pkw unter dem Vorwand, ihn nach Hause
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bringen zu wollen, an einen entlegenen Ort zu verbringen, um ihm dort das
Bargeld unter Anwendung von Gewalt wegzunehmen. G. , der in diesen
Plan zunächst nicht eingeweiht war, erklärte sich einverstanden. Nachdem
S. hinter dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, betätigte der Angeklagte
K. die Kindersicherung der betreffenden hinteren rechten Fahrzeugtür, um
S. am Aussteigen und an einer möglichen Flucht zu hindern. Während der
Fahrt erfuhr der Angeklagte G. von dem Tatplan. "Er erklärte sich damit
einverstanden, den von ihm geführten Pkw an einen entlegenen und dunklen
Ort außerhalb des bewohnten Gebietes zu steuern, wo für Danilo S. keinerlei
Möglichkeit bestand, Hilfe von anderen Personen zu erhalten und gleichzeitig
die Wegnahme des Geldes durch die beiden anderen Angeklagten ohne die
Gefahr der Entdeckung durchgeführt werden konnte". Am Ende einer befestigten
Straße hielt G. den Pkw an. K. öffnete die hintere rechte Fahrzeugtür,
so daß auch S. aussteigen konnte. K. und R. schlugen
sodann auf das zu Boden gebrachte Tatopfer ein. K. nahm ihm das Bargeld
in Höhe von ca. 300  , der die Tätlichkeiten der beiden Mitangeklagten
wahrnahm, wendete mittlerweile den Pkw, um die Mitangeklagten wieder
aufzunehmen. Anschließend fuhren die Angeklagten mit dem Pkw zurück
zum Lokal, wobei sie den verletzten und vorübergehend bewußtlosen S. bei
Außentemperaturen um den Gefrierpunkt am Tatort liegen ließen.
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht ohne
Rechtsfehler die Angeklagten K. und R. des gemeinschaftlich begangenen
Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Aussetzung
und den Angeklagten G. der Beihilfe hierzu für schuldig befunden. Dagegen
haben die Schuldsprüche keinen Bestand, soweit das Landgericht die An-
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geklagten auch wegen Beteiligung an einem räuberischen Angriff auf einen
Kraftfahrer nach § 316 a StGB verurteilt hat.
a) Allerdings wäre die den Schuldsprüchen nach § 316 a StGB zugrundeliegende
Rechtsauffassung des Landgerichts vom Standpunkt der bisherigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu beanstanden. So hat der
erkennende Senat schon in der Entscheidung in BGHSt 13, 27 ff. in einem
gleich gelagerten Fall die Verurteilung des Täters nach § 316 a StGB a.F. ausdrücklich
bestätigt. Für die Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs
müsse sich zwar auch das sich gegen einen Mitfahrer richtende
räuberische Unternehmen "die Fortbewegung des Kraftfahrzeuges und die dadurch
geschaffene erhöhte Gefahrenlage zunutze machen, um auf Fahrer oder
Mitfahrer an einer dazu geeigneten Stelle den in § 316 a StGB bezeichneten
Angriff zu machen“ (BGHSt aaO 30). Auch sei die Vorschrift nicht anwendbar,
wenn das Fahrzeug nur als Beförderungsmittel zum Tatort benutzt werde, dieser
aber zu dem Verkehr selbst keine ihm wesenseigene Beziehung habe. In
Fällen hingegen, in denen ein Insasse des Kraftfahrzeugs an eine einsame
Stelle gelockt, dort zum Aussteigen veranlaßt und unter Ausnutzung eines solchen
Erfolges der Beförderung alsbald überfallen werde, realisiere sich die aus
dem Kraftfahrzeugverkehr ergebende Gefahr der von § 316 a StGB erfaßten
Art (BGHSt aaO S. 30).
b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat nicht länger fest. Wie der
Senat in seinem Urteil vom heutigen Tage in der Strafsache 4 StR 150/03 (zur
Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) im einzelnen dargelegt hat, erachtet er
- auch im Hinblick auf die Änderung des § 316 a StGB durch das 6. StrRG
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(BGBl 1998 I 164) - eine enger als bisher am Schutzzweck und den einzelnen
Tatbestandsmerkmalen des § 316 a StGB orientierte Auslegung für geboten.
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II.
Danach setzt der Tatbestand des § 316 a StGB nach seinem Wortlaut
eine zeitliche Verknüpfung dergestalt voraus, daß im Tatzeitpunkt , d.h. bei
Verüben des Angriffs, das Tatopfer (noch) „Führer“ oder „Mitfahrer“ eines
Kraftfahrzeugs ist. Daran fehlt es hier: Solange der Geschädigte Mitfahrer war,
haben die Angeklagten K. und R. ihn nicht angegriffen; als die Täter
nach dem Aussteigen aus dem Pkw mit dem räuberischen Überfall begannen,
war der Geschädigte aber nicht mehr Mitfahrer.
1. Der Geschädigte S. war, als er von den Angeklagten unter Verdekkung
ihrer räuberischen Absicht veranlaßt wurde, im Pkw mitzufahren, nach
Antritt der Fahrt Mitfahrer im Sinne des § 316 a StGB und damit grundsätzlich
taugliches Tatopfer eines räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer. Solange er sich
im Fahrzeug befand, haben die Angeklagten aber keinen tatbestandsmäßigen
Angriff auf ihn verübt. In Betracht käme hier allein ein Angriff auf seine Entschlußfreiheit.
Für einen solchen Angriff fehlt es aber an den begrifflichen Voraussetzungen:
a) Einen tatbestandsmäßigen Angriff auf die Entschlußfreiheit verübt,
wer in feindseliger Absicht auf dieses Rechtsgut einwirkt. Ausreichend, aber
auch erforderlich ist eine objektiv gegen die Entschlußfreiheit gerichtete
Handlung, sofern das Opfer jedenfalls deren Nötigungscharakter wahrnimmt;
die feindliche Willensrichtung braucht es dagegen nicht erkannt zu haben. Danach
kann bloße List oder Täuschung grundsätzlich noch nicht als Angriff auf
die Entschlußfreiheit angesehen werden. Deshalb stellt nach Auffassung des
Senats - insoweit unter Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung - der
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bloße Fahrtantritt mit Raubabsicht ebenso wie die täuschende Angabe eines
vermeintlichen Fahrziels oder -zwecks - hier das unter Täuschung erlangte
Einverständnis des S. , sich von den Angeklagten im Pkw nach Hause bringen
zu lassen - noch kein "Verüben eines Angriffs" dar. Vielmehr handelt es
sich dabei regelmäßig um ein nach der Vorstellung des Täters den Angriff vorbereitendes
Geschehen, das jedenfalls nach der Neufassung des § 316 a
StGB durch das 6. StrRG für die Vollendung des Tatbestandes nicht mehr genügt.
Ein Angriff auf die Entschlußfreiheit ergibt sich hier auch nicht aus dem
Umstand, daß sich der Wille des Geschädigten auf eine Fahrt zu seiner Wohnung
bezog, während die Angeklagten ihn an den entlegenen Tatort brachten.
Denn solange der Geschädigte keinen entgegenstehenden Willen gebildet
hatte, beruhte auch das Mitfahren zu einem anderen als dem angegebenen
Fahrtziel (noch) auf der Täuschung.
b) Die Angeklagten haben auch nicht dadurch einen (vollendeten) „Angriff
auf die Entschlußfreiheit“ des Geschädigten verübt, daß der Angeklagte
K. gleich nach dem Einsteigen in den Pkw die Kindersicherung „aktivierte“
und es hierbei bis zum Anhalten am Tatort beließ. Zwar hat das Landgericht
festgestellt, daß der Angeklagte damit bezweckte, den Geschädigten „am Aussteigen
und einer möglichen Flucht zu hindern“. Doch liegt darin schon deshalb
kein tatbestandsmäßiger Angriff auf die Entschlußfreiheit, weil dieser - wie
ausgeführt - voraussetzt, daß das Opfer jedenfalls den objektiven Nötigungscharakter
der Handlung wahrnimmt. Tatsächlich hat S. von der Betätigung
der Kindersicherung aber schon aufgrund seines stark alkoholisierten Zustandes
bis zum Anhalten am Tatort nichts bemerkt.
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2. Einen Angriff - nunmehr zugleich auf Leib oder Leben des Geschädigten
- haben die Angeklagten K. und R. erst nach dem Aussteigen
aus dem Pkw verübt, als sie die geplante Raubtat ausführten. In diesem Zeitpunkt
war der Geschädigte aber nicht mehr Mitfahrer. Deshalb richtete sich die
(weitere) Tatausführung nicht mehr gegen ein taugliches Tatopfer im Sinne des
§ 316 a StGB (vgl. Günther JZ 1987, 369 f.). Denn derjenige, der das Kraftfahrzeug
verlassen hat, ist schon begrifflich kein Mitfahrer mehr.
Für diese enge Auslegung des Begriffs spricht nicht nur die Wortlautschranke,
sondern auch der Zweck der Strafvorschrift des § 316 a StGB, die
der gerade aus den Umständen des Straßenverkehrs für den Führer und Mitfahrer
eines Kraftfahrzeugs erwachsenden Gefahr begegnen soll, leichter Opfer
eines räuberischen Angriffs zu werden. Der Mitfahrer ebenso wie der Fahrer
selbst befindet sich bei einem gegen ihn außerhalb des Fahrzeugs gerichteten
Angriff aber in keiner anderen Lage als das Opfer eines Raubes, bei dem der
Täter sich in sonstiger Weise die günstigen Umstände der Tatsituation zunutze
macht, ohne daß in spezifischer Weise gerade die Sicherheit des Kraftverkehrs
berührt ist.
3. Die Verwirklichung einer vollendeten Tat nach § 316 a StGB durch die
Angeklagten scheidet danach aus, ohne daß es noch auf die weitere Frage
ankäme, ob die Angeklagten „die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs“
ausgenutzt haben. Aber auch eine Verurteilung wegen Versuchs eines
räuberischen Angriffs kommt hier nicht in Betracht. Dabei kann dahinstehen, ob
die Angeklagten mit der Betätigung der Kindersicherung (s.o. 1 b) nach ihrer
Vorstellung unmittelbar zu einem tatbestandsmäßigen Angriff angesetzt haben.
Selbst dann, wenn darin ein beendeter Versuch zu sehen sein sollte, könnten
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die Angeklagten nicht nach § 316 a StGB bestraft werden; denn jedenfalls läge
darin, daß der Angeklagte K. nach dem Anhalten die hintere rechte Tür des
Pkw öffnete und S. aussteigen ließ, ein strafbefreiender Rücktritt von dem
Versuch.
III.
1. Der Senat schließt aus, daß sich aufgrund neuer Hauptverhandlung
noch weitere Feststellungen treffen lassen, die eine Verurteilung nach § 316 a
StGB tragen könnten. Er ändert deshalb hinsichtlich der Angeklagten die
Schuldsprüche in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin
ab, daß die auf § 316 a StGB gestützte Verurteilung jeweils entfällt.
2. Die Änderung der Schuldsprüche führt zur Aufhebung der Strafaussprüche.
Denn das Landgericht hat die Strafen dem § 316 a StGB entnommen
und bei den Angeklagten ausdrücklich straferschwerend gewertet, daß sie
mehrere in Tateinheit zueinander stehende Straftatbestände verwirkt haben.
Der Senat kann deshalb nicht mit genügender Sicherheit ausschließen, daß
das Landgericht ohne Verurteilung der Angeklagten nach § 316 a StGB auf
niedrigere Strafen erkannt hätte. Der neue Tatrichter ist jedoch nicht gehindert,
bei der Bemessung der wegen Raubes nach § 249 StGB zu verhängenden
Strafen strafschärfend zu werten, daß der Geschädigte zur Ausführung der Tat
planmäßig in einen Hinterhalt gelockt wurde.
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Die Feststellungen zur Schuldfähigkeit der Angeklagten werden von dem
Aufhebungsgrund jedoch nicht berührt; sie können deshalb bestehen bleiben.
Tepperwien Maatz Kuckein
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