BGH,
Urt. v. 20.11.2007 - 1 StR 442/07
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 442/07
vom
20.11.2007
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
20.11.2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
Dr. Graf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers S. ,
der Nebenkläger S. persönlich,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers M. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers Ma. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts München II vom 20. März 2007 wird
verworfen.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die
hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.
Von Rechts wegen
Gründe:
Dem heute 54 Jahre alten, nicht vorbestraften Angeklagten liegt zur
Last, in dem Zeitraum von 1995 bis 2006 zahlreiche Straftaten gegen die
sexuelle Selbstbestimmung zum Nachteil von vier Jungen begangen zu
haben. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte er
unter Ausnutzung von Vertrauensverhältnissen an den in den
meisten Fällen unter 14 Jahre alten Jungen sexuelle Handlungen
durch und ließ solche von den Jungen an sich vornehmen. In
den überwiegenden Fällen handelte es sich um Oral-
und/oder Analverkehr. Zum Teil stellte er Fotografien von den sexuellen
Handlungen her und speicherte diese auf seinem Laptop. Das Landgericht
hat ihn wegen
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- sexuellen Missbrauchs von Kindern in 156 tatmehrheitlichen
Fällen
- schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 84 tatmehrheitlichen
Fällen
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- Verbreitung pornografischer Schriften
- sexuellen Missbrauchs von Kindern in 100 tatmehrheitlichen
Fällen
- Verbreitung pornografischer Schriften in drei tatmehrheitlichen
Fällen
- sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen
- schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei tatmehrheitlichen
Fällen
- Besitzes kinderpornografischer Schriften
- sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei tatmehrheitlichen
Fällen
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Vom
Tatvorwurf der Vergewaltigung in 15 tatmehrheitlichen Fällen
hat es ihn freigesprochen.
Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte
und auf die Sachrüge gestützte Revision ausweislich
der Revisionsbegründung auf den Teilfreispruch und die
Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Das
Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
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1. Die Angriffe der Beschwerdeführerin gegen den
Teilfreispruch sind unbegründet.
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Das Landgericht hat es nicht als erwiesen erachtet, dass der Angeklagte
sein zwischen 14 und 15 Jahre altes Opfer B. in 15 Fällen
unter Androhung von Schlägen zu sexuellen Handlungen
veranlasst habe, obwohl der Angeklagte in dem über seinen
Verteidiger abgegebenen - im Übrigen glaubhaften -
Geständnis auch einräumte, entsprechende
Äußerungen gemacht zu haben. Der
Geschädigte B. berichtete jedoch weder von sich aus noch auf
Nachfrage von Androhungen von Schlägen. Als
Erklärung, warum er bei diesen sexuellen Handlungen mitgemacht
habe, gab er nachvollziehbar an, das Modellfliegen und das Helfen bei
Hausmeistertätigkeiten seien bei dem An-
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geklagten interessant gewesen; er sei hierdurch "käuflich"
gewesen. Der Angeklagte hatte zudem in allen sonstigen Fällen
nicht mit Gewalt gedroht und gelegentlich sogar den
Geschädigten B. nach Hause gefahren, wenn dieser bei den
sexuellen Handlungen nicht mitmachen wollte (UA S. 9). Unter diesen
Umständen konnte das Landgericht - zumal angesichts des eher
pauschal gehaltenen Geständnisses des Angeklagten -
rechtsfehlerfrei von verbleibenden Zweifeln am Vorliegen von Drohungen
mit Gewalt ausgehen.
Dass das Landgericht hinsichtlich des insoweit verbleibenden
Sachverhalts eine Strafbarkeit auch wegen sexuellen Missbrauchs von
Jugendlichen gemäß § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB
verneint hat, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die unter dem
Gesichtspunkt "Ausnutzung einer Zwangslage" allein in Betracht
kommenden Äußerungen des Angeklagten, er werde den
Geschädigten B. oder seine Mutter "schlecht machen", reicht
mangels jeglicher näherer Konkretisierung dieser
Äußerung, um die die Kammer sich vergeblich
bemüht hat, nicht aus.
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2. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung hält
rechtlicher Nachprüfung stand.
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Als Grundlage für deren Anordnung kamen § 66 Abs. 2
StGB und § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB in Betracht. Nach beiden
Bestimmungen liegt die Unterbringung im
pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters.
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Bei der Ausübung des Ermessens ist der Tatrichter "strikt an
die Wert- und Zweckvorstellungen des Gesetzes" gebunden (BGH NStZ 1985,
261). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll er die
Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten
Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der
Urteilsfällung auf die Verhängung einer
Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann,
dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen
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lässt. Damit kann der Tatrichter dem Ausnahmecharakter der
beiden Vorschriften Rechnung tragen, der sich daraus ergibt, dass Abs.
2 und Abs. 3 Satz 2 - im Gegensatz zu Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 - eine
frühere Verurteilung und eine frühere
Strafverbüßung des Täters nicht
voraussetzen (vgl. Hanack in LK 11. Aufl. § 66 Rdn. 173, 50 f.
unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien). Die Wirkungen eines
langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des
Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden
Haltungsänderungen sind deshalb im Rahmen der § 66
Abs. 2, § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB wichtige Kriterien, die nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der
Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind (BGH NStZ 2004,
438 m.w.N.). Es besteht freilich keine Vermutung dafür, dass
langjährige Strafverbüßung zu einer
Verhaltensänderung führen wird. Die Entscheidung des
Tatrichters ist (wie jede Prognose) vom Revisionsgericht nur im
begrenzten Umfang nachprüfbar (BGH NStZ 2005, 211, 212).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Nichtanordnung der
Sicherungsverwahrung unter den besonderen Umständen des
vorliegenden Falles rechtsfehlerfrei. Es liegt zwar eine lange Tatserie
mit einer Vielzahl einzelner Taten zugrunde. Das Landgericht hat jedoch
im Einzelnen dargelegt, dass der Angeklagte keine Erfahrung mit
Vorverurteilungen hat, erst Recht nicht mit dem Vollzug einer
Freiheitsstrafe, und dass die erstmalige Inhaftierung des sozial voll
integrierten Angeklagten im Alter von 53 Jahren eine erhöhte
Strafempfindlichkeit nahe legt. Er wird angesichts der
langjährigen Gesamtfreiheitsstrafe auch bei einer vorzeitigen
Entlassung knapp 60 Jahre alt sein. Ferner steht die von dem
Sachverständigen bei dem Angeklagten diagnostizierte partielle
Triebstörung einer günstigen Prognose hinsichtlich
der Wiederholungsgefahr einschlägiger Taten nicht entgegen,
auch wenn eine Therapie erforderlich ist (UA S. 19). Der Angeklagte ist
in der Lage, langjährige sexuelle Beziehungen zu Frauen zu
unterhalten, und hat auch während des Zeitraums der
abgeurteilten
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Taten nicht immer seine sexuellen Interessen durchgesetzt. So hat er
bei Gelegenheiten wie einem gemeinsamen Urlaub mit einem der
Geschädigten von sexuellen Handlungen abgesehen. Aus alldem
konnte die Kammer die Erwartung ableiten, dass der Angeklagte nach
seiner Entlassung keine vergleichbaren Taten mehr begehen wird. Sie hat
sich dabei auf Gesichtspunkte gestützt, die über die
bloße Möglichkeit künftiger Besserung oder
die Hoffnung auf positive Veränderungen hinausgehen und eine
Haltungsänderung durchaus erwarten lassen.
Zu Unrecht stellt die Beschwerdeführerin eine positive
Prognose im Hinblick auf das Aussageverhalten des Angeklagten in Frage,
aus dem sie einen fehlenden Gesinnungswandel ableitet. Wenn der
Angeklagte etwa erst nach umfangreichen Angaben von Belastungszeugen
ein Geständnis abgelegt hat, so handelt es sich um ein
zulässiges Verteidigungsverhalten, das nicht zum Nachteil des
Angeklagten berücksichtigt werden darf (vgl. BGH, Beschl. vom
25. Juni 2002 - 5 StR 202/02 - m.w.N.).
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3. Mit der Möglichkeit der Anordnung der vorbehaltenen
Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB setzt sich das
angefochtene Urteil zu Recht nicht auseinander. § 66a StGB
setzt voraus, dass eine erhebliche, nahe liegende Wahrscheinlichkeit
dafür besteht, dass der Täter für die
Allgemeinheit im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB
gefährlich ist und dies auch zum Zeitpunkt einer
möglichen Entlassung aus dem Strafvollzug sein wird (vgl.
Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 66a Rdn. 8). Diese
zweite Voraussetzung ist hier nicht festgestellt.
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Nack Wahl Boetticher
Kolz Graf |