BGH,
Urt. v. 20.9.2000 - 2 StR 276/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 276/00
vom
20. September 2000
in der Strafsache gegen
wegen Rechtsbeugung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20.
September 2000, an der teilgenommen haben: Vizepräsident des
Bundesgerichtshofes Dr. Jähnke als Vorsitzender, der Richter
am Bundesgerichtshof Dr. Bode, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr.
Otten, der Richter am Bundesgrichtshof Rothfuß, die Richterin
am Bundesgerichtshof Elf als beisitzende Richter, Bundesanwalt als
Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Wiesbaden vom 27. Januar 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des
Landgerichts Frankfurt am Main zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Rechtsbeugung zu einer
Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der
Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die gegen dieses Urteil
gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung
formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der
Sachrüge Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte war seit 1979 Richter, seit 1989 Direktor des
Amtsgerichts R. . Am Wochenende 6./7. Juni 1998 war er für den
Bereitschaftsdienst am Amtsgericht E. eingeteilt.
Am Samstag, den 6. Juni 1998, ging beim Amtsgericht E. ein an das
Verwaltungsgericht W. gerichteter Schriftsatz der Tochter des
Angeklagten, der Zeugin S. , ein, den der Rechtspfleger gegen 10.00 Uhr
vorfand. Darin beantragte sie, eine einstweilige Anordnung gegen die
Stadt E. zu erlassen mit dem Inhalt, der Antragstellerin
während des Erdbeerfestes vom 12. bis 15. Juni 1998 die
Zufahrt mit PKW zu ihrem Wohnhaus zu ermöglichen, der Stadt zu
untersagen, das Abspielen von Musik und die Herstellung lauter
Geräusche während des Festes zu gestatten und der
Stadt aufzugeben, solchen Lärm zu verhindern. In einem
Begleitschreiben teilte die Zeugin mit, sie habe am selben Tag
versucht, den Antrag beim Verwaltungsgericht W. einzureichen, was ihr
jedoch nicht gelungen sei, da dieses geschlossen sei. Wegen der
außerordentlichen Eilbedürftigkeit richte sie ihren
Antrag daher an das Amtsgericht E. . Zugleich bat die Zeugin per Fax
darum, ihren Antrag wegen der außerordentlichen Dringlichkeit
sofort dem Sachbearbeiter bzw. Richter vorzulegen.
Nachdem der Angeklagte den Antrag durchgesehen hatte,
äußerte er gegenüber dem anwesenden
Rechtspfleger, er müsse den Antrag wohl bearbeiten, auch wenn
die Antragstellerin seine Tochter sei, ein anderer Richter sei nicht
erreichbar. Bemühungen, andere Kollegen oder das
Verwaltungsgericht W. zu erreichen, unternahm er nicht.
Während er mit dem Abfassen des Beschlusses, den er selbst auf
der Maschine schrieb, weil eine Schreibkraft nicht sogleich zu
erreichen war, befaßt war, erschien der Zeuge Dr. M. im
Gericht. Er wurde dem Angeklagten von dem Rechtspfleger zutreffend als
Richter am Amtsgericht E. vorgestellt, worauf der Angeklagte den Zeugen
in barschem Ton aufforderte, das Zimmer zu verlassen, er wolle nicht
gestört werden.
Der Angeklagte stellte seinen Beschluß fertig, mit dem er
eine einstweilige Anordnung erließ, die dem Antrag seiner
Tochter weitgehend entsprach und lediglich hinsichtlich der Musik die
Einschränkung enthielt, daß diese von der Stadt
nicht zu gestatten oder zu dulden sei, soweit sie
Zimmerlautstärke überschreite. In den
Gründen des Beschlusses führte er unter anderem aus:
" ... Aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 GG folgt, daß das
Amtsgericht solange zuständig ist, als das Fachgericht nicht
erreicht werden kann und unaufschiebbare Entscheidungen zu treffen
sind. Der Richter ist über den Antrag und seine
Zuständigkeit deswegen höchst unglücklich,
weil er mit der Antragstellerin im 1. Grad der Hauptlinie verwandt ist.
Dessen ungeachtet muß er dennoch über den Antrag auf
Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes befinden, weil es sich
um eine unaufschiebbare Angelegenheit handelt und trotz rechtlichen
Ausschlusses von der Entscheidung in einem solchen Fall zu entscheiden
ist, §§ 42, 47 ZPO. ... Ein anderer Richter (des AG
E. ist nicht erreichbar). ..."
Die Akte versah der Angeklagte mit der Verfügung:
"1. Ausfertigung an GVollz F. zur Zustellung mit Antragsabschrift
2. Austragen
3. Urschriftlich mit Anlagen dem Verwaltungsgericht in W.
übersandt."
Nachdem der Gerichtsvollzieher mit einer Ausfertigung des Beschlusses
das Gericht verlassen hatte, entschuldigte sich der Angeklagte bei dem
Zeugen Dr. M. , den er möglicherweise erst jetzt als Kollegen
erkannte, für sein unfreundliches Verhalten und schilderte ihm
den gerade entschiedenen Fall, wobei er erwähnte,
daß seine Tochter den Antrag gestellt habe, er aber leider
habe entscheiden müssen, da der Antrag eilig sei.
Den Gerichtsvollzieher, der zu Bedenken gegeben hatte, daß
die Verwaltung der Stadt am Wochenende nicht besetzt sei und er deshalb
nicht zustellen könne, hatte er zuvor angewiesen, beim
Bürgermeister persönlich an dessen Wohnanschrift
zuzustellen. Da der Gerichtsvollzieher den Bürgermeister am
Samstag jedoch nicht erreichte und er die Sache nicht für so
eilig hielt, stellte er ihm den Beschluß am Montag morgen in
dessen Diensträumen zu. Die Akte gelangte am gleichen Tag
durch Boten an das Verwaltungsgericht W. , das nach einer
Anhörung am 10. Juni 1998 den Beschluß des
Amtsgerichts E. für gegenstandslos erklärte, das
Verfahren einstellte, soweit die Antragstellerin den Antrag
zurückgenommen hatte, und im übrigen den Antrag
zurückwies.
II.
Das Landgericht hat den Angeklagten für schuldig befunden,
vorsätzlich aus sachfremden Erwägungen eine
Entscheidung zum Vorteil seiner Tochter getroffen zu haben, indem er
seine Familienangehörigkeit zu der rechtsuchenden Partei
über seine gesetzliche Pflicht, sich einer Sachentscheidung zu
enthalten, gestellt habe.
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, weil die Ausführungen
des Landgerichts zur inneren Tatseite rechtlich zu beanstanden sind.
1. Der Angeklagte hat als Richter bei Erlaß der einstweiligen
Anordnung Verfahrensrecht verletzt.
Mit dem an das Verwaltungsgericht gerichteten Antrag gegen die Stadt E.
wurde ein öffentlich-rechtlicher Anspruch, für den
hier der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 VwGO gegeben war,
geltend gemacht. Die Rechtswegregelung des § 40 VwGO bezieht
sich auf das gesamte Verfahren, auch auf die Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes, eine subsidiäre
Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte
gemäß Art. 19 Abs. 4 S. 2 GG kommt nicht Betracht
(Redeker/von Oertzen, VwGO 12. Aufl. 1997, § 40 Rdn. 1; Kopp;
VwGO 10. Aufl. 1994 § 40 Rdn. 1). Der Angeklagte, der der
ordentlichen Gerichtsbarkeit angehört, war schon aus diesem
Grund nicht zuständig.
Mit seiner Entscheidung über den Antrag seiner Tochter hat der
Angeklagte weiter gegen § 54 Abs. 1 VwGO, § 41 Nr. 3
ZPO verstoßen, weil er in einer Sache entschieden hat, bei
der er als Vater der Antragstellerin von jeglicher Mitwirkung
ausgeschlossen war, dies gilt auch für unaufschiebbare
Amtshandlungen nach § 47 ZPO.
Die Inanspruchnahme seiner Zuständigkeit war danach grob
verfahrensfehlerhaft.
Rechtsbeugung kann durch einen Verstoß gegen
Verfahrensvorschriften begangen werden (RGSt 57, 31, 34; BGHSt 32, 257
f.; 38, 381, 383, 42,
343 f). Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung stellt jedoch eine
Beugung des Rechts im Sinne vom § 339 StGB dar; vielmehr
enthält dieses Tatbestandsmerkmal ein normatives Element.
Erfaßt werden sollen nur elementare
Rechtsverstöße, bei denen sich der Täter
bewußt und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt
(ständige Rechtsprechung, BGHSt 32, 357; 34, 146, 149; 38,
381, 383; 42, 343, 345). In diesem Sinne sind die angesprochenen
Verfahrensverstöße, insbesondere aber die Verletzung
der § 54 VwGO, §§ 41, 47 ZPO gravierend.
Gerade der Ausschluß eines Richters bei naher Verwandtschaft
(hier Vater-Tochter-Beziehung), ist in allen Verfahrensordnungen
geregelt. Auf die Einhaltung dieser Bestimmung vertraut jeder
Bürger in besonderem Maße.
Allerdings liegt es bei Verfahrensverstößen nicht
ohne weiteres auf der Hand, daß durch die Rechtsverletzung
eine Besserstellung oder Benachteiligung einer Partei bewirkt wird. Die
Nichtbeachtung von Zuständigkeitsnormen kann für sich
genommen für das Ergebnis indifferent sein, da der Richter bei
der Sachentscheidung an die gleichen rechtlichen Bestimmungen gebunden
ist, wie der an sich zuständige Richter. Erforderlich ist
deshalb, daß durch die Verfahrensverletzung die konkrete
Gefahr einer falschen Entscheidung begründet wurde, ohne
daß allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich
eingetreten sein muß (BGHSt 42, 343, 346, 351). Die Gefahr
der bewußten Manipulation des Entscheidungsergebnisses liegt
bei Verstößen gegen eine
Ausschlußbestimmung wie sie hier vorliegt, jedoch sehr nahe,
sie ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Richter aus sachfremden
Motiven die Zuständigkeit an sich gezogen hat, um der einen
Prozeßpartei einen Gefallen zu tun (BGHSt 42, 353).
2. Eine solche sachfremde Motivation des Angeklagten hat das
Landgericht zwar festgestellt. Die Würdigung des Landgerichts
zur inneren Tatseite beruht aber auf einer unzureichenden Grundlage und
läßt wesentliche Umstände
unberücksichtigt.
Der Angeklagte hatte sich dahin eingelassen, er habe sich wegen der
besonderen Eilbedürftigkeit entsprechend § 47 ZPO zur
Entscheidung für befugt und verpflichtet gehalten. Mit der
Sperrung der Straße habe am Montag begonnen werden sollen.
Das Landgericht hat dagegen angenommen, der Angeklagte habe
gewußt, daß der Antrag nicht
außerordentlich eilig gewesen sei. Die Sperrung des
Parkplatzes am Rheinufer, die am Montag den 8. Juni 1998 erfolgen
sollte, habe noch keine unmittelbare Beeinträchtigung der
Zufahrtsmöglichkeiten für seine Tochter bedeutet, die
Lärmbelästigung habe erst ab Beginn des Festes
eintreten können. Bei dieser Würdigung setzt sich das
Landgericht jedoch nicht damit auseinander, daß der
Angeklagte von einer Straßensperrung ausgegangen sein will
und berücksichtigt auch nicht, daß die
Maßnahmen der Stadt, mit denen die Anordnungen des
Beschlusses umzusetzen waren, möglicherweise einen gewissen
Vorlauf benötigten. Welche Angaben der Angeklagte zu seinen
Vorstellungen über die von der Stadt zu ergreifenden
Maßnahmen gemacht hat, hat es nicht mitgeteilt.
Unabhängig davon hält das Landgericht aber auch seine
Einlassung für widerlegt, er sei bei seiner Entscheidung
rechtsirrtümlich davon ausgegangen, entsprechend § 47
ZPO auch als ausgeschlossener Richter wie geschehen verfahren zu
dürfen. Er habe nicht - wie von ihm angegeben - eine Kollegin
angerufen. Bemühungen, andere Kollegen zu erreichen, habe er,
wie er selbst eingeräumt habe, nicht unternommen. Er habe
schnell und zielgerichtet gehandelt. Daraus folgt nach
Überzeugung der Kammer, daß er spätestens
nach Durchlesen des Antrags selbst im Sinne seiner Tochter habe
entscheiden wollen, um zu verhindern, daß andere damit
befaßte Kollegen der ordentlichen Gerichtsbarkeit an diesem
Samstag oder auch erst am Montag den Antrag an das Verwaltungsgericht
weiterleiten oder gar zurückweisen würden.
Diese Schlußfolgerungen des Landgerichts sind zwar an sich
möglich, sie berücksichtigen aber nicht,
daß nach dem Sachverhalt auch Anhaltspunkte dafür
bestehen, daß der Angeklagte sich in Verkennung der
Rechtslage zur Entscheidung berechtigt und verpflichtet gehalten haben
kann:
So hat er nicht nur im Beschluß selbst auf das - wegen der
Namensverschiedenheit nicht offensichtliche -
Verwandtschaftsverhältnis zu der Antragstellerin hingewiesen
und ausgeführt, daß er wegen der besonderen
Eilbedürftigkeit nach § 47 ZPO handeln
müsse, sondern diese Rechtsmeinung schon bei Eingang des
Antrags gegenüber dem Rechtspfleger als auch unmittelbar nach
Absetzung und Aushändigung des Beschlusses an den
Gerichtsvollzieher gegenüber dem ihm als Kollegen
vorgestellten Dr. M. vertreten. Er hat auch nicht versucht, die Vorlage
der Akten an das zuständige Verwaltungsgericht zu
verzögern, sondern für die umgehende
Übersendung der Akten gesorgt, wodurch sein Handeln sofort
offenbar wurde und noch rechtzeitig eine Entscheidung getroffen werden
konnte.
Mit diesen ungewöhnlichen Umständen, die sein Handeln
zur Verfolgung eines seine Tochter begünstigenden Zwecks als
wenig sinnvoll erscheinen lassen, hätte sich das Landgericht
auseinandersetzen und dabei auch mitteilen und erörtern
müssen, welche Angaben der Angeklagte zu seinen Vorstellungen
vom weiteren Verfahrensablauf beim Verwaltungsgericht gemacht hat.
Die aufgezeigten Fehler führen zur Aufhebung des Urteils. Ein
vom Angeklagten beantragter Freispruch durch den Senat kam nicht in
Betracht, denn es ist nicht auszuschließen, daß ein
neuer Tatrichter rechtsfehlerfrei Feststellungen treffen kann, die zu
einer Verurteilung gemäß § 339 StGB
führen.
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2
Satz 1 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht
Frankfurt am Main zurück.
Jähnke Bode Otten
Rothfuß Elf |