BGH,
Urt. v. 21.8.2002 - 2 StR 152/02
2 StR 152/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
21. August 2002
in der Strafsache gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 21.
August 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Rissing-van Saan als Vorsitzende, Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Otten, die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß, Prof. Dr. Fischer und Richterin am Bundesgerichtshof
Elf als beisitzende Richter, Bundesanwalt in der Verhandlung,
Staatsanwalt bei der Verkündung als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Darmstadt vom 13. Februar 2002 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer
räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von zwei
Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt und den
sichergestellten Schreckschußrevolver nebst Munition
eingezogen. Die dagegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft
beanstandet mit der Sachrüge insbesondere die Verletzung des
§ 316 a StGB. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. a) Nach den Urteilsfeststellungen verfügte der Angeklagte
am Tattag, dem 20. August 2001, nicht mehr über die
für den täglichen Bedarf erforderlichen Geldmittel
und hatte seit zwei Tagen fast nichts mehr gegessen. Er kam auf den
Gedanken, ein Taxi "zu kapern", um nach Berlin zu fahren, wo seine
Eltern und eine Bekannte wohnten. Gegen 23.30 Uhr bestieg er am
Frankfurter Flughafen ein Taxi. Er setzte sich auf den
Rücksitz und ließ sich zunächst zu seinem
früheren Wohnort nach R. fahren. Diese Fahrt wollte er dazu
nutzen, sich darüber klar zu werden, ob er die geplante Tat
tatsächlich durchführen wollte.
Als der Taxifahrer am angegebenen Ziel anhielt, das Innenlicht
anschaltete und kassieren wollte, faßte der Angeklagte den
Entschluß, sein Vorhaben durchzuführen. Er richtete
einen geladenen Schreckschußrevolver auf den Halsbereich des
Taxifahrers und forderte ihn auf, Innenlicht sowie Sprechfunk
auszuschalten und ihn nach Berlin zu fahren. Dabei kam es ihm gerade
auf die unentgeltliche Nutzung des Taxis als Transportmittel nach
Berlin an, weil er nicht über genügend Geld
verfügte, um eine reguläre Fahrt zu bezahlen. Der
Taxifahrer, der den Revolver für eine scharfe Waffe hielt,
nahm die Drohung ernst und fuhr auf die Autobahn in Richtung Berlin. In
seiner Angst spielte er kurzzeitig mit dem Gedanken, einen Unfall
herbeizuführen, um sich aus der Bedrohungssituation zu
befreien. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der Angeklagte die
Waffe während der Fahrt ständig in den
Händen hielt oder zwischenzeitlich auf dem Rücksitz
abgelegt hatte. Zumindest war die Waffe für den Angeklagten
jederzeit griffbereit.
Unter dem Einfluß der fortdauernden Bedrohung kaufte der
Taxifahrer für den Angeklagten in der Nähe von Kassel
für ca. 10 DM etwas zu essen, ließ ihn mit seinem
Handy ein Telefongespräch führen und fuhr
schließlich gegen 4.00 Uhr am Folgetag
weisungsgemäß auf den Parkplatz der
Raststätte W. . Dort forderte der Angeklagte - weiter unter
Ausnutzung der fortdauernden Bedrohung - von dem Taxifahrer die
Herausgabe von 10 DM und die Fahrzeugschlüssel. Nachdem er
beides erhalten hatte, stieg er aus, um sich etwas zu kaufen. Der
Taxifahrer entdeckte nun den Schreckschußrevolver, den der
Angeklagte unter dem Fahrzeugsitz versteckt hatte, nahm ihn an sich und
ging dem Angeklagten nach. Als der Angeklagte dies erkannte, warf er
den Wagenschlüssel ins Taxi und flüchtete.
b) Das Landgericht hat von einer Bestrafung nach § 316 a StGB
abgesehen, da es an einer Ausnutzung der besonderen
Verhältnisse des Straßenverkehrs fehle. Es ist der
Auffassung, zur Zeit des Angriffs auf den Taxifahrer in R. - durch
Vorhalten der Waffe - sei die zuvor durchgeführte Taxifahrt
beendet und das Fahrzeug nicht mehr Teil des fließenden
Verkehrs gewesen. Den Entschluß zur Begehung der schweren
räuberischen Erpressung habe der Angeklagte daher erst nach
Ende der Fahrt gefaßt. Trotz der unmittelbar folgenden
Weiterfahrt sei ein nur vorübergehendes, fahrtechnisch
bedingtes Anhalten nicht gegeben. Die im Verlauf der folgenden Fahrt
geäußerten weiteren Forderungen würden
für sich genommen keinen erneuten Angriff auf die
Entschlußfreiheit darstellen, da diese durch das
anfängliche Vorhalten der Waffe bereits aufgehoben gewesen sei.
2. Diese rechtliche Würdigung der getroffenen Feststellungen
hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Das Tatbestandsmerkmal des Ausnutzens der besonderen
Verhältnisse des Straßenverkehrs ist
erfüllt, wenn der Täter sich eine Gefahrenlage
zunutze macht, die dem fließenden Verkehr
eigentümlich ist. Eine solche besteht vor allem
während des Fahrvorgangs; sie kann auch während eines
verkehrsbedingten und sogar während eines sonstigen
vorübergehenden Halts im Verlauf einer noch andauernden Fahrt
vorliegen (BGHSt 6, 82, 84; 13, 27, 29 f.; 18, 170, 171; 37, 256, 258;
38, 196, 197; BGHR StGB § 316 a Abs. 1
Straßenverkehr 10). An dem Regelungsgehalt dieses
Tatbestandsmerkmals hat sich durch die Neufassung des § 316 a
Abs. 1 StGB durch das 6. StrRG sachlich nichts geändert.
Dadurch ist lediglich das frühere Unternehmensdelikt in ein
Delikt umgestaltet worden, das durch "Verüben eines Angriffs"
begangen wird (BGH NStZ 2001, 197). Beim Verüben des Angriffs
wird jedoch eine dem fließenden Verkehr
eigentümliche Gefahrenlage nur dann ausgenutzt, wenn nach dem
Tatplan das Kraftfahrzeug als Verkehrsmittel für die Begehung
eines Raubes, eines räuberischen Diebstahls oder einer
räuberischen Erpressung eine Rolle spielt. Dies ist nicht
gegeben, wenn der Entschluß zu einer solchen Tat erst nach
Beendigung der Fahrt gefaßt und ausgeführt wird
(BGHSt 19, 191, 192; 24, 320, 321; 37, 256, 258; BGH NStZ 2000, 144).
b) So liegt der Fall hier nicht. Der Angeklagte hatte den
räuberischen Entschluß in R. gefaßt, als
für den Taxifahrer die Fahrt noch nicht beendet war, er
vielmehr nur kurz angehalten hatte, um zu kassieren und danach
weiterzufahren. Somit lag für ihn, gemessen an seiner
berufsbedingten Situation, nur ein vorübergehender Halt und
deshalb keine Beendigung der Fahrt vor. Durch Ziehen der Waffe im
vorübergehend haltenden Fahrzeug hatte der Angeklagte den
Angriff auf die Entschlußfreiheit des Taxifahrers
verübt und dabei die besonderen Verhältnisse des
Straßenverkehrs ausgenutzt. Damit war der Tatbestand des
räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer nach § 316 a
StGB vollendet, ungeachtet dessen, daß die Drohung
fortdauerte.
3. Das Landgericht hat das abgeurteilte Geschehen im übrigen
nicht erschöpfend gewürdigt.
a) Während der fortdauernden Bedrohung hat der Angeklagte
nicht nur tateinheitlich eine schwere räuberische Erpressung
begangen, deren Gegenstand die Fahrt als solche war, sondern auch einen
erpresserischen Menschenraub gemäß § 239 a
Abs. 1 2. Alternative StGB.
Er hatte sich in R. des Taxifahrers bemächtigt und nutzte
während der Fahrt in Richtung Berlin die von ihm geschaffene
Bemächtigungslage zu weiteren Erpressungshandlungen aus, indem
er von dem Taxifahrer verlangte, ihm für ca. 10 DM etwas zu
essen zu kaufen, ihn mit seinem Handy telefonieren zu lassen und ihm
schließlich 10 DM auszuhändigen.
b) Die ausgeurteilte schwere räuberische Erpressung hat das
Landgericht als einen Fall von § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB
gewürdigt. Es liegt aber eine Strafbarkeit nach § 250
Abs. 2 Nr. 1 StGB nahe.
Eine geladene Schreckschußwaffe, bei der Pulvergas nach vorne
aus der Revolvermündung austritt, kann bei einem relativen
Nahschuß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes als
gefährliches Werkzeug im Sinne von § 250 Abs. 2 Nr. 1
StGB verwendet worden sein (vgl. BGHR StGB § 250 Abs. 2 Waffe
2; BGH, Beschl. vom 3. April 2002 - 1 ARs 5/02 - mit weiteren
Nachweisen). Insoweit sind die Feststellungen des Landgerichts jedoch
unzureichend. Es ist nicht festgestellt, ob der Angeklagte auf der
Rückbank hinter dem Fahrersitz oder hinter dem Beifahrersitz
im Taxi Platz nahm. Aufgrund der engen räumlichen
Verhältnisse im Fahrzeug spricht aber vieles dafür,
daß er mit dem geladenen Schreckschußrevolver dem
Halsbereich des Zeugen sehr nahe kam. Feststellungen zu dieser
Entfernung und der genauen Beschaffenheit des geladenen
Schreckschußrevolvers enthält das Urteil nicht.
4. Mangels insoweit ausreichender Feststellungen kam eine
Schuldspruchänderung durch den Senat nicht in Betracht. Das
Urteil war daher mit den Feststellungen aufzuheben.
Rissing-van Saan Otten Rothfuß Fischer Elf
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