BGH,
Urt. v. 21.8.2003 - 3 StR 234/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 234/03
vom
21.8.2003
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21.
August
2003, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Winkler
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach,
Pfister,
von Lienen,
Becker
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin der Angeklagten Ka. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten Y. ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts
Hannover vom 10. Februar 2003 mit den Feststellungen
aufgehoben, soweit es die Angeklagten K. , Ka. und Y.
betrifft.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu
Freiheitsstrafen von sechs
Jahren und sechs Monaten (K. und Ka. ) bzw. von sechs Jahren
(Y. ) verurteilt und gegen die Angeklagte Ka. eine isolierte Sperre nach
§ 69 a StGB verhängt. Die früheren
Mitangeklagten I. und A. sind
wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer
Menge zu Bewährungsstrafen verurteilt worden. Insoweit ist das
Urteil rechtskräftig.
Die zu Ungunsten der Angeklagten K. , Ka. und Y. eingelegte
Revision der Staatsanwaltschaft rügt Verfahrensfehler und die
Verletzung materiellen
Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils
insgesamt,
soweit es diese drei Angeklagten betrifft.
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1. Die Staatsanwaltschaft hat den Revisionsantrag gestellt, das
angefochtene
Urteil aufzuheben, sich mit Einzelangriffen indes
ausschließlich gegen
den Rechtsfolgenausspruch gewandt. Soweit darin eine
Beschränkung der Revision
auf den Rechtsfolgenausspruch zu sehen sein könnte (vgl. BGHR
StPO
§ 344 I Antrag 3; Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 5
m. w. N.), wäre diese
nicht wirksam, denn die Feststellungen zum Schuldspruch sind keine
tragfähige
Grundlage für die Prüfung des Schuldumfangs und
ermöglichen deshalb
dem Revisionsgericht nicht die isolierte Überprüfung
der tatrichterlichen Strafzumessung
(vgl. BGH NStZ 1994, 130; Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn.
10).
Die Feststellungen des Landgerichts lassen es nämlich als
nicht fernliegend
erscheinen, daß die Angeklagten unerlaubt mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge Handel getrieben und dabei als Mitglieder einer Bande gehandelt
haben, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat
(§ 30 a Abs. 1 BtMG). Das Landgericht leitet die Darstellung
des zur Überzeugung
der Kammer feststehenden Sachverhaltes (UA S. 8) mit den Worten ein:
"Innerhalb der Tätergruppe wurde der Angeklagte K. als
'Schwager', der
Angeklagte Y. 'Cousin', der Angeklagte A. 'Apo' und der Angeklagte
I. 'Friseur' genannt." Sodann wird eine Reihe von Telefonaten
wörtlich
wiedergegeben, bei denen die Angeklagten diese Decknamen sowie
verschiedene
Tarnbegriffe verwendet hatten. In den Telefonaten, die nach der
Überzeugung
der Strafkammer der Vorbereitung einer Übernahme von 10 kg
Heroin
dienten, ist zudem mehrfach von einem "gleichen Ort" der
Übergabe gesprochen
worden. Danach hätte sich dem Landgericht die Prüfung
aufdrängen
müssen, ob die Angeklagten nicht Bandenhandel mit
Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge begangen haben. Diese unzureichende Feststellung
des
Tathintergrundes ermöglicht keine ausreichende
revisionsgerichtliche Über-
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prüfung des Strafausspruchs und würde daher zur
Unwirksamkeit einer etwaigen
Beschränkung des Rechtsmittels auf den Strafausspruch
führen.
Da das Landgericht die sich aufdrängende Prüfung
unterlassen hat, ob
sich die Angeklagten wegen bandenmäßigen
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge strafbar gemacht haben, unterliegt der
Schuldspruch
auf die Revision der Staatsanwaltschaft der Aufhebung. Eine Erstrekkung
(§ 357 StPO) auf die früheren Mitangeklagten A. und
I. kommt
nicht in Betracht, weil die Aufhebung des Urteils nicht zu Gunsten der
Angeklagten
erfolgt.
2. Da bereits dieser Rechtsfehler zur umfassenden Aufhebung des Urteils
führt, kommt es auf die weiteren formellen und
sachlich-rechtlichen Beanstandungen
nicht mehr an. Im Hinblick auf die neue Hauptverhandlung sieht
sich der Senat jedoch zu folgenden Hinweisen veranlaßt:
a) Die rechtliche Begründung, mit der das Landgericht
Beweisanträge
der Staatsanwaltschaft zur umfangreichen Einbindung der Angeklagten in
den
Heroinhandel abgelehnt hatte, begegnet Bedenken. Mit diesen
Anträgen wollte
die Staatsanwaltschaft beweisen, daß die Angeklagten bereits
vor der zur Aburteilung
stehenden Tat in erheblichem Umfang an
Betäubungsmittelgeschäften
beteiligt waren, um dies - nach entsprechendem Hinweis - bei der
Strafzumessung
für die angeklagte Tat schulderschwerend
berücksichtigen zu können.
Wegen dieser Taten war das Verfahren teils nach § 154 Abs. 1
StPO im
Hinblick auf den Anklagevorwurf vorläufig eingestellt worden,
teils waren sie
Gegenstand eines andernorts anhängigen Ermittlungsverfahrens.
Das Landgericht
hat die Beweisanträge als unzulässig abgelehnt, weil
mit ihnen andere,
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nicht den Gegenstand der Anklage bildende Straftaten
aufgeklärt werden sollten.
Es ist der Auffassung, damit werde gegen den Grundsatz des fairen
Verfahrens
verstoßen und die Vorschrift des § 266 StPO umgangen.
Diese Begründung läßt außer Acht,
daß der Ermittlungsgrundsatz das
Gericht verpflichtet, die Beweisaufnahme zur Erforschung der Wahrheit
auf alle
Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die
Entscheidung von Bedeutung
sind, gleich ob sie die Schuld- oder Straffrage betreffen. Dabei hindert
der Grundsatz, daß sich Untersuchung und Entscheidung auf die
in der Anklage
bezeichnete Tat beschränken (§ 155 Abs. 1, §
264 Abs. 1 StPO), das Gericht
nicht daran, auch andere Tatsachen zu ermitteln und festzustellen, wenn
diese zumindest mittelbar für die Beurteilung der Tat oder des
Täters von Bedeutung
sind (BGH NStZ 1981, 99 m. w. N.). Zu den Tatsachen, die in §
46
Abs. 2 StGB als für die Strafzumessung erheblich benannt sind,
gehört das
Vorleben des Täters; dies erst recht, wenn es einen
kriminellen Einschlag enthält
(Bruns NStZ 1981, 81).
Es war hier grundsätzlich von Bedeutung, ob es sich bei der
angeklagten
Tat um die erstmalige Verstrickung der Angeklagten in ein
Rauschgiftgeschäft
handelte oder ob diese schon seit längerer Zeit und in
bedeutendem
Umfang mit Betäubungsmitteln zu tun hatten. Letzteres
hätte als negatives Indiz
(Bruns NStZ 1981, 81, 82) zur Annahme eines größeren
Schuldumfangs
und zu einer schärferen Bestrafung der Angeklagten
für die angeklagte Tat
führen können (so schon BGH NJW 1951, 769, 770).
An dieser Bedeutung von Vortaten für die Strafzumessung
ändert sich
auch nichts dadurch, daß die Staatsanwaltschaft das Verfahren
insoweit bei
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der Anklageerhebung nach § 154 Abs. 1 StPO vorläufig
eingestellt hatte. Die
Einstellung entfaltet keine Sperrwirkung des Inhalts, daß
solche Vortaten nicht
mehr indiziell für die Strafzumessung verwertet werden
könnten, denn die
Vortaten werden durch diese Verwertung nicht zum Gegenstand des
Prozesses
(§ 264 StPO) gemacht und deshalb
umfangmäßig nicht durch das Anklageprinzip
beschränkt (Bruns NStZ 1981, 81, 86; ders. StV 1983, 15).
Solange es nur
um die indizielle Verwertung von Vortaten für die
Strafzumessung und nicht um
einen eigenständigen Schuld- und Strafausspruch für
diese Vortaten geht, ist
die Wiederaufnahme des vorläufig eingestellten Strafverfahrens
nach § 154
Abs. 4 StPO (und ggf. die Erhebung einer Nachtragsanklage nach
§ 266 StPO)
nicht erforderlich (vgl. BGH NStZ 1985, 324 für die
Verfahrenseinstellung nach
§ 154 Abs. 2 StPO).
Danach wäre eine Beweisaufnahme mit dem Ziel, den Angeklagten
die
Begehung früherer, nicht angeklagter Taten nachzuweisen und
diese sodann
im Rahmen der Bewertung des Vorlebens der Angeklagten
strafschärfend zu
berücksichtigen, zulässig gewesen (BGH NJW 1951, 769,
770; BGHR StGB
§ 46 Abs. 2 Vorleben 26). Soweit die letztgenannte
Entscheidung darüberhinaus
dahin verstanden werden könnte, daß die beantragte
Erhebung des
Beweises im Ermessen des Tatrichters steht, hätte der Senat
allerdings Bedenken,
dem zu folgen. Der Tatrichter hat einem Beweisantrag, dem keine
Ablehnungsgründe
nach § 244 Abs. 3 StPO entgegenstehen, nachzugehen, sofern
ihm nicht ausnahmsweise das Gesetz ein Ermessen einräumt (z.
B. § 244
Abs. 4 und 5 StPO).
Die generelle Zulässigkeit einer Beweiserhebung über
nicht angeklagte
Vortaten mit dem Ziel ihrer strafschärfenden
Berücksichtigung führt aber nicht
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dazu, daß jedem hierauf abzielenden Antrag stattgegeben
werden muß. Wegen
der Notwendigkeit, solche Taten zur Überzeugung des Gerichts
nachzuweisen,
käme die Ablehnung eines Beweisantrags als bedeutungslos in
Betracht,
wenn mit den unter Beweis gestellten Tatsachen allein der Nachweis
weiteren strafbaren Vorverhaltens nicht geführt werden
könnte (vgl. BGHR
StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 26).
Im übrigen weist der Senat darauf hin, daß es wenig
sinnvoll und eher
widersprüchlich erscheint, einerseits zur
Verfahrensvereinfachung strafbare
Verhaltensweisen nach § 154 Abs. 1 StPO auszuscheiden und sie
sodann
doch wieder zum Gegenstand einer unter Umständen umfangreichen
Beweisaufnahme
zu machen.
b) Bei der erneut zu treffenden Entscheidung, ob die
Steuerungsfähigkeit
der Angeklagten Ka. bei der Tat wegen einer schweren anderen seelischen
Abartigkeit erheblich vermindert gewesen ist, wird darauf Bedacht zu
nehmen sein, daß es sich dabei um eine vom Tatrichter im
Hinblick auf die
konkrete Straftat ohne Bindungen an die Äußerung von
Sachverständigen zu
beantwortende Rechtsfrage handelt. Der Umstand, daß die
Beurteilung einer
Spielsucht im wesentlichen allein auf Grund der Angaben der Angeklagten
gegenüber
dem Sachverständigen erfolgt ist, gibt Anlaß zu dem
weiteren Hinweis,
daß die Feststellungen der Anknüpfungstatsachen
ebenfalls dem Tatrichter
obliegt. Dieser muß Einlassungen einer Angeklagten,
für die es keine
Beweise gibt, nicht ohne weiteres seinen Überzeugungen
zugrundelegen.
c) Bei der Strafzumessung wird zu bedenken sein, daß die
Angeklagten
nur zugegeben haben, was ihnen durch die Festnahmesituation sowie die
Er-
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gebnisse der Telefonüberwachung und der Observierungen ohnehin
unschwer
hätte bewiesen werden können. Dies mindert das
Gewicht der Geständnisse
für die Strafzumessung (vgl. BGHSt 43, 195, 209; BGHR StGB
§ 46 Abs. 2
Verteidigungsverhalten 3; BGH, Beschl. vom 11. März 1998 - 3
StR 620/97).
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Zur strafschärfenden Berücksichtigung der
Untersuchungshaft und der
besonderen Strafempfindlichkeit eines ausländischen
Angeklagten wird auf
BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 17, 18 und 20
verwiesen.
Winkler Miebach Pfister
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