BGH,
Urt. v. 21.12.2006 - 3 StR 436/06
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 436/06
vom
21.12.2006
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u. a.
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
21.12.2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Tolksdorf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Winkler,
Pfister,
von Lienen,
Hubert
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Staatsanwalt bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 3 -
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Hildesheim vom 14. Juli 2006, soweit es den Angeklagten
Pascal H. betrifft, im Rechtsfolgenausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten - einen Jugendlichen - des Mordes
in Tateinheit mit schwerem Raub mit Todesfolge sowie des versuchten
schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung schuldig gesprochen und seine Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Staatsanwaltschaft
rügt mit ihrer Revision die Verletzung sachlichen Rechts. Sie
wendet sich gegen die Annahme einer erheblich verminderten
Schuldfähigkeit und der darauf gestützten
Unterbringung gemäß § 63 StGB anstelle der
Verhängung von Jugendstrafe. Das auf den Rechtsfolgenausspruch
beschränkte Rechtsmittel hat Erfolg.
1
I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen
getroffen:
2
Der Angeklagte schlug dem Zeugen W. mit voller Wucht einen
hölzernen Baseballschläger auf den Kopf, um ihm einen
Metallkoffer weg-
3
- 4 -
zunehmen, in dem er und seine zwei Mittäter einen Geldbetrag
von ca. 35.000 € vermuteten. Einen zweiten Schlag konnte der
Geschädigte mit dem Koffer abwehren, so dass er nicht am Kopf,
sondern lediglich an der Schulter getroffen wurde. Als das Opfer um
Hilfe schrie, versetzte ihm der Angeklagte noch einen Faustschlag. Dem
Geschädigten gelang es, mit dem Koffer zu flüchten.
Einige Tage später gingen der Angeklagte und seine zwei
Mittäter in die Wohnung des We. , um ihm unter Einsatz
körperlicher Gewalt Wertgegenstände wegzunehmen.
Sofort versetzte er dem stark alkoholisierten Tatopfer
Faustschläge, das dadurch bewusstlos oder zumindest stark
benommen wurde. Während die zwei Mittäter die Wohnung
durchsuchten, schlug der Angeklagte mehrmals mit seiner Faust, mit
einer leeren und einer vollen Bierflasche sowie einem Brett wuchtig auf
den Kopf des Geschädigten ein, der an den erlittenen
Verletzungen verstarb. Dabei hielt er es für möglich
und nahm es billigend in Kauf, dass die Schläge
tödlich sein könnten. Der Angeklagte und seine
Mittäter verließen die Wohnung und nahmen dabei
mehrere dem Geschädigten gehörende
Gegenstände mit.
4
II. Zur Beurteilung der Schuldfähigkeit und der Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus hat die psychiatrische
Sachverständige in ihrem Gutachten ausgeführt, beim
Angeklagten sei wegen einer schweren Störung des
Sozialverhaltens mit Krankheitswert (ICD 10: F 91.0, 91.1, 91.2, 91.3)
und einer schweren kindlichen psychoneurotischen Fehlentwicklung bei
chronischer familiärer Belastungssituation (ICD 10: F 93.0:
emotionale Trennungsangst im Kindesalter) eine schwere andere seelische
Abartigkeit zu bejahen, die bei beiden Taten - im Zusammenwirken mit
weiteren Umständen - zu einer erheblichen
Einschränkung der Steuerungsfähigkeit
geführt habe. Die Jugendkammer
5
- 5 -
hat sich dem angeschlossen und die Voraussetzungen des § 21
StGB bejaht. Sie hat - in Übereinstimmung mit der
Sachverständigen - die Unterbringung des Angeklagten in einem
psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet, weil die
große Gefahr bestehe, dass der Angeklagte wieder erhebliche
Gewalttaten gegen andere Menschen begehen werde und weniger
einschneidende Maßnahmen wie die Verhängung von
Jugendstrafe zur erzieherischen Einwirkung nicht ausreichend seien. Im
Hinblick auf die angeordnete Maßregel hat sie die Ahndung der
Taten durch eine Jugendstrafe für entbehrlich gehalten.
III. Die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen
Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher
Überprüfung nicht stand. Diese Maßregel
setzt u. a. die positive Feststellung eines länger
andauernden, nicht nur vor- übergehenden Zustandes voraus, der
zumindest eine erhebliche Einschränkung der
Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher
begründet (st. Rspr.; vgl. BGHSt 34, 22, 27;
Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 63 Rdn. 6). Sie
bedarf einer besonders sorgfältigen Begründung, weil
sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des
Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Den danach an
die Begründung zu stellenden Anforderungen genügt das
angefochtene Urteil nicht.
6
1. Die Diagnose einer schweren Störung des Sozialverhaltens
und einer schweren kindlichen psychoneurotischen Fehlentwicklung belegt
für sich allein nicht, dass der Angeklagte die Straftaten in
dem von § 63 StGB vorausgesetzten Zustand zumindest erheblich
verminderter Schuldfähigkeit begangen hat. Denn
Persönlichkeitsstörungen, die bei
Straftätern häufig vorliegen, können sich
noch innerhalb der Bandbreite menschlichen Verhaltens bewegen und
Ursache für strafbares Tun sein, ohne dass das Eingangsmerkmal
einer schweren anderen seelischen Abartigkeit erfüllt ist. Bei
einer nicht pathologisch bedingten
7
- 6 -
Persönlichkeitsstörung liegt eine andere schwere
seelische Abartigkeit nur dann vor, wenn sie in ihrem Gewicht einer
krankhaften seelischen Störung gleichkommt und Symptome
aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters
vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören,
belasten oder einengen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 34, 22, 28; 37, 397, 401;
BGH NStZ 2005, 326, 327). Dazu bedarf es einer hier fehlenden
Gesamtschau auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung der
Persönlichkeit des Angeklagten und deren Entwicklung, der
Tatvorgeschichte, dem unmittelbaren Anlass und der Ausführung
der Tat sowie des Verhaltens nach der Tat (BGH NStZ 2005, 326, 327).
Insgesamt sind die Ausführungen des Landgerichts zur
Persönlichkeitsstörung des Angeklagten so allgemein
gehalten, dass sich nicht beurteilen lässt, ob sie das
biologische Merkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit
erfüllt und den für die sichere Annahme des
§ 21 StGB erforderlichen Schweregrad erreicht.
Außerdem bleibt unklar, ob und inwieweit sich die
Persönlichkeitsstörung bei den einzelnen Taten
konkret ausgewirkt hat.
Darüber hinaus sind die Urteilsgründe zum Grad der
Persönlichkeitsstörung des Angeklagten
widersprüchlich und ohne weitere Erläuterungen nicht
nachvollziehbar. Einerseits nimmt das Landgericht eine schwere
Störung des Sozialverhaltens mit Krankheitswert und eine
schwere kindliche psychoneurotische Fehlentwicklung an. Andererseits
führt es aus, solche Störungen hätten
grundsätzlich ein hohes Risiko, sich später zu
schweren Persönlichkeitsstörungen weiterzuentwickeln.
Retrospektiv betrachtet finde man bei vielen erwachsenen Patienten mit
der genannten Persönlichkeitsstörung eine
Lebensgeschichte, die der des Angeklagten ähnlich sei.
Umgekehrt sei es aber nicht so, dass jeder, der ein entsprechendes
Störungsbild in Kindheit und Jugend zeige, später
tatsächlich eine manifeste
Persönlichkeitsstörung entwickele.
8
- 7 -
Die Urteilsgründe deuten auch darauf hin, dass die
Jugendkammer die Anforderungen an den von § 63 StGB
vorausgesetzten Zustand verkannt und ihn fehlerhaft mit der erheblich
verminderten Schuldfähigkeit gleichgesetzt hat (vgl.
Tröndle/Fischer, aaO § 63 Rdn. 6). Nach den
Urteilsgründen war die Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten erheblich eingeschränkt "durch eine Kombination
aus schwerer psychoneurotischer Fehlentwicklung, aktueller
psychosozialer Stress-Situation nach Milieuwechsel infolge Auszugs bei
der Mutter, an sich altersentsprechendem Bindungsverhalten an eine
Peergroup und Identifizierung mit einer idealisierten Vaterfigur".
Diese Umstände sind teilweise nur vorübergehender
Natur. Welches Gewicht dabei der diagnostizierten dauerhaften
Persönlichkeitsstörung beizumessen ist,
lässt sich den Ausführungen in dem angefochtenen
Urteil nicht entnehmen.
9
2. Weiterhin ist zu besorgen, dass die Jugendkammer verkannt hat, dass
die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne
des § 21 StGB erheblich vermindert war, eine Rechtsfrage ist,
die sie ohne Bindung an die Meinung der Sachverständigen in
eigener Verantwortung zu beantworten hat. Bei der Prüfung
fließen normative Gesichtspunkte mit ein, wobei entscheidend
die Anforderungen sind, die die Rechtsordnung an jedermann stellt.
Diese sind umso höher, je schwerwiegender das in Rede stehende
Delikt ist. Daher ist die Prüfung nicht generell, sondern in
Bezug auf jede einzelne Tat vorzunehmen (vgl. BGH NStZ 2004, 437, 438).
10
Den Urteilsgründen lässt sich die erforderliche
normative Wertung bei der Frage der Erheblichkeit der
Beeinträchtigung nicht entnehmen. Vielmehr hat sich die
Jugendkammer schlicht der Meinung der Sachverständigen
angeschlossen, ohne diese kritisch zu hinterfragen und eine auf den
Einzelfall bezogene Bewertung vorzunehmen. Sie hätte
insbesondere näher darlegen müs-
11
- 8 -
sen, aus welchen Gründen die diagnostizierte
Persönlichkeitsstörung bei der Tötung des
We. - einem Delikt mit einer sehr hohen Hemmschwelle - die
Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt hat.
IV. Wegen der dargestellten Rechtsfehler hebt der Senat den
Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen zur
Schuldfähigkeitsbeurteilung und zu den Voraussetzungen des
§ 63 StGB auf. Der Schuldspruch kann bestehen bleiben, weil
eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten bei beiden Taten
auszuschließen ist.
12
Tolksdorf Winkler Pfister von Lienen Hubert |