BGH,
Urt. v. 21.2.2006 - 1 StR 456/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 456/05
vom 21.2.2006
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
21.02.2006, an der teilgenommen haben: Richter am Bundesgerichtshof Dr.
Wahl als Vorsitzender und die Richter am Bundesgerichtshof
Schluckebier, Dr. Kolz, Hebenstreit, Dr. Graf, Bundesanwalt als
Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt Rechtsanwalt als
Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
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1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird
das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28.
April 2005 im Strafausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung
wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehenden
Rechtsmittel werden verworfen. Von Rechts wegen Gründe: Das
Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Gegen diese Entscheidung
wenden sich der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mit ihrer jeweils
zu Gunsten des Angeklagten eingelegten Revision. Die jeweils auf die
Sachrüge gestützten Rechtsmittel haben teilweise
Erfolg und führen zur Aufhebung des Strafausspruchs. 1
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I. Das Landgericht hat seiner Entscheidung folgende Feststellungen
zugrunde gelegt: 2 Nachdem im Dezember 2000 der gemeinsame Sohn J.
geboren worden war, wurde die Ehefrau des Angeklagten im September 2001
erneut schwanger. Obgleich die Eheleute, er ein gelernter
Krankenpfleger, sie eine Krankenschwester, sich so schnell kein zweites
Kind gewünscht hatten, akzeptierten sie die Situation. Nachdem
die Schwangerschaft zunächst unauffällig verlaufen
war, stellte der betreuende Gynäkologe bei einer
Vorsorgeuntersuchung im fünften oder sechsten
Schwangerschaftsmonat vermehrtes Fruchtwasser sowie eine
Übergröße des Fötus fest. Ein
schwangerschaftsbedingter Diabetes konnte ausgeschlossen werden; jedoch
glaubte der Angeklagte unabhängig hiervon, bei
Ultraschalluntersuchungen eine Verformung des Kopfes festgestellt zu
haben. Da jedoch der untersuchende Arzt insoweit keine Bedenken
äußerte, maß auch der Angeklagte seinen
Beobachtungen keine weitergehende Bedeutung zu. 3 Bei einer sechs
Wochen vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin
durchgeführten weiteren Ultraschall-Untersuchung wurde von dem
untersuchenden Arzt erstmals gegenüber dem Angeklagten und
seiner Ehefrau geäu-ßert, dass "mit dem Kind etwas
nicht stimmen" würde, ohne dass er dies weiter
erläuterte. Stattdessen riet er dem Ehepaar, weitere
Untersuchungen in der U-niversitätsklinik E.
durchführen zu lassen. Nach der daraufhin zeitnah am 17. April
2002 in E. durchgeführten sonografischen Untersuchung war der
untersuchende Arzt zunächst nicht in der Lage, dem Ehepaar
seine Diagnose mitzuteilen, sondern vertröstete sie mit dem
Bemerken, dass noch weitere 4
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computergestützte Abklärungen erforderlich seien.
Allerdings hatte der Angeklagte - wie auch schon bei der
vorangegangenen Ultraschall-Untersuchung - eine auffällige
Gesichtsform bemerkt, ohne dass er seine Frau hierüber
informierte. Am 17. oder 18. April 2002 wurde den Eheleuten dann durch
ihren Arzt telefonisch mitgeteilt, dass die Untersuchungen in E. zu dem
Ergebnis geführt hätten, dass das Kind an einem so
genannten Apert-Syndrom leide. Noch während dieses
Telefongesprächs nahm der Angeklagte ein medizinisches Lexikon
zur Hand, in dem ein an einem voll ausgeprägten Apert-Syndrom
erkranktes Kind abgebildet war. Sowohl der Angeklagte als auch seine
Ehefrau waren von dieser aus ihrer Sicht grauenvollen Abbildung so
beeindruckt, dass sie das Gespräch mit dem
Gynäkologen nicht fortsetzen konnten und in Tränen
ausbrachen. Bei einer wenige Tage später
durchgeführten Beratung in der Universitätsklinik E.
, an der neben dem die Ultraschall-Untersuchung durchführenden
Oberarzt weitere Ärzte anderer Fachrichtungen teilnahmen,
wurde dem Ehepaar mitgeteilt, dass bei ihrem Kind mit einer
Schädelverformung im Sinne eines so genannten
Turmschädels, einer Veränderung des Mittelgesichtes
sowie Missbildungen an Händen und Füßen zu
rechnen sei. Im Hinblick auf die Gesichtsverformungen seien kosmetische
Operationen möglich; auch die Funktion von Händen und
Füßen sei durch mehrere Operationen herstellbar.
Diesem Gespräch konnten der Angeklagte und seine Ehefrau weder
genaue Auskünfte zur Lebenserwartung des Kindes noch
bezüglich möglicher geistiger Behinderungen
entnehmen. Stattdessen wurde die Schädelverformung als nur auf
den zweiten Blick sichtbar dargestellt. Den Hinweis, einer Entbindung
im Geburtshaus in A. stünde nichts entgegen, werteten beide
als ein Anzeichen dafür, dass die körperlichen
Beeinträchtigungen ihres Kindes weniger gravierend sein
würden. Dennoch blickte der Angeklagte dem Geburtstermin ohne
Vorfreude entgegen. Der zunächst für das Kind
vorgesehene Namen Josua ("Gott hilft") wurde von dem Angeklagten und
seiner Ehefrau verworfen, weil er
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ihnen unpassend erschien. Ein neuer Name wurde von ihnen bis zum
Geburtstermin nicht mehr ausgewählt. Am 15. Mai 2002 wurde das
spätere Tatopfer Ju. R. in Anwesenheit des Angeklagten im
Geburtshaus geboren. Das Kind wies einen ausgeprägten so
genannten Turmschädel mit einer hohen, deutlich nach vorn
gewölbten Stirn, flachem Hinterkopf und einer seitlichen
Abplattung des Kopfes auf. Beide Augäpfel traten deutlich
hervor, der Augenabstand war vergrößert. An beiden
Händen waren die Finger II bis V zusammengewachsen, ebenso
waren die Zehen II bis V an beiden Füßen miteinander
verwachsen. Teilweise hatten die verwachsenen Gliedmaßen eine
durchgängige Nagelplatte, die nicht verwachsenen
Gliedmaße waren durch eine so genannte Schwimmhaut verbunden.
Hinzu kam, dass aufgrund der Deformation des Gesichtsschädels
die Nasenatmung des Kindes deutlich eingeschränkt war, weshalb
Ju. schwer atmete und deutlich hörbar röchelte. Der
Angeklagte war über das aus seiner Sicht überaus
hässliche Aussehen seines Kindes erschrocken und konnte dessen
Anblick nicht ertragen. Er verließ wortlos den Geburtsraum
und ließ seine Frau mit dem Neugeborenen zurück. Als
er einige Zeit später zurückkam, hoffte er, die
Nachricht zu erhalten, dass das Kind nicht lebensfähig sein
würde. Als ihm der herbeigerufene Kindernotarzt zur Geburt
gratulierte, empfand er dies als Hohn und fragte den Arzt im Gegenzug,
ob er schon einmal ein derart hässliches Kind gesehen habe.
Das Neugeborene wurde danach sogleich in eine Kinderklinik nach N.
verlegt, während der Angeklagte und seine Frau nach Hause
zurückkehrten. 5 In der Folge besuchten die Eheleute das Kind
regelmäßig in der Kinderklinik. Der Angeklagte hatte
jedoch weiterhin Schwierigkeiten, sich mit seiner Vaterrolle zu
identifizieren. Unter anderem bat er die Krankenschwestern um 6
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eine Betreuung des Kindes, obgleich es so hässlich sei.
Zwischenzeitlich hatten sich die Eheleute der Eltern-Initiative
Apert-Syndrom angeschlossen und fühlten sich erstmals ergiebig
informiert, nachdem sie schriftliches Informationsmaterial erhalten und
vom Vorsitzenden der Initiative telefonisch beraten worden waren.
Aufgrund der Auskunft, dass eine geistige Behinderung mit dem
Apert-Syndrom nicht notwendig verbunden sei, dafür allerdings
eine höhere Wahrscheinlichkeit als bei Kindern ohne eine
solche Erkrankung bestehe, begann der Angeklagte Hoffnung zu
schöpfen. Jedoch wurde bei einer weiteren Untersuchung
festgestellt, dass bei Ju. kein Hirnbalken angelegt war (so genannte
Balkenagenesie), weshalb eine normale intellektuelle Entwicklung nicht
mehr wahrscheinlich war. Der Angeklagte und seine Ehefrau wurden
hierüber am 21. Mai 2002 informiert. Der Angeklagte empfand
diese Mitteilung als neuerlichen schweren Rückschlag und
zweifelte an der Kompetenz der behandelnden Ärzte. Er setzte
daraufhin eine Verlegung von Ju. in die Universitätsklinik W.
durch. Dort wurden dem Kind, wie bereits schon in der Kinderklinik in
N. , zur Erweiterung der verengten Nasenwege und zur Vermeidung von
plötzlichen Atemstillständen (Apnoen), welche anfangs
aufgetreten waren, Nasenröhrchen eingesetzt. Diese mussten
mehrmals täglich abgesaugt werden, ansonsten war der Zustand
des Kindes unauffällig. Der Angeklagte besuchte seinen Sohn
täglich und versuchte seine Distanz zu überwinden. Er
zwang sich, Ju. auf den Arm zu nehmen und ihn soweit als
möglich zu versorgen. Dabei empfand er es als erleichternd,
dass in der Klinik weitere Kinder mit gravierenden Missbildungen auf
der Station waren, sodass er glaubte, sich vor deren Eltern
für das Aussehen seines Sohnes nicht so sehr schämen
zu müssen. Gleichwohl hielt er seinen Sohn mit Abstand
für das hässlichste Kind in der Abteilung. Am 20.
Juni 2002 wurde Ju. in gutem Allgemeinzustand und mit stabiler Atmungs-
und Lungensituation entlassen.
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Zuhause wurde das Kind, welches inzwischen auf Betreiben der Ehefrau
den Namen Ju. erhalten hatte, im Wohnzimmer untergebracht, denn
aufgrund der lauten Atemgeräusche störte es seinen
Bruder J. . Es lag in einer Baby-Tragetasche, die auf einer Liege
abgestellt war. Der zur Versorgung des Kindes erforderliche Aufwand
unterschied sich gegenüber einem normal entwickelten Kind nur
dadurch, dass die Atemröhrchen abgesaugt werden mussten und
sich Ju. häufiger bei der Nahrungsaufnahme verschluckte oder
nach der Mahlzeit übergeben musste. Zu
Atemstillständen kam es allerdings in der Folgezeit nicht
mehr. Der Angeklagte vermochte sich auch weiterhin nicht mit seinem
Kind zu identifizieren und glaubte nach wie vor, sich für
dessen Aussehen schämen zu müssen. Besuche von
Freunden und Bekannten lehnte er so weit als möglich ab. Auf
Nachfragen nach seinem Sohn reagierte er abweisend. Das kurz zuvor
gemachte, ernsthafte Angebot seiner damals 48 Jahre alten
Schwiegermutter, einer gelernten und erfahrenen Kinderkrankenschwester,
Ju. zu versorgen, lehnte der Angeklagte ab, weil er den Ehrgeiz hatte,
die entstandene Situation allein bewältigen und er eine
Weggabe von Ju. als ein Abschieben von Verantwortung empfand. Die
weitere Erwägung, Ju. in eine Pflegeeinrichtung zu geben,
verwarf er unter Hinweis auf seine eigenen schlechten Erfahrungen in
einem Kinderheim. An seine Ehefrau richtete er Schuldzuweisungen; sein
Leben empfand er als entwertet. Dessen ungeachtet bemühte er
sich gewissenhaft um die Pflege von Ju. und versuchte auch weiterhin,
seiner sozialen Vaterrolle gerecht zu werden. Die Ehefrau litt unter
zunehmender körperlicher Erschöpfung und den
wachsenden Spannungen in der Ehe. Für ihr behindertes Kind
empfand sie vornehmlich Mitleid. Als Ju. in der ersten Juliwoche
zunehmend apathischer wirkte und aus ihrer Sicht nur noch wenig Nahrung
zu sich nahm, verzweifelte sie. Spontan entschloss sie sich am 3. Juli
2002 dazu, ihren Ehemann auf dessen Arbeitsstelle anzurufen. Weinend
legte sie ihm ihren Zustand offen, worauf der Angeklagte erstmals a-7
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kut um den Fortbestand seiner Ehe fürchtete. Daraufhin sah
sich der Angeklagte zum Handeln veranlasst und begann ernsthaft eine
Tötung des Sohnes Ju. in Erwägung zu ziehen. Im
Vordergrund stand dabei die Intention, sein Leben vor einer weiteren
Entwertung zu schützen und seine gefährdete Ehe zu
erhalten, aber es kam auch der Gedanke hinzu, seinem Sohn Ju. durch
eine Tötung Qualen zu ersparen. Nachdem am Abend des 5. Juli
2002, zwei Tage nach dem verzweifelten Telefonanruf seiner Ehefrau,
diese nun bei einem Telefonat auch ihrer Mutter gegenüber ihre
Situation beklagte, fasste der Angeklagte den Entschluss, Ju. in dieser
Nacht zu töten. Er hatte sich entschlossen, den Kopfausschnitt
der Baby-Tragetasche durch aufgelegte Decken luftdicht zu
verschließen. Er glaubte dadurch zu erreichen, dass der Junge
das ausgeatmete Kohlendioxid wieder einatmet, dadurch in eine Art
Narkose verfällt und dann verstirbt. Der Angeklagte hielt das
für einen sanften Tod. Gegen 21.30 Uhr gingen die Eheleute
gemeinsam zu Bett. Zu diesem Zeitpunkt stand die Tragetasche mit Ju.
auf der Liege, wobei neben der Tragetasche ein so genanntes Babyphon
stand, durch welches Geräusche des Kindes an das
zugehörige Empfangsgerät am Kopfende des Bettes der
Ehefrau übertragen werden konnten. Gemäß
seinen Überlegungen stand der Angeklagte danach nochmals auf,
vorgeblich um noch einmal nach dem Kind zu schauen. Sodann deckte er
mit bereitliegenden Wolldecken die Tragetasche möglichst
luftdicht ab und regelte die Empfindlichkeit des Babyphons so weit
herunter, dass keine Geräusche mehr ins elterliche
Schlafzimmer übertragen werden konnten. Danach ging er erneut
zu Bett und sagte zu seiner Frau, dass alles in Ordnung sei. 8 In der
Folge erstickte Ju. durch die Anreicherung der eingeatmeten Luft mit
Kohlendioxid und dem gleichzeitig sinkenden Sauerstoffanteil. Aller-9
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dings war entgegen der Auffassung des Angeklagten dieser
Erstickungsvorgang qualvoll, weil die erfolgte Anreicherung der
Atemluft mit Kohlendioxid zunächst zu einer Stimulation des
Atemzentrums führte. Da Ju. zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits
an einer chronischen Lungenentzündung litt und
zusätzlich von einer Vorschädigung des Gehirns
auszugehen war, trat der Tod möglicherweise bereits nach zwei
Minuten ein. Als der Angeklagte gegen 3.00 Uhr morgens erwachte, begab
er sich sogleich in das Wohnzimmer, entfernte die Decken und stellte
den Tod des Kindes fest. Danach weckte er seine Ehefrau, welche
ebenfalls erkannte, dass Ju. tot war. Aufgrund des apathischen
Verhaltens des Kindes in der vorangegangenen Woche ging sie von einem
natürlichen Tod aus. Der herbeigerufene Notarzt
verständigte die Polizei, worauf die Eheleute als Zeugen
vernommen wurden. Bei der am 8. Juli 2002 durchgeführten
Obduktion wurden keine typischen Zeichen für eine
Gewalteinwirkung festgestellt. Der Tod von Ju. R. schien als Folge
eines Atemversagens bei schwerem Missbildungssyndrom und einer
möglicherweise gleichzeitig vorliegenden
entzündlichen Veränderung der Lunge
erklärbar, worauf von weiteren Ermittlungen abgesehen und das
Verfahren eingestellt wurde. Ohne den Tod von Ju. R. wären in
den ersten sechs Lebensmonaten voraussichtlich mehrere
aufwändige Schädeloperationen notwendig geworden, um
eine neue Gesichtsform herzustellen - unter anderem verbunden mit einer
Lösung aller knöchernen Verbindungen im Bereich des
Gesichtsschädels. Die miteinander verwachsenen Finger und
Zehen hätten in weiteren Einzeloperationen voneinander
getrennt werden müssen, wobei eine Beweglichkeit ab dem
Grundgelenk hätte hergestellt werden können. So
wären etwa 20 bis 30 Operationen in den ersten drei
Lebensjahren erforderlich geworden. Die vorhandene Balkenagenesie
hätte, da Hinweise auf weitere Hirnfehlbildungen vorlagen, mit
hoher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Intelligenzminderung zur 10
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Folge gehabt. Zudem bestand aufgrund der bereits chronischen
Lungenentzündung mit deutlich verbreiterten Lungensepten und
Hinweisen auf eine Störung des Atemzentrums eine
erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen zu einem
späteren Zeitpunkt eintretenden Tod aufgrund eines
Rechtsherzversagens, sodass das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit nur
das Kleinkindalter erreicht hätte. Zwischen den Eheleuten kam
es zunächst zu keinem intensiveren Gespräch
über die Ursachen des Todes von Ju. . Der Angeklagte blieb
gegenüber seiner Ehefrau sehr verschlossen und ließ
eine erhebliche Verbitterung erkennen. Erst im Verlauf einer
mehrtägigen Freizeitveranstaltung der evangelischen
Freikirchen zum Jahreswechsel 2002/2003 sprach die Ehefrau den
Angeklagten am Abend des 31. Dezember 2002 auf sein
verändertes äußeres Verhalten an. Daraufhin
gestand er ihr seine Verantwortung für den Tod des gemeinsamen
Kindes ein. Im Gegenzug teilte sie ihm mit, dass sie im Jahre 1998
einen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt hatte und es sich
nicht, wie von ihr damals angegeben, um eine Eileiterschwangerschaft
gehandelt habe. In den folgenden sechs Monaten sprachen die Eheleute
darüber nicht mehr. Im Sommer 2003 offenbarte der Angeklagte
sich dann auch gegenüber seiner Schwiegereltern. Diese
versicherten ihm vor dem Hintergrund ihrer religiösen
Überzeugungen, dass sie ihn als Schwiegersohn nicht
verstoßen würden; jedoch bestärkten sie ihn
darin, dass er sich zu seiner Tat öffentlich bekennen und die
gegenüber den Ermittlungsbehörden gemachten
unrichtigen Angaben berichtigen müsse, da es ihm verboten sei
zu lügen. Schließlich begab sich der Angeklagte am
11. November 2003 zur Kriminalpolizei in S. und räumte dort
ein, seinen Sohn Ju. getötet zu haben. Auf die ihm
nachdrücklich angebotene Hinzuziehung eines Rechtsanwalts
verzichtete er mit der Begründung, er wünsche nicht,
dass zu seinen Gunsten Tatsachen verfärbt würden. 11
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Am 30. April 2004 wurde das dritte gemeinsame Kind geboren, welches
ebenfalls behindert ist. Im Sommer 2004 entschlossen sich die Eheleute
zum Umzug nach Rh. , um die Hilfe der Schwiegereltern in Anspruch
nehmen zu können. Der Angeklagte gab in diesem Zusammenhang
seine Tätigkeit als Krankenpfleger in N. auf und war danach im
Außendienst für ein Sanitätshaus
tätig, bevor er in dieser Sache in Untersuchungshaft genommen
wurde. 12 II. Soweit es den Schuldspruch betrifft, bleiben die
Rechtsmittel des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft ohne Erfolg. 13
Die Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeten Totschlags weist
keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Mit ihren
Angriffen gegen die getroffenen Feststellungen unternehmen die
Revisionsführer lediglich den Versuch, die dem Tatrichter
vorbehaltene Würdigung der erhobenen Beweise in Zweifel zu
ziehen. Damit verkennen die Beschwerdeführer, dass die vom
Tatrichter gezogenen Schlussfolgerungen nicht zwingend zu sein
brauchen; es genügt vielmehr, dass sie möglich sind
und der Tatrichter von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (st.
Rspr.; BGHSt 10, 208, 209; 29, 18, 20; BGH NStZ 1998, 366, 368). Allein
die von der Revision eingewandte theoretische Möglichkeit,
dass Ju. R. in der Zeit zwischen dem Auflegen der Decken und der
letztlich tödlich wirkenden Verknappung des Sauerstoffs in der
Atemluft hiervon unabhängig an einem spontanen zentralen
Atemversagen verstorben sein könnte, ändert hieran
nichts. Die sachverständig beratene Kammer hat sich mit dieser
theoretischen Möglichkeit auseinander gesetzt und ohne
Rechtsfehler 14
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darauf abgestellt, dass es nach der Entlassung des Kindes aus der
Klinik nach dem 26. Juni 2002 zu keinerlei Atemstillständen
mehr gekommen ist (UA S. 38 f.). Allein das von der Ehefrau des
Angeklagten wahrgenommene apathische Verhalten von Ju. in der Woche vor
seinem Tod wird als Besonderheit geschildert; dem wurde jedoch von den
Sachverständigen - auch unter Berücksichtigung des
Ergebnisses der Obduktion - offenbar keine Auswirkung im Hinblick auf
ein mögliches spontanes zentrales Atemversagen zugemessen.
Nicht zu beanstanden ist weiterhin, dass der Tatrichter die
theoretische Möglichkeit für
außerordentlich fern liegend hielt, eine für
wahrscheinlich gehaltene Schädigung des Atemzentrums des
Kindes, welche in diesem Fall bereits längere Zeit vorlag,
habe am Abend des 5. Juli 2002 genau in dem Zeitraum einen spontanen
zentralen Atemstillstand herbeigeführt, während die
Tragetasche zur Einleitung des Erstickungsvorgangs vom Angeklagten
abgedeckt worden war. Allenfalls könnte, worauf die
Strafkammer ohne Rechtsfehler hingewiesen hat, infolge des eintretenden
Kohlendioxidüberschusses ein auf der Schädigung des
Atemzentrums beruhender Verschaltungsfehler zwischen Atemzentrum und
Hirnstrukturen verursacht worden sein (UA S. 39), was jedoch auf dem
Verhalten des Angeklagten beruhen würde und ihm damit
zuzurechnen wäre. III. Demgegenüber begegnet der
Strafausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken. 15 Die Strafkammer
hat allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass die
eingeschränkte Lebenserwartung des Opfers oder dessen ganz
erhebliche Behinderungen von vornherein als den Angeklagten etwa
begünstigende Strafzumessungsumstände außer
Betracht zu bleiben haben, weil die Absolutheit des 16
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strafrechtlichen Lebensschutzes derartige Bewertungen nicht
zulässt (vgl. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG). Grundsätzlich
sind deshalb auch die durch den gesundheitlichen Zustand des Opfers
hervorgerufenen sozialen Lasten nicht als strafmildernde
Umstände bei einer Tötungshandlung heranzuziehen;
dies gilt in gleicher Weise für den Umstand, dass der
getötete Sohn sich bereits in den ersten drei Lebensjahren
einer größeren Zahl von schwierigen Operationen
hätte unterziehen müssen. Das Landgericht hat dann
festgestellt, dass zu den Beweggründen des Angeklagten
für seine Tat auch Mitleidserwägungen
zählten, und dies zu seinen Gunsten berücksichtigt.
Zudem hat die Kammer darauf abgehoben, dass der Angeklagte nicht
vorbestraft ist, sich zum Tatzeitpunkt in einer tief greifenden
Lebenskrise befand, aufgrund seiner familiären Situation und
als Erstverbüßer erhöht strafempfindlich
ist, die Taten eingeräumt und sich den Behörden
gestellt hat, obgleich die Ermittlungen längst eingestellt
waren und zu jenem Zeitpunkt kein Tatverdacht (mehr) bestand. Die auf
diesen Erwägungen beruhende Straffindung ist danach ganz
überwiegend von Milderungserwägungen gekennzeichnet.
Allein die von der Strafkammer angesprochene "planvolle" Tatbegehung
lässt einen straferhöhenden Umstand aufscheinen.
Insgesamt hat das Landgericht daher rechtsfehlerfrei den gemilderten
Strafrahmen des § 213 StGB seiner Strafzumessung zugrunde
gelegt. 17 Hinsichtlich der näheren Bestimmung der Strafe hat
das Landgericht unter Bezugnahme auf "den mittleren Bereich" des
Strafrahmens auf die Freiheitsstrafe von sechs Jahren erkannt. Hierzu
ist zunächst darauf hinzuweisen, dass durch eine Einordnung
der Tat anhand des rechnerischen Mittels des Strafrahmens die Gefahr
einer Mathematisierung oder einer schematischen Vorgehensweise
entsteht; solches ist jedoch dem Wesen der Strafzumessung 18
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grundsätzlich fremd (BGHSt 34, 345, 350 ff.; BGH NStZ-RR 1999,
101, 102; BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2002 - 3 StR 406/02). Vielmehr
hat der Tatrichter die im Einzelfall zu beurteilende Tat ohne Bindung
an weitere Fixpunkte als die Ober- und Untergrenze des Strafrahmens in
den gefundenen Strafrahmen einzuordnen, wobei maßgeblich das
Gesamtspektrum aller strafzumessungsrelevanten Umstände ist
(Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl. Rdn. 624 f.).
Weiterhin hat die Strafkammer zugunsten des Angeklagten eine
"strukturell notstandsähnliche Situation" darin erkannt, dass
dieser eine akute Gefährdung seiner Ehe zu erkennen glaubte
und seinen Sohn auch deshalb getötet habe, um seine Ehe zu
erhalten und seine Ehefrau zu "entlasten". Indes hat die Kammer die
hiervon ausgehende strafmildernde Wirkung deswegen als erheblich
gemindert angesehen, weil der Angeklagte das ernsthafte Angebot seiner
Schwiegermutter, das Tatopfer zu pflegen, ausgeschlagen und es damit
schuldhaft unterlassen habe, die als Notlage empfundene Situation zu
entschärfen (UA S. 56 f.); denn angesichts seiner emotionalen
Distanz zu seinem getöteten Sohn sei ihm ein Eingehen auf das
Angebot seiner Schwiegermutter zumutbar gewesen. Allerdings wird die
zur Relativierung dieses Strafmilderungsgrundes angeführte
Ausschlagung des Angebots der Schwiegermutter des Angeklagten, das Kind
zu pflegen, nicht näher bewertet. Aus den Feststellungen
ergibt sich jedoch, dass der Angeklagte dieses Angebot zeitlich noch
vor der Fassung des Tatentschlusses und zudem deswegen ablehnte, weil
er den Ehrgeiz hatte, die entstandene Situation allein zu
bewältigen und weil er die Weggabe des Sohnes an die in einem
anderen Bundesland lebende Schwiegermutter als ein Abschieben von
Verantwortung empfand. Er selbst war nur in seinen beiden ersten
Lebensjahren von seinen Eltern betreut worden und hatte deshalb auch
später in seiner Familie keinen Halt gefunden. Die
Erwägung, 19
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seinen Sohn in eine Pflegeeinrichtung zu geben, verwarf er unter
Hinweis auf seine eigenen negativen Erfahrungen in einem Kinderheim (UA
S. 13); nach seinem Empfinden sei seine Heimunterbringung das Resultat
eines unverzeihlichen Versagens seiner Eltern gewesen (UA S. 3). Diese
weiteren, als solche nicht vorwerfbaren Umstände
hätten in die Würdigung als mitbestimmende
Gesichtspunkte einbezogen werden müssen. Im Übrigen
legen die Feststellungen des Tatrichters nahe, dass der Angeklagte
offenbar grundsätzlich hohe moralische Anforderungen an sich
richtet, auch wenn mit seinem Verhalten Nachteile für ihn
selbst verbunden sein können. So hat er - wie die Kammer
ausführt - die Tat eingeräumt und sich den
Behörden gestellt, obgleich zum damaligen Zeitpunkt (mehr als
16 Monate nach der Tat) weder "gegen ihn persönlich" noch
überhaupt ein Tatverdacht bezüglich einer
Tötung des Kindes bestand. Vielmehr waren es letztlich
Gewissens- und Glaubensgründe und der an ihn gerichtete
Appell, dass er sich zu seiner Tat bekennen müsse und nicht
lügen dürfe, die ihn zu der Selbstgestellung und
seinem Geständnis veranlassten. Charakterisierend ist
überdies, dass er bei seinem polizeilichen Geständnis
die nachdrücklich angebotene Hinzuziehung eines Rechtsanwalts
mit der Begründung ablehnte, er wünsche nicht, dass
zu seinen Gunsten "Tatsachen verfärbt würden" (UA S.
19). Die hierdurch zutage getretenen
Persönlichkeitszüge waren bei der Strafzumessung zu
erwägen gewesen, vor allem im Hinblick auf die zum Nachteil
des Angeklagten als schuldhaft bewertete (UA S. 56 f.) unterlassene
Abwendung der strukturell notstandsähnlichen Lage. Denn auch
hier wollte der Angeklagte nach den UrteilsFeststellungen
gemäß seiner inneren Überzeugung die
entstandene Situation allein bewältigen und seine
Verantwortung nicht abschieben (UA S. 13). Damit liegt es nahe, dass
die Problematik für den Angeklagten sich nur aufgrund der an
sich selbst gestellten moralischen Anforderungen so krisenhaft im Sinne
einer 20
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als Notlage empfundenen Situation zuspitzen konnte. Bei solchen
außergewöhnlichen Umständen ist auf die
Bewertung der Täterpersönlichkeit und der in ihr
begründeten Tatursachen im Rahmen der Strafzumessung ein
besonderes Gewicht zu legen; diese sind in solchen
Ausnahmefällen im Urteil zu erörtern. Danach
erscheinen die konkreten Straffindungserwägungen als nicht in
jeder Hinsicht erschöpfend (vgl. § 267 Abs. 3 Satz 1
StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die
Strafkammer auf eine mildere Strafe erkannt hätte,
wären von ihr die letztgenannten Umstände
ausdrücklich bedacht worden. Der Strafausspruch war deshalb
aufzuheben. Da es sich um Wertungsfehler und
Erörterungsmängel handelt, können allerdings
die zu Grunde liegenden tatsächlichen Feststellungen bestehen
bleiben, wobei ergänzende Feststellungen, die nicht im
Widerspruch zu den bisher getroffenen stehen, möglich bleiben.
21 Wahl Schluckebier Kolz Hebenstreit Graf |