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BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 21.1.2004 - 1 StR 346/03
21.01.2004
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung ja
StGB § 20, § 21
Zur Beurteilung des Schweregrads einer anderen seelischen Abartigkeit (hier
„dissoziale und schizoide Persönlichkeitsstörung“) und der Erheblichkeit der
Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat (Fortführung von BGHSt
37, 397).
BGH, Urteil vom 21.01.2004 - 1 StR 346/03 - LG Stuttgart
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
- 2 -
1 StR 346/03
vom
21.01.2004
in der Strafsache
gegen
wegen erpresserischen Menschenraubs u. a.
- 3 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Januar
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
- 4 -
1. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Stuttgart vom 8. April 2003 wird verworfen.
2. Die Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels sowie die
durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen
der Nebenklägerin zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen erpresserischen Menschenraubs
in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen räuberischen
Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der
Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund der Sachrüge hat keinen
die Angeklagte belastenden Rechtsfehler ergeben.
II.
Die Beschwerdeführerin deckt mit ihrem Revisionsvorbringen auch im
Strafausspruch keinen Rechtsfehler auf. Näherer Erörterung bedarf allerdings
die Rüge, die Angeklagte leide unter einer schweren Persönlichkeitsstörung
- 5 -
und habe sowohl bei dem verfahrensgegenständlichen räuberischen Diebstahl
im Oktober 2001 als auch beim erpresserischen Menschenraub im Juli 2002
unter einem so starken Motivationsdruck gestanden, daß sie für beide Taten -
anders als vom Landgericht angenommen - strafrechtlich nicht voll verantwortlich
gewesen sei.
1. Die sachverständig beratene Strafkammer hat zur Persönlichkeitsentwicklung
der Angeklagten und zum Tatgeschehen folgende Feststellungen getroffen:
a) Die Angeklagte, deren Eltern aus Kroatien stammen, wuchs in
Deutschland gemeinsam mit einer Schwester auf. Sie hatte trotz durchschnittlicher
Begabung bereits früh Probleme in der Grundschule. Nachdem sie die
zweite Klasse wiederholen mußte, kam sie in die Sonderschule. Diese verließ
sie im Jahre 1988 nach der 9. Klasse ohne Abschluß und besuchte danach ein
Jahr eine Hauswirtschaftsschule. Die Kammer hat zu Gunsten der Angeklagten
als wahr unterstellt, sie sei von ihrem Vater seit ihrem siebten Lebensjahr bis
kurz vor ihrer Verhaftung immer wieder sexuell mißbraucht und regelmäßig geschlagen
worden. Ab dem zehnten Lebensjahr unternahm sie mehrere Suizidversuche.
Im Jugendalter wurde sie dreimal in stationäre psychiatrische Behandlung
nach Kroatien gebracht, wurde allerdings nach wenigen Tagen wieder
entlassen, ohne daß eine klare Diagnose gestellt werden konnte. Es wurden
ihr Antidepressiva und regelmäßig ein Schmerzmittel verschrieben. Sie
konsumierte außerdem seit dem 14. Lebensjahr in erheblichem Umfang Alkohol,
ohne daß sich jedoch eine Suchtproblematik herausgebildet hätte. Gelegentlich
konsumierte die Angeklagte auch Haschisch.
Im Jahre 1991 heiratete die Angeklagte. Aus der Ehe gingen zwei Kinder
im Alter von nunmehr elf und sechs Jahren hervor. Nach der Heirat arbeitete
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sie halbtags als Textilverkäuferin; später übte sie verschiedene Tätigkeiten
aus, zuletzt war sie in einem Fitneß-Studio tätig, wo sie rund 500 Euro im Monat
verdiente. Etwa Mitte der neunziger Jahre spitzten sich ihre persönlichen
Probleme zu. Sie praktizierte einen gehobenen Lebensstil, der nicht ihren bescheidenen
finanziellen Verhältnissen entsprach, unter anderem mit häufigen
Urlauben, teurer Kleidung für sich und ihre Kinder und häufigem Ausgehen mit
Einladungen von Freunden. Diesen Lebensstil konnte sie nur durch zahlreiche
Vermögensstraftaten finanzieren. Deshalb wurde sie am 24. Mai 1995 u. a.
wegen Diebstahls in vier Fällen sowie wegen Urkundenfälschung in Tateinheit
mit Betrug in 104 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren bei
Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Strafe wurde 1999 erlassen. Am
23. Mai 2000 wurde sie wegen Betrugs in zehn Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung
in neun Fällen und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe
wurde nochmals zur Bewährung ausgesetzt.
Im Jahr 1999 lernte sie während eines Urlaubs in Tunesien einen Tunesier
kennen, der Mitglied einer sektenartigen Bewegung war, in der sich die
Angeklagte aufgehoben fühlte. Seit 2000 leben die Eheleute getrennt.
b) Der räuberische Diebstahl
Im Oktober 2001 betrat die Angeklagte gegen Mittag ein Schreibwarengeschäft
mit Lottoannahmestelle und ließ sich einschließen. Sie entnahm der
Lottokasse Bargeld in Höhe von mindestens 1.200 DM und packte drei Plastiktüten
mit rund 320 Schachteln Zigaretten ein. Als die Ladenbesitzerin nach
der Pause das Geschäftslokal betrat, gab die Angeklagte vor, versehentlich
eingeschlossen worden zu sein. Die Ladenbesitzerin wollte die Angeklagte
einschließen und die Polizei benachrichtigen. Dies verhinderte die Angeklagte
- 7 -
mit einem kräftigen Stoß, bei der die Frau zu Boden ging. Sie forderte nach
einem Faustschlag von ihr das Mobilteil des Telefons, das sie in die Tasche
steckte. Dann flüchtete sie. Die Angeklagte konnte aufgrund von Fingerabdrükken
ermittelt und am 12. März 2002 festgenommen werden. Nach einem über
ihren Verteidiger abgegebenen Geständnis wurde sie am 26. März 2002 wieder
auf freien Fuß gesetzt.
Die Angeklagte rechnete wegen dieser Tat mit einer erheblichen Freiheitsstrafe
ohne Bewährung und befürchtete den Widerruf einer Strafaussetzung
zur Bewährung aus einer früheren Verurteilung. Außerdem hatte sie Probleme
mit ihrem Vater, der sich im Jahre 2001 von ihrer Mutter getrennt hatte
und seitdem bei ihr der Wohnung wohnte. Die Probleme trieben einem Höhepunkt
zu, als der Vater den Wunsch äußerte, mit ihrer Tochter ein Wochenende
allein im Schwarzwald zu verbringen. Die Kammer hat zu Gunsten der Angeklagten
angenommen, sie habe befürchtet, der Vater könne sich auch an
ihrer Tochter vergehen.
Um den Problemen zu entgehen, faßte die Angeklagte den Plan,
Deutschland zu verlassen und in Tunesien eine neue Existenz aufzubauen.
Nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft feierte sie dort aufwendig die
Verlobung mit dem Tunesier, obwohl sie noch verheiratet war. Sie versprach
dem Verlobten, dem gegenüber sie sich als wohlhabend ausgab, daß sie im
Juli 2002 mit ihren Kindern endgültig zu ihm nach Tunesien ziehen werde. Dabei
werde sie einen großen Geldbetrag mitbringen, mit dem man dort gemeinsam
ein Mietwagenunternehmen aufbauen könne.
c) Die Kindesentführung
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Anfang Juli 2002 faßte die Angeklagte den Entschluß, sich die Mittel zur
Durchführung ihrer Tunesien-Pläne durch eine Kindesentführung mit Lösegeldforderung
zu beschaffen. Als Erpressungsopfer erschien ihr hierfür die als
wohlhabend geltende Familie R. geeignet, die nach ihren Informationen in
der Lage sein würde, einen größeren Geldbetrag auch kurzfristig besorgen zu
können. Der Plan der Angeklagten ging dahin, die 7jährige Tochter J. auf
dem Schulweg in ihre Gewalt zu bringen und für ihre Freilassung ein "Lösegeld"
von 250.000
    
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dem Geld sofort nach Tunesien absetzen. Zur Vorbereitung der Tat observierte
die Angeklagte ab Anfang Juli 2002 die Verhaltensgewohnheiten der Familie
R. . Insbesondere erforschte sie durch zahlreiche Anrufe, bei denen sie sich
nicht meldete, zu welchem Zeitpunkt sich die Mitglieder der Familie zu Hause
aufhielten. Zur Durchführung der Tat, die zunächst für den 12. Juli 2002 geplant
war, kaufte sie einen gebrauchten Pkw BMW der 7er-Klasse. Da sie das
Fahrzeug mit nach Tunesien mitnehmen wollte, ließ sie das Fahrzeug mit
Ausfuhrkennzeichen zu. Am gleichen Tag buchte sie unter ihrem eigenen Namen
zwei Flugreisen für den 12. Juli 2002 von Stuttgart nach Tunesien. Als
Passagiere gab sie ihren Sohn und eine Person namens E. an. Sie
war auf unbekannte Weise in Besitz eines Personalausweises mit diesem Namen
gelangt und wollte unter diesem Namen nach Tunesien reisen. Am 10. Juli
2002 suchte sie ihre Cousine und deren Ehemann auf und teilte diesen mit, sie
habe die Absicht nach Tunesien auszuwandern. Beide erklärten sich bereit,
das Fahrzeug nach Tunesien zu überführen und die Tochter der Angeklagten
mitzunehmen.
Am 12. Juli 2002 gab sich die Angeklagte gegenüber der Sekretärin der
Schule, in der J. in die erste Klasse ging, als deren Mutter aus und forderte
sie auf, das Kind nach Hause zu schicken. Da J. jedoch krankheits-
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bedingt nicht in der Schule war, brach die Angeklagte den Entführungsversuch
an diesem Tag ab. Sie stornierte den geplanten Flug nach Tunesien und
buchte den Flug auf den nächsten Tag um, in der Hoffnung die Tat an diesem
Tag durchzuführen. Der Entführungsversuch fand aus nicht feststellbaren
Gründen jedoch nicht statt.
Am 15. Juli 2002 überlegte die Angeklagte, wie sie auf anderer Weise
Jasmin in ihre Gewalt bringen könnte. Sie wurde dabei gesehen, wie sie gegen
8.00 Uhr morgens aus ihrem Fahrzeug das Wohnhaus der Eheleute R.
beobachtete.
Die Angeklagte entschloß sich schließlich, die Entführung am 18. Juli
2002 durchzuführen. Sie buchte am 16. Juli 2002 für dieselben Personen einen
Flug nach Tunesien für den 19. Juli 2002. Der Flug sollte jedoch von München
stattfinden, wo sie die Nacht verbringen wollte. Sie buchte für sich und ihre
Tochter eine Übernachtung im Hotel K. .
Nachdem die Angeklagte am 18. Juli 2002 mehrere Kontrollanrufe bei
der Familie R. getätigt hatte, fuhr sie mit ihrem Fahrzeug, in dem sie eine
geladene Schreckschußpistole und ein Elektroschockgerät mit sich führte, gegen
8.00 Uhr zu der Schule. Gegen 9.00 Uhr sprach sie auf dem Schulgelände
zwei 8jährige Schüler an und bat sie, J. aus dem Klassenzimmer zu holen;
sie solle zu der Sekretärin ins Rektorat kommen. Die Schüler, die die Angeklagte
als Mutter von J. ansahen, holten J. mit Zustimmung der
Klassenlehrerin heraus und begleiteten sie in Richtung Rektorat. Die Angeklagte
paßte die beiden Schüler und J. zwischen dem Klassenraum und
dem Rektorat ab. Die arglosen Jungen ließen J. mit der Angeklagten al-
10 -
lein. Sie vergewisserte sich, ob es sich bei dem Kind um J. handele und
schüchterte es mit dem mitgebrachten Elektroschockgerät ein, indem sie dieses
am Hals des Mädchens auslöste. Als J. zu schreien begann, drohte
ihr die Angeklagte, sie werde sie töten, wenn sie nicht ruhig sei. Das Kind verhielt
sich ruhig, weigerte sich aber, mit der Angeklagten zu gehen. Die Angeklagte
nahm es unter den Arm und trug es zu ihrem Fahrzeug. J. wehrte
sich dagegen mit Strampeln und verlor dabei ihre Sandalen und ihre Brille. Die
Angeklagte setzte J. zunächst auf den Beifahrersitz und drückte das Kind
nach unten, um zu verhindern, daß es bei der Abfahrt gesehen wurde. Um
J. weiterhin gefügig zu machen, löste die Angeklagte das Elektroschockgerät
nochmals an ihrer Wange aus, wodurch es zu einer leichten Verbrennung
kam. Gegen 9.50 Uhr rief die Angeklagte J. s Vater an und forderte ihn auf
nach Hause zu kommen, weil J. nach Hause gegangen sei. Er begab sich
sofort nach Hause. Dort rief die Angeklagte den Vater erneut an und teilte ihm
mit, daß sie J. in ihrer Gewalt habe. Er solle ruhig sein und keine Polizei
rufen. Für den Fall, daß er sich nicht an ihre Anweisungen halte, drohte die
Angeklagte, es würde für seine Tochter auf dem Markt einen guten Preis geben.
Der Vater sollte die Befürchtung haben, sie wolle J. an einen Mädchenhändler
verkaufen. Der Vater fuhr danach sofort in die Schule, wo inzwischen
die Schuhe und die Brille des Kindes gefunden waren.
Die Angeklagte fuhr mit dem Wagen ziellos im Raum L. herum.
Da das Kind verängstigt und verzweifelt jammerte, verbrachte sie es spätestens
gegen 11.00 Uhr in den Kofferraum des Fahrzeugs, wo es bis zu seiner
Befreiung bis gegen 16.00 Uhr verblieb. Gegen 11.50 Uhr rief die Angeklagte
den Vater J. s an und forderte ihn auf, binnen einer Stunde 250.000 243 
die Freilassung seiner Tochter bereitzustellen. Nachdem der Vater einwandte,
er benötige für die Beschaffung des Geldes Zeit bis 16.00 Uhr, erklärte sie sich
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bereit, abzuwarten. In der Folgezeit rief sie mehrfach beim Vater an, um sich
nach dem Stand der Vorbereitungen für die Geldübergabe zu erkundigen.
Um 14.25 Uhr sprach die Angeklagte am Bahnhof in L. einen
Taxifahrer an und forderte ihn auf, zum Haus der Familie R. zu fahren,
dort ein Päckchen abzuholen und zu ihr zu bringen. Sie einigte sich mit dem
Taxifahrer auf 50 Euro für die Fahrt. Um 14.40 Uhr teilte die Angeklagte dem
Vater von J. mit, daß sie einen Boten schicken werde, der das Geld abholen
werde. Um 14.50 Uhr rief sie den Vater erneut an und erklärte, er werde
seine Tochter nicht wiedersehen, da er die Polizei eingeschaltet habe.
In Absprache mit der inzwischen eingeschalteten Polizei gab der Vater
gegenüber dem Taxifahrer an, daß das Paket noch nicht da sei, er möge noch
etwas warten. Der Vater erfuhr dabei, daß der Taxifahrer das Paket zum Bahnhof
nach L. bringen solle. Daraufhin begann die Polizei mit der Observation
des Bahnhofsgebietes in L. . Dort entdeckte die Polizei die
Angeklagte gegen 15.19 Uhr in ihrem Fahrzeug; bis zu ihrer Festnahme um
15.48 Uhr wurde sie lückenlos observiert. J. wurde im Kofferraum des
Fahrzeugs in einem zwar erschöpften, jedoch insgesamt zufriedenstellenden
Zustand aufgefunden.
2. Die sachverständig beratene Strafkammer hat eine Verminderung der
Steuerungsfähigkeit bei der Angeklagten verneint und sie für beide Taten für
strafrechtlich voll verantwortlich gehalten.
Die Kammer ist dem psychiatrischen Sachverständigen darin gefolgt, die
Angeklagte leide an einer schweren gemischten Persönlichkeitsstörung mit
dissozialen und schizoiden Anteilen, die weitgehend auf einem hochproblema-
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tischen Verhältnis zum Vater beruhe. Dazu ist in den Urteilsgründen näher
ausgeführt, die Störung äußere sich in einer unausgeglichenen Affektivität mit
autoaggressiven Zügen, einer gestörten Beziehungsfähigkeit und einer Neigung,
insbesondere problematische Dinge von sich abzuspalten. Die Persönlichkeitsstörung,
die auch durch sexuelle Mißbrauchserlebnisse mitbedingt sein
könne, sei deshalb so erheblich, daß Symptome vorlägen, die rechtlich als
"schwere andere seelische Abartigkeit" im Sinne des § 20 StGB eingeordnet
würden. Die Strafkammer ist den Ausführungen des Sachverständigen auch
insoweit gefolgt, als keine Anhaltspunkte dafür bestünden, daß sich die Persönlichkeitsstörung
bei der konkreten Tat auf ihre Einsichts- und Steuerungsfähigkeit
ausgewirkt habe. Die Angeklagte sei in der Lage, die Realität zu erkennen
und richtig einzuschätzen. Angesichts der hohen Komplexität der Tatabläufe,
insbesondere der umfänglichen Tatplanung und der Vorbereitungshandlungen,
sowie der Tatsache, daß die Angeklagte längerfristige, zukunftsgerichtete
Pläne verfolgt habe, lägen keine Hinweise dafür vor, daß sie ihr
Verhalten nicht habe steuern können.
Dagegen hat die die Revision eingewendet, die Beurteilung der Schuldfähigkeit
sei in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer habe
bezüglich des ersten Tatvorwurfs, dem räuberischen Diebstahl, die Frage der
erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit überhaupt nicht geprüft.
Hinsichtlich der Kindesentführung habe sie sich zwar mit der Problematik auseinandergesetzt,
jedoch schon verkannt, daß nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichthofes die Annahme einer schweren seelischen Abartigkeit eine
erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit zumindest nahe lege. Ein
überlegtes, geplantes, logisches und zielgerichtetes Handeln schließe eine
erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit nicht aus, da auch "bei geplantem
und geordnetem Vorgehen" die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein könne,
- 13 -
Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvorstellungen gegeneinander
abzuwägen und danach den Willensentschluß zu bilden. Deshalb
habe die Kammer in erster Linie prüfen müssen, ob die Angeklagte infolge ihrer
Persönlichkeitsstörung in der fraglichen Zeit einem zur Tat führenden starken
Motivationsdruck ausgesetzt gewesen sei, wie er sonst in vergleichbaren Situationen
bei anderen Straftätern nicht vorhanden sei, und ob dadurch ihre Fähigkeit,
sich normgerecht zu verhalten, deutlich vermindert gewesen sei. Die
Kammer sei zwar davon ausgegangen, daß die schwere Persönlichkeitsstörung
möglicherweise auf dem hochproblematischen Verhältnis zum Vater beruhe,
habe jedoch außer acht gelassen, daß die Angeklagte mit ihrer Tochter und
ihrem Sohn Deutschland verlassen und nach Tunesien auswandern wollte,
„weil ihr Vater - der bereits sie über Jahre sexuell mißbraucht und geschlagen
hatte - den Wunsch äußerte, mit der Tochter der Angeklagten ein Wochenende
allein im Schwarzwald verbringen zu wollen und die Angeklagte befürchtete,
daß ihr Vater sich auch an ihrer Tochter vergehen würde“ (UA S. 5, 20).
3. Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, daß die Strafkammer
die Angeklagte trotz der angenommenen Persönlichkeitsstörung für beide Taten
als strafrechtlich voll verantwortlich angesehen hat.
a) Persönlichkeitsstörung als andere seelische Abartigkeit
aa) Ersichtlich ist der Sachverständige bei der Beurteilung der persönlichen
Entwicklung der Angeklagten und ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit
nach den Kriterien der in der forensischen Psychiatrie gebräuchlichen diagnostischen
und statistischen Klassifikationssysteme vorgegangen (ICD-10 Kapitel
V (F), Internationale Klassifikation psychischer Störungen, Dil-
14 -
ling/Mombour/Schmidt [Hrsg.], 4. Aufl.; DSM-IV, Diagnostisches und Statistisches
Manual Psychischer Störungen 2. Aufl., Saß/Wittchen/Zaudig [Hrsg.].).
bb) Bei der in ICD-10 F 60.0 (DSM-IV 301.0) genannten Störungsgruppe
„Persönlichkeitsstörung“ handelt es sich um einen Oberbegriff. Es werden völlig
unterschiedliche typologisch definierte Varianten beschrieben, die je nach
Ausprägung als normal oder abnorm zugeordnet werden. Sie reichen von einer
Vielzahl normalpsychologisch wirksamer Ausprägungen und Beeinträchtigungen
des Empfindens und Verhaltens bis zu einer abnormen Persönlichkeit, die
von ihrem Gewicht her durchaus Krankheitswert erreichen kann (Rasch, Forensische
Psychiatrie 2. Aufl. S. 261 f.). Der Begriff der Persönlichkeitsstörung
beschreibt abnorme Persönlichkeiten, deren Eigenschaften von einer nicht näher
bezeichneten gesellschaftlichen Norm abweichen. Von psychopathischen
Persönlichkeiten wird dann gesprochen, wenn die Person an ihrer Abnormität
leidet oder wenn die Gesellschaft unter ihrer Abnormität leidet (vgl. Venzlaff
und Pfäfflin in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung 4. Aufl. S. 248,
250; Rasch, StV 1991, 126, 127; Nedopil, Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S.
149, 152 f.; Saß in Saß/Herpertz, Persönlichkeitsstörungen S. 177, 180).
cc) Für die forensische Unterscheidung zwischen strafrechtlich nicht relevanten
Auffälligkeiten in Charakter und Verhalten einer Persönlichkeit und
einer psychopathologischen Persönlichkeitsstörung, die Symptome aufweist,
die in einer Beziehung zu psychischen Erkrankungen im engeren Sinne bestehen,
enthalten die Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV eine Vielzahl
diagnostischer Kriterien, anhand derer der psychiatrische Sachverständige
einzelne Persönlichkeitsstörungen spezifizieren und deren Ausprägungsgrad
bewerten kann. Diagnostische Hilfsmittel bei psychischen Störungen sind ne-
15 -
ben technischen Untersuchungen (EEG, Laboruntersuchungen etc.) sowie den
Selbst- und Fremdbeurteilungen vor allem strukturierte Checklisten und diagnostische
Interviews (vgl. DSM-IV aaO S. XVII). Bei der forensischen Begutachtung
hat sich der Sachverständige methodischer Mittel zu bedienen, die
dem jeweils aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand gerecht werden. Existieren
mehrere anerkannte und indizierte Verfahren, so steht deren Auswahl
in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Dabei ist der Sachverständige - unbeschadet
der Sachleitungsbefugnis durch das Gericht - frei, von welchen inhaltlichen
Überlegungen und wissenschaftlichen Methoden er bei Erhebung der
maßgeblichen Informationen ausgeht und welche Gesichtspunkte er für seine
Bewertung des Ausprägungsgrades für maßgeblich hält. In seinem Gutachten
hat er nach den Geboten der Nachvollziehbarkeit und der Transparenz für alle
Verfahrensbeteiligten nach Möglichkeit darzulegen, aufgrund welcher Anknüpfungstatsachen
und auf welchem Weg er zu den von ihm gefundenen Ergebnissen
gelangt ist (vgl. BGHSt 44, 26, 33; 45, 164, 169; st. Rspr.).
dd) Der Senat hat der forensisch-psychiatrischen Literatur entnommen,
daß sich nach dem bestehenden wissenschaftlichen Kenntnisstand für die forensische
Schuldfähigkeitsbeurteilung von Persönlichkeitsstörungen folgende
Vorgehensweise anbietet, ohne daß die Nichteinhaltung einzelner Schritte
nach rechtlichen Maßstäben fehlerhaft sein muß. Dazu gehört, daß der Sachverständige
die sozialen und biographischen Merkmale unter besonderer Berücksichtigung
der zeitlichen Konstanz der pathologischen Auffälligkeiten erhebt.
Darüber hinaus bedarf es der Darstellung der pathologischen Reaktionsweisen
unter konflikthaften Belastungen und deren Veränderungen infolge der
natürlichen Reifungs- und Entwicklungsschritte sowie der therapeutischen
Maßnahmen (Saß in Saß/Herpertz, Persönlichkeitsstörungen, 2003, S. 177,
- 16 -
178). Weist die untersuchte Person Persönlichkeitszüge auf, die nur auf ein
unangepaßtes Verhalten oder auf eine akzentuierte Persönlichkeit hindeuten
und die Schwelle einer Persönlichkeitsstörung nicht erreichen, wird schon aus
psychiatrischer Sicht eine Zuordnung zum vierten Merkmal des § 20 StGB auszuschließen
sein.
b) Schweregrad der Abartigkeit
Gelangt der Sachverständige - wie hier - zur Diagnose einer „dissozialen
oder antisoziale Persönlichkeitsstörung“ (ICD-10 F 60.2 und DSM-IV 301.7:
„Mißachtung sozialer Normen“) und einer „schizoiden Persönlichkeitsstörung“
(ICD-10 F 60.1. und DSM-IV 301.20: „Distanziertheit in sozialen Beziehungen,
eingeschränkte emotionale Ausdrucksmöglichkeiten“), so ist diese psychiatrische
Diagnose indes nicht mit der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“
in § 20 StGB gleichzusetzen. Für die forensische Praxis ist mit der bloßen
Feststellung, bei dem Angeklagten liege eine Persönlichkeitsstörung vor, nichts
gewonnen. Vielmehr sind der Ausprägungsgrad der Störung und der Einfluß
auf die soziale Anpassungsfähigkeit entscheidend für die Beurteilung der
Schuldfähigkeit (Rasch, Die psychiatrisch-psychologische Beurteilung der sogenannten
schweren anderen seelischen Abartigkeit, StV 1991 S. 126, 127).
Hierfür sind die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit (etwa hinsichtlich der
Wahrnehmung der eigenen und dritter Personen, der emotionalen Reaktionen,
der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen und der Impulskontrolle)
durch die festgestellten pathologischen Verhaltensmuster im Vergleich mit jenen
krankhaft seelischer Störungen zu untersuchen (vgl. Kröber NStZ 1998, 80
f.). Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist maßgebend,
ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Deliktes zu Einschränkungen des
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beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (DSM-IV aaO S.
715, 716; Nedopil aaO S. 152). Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens
oder Verhaltens, das gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter in Erscheinung
tritt, sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen
Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als viertes Merkmal des § 20 StGB,
der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ angesehen werden.
Für das Vorliegen der Voraussetzungen einer „schweren anderen seelischen
Abartigkeit“ werden aus psychiatrischer Sicht genannt: Hervorgehen der
Tat aus neurotischen Konflikten; konflikthafte Zuspitzung und emotionale Labilisierung
in der Zeit vor der Tat; abrupter, impulshafter Tatablauf; aktuelle konstellative
Faktoren wie z. B. Alkohol und andere Drogen, Ermüdung, affektive
Erregung. Gegen das Vorliegen des vierten Merkmals des § 20 StGB können
sprechen: Tatvorbereitung; planmäßiges Vorgehen bei der Tat; Fähigkeit zu
warten; lang hingezogenes Tatgeschehen; komplexer Handlungsablauf in
Etappen; Vorsorge gegen Entdeckung; Möglichkeit anderen Verhaltens unter
vergleichbaren Umständen; Hervorgehen des Delikts aus dissozialen Charakterzügen
(Saß in Saß/Herpertz aaO S. 179, 180; Versuche einer empirischwissenschaftlichen
Auswertung der am häufigsten in forensischen Gutachten
vorkommenden Indikatoren bei Scholz/Schmidt, Schuldfähigkeit bei schwerer
anderer seelischer Abartigkeit, 2003).
c) Erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat
Ob die Steuerungsfähigkeit wegen des Vorliegens einer schweren anderen
seelischen Abartigkeit bei Begehung der Tat "erheblich" im Sinne des § 21
StGB vermindert war, ist eine Rechtsfrage. Diese hat der Tatrichter ohne Bin-
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dung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beantworten.
Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind
die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt (vgl. für den „berauschten
Täter“ BGHSt 43, 66, 77; BGH NStZ-RR 1999, 295, 296 jew.
m.w.N.). Diese Anforderungen sind um so höher, je schwerwiegender das in
Rede stehende Delikt ist (BGH, Urt. v. 21. März 2001 - 1 StR 32/01).
Da Persönlichkeitsstörungen in der Regel die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit
nicht vollständig aufheben, wird der Tatrichter Gesichtspunkte
bewerten, die für oder gegen eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit
sprechen können, ohne daß es wegen der fließenden Übergänge zwischen
Normalität sowie allen Schweregraden und Konstellationen abnormer Persönlichkeit
feste skalierbare Regelungen gibt (Saß in Saß/Herpertz aaO S. 179).
aa) Zudem kommt es nach dem Gesetz nicht darauf an, ob die Steuerungsfähigkeit
generell eingeschränkt ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob sie bei
Begehung der Tat - und zwar erheblich - eingeschränkt war. Zur Beurteilung
dieser Rechtsfrage wird der Tatrichter auf der Grundlage des Beweisergebnisses
über den Ablauf der Tathandlung - auch unter Beachtung möglicher alternativer
Tatvarianten - die vom Sachverständigen gestellte Diagnose, den
Schweregrad der Störung und deren innere Beziehung zur Tat in eigener Verantwortung
nachprüfen. Stellt er in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen
fest, daß das Störungsbild die Merkmale eines oder mehrerer Muster oder
einer Mischform die Klassifikationen in ICD-10 oder DSM-IV erfüllen, besagt
dies rechtlich noch nichts über das Ausmaß psychischer Störungen (vgl. BGH
NStZ 1997, 383). Eine solche Zuordnung hat eine Indizwirkung dafür, daß eine
nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung vorliegt (vgl. zu bestimmten Fallgrup-
19 -
pen BGH StV 1998, 342; StV 2002, 17, 18; BGH, Urt. vom 27.08.2003 - 2
StR 267/03). Der Tatrichter wird in einer Gesamtbetrachtung die Persönlichkeit
des Angeklagten und dessen Entwicklung bewerten, wobei auch Vorgeschichte,
unmittelbarer Anlaß und Ausführung der Tat sowie das Verhalten danach
von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. BGHSt 37, 397, 401 f.; BGH NStZ 1997,
485; BGH, BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 10, 20, 23, 36; BGH NStZ
1996, 380; BGH StraFo 2001, 249; BGH StV 2002, 17, 18; vgl. in diesem Sinne
auch Venzlaff und Pfäfflin in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung
aaO S. 270 f.; Saß in Saß/Herpertz, Persönlichkeitsstörungen S. 177, 180).
bb) Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die mitgeteilte Diagnose des
Sachverständigen zum Vorliegen einer schweren Persönlichkeitsstörung zutreffend
war. Dagegen könnte sprechen, daß die in den Urteilsgründen mitgeteilte
Tatsachengrundlage wenig tragfähig erscheint. Der Sachverständige hat
seine Diagnose im wesentlichen auf die persönlichen Angaben der Angeklagten
bei der Exploration gestützt und ausgeführt, „die Persönlichkeitsstörung die
durchaus auch auf sexuelle Mißbrauchserlebnisse mitbedingt sein könne, sei
auch so erheblich, daß eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der
§§ 20, 21 StGB anzunehmen sei“. Auch die Strafkammer ist „ entsprechend
ihren Angaben zu ihren Gunsten davon ausgegangen“, die Angeklagte sei vom
Vater seit ihrem siebten Lebensjahr immer wieder sexuell mißbraucht worden.
Konkrete Feststellungen oder objektivierbare Indizien, die die Behauptungen
der Angeklagten stützen, enthalten die Urteilsgründe nicht. Die als Zeugen
vernommenen Mutter und Schwester haben sogar ausgesagt, sie hätten zu
keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte für einen sexuellen Mißbrauch der Angeklagten
gehabt (UA S. 15).
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Die Strafkammer hat zum räuberischen Diebstahl im Oktober 2001 keine
näheren Ausführungen zu einer möglichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit
gemacht. Eine solche lag auch eher fern, denn hinsichtlich dieser Tat
behauptet die Revision selbst nicht, daß die Angeklagte infolge ihrer Persönlichkeitsstörung
schon zu diesem Zeitpunkt einem so starken Motivationsdruck
ausgesetzt war, daß sie die Wegnahme des Geldes und dessen Sicherung
durch Gewaltanwendung nicht habe steuern können.
Die Strafkammer hat auch hinsichtlich der im Juli 2002 begangenen
Entführung der siebenjährigen J. nachvollziehbar einen erheblichen Einfluß
der Persönlichkeitsstörung auf das komplexe Tatgeschehen ausgeschlossen.
Die Angeklagte sei zwar aufgrund ihrer Lebensgeschichte, zu der auch die
Mißbrauchsgeschichte gehören könne, in vieler Hinsicht kritikgemindert. Sie
sei aber in der Lage, die Realität zu erkennen und richtig einzuschätzen. Ihre
gelegentliche Impulsivität sei keine pathologisch überhöhte Erregbarkeit, insbesondere
sei auch keine hirnorganisch begründete Affektlabilität festzustellen.
Als Beleg für eine vollständig erhaltene Steuerungsfähigkeit hat die
Strafkammer herangezogen, daß es der Angeklagten bei ihrer Tat in erster Linie
darum ging, sich mittels des erwarteten Lösegeldes die Basis für ihr zukünftiges
Leben in Tunesien zu schaffen. Die Behauptung der Angeklagten, sie
habe wegen eines möglichen Übergriffs des Vaters auf ihre Tochter unter einem
schwer beherrschbaren Motivationsdruck gestanden, darf die Kammer als
widerlegt ansehen. Sie hat ausgeführt, die Angeklagte habe diese Pläne schon
seit ihrem Besuch und ihrer Verlobung in Tunesien im April 2002 verfolgt und
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sich endgültig im Juli 2002 zu dieser Straftat entschlossen. Das Lösegeld sollte
das ihrem neuen Lebensgefährten zugesagte Startkapital sein.
Gegen die erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bei der
Tat sprachen hier die bis ins einzelne gehende Planung der Entführung, die
vorbereitende Beobachtung der Familie über mehrere Tage sowie das mehrmalige
Umbuchen der Flüge nach Tunesien. Die Kammer hat mit Recht auch
als überlegtes kriminelles Handeln angesehen, daß die Angeklagte dem Vater
des Entführungsopfers jeweils nur kurze Fristen zur Geldbeschaffung setzte,
um ihn aus Furcht um sein Kind unter Druck zu setzen. Die Strafkammer
konnte schließlich als Belege für ein kontrolliertes und zielgerichtetes Handeln
der Angeklagten auch die kaltblütige Durchführung der Entführung auf dem
öffentlichen Schulgelände heranziehen. Sie hat ausgeführt, das Sichbemächtigen
des Kindes auf dem Schulgelände zeige, in welchem Maße die Angeklagte
in der Lage war, situationsadäquat zu handeln und ihre Impulse instrumental
zu steuern. Obwohl sie auf dem Schulgelände mit Zeugen rechnen mußte, habe
sie das Kind in der Nähe des Rektorats abgefangen und gezielt - und für
das Kind J. äußerst schmerzhaft - das Elektroschockgerät einsetzte und
das sich wehrende Kind in den bereitgestellten Pkw verbracht. Damit ist die
Strafkammer zu Recht davon ausgegangen, daß bei der Angeklagten eine erhebliche
Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht vorlag.
Nack Wahl Boetticher
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