BGH,
Urt. v. 21.6.2001 - 4 StR 94/01
StGB § 244 Abs. 1 Nr. 3
§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist auch erfüllt, wenn nach
Einbruch oder Einsteigen in die Wohnräume eines
Gebäudes die Wegnahmehandlung selbst aus einem (angrenzenden)
Geschäftsraum erfolgt.
BGH, Urteil vom 21. Juni 2001 - 4 StR 94/01 - LG Bielefeld
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 94/01
vom
21. Juni 2001
in der Strafsache gegen
wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21.
Juni 2001, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Prof. Dr. Meyer-Goßner, die Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Kuckein, Athing, die Richterin am
Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic, der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann als beisitzende Richter, Staatsanwalt in der Verhandlung,
Staatsanwalt bei der Verkündung als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Bielefeld vom 4. Dezember 2000 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Wohnungseinbruchsdiebstahls
in zwei Fällen, versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls und
Diebstahls im besonders schweren Fall" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen eingelegte
Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts
rügt, hat keinen Erfolg; insbesondere weist die Anordnung der
Unterbringung des Angeklagten entgegen der Ansicht des
Beschwerdeführers keinen Rechtsfehler auf.
Näherer Erörterung bedarf lediglich die Frage, ob der
Angeklagte in den Fällen II 1 bis 3 der Urteilsgründe
wegen vollendeten bzw. versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls
(§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) zu bestrafen ist.
1. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen drang der Angeklagte,
der sich durch Einbruchsdiebstähle Geld verschaffen wollte,
dreimal in dasselbe Wohn- und Geschäftshaus ein. Es handelte
sich um ein älteres Gebäude, in dessen
Erdgeschoß sich neben dem Geschäft auch einige zur
Wohnung gehörende private Räume, darunter das
Badezimmer, befanden. Am 10. Juni 2000 [Fall II 1 der
Urteilsgründe] verschaffte sich der Angeklagte Zugang zu dem
Gebäude, indem er eine der sechs Scheiben des von der
Straße nicht einsehbaren Badezimmerfensters
herauslöste, das Fenster öffnete und in das
Badezimmer einstieg. Von dort gelangte er über den Flur in den
Geschäftsraum, wo er 120 DM aus einer Schreibtischschublade an
sich nahm und sodann mit seiner Beute das Haus durch die
Wohnungseingangstür verließ.
Auf demselben Wege stieg der Angeklagte vier Tage später, noch
bevor die Fensterscheibe wieder eingesetzt worden war, nach Entriegeln
des Fensters erneut in das Badezimmer ein; diesmal entwendete er 90 DM
aus dem Geschäftsraum [Fall II 2 der Urteilsgründe].
Am Abend des nächsten Tages [Fall II 3 der
Urteilsgründe] drang er nochmals - wie beim ersten Mal nach
Herauslösen einer Fensterscheibe - in das Badezimmer ein. Bei
dem Versuch, die Badezimmertür in Richtung Flur zu
öffnen, stieß er die vom Geschädigten als
"Alarmanlage" vor der Tür aufgestellten Gegenstände
um, was erheblichen Lärm verursachte. Aus Furcht vor
Entdeckung floh der Angeklagte ohne die erwartete Beute durch das
Badezimmerfenster.
2. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt nicht voraus, daß
die Wegnahmehandlung selbst in einer Wohnung erfolgt:
Dies liegt bereits nach dem Wortlaut der durch das 6. Gesetz zur Reform
des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998 in das Strafgesetzbuch
eingefügten Vorschrift nahe; denn danach ist derjenige wegen
Wohnungseinbruchsdiebstahls zu bestrafen, der einen Diebstahl begeht,
bei dem er zur Ausführung der Tat in eine Wohnung einbricht,
einsteigt, mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen
nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung
bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in der Wohnung verborgen
hält. Daß die fremde bewegliche Sache in der Wohnung
selbst weggenommen werden muß, läßt sich
dem nicht entnehmen.
Diese Auslegung steht im Einklang mit der Absicht des Gesetzgebers, dem
es nicht darum ging, die Wegnahme von in der Wohnung - und damit
besonders sicher - aufbewahrten Sachen schärfer zu ahnden,
sondern der die mit einem Wohnungseinbruch verbundene Verletzung der
Privatsphäre des Opfers unter eine erhöhte
Strafdrohung stellen wollte (vgl. Hörnle Jura 1998, 169, 171).
In der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung
wird dazu ausgeführt, daß die Erhöhung des
Mindestmaßes der Freiheitsstrafe für einen
Wohnungseinbruchsdiebstahl von drei auf sechs Monate deshalb erfolgen
solle, weil es sich dabei um eine Straftat handele, "die tief in die
Intimsphäre der Opfer" eindringe und "zu ernsten psychischen
Störungen - z.B. langwierigen Angstzuständen -
führen" könne; außerdem seien nicht selten
"Wohnungseinbrüche mit Gewalttätigkeiten gegen
Menschen und Verwüstungen der Einrichtungsgegenstände
verbunden" (BTDrucks. 13/8587, S. 43). Dieser Schutzrichtung entspricht
es, daß § 244 StGB im Gegensatz zu § 243
StGB keine Ausnahmeregelung für den Diebstahl geringwertiger
Sachen kennt, da das Gewicht des Eingriffs in die Privatsphäre
nicht vom Wert der Beute abhängig ist.
Schließlich ergibt sich auch aus der bisherigen gesetzlichen
Regelung in § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB, die insoweit
wortgleich übernommen wurde, daß die
Wegnahmehandlung nicht aus der Wohnung erfolgen muß. Diese
Vorschrift ist durch das 1. StrRG vom 25. Juni 1969 (BGBl I 645) mit
Wirkung vom 1. April 1970 eingefügt worden. Sie stellte eine
wesentliche Änderung gegenüber der bis dahin
geltenden Regelung in § 243 Abs. 1 Nr. 2 StGB dar. Nach dieser
wurde der Wohnungseinbruchsdiebstahl als Verbrechen geahndet, wenn "aus
einem Gebäude oder umschlossenen Raum mittels Einbruchs,
Einsteigens oder Erbrechens von Behältnissen gestohlen" wurde.
Bei der Neuregelung durch das 1. StrRG wurde bewußt auf das
Erfordernis, der Diebstahl müsse "aus" einem Gebäude
oder umschlossenen Raum erfolgen, verzichtet, da die frühere
Regelung in wesentlichen Bereichen zu ungereimten Ergebnissen
geführt hatte (Begründung des Gesetzesentwurfs der
Bundesregierung, BTDrucks. IV/650, S. 403; vgl.
Maurach/Schroeder/Maiwald Strafrecht BT Teilband 1 7. Aufl. Rdn. 78).
Seither genügte es, daß das Einbrechen usw. das
Mittel zur Ausführung und Vollendung des dadurch
geförderten, erleichterten oder ermöglichten
Diebstahls war; daß "aus" einer der genannten
Räumlichkeiten gestohlen wurde, war dagegen nicht mehr
erforderlich (OLG Hamm MDR 1976, 155, 156; Dreher StGB 35. Aufl.
§ 243 Anm. 2 C; Lackner StGB 9. Aufl. § 243 Anm. 4 a;
Blei Strafrecht II Besonderer Teil 12. Aufl. S. 190; Ruß in
LK 11. Aufl. § 243 Rdn. 6). Daran hat sich durch die
Aufwertung des Wohnungseinbruchsdiebstahls zum Qualifikationstatbestand
nichts geändert, da die Tatmodalitäten des §
244 Abs. 1 Nr. 3 StGB denen des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB
entsprechen (vgl. Sander/Hohmann NStZ 1998, 273, 276).
3. Da der Angeklagte - wie erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni
1982 - 2 StR 56/82; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. §
244 Rdn. 25) - auch in allen drei Fällen bereits beim
Eindringen in das Badezimmer, welches als Nebenraum Teil der Wohnung
ist (vgl. Wessels/Hillenkamp Strafrecht BT/2 22. Aufl. Rdn. 267),
Diebstahlsvorsatz hatte, ist die rechtliche Würdigung der
Strafkammer nicht zu beanstanden.
Meyer-Goßner Kuckein Athing
Solin-Stojanovic Ernemann
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