BGH,
Urt. v. 21.3.2000 - 1 StR 441/99
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 441/99
vom
21. März 2000
in der Strafsache gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21.
März 2000, an der teilgenommen haben: Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Maul als Vorsitzender und die Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Granderath, Dr. Boetticher, Schomburg,
Schluckebier, Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
München II vom 22. April 1999 aufgehoben
a) in den Fällen 7 und 8 der Urteilsgründe
(bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge) mit den Feststellungen zum Mitsichführen einer
Schußwaffe;
b) im Ausspruch über - die Gesamtstrafe,
- den Vorwegvollzug der Maßregel (Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt) sowie
- die Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in neun
Fällen, wegen schwerer räuberischer Erpressung in
fünf Fällen, wegen versuchter schwerer
räuberischer Erpressung in einem Falle sowie wegen zweier
Fälle des bewaffneten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur
Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Überdies hat
es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie
den Vorwegvollzug von sieben Jahren und sechs Monaten der erkannten
Freiheitsstrafe angeordnet und die Verwaltungsbehörde
angewiesen, ihm vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu
erteilen. Die Revision des Angeklagten, die die Verletzung materiellen
Rechts rügt, hat teilweise Erfolg; sie führt zur
Aufhebung der Verurteilung in den Fällen 7 und 8 der
Urteilsgründe sowie des Ausspruchs über die
Gesamtstrafe und eines Teils der Maßregelanordnungen. Im
übrigen ist sie unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedarf folgendes:
1. Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des
Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den
Fällen 7 und 8 der Urteilsgründe nicht (§
30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG).
Die im Schlafzimmer des Angeklagten deponierte durchgeladene und
entsicherte Gaspistole hat das Landgericht zwar zu Recht als
Schußwaffe im Sinne des Tatbestandes qualifiziert; denn bei
ihr traten die Partikel der Patronenladung nach vorne aus (UA S. 23;
vgl. BGHSt 24, 136 sowie BGHR StGB § 250 Abs. 1 Nr. 1
Schutzwaffe 1 und 3 zur früheren Fassung dieser Vorschrift, an
die sich der Gesetzgeber bewußt angelehnt hat; vgl.
BT-Drucks. 12/6853 S. 41).
Der Tatbestand setzt darüber hinaus aber voraus, daß
der Täter die Schußwaffe beim Handeltreiben mit sich
führt. Ein Mitsichführen liegt dann vor, wenn er die
Schußwaffe bewußt gebrauchsbereit in der Weise bei
sich hat, daß er sich ihrer jederzeit bedienen kann. Am
eigenen Körper muß die Waffe nicht getragen werden;
es genügt, wenn sie sich in Griffweite befindet. Der Wille des
Täters, die Waffe gegebenenfalls einzusetzen, ist nicht
erforderlich. Setzt sich die Tat aus mehreren Einzelakten zusammen,
reicht es zur Tatbestandserfüllung aus, wenn der
qualifizierende Umstand nur bei einem Einzelakt verwirklicht ist (vgl.
nur BGHSt 42, 368; 43, 8, 10; BGH NJW 1999, 3206, 3207). Je ferner
allerdings die Gefahr des Einsatzes der Waffe liegt, desto
höhere Anforderungen sind an die Prüfung und
Darlegung des subjektiven Merkmals des Bewußtseins der
Verfügbarkeit der Waffe zu stellen (vgl. BGHSt 43, 8, 14).
Die Übergabe von Heroin und Geld fand den Feststellungen
zufolge "in der Wohnung" des Angeklagten statt. Dieser hatte "im
Schlafzimmer neben dem Bett auf dem Boden und somit in unmittelbarer
Nähe der Übergabe" die "griffbereite" durchgeladene
und entsicherte Gaspistole in einem Kästchen "deponiert".
Diese Feststellungen sind lückenhaft. Es versteht sich nicht
von selbst, daß die in Rede stehenden Einzelakte des
Handeltreibens in der Wohnung des Angeklagten ebendort im Schlafzimmer
stattgefunden haben. Bei der gegebenen Fallgestaltung wäre
aber nur dann, wenn der Angeklagte ohne weiteres Zugriff auf die
Pistole gehabt hätte, von einem Mitsichführen im
Sinne des Tatbestandes auszugehen. Ein Vorhandensein der in einem
Behältnis gelagerten Schußwaffe in einem anderen
Raum erweist sich in der Regel dafür nicht als
genügend (siehe zu einem ähnlichen Sachverhalt auch
BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Mitsichführen 1). Die
allgemein gehaltene Wendung des Landgerichts, der Angeklagte habe "in
unmittelbarer Nähe der Übergabe von Rauschgift und
Geld" und "griffbereit" die Pistole "deponiert" gehabt, belegt
für sich nicht das Merkmal des Mitsichführens. Es
hätte vielmehr der konkreten Darlegung bedurft, wie die
räumlichen Verhältnisse im einzelnen waren, die es
dem Angeklagten nach Ansicht der Strafkammer ermöglichten,
sich jederzeit der Pistole zu bedienen.
Auch die Begründung für das Bewußtsein des
Angeklagten von der Verfügbarkeit der Waffe im Zusammenhang
mit den Betäubungsmittelgeschäften genügt
unter den gegebenen besonderen Umständen nicht den zu
stellenden Anforderungen. Das Landgericht hat hierzu lediglich
ausgeführt, der Angeklagte sei sich der Existenz der Waffe am
Aufbewahrungsort bewußt gewesen. Das reicht hier jedoch nicht
aus. Der ansonsten geständige Angeklagte hatte sich darauf
berufen, die Waffe habe keinen Bezug zu den Drogengeschäften
gehabt; sie sei vielmehr von den letzten
Banküberfällen "übrig geblieben". Damit
hätte sich die Strafkammer auseinandersetzen müssen.
Es lag nicht fern, daß dem Angeklagten das aktuelle
Bewußtsein des Bewaffnetseins bei seinen Verhandlungen mit
dem Drogenkurier fehlte. Immerhin hatte sich der Angeklagte im
übrigen mit seiner Einlassung zur guten Qualität des
Heroins und zum Ladezustand der bei den
Banküberfällen verwendeten Gaswaffe selbst in
erheblichem Maße belastet. Um so mehr hätte seine
Erklärung zur Waffe der Würdigung bedurft.
Dieser Mangel des Urteils führt zur Aufhebung des
Schuldspruchs in den Fällen 7 und 8. Der Aufhebung unterliegen
auch die Feststellungen zum Mitsichführen der Waffe; im
übrigen haben die Feststellungen zu diesen Fällen
Bestand. Ergänzende Feststellungen sind zulässig.
Danach entfallen die insoweit in Ansatz gebrachten Einzelstrafen. Schon
das führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die
Gesamtstrafe.
2. Der Gesamtstrafausspruch hält jedoch auch sonst rechtlicher
Nachprüfung nicht stand. Die Urteilsgründe verhalten
sich nicht dazu, ob die mit Beschluß des Amtsgerichts
München vom 29. Dezember 1993 gebildete Gesamtfreiheitsstrafe
von einem Jahr und zehn Monaten, deren Rest bis zum 28. September 1998
zur Bewährung ausgesetzt war (UA S. 7 unter Ziffer 7), bereits
erledigt war. Wäre das nicht der Fall, käme hier die
Bildung zweier Gesamtstrafen in Betracht, weil der Angeklagte in den
Fällen 1, 2, 3a und 3b der Urteilsgründe die Taten
vor den Verurteilungen durch das Amtsgericht Wolfratshausen vom 12.
Februar 1993 und das Amtsgericht München vom 17. Februar 1993
begangen hat (§ 55 Abs. 1 StGB). Die Strafen aus diesen
Verurteilungen waren Gegenstand des genannten anderweitigen
Gesamtstrafbeschlusses. War diese Strafe indessen erledigt,
wäre ein Härteausgleich wegen nicht mehr
möglicher Einbeziehung zu erwägen gewesen.
3. Die Anordnung des teilweisen Vorwegvollzuges der Freiheitsstrafe vor
der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt kann
danach keinen Bestand haben. Auswirkungen der Aufhebung des Ausspruchs
über die Gesamtstrafe sind insoweit nicht
auszuschließen. Der Senat weist darauf hin, daß der
neue Tatrichter - sollte er erneut den Vorwegvollzug eines Teils der
Strafe bestimmen (§ 67 Abs. 2 StGB) - unter besonderer
Beachtung des Rehabilitationsinteresses und im Blick auf die
Höhe der Strafe auch die Dauer eines solchen Vorwegvollzuges
sorgfältig zu begründen und gegebenenfalls zum
Ausdruck zu bringen hätte, woraus sich die bei einer
längeren Dauer des Vorwegvollzuges für den
Angeklagten ergebende zusätzliche Belastung rechtfertigt (vgl.
BGH NStZ 1999, 613; NStZ-RR 1999, 44). Die Unterbringung des
Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bleibt von der Aufhebung des
Gesamtstrafausspruches indessen unberührt (vgl. BGH NStZ 1982,
483).
4. Die Anordnung einer Sperre für die Erteilung einer
Fahrerlaubnis (§ 69a Abs. 1 StGB) unterliegt ebenfalls der
Aufhebung, weil das Urteil hierzu keine Begründung
enthält (§ 267 Abs. 6 StPO).
5. Die in den Fällen 1 bis 6 b verhängten
Einzelstrafen sind von den Rechtsfehlern ersichtlich nicht
beeinflußt; gegen sie ist auch sonst im Ergebnis von Rechts
wegen nichts zu erinnern.
a) Das Landgericht hat für die Fälle 1, 2 und 3 b, in
denen es minder schwere Fälle der schweren
räuberischen Erpressung bzw. der versuchten schweren
räuberischen Erpressung angenommen hat, irrig § 250
Abs. 3 StGB nF herangezogen, der mit dem 6. StrRG in Kraft getreten
ist. Das ist fehlerhaft, weil das alte Recht insoweit milder ist (vgl.
§ 2 Abs. 3 StGB). § 250 Abs. 2 StGB aF sah
Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren vor; nach
§ 250 Abs. 3 StGB nF reicht der Strafrahmen bis zu zehn Jahren
Freiheitsstrafe. Im Ergebnis kann sich das indes nicht zum Nachteil des
Angeklagten ausgewirkt haben, weil das Landgericht tatsächlich
in diesen Fällen einen Strafrahmen von einem Jahr bis zu
fünf Jahren zugrundegelegt hat. Überdies hat es in
den Fällen 4 b, 5 b und 6 b die Untergrenze des Strafrahmens
nach § 250 Abs. 2 StGB nF, die derjenigen nach § 250
Abs. 1 StGB aF entspricht, im Anschluß an die Milderung nach
den §§ 21, 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB rechtsfehlerhaft mit
sechs Monaten anstatt richtig mit zwei Jahren angegeben; auch das
beschwert den Angeklagten jedoch nicht.
b) Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Verneinung minder
schwerer Fälle der schweren räuberischen Erpressung
in den Fällen 4 b, 5 b und 6 b. Die zugrundeliegenden
Erwägungen des Landgerichts lassen einen Rechtsfehler nicht
erkennen. Die Differenzierung zwischen den Fällen 1, 2 und 3 b
einerseits (minder schwere Fälle) sowie den Fällen 4
b, 5 b und 6 b (keine minder schweren Fälle) hat die
Strafkammer mit der zwischen den Taten beider Fallgruppen verstrichenen
Zeit und der zwischenzeitlich vom Angeklagten anderweit
verbüßten Haft begründet. Das ist
tragfähig.
c) Die in Ansatz gebrachten Einzelstrafen stehen auch noch in einem
gerechten Verhältnis zu denjenigen Strafen, die dem
Mittäter D. zugemessen worden sind. Das Landgericht hat die
Frage des Verhältnisses der Strafen der beiden
Mittäter ausdrücklich erörtert. Es hat die
sogenannte Lebensbeichte D. s hervorgehoben, ohne die die Taten und die
Beteiligung des Angeklagten wohl unaufgeklärt geblieben
wären. Überdies hat es ersichtlich nicht
außer acht gelassen, daß es in den Fällen
1, 3 b, 4 b, 5 b und 6 b der Angeklagte war, der mit der Gaswaffe die
Banken betrat und den eigentlichen Überfall verübte,
während der Mittäter jeweils vor den Banken wartete.
Bei dieser Sachlage erweist sich die Strafbemessung nicht als
rechtsfehlerhaft; sie ist vielmehr Ausdruck des dem Tatrichter bei der
Straffindung eingeräumten Beurteilungsrahmens.
Maul Granderath Boetticher Schomburg Schluckebier |