BGH,
Urt. v. 21.3.2000 - 5 StR 41/00
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
5 StR 41/00
URTEIL
vom 21. März 2000
in der Strafsache gegen
wegen Mordes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21.
März 2000, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin
Harms, Richter Häger, Richter Nack, Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum als beisitzende Richter, Bundesanwalt , Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt B ,
Rechtsanwältin F als Verteidiger, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Berlin vom 22. Juli 1999 mit den zugehörigen
Feststellungen insoweit aufgehoben, als die Anordnung der
Sicherungsverwahrung unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und versuchten Mordes
in jeweiliger Tateinheit mit einem Vergehen nach dem Waffengesetz,
wegen vier weiterer Vergehen nach dem Waffengesetz und wegen
vorsätzlicher Körperverletzung zu lebenslanger
Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat der
Senat durch Beschluß vom 22. Februar 2000 nach § 349
Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Die Revision der
Staatsanwaltschaft beanstandet mit der Sachrüge, daß
die Anordnung der Sicherungsverwahrung unterblieben ist. Das
Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Das Landgericht hat die formalen Voraussetzungen des § 66 Abs.
2 StGB und die sachlichen Merkmale des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB
bejaht, jedoch auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung "verzichtet"
(UA S. 28). Dabei hat das Landgericht sich zwar auf das ihm nach
§ 66 Abs. 2 StGB eingeräumte Ermessen berufen (UA S.
30), jedoch nicht etwa eine allein am Einzelfall orientierte
Ermessensentscheidung getroffen. Vielmehr hat das Landgericht seiner
Entscheidung die Rechtsansicht zugrunde gelegt, daß neben der
Verhängung von lebenslanger Gesamtfreiheitsstrafe die
Anordnung von Sicherungsverwahrung ausgeschlossen sei. Dies
hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
II.
Lebenslange Freiheitsstrafe und freiheitsentziehende
Maßregeln sind nicht in ihrem Wesen miteinander unvereinbar
(BGHSt 37, 160, 161). Ob und inwieweit neben einer lebenslangen
Gesamtfreiheitsstrafe zusätzlich Maßregeln der
Besserung und Sicherung anzuordnen sind, bestimmt sich nach §
53 Abs. 4 i.V.m. § 52 Abs. 4 Satz 2 StGB. Danach ist
für die Frage, ob Maßregeln statthaft sind, nicht
auf die lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe, sondern auf die
Einzelstrafen abzustellen. Deshalb muß oder kann neben
lebenslanger Gesamtfreiheitsstrafe auf Sicherungsverwahrung erkannt
werden, wenn unabhängig von der mit lebenslanger
Freiheitsstrafe geahndeten Tat wegen einer weiteren Tat eine in die
Gesamtfreiheitsstrafe einbezogene zeitige Freiheitsstrafe verwirkt ist,
hinsichtlich derer die formellen und materiellen Voraussetzungen des
§ 66 Abs. 1 oder 2 StGB gegeben sind (BGHSt 34, 138, 143 f.).
Anders beschrieben, die Anordnung der Sicherungsverwahrung neben
zeitiger Freiheitsstrafe wird nicht dadurch ausgeschlossen,
daß der Angeklagte gleichzeitig wegen einer anderen Tat zu
lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wird (BGH NJW 1985, 2839).
An alledem ändert sich nichts dadurch, daß die
Anordnung der Sicherungsverwahrung neben alleiniger, gar mehrfach
verwirkter, lebenslanger Freiheitsstrafe nicht möglich ist: In
§ 66 Abs. 1 StGB ist als Voraussetzung der Anordnung der
Sicherungsverwahrung die Verurteilung zu "zeitiger" Freiheitsstrafe
genannt. Der Bundesgerichtshof hat angesichts dieses eindeutigen
Gesetzeswortlautes die Anordnung von Sicherungsverwahrung neben der
Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe ausgeschlossen, wenn
die lebenslange Freiheitsstrafe als Einzelstrafe verhängt oder
als Gesamtstrafe aus mehreren lebenslangen Freiheitsstrafen gebildet
wird (BGHSt 33, 398). Dies ist jedoch die nicht vermeidbare Auswirkung
einer gesetzlichen Regelung, die als die Sicherungsverwahrung
auslösende Verurteilung nur eine solche zu zeitiger
Freiheitsstrafe vorsieht, andererseits aber die Aussetzung des
Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe nicht - wie die Aussetzung
der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung - mit dem Eintritt der
Führungsaufsicht verbindet (§§ 57a, 67c Abs.
1 StGB). Diese Ungleichbehandlung entspricht der Ungleichheit der
Rechtsfolgen im Verhältnis von Tätern, die mehrmals
zu lebenslanger Freiheitsstrafe, und Tätern, die zu mehreren
zeitigen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind (BGHSt 34, 138, 145).
Auch die Gesetzesmaterialien geben keinen Aufschluß, aus
welchen Gründen in § 66 Abs. 1 StGB dem Wort
"Freiheitsstrafe" das einschränkende Adjektiv "zeitiger"
vorangestellt wurde (BGHSt 33, 398, 399). Auch hat der
Bundesgerichtshof die genannte Einschränkung in § 66
Abs. 1 StGB als "sachlich bedenklich" angesehen (BGHSt 37, 160).
Danach vermag das zweifellos bestehende Spannungsverhältnis
zwischen den beiden Fallkonstellationen - mögliche
Sicherungsverwahrung neben zeitiger Freiheitsstrafe beim Hinzutreten
lebenslanger Freiheitsstrafe einerseits, Ausschluß der
Sicherungsverwahrung neben bloßer, gar mehrfach verwirkter,
lebenslanger Freiheitsstrafe andererseits - eine im Sinne einer
Angleichung restriktive Auslegung des Gesetzes für die
erstgenannte Konstellation nicht zu begründen. Deshalb
können auch die an das genannte Spannungsverhältnis
anknüpfenden beachtlichen Argumente der Verteidigung nicht zu
einem anderen Ergebnis führen. Eine widerspruchsfreie
Lösung des Problemkomplexes muß dem Gesetzgeber
vorbehalten bleiben.
III.
Der neue Tatrichter wird die Voraussetzungen der Unterbringung des
Angeklagten in der Sicherungsverwahrung umfassend zu prüfen
haben. Eine von der Beschwerdeführerin intendierte Anordnung
der Maßregel durch den Senat scheidet schon deshalb aus, weil
§ 66 Abs. 2 StGB eine Ermes-sensentscheidung gebietet.
Harms Häger Nack
Gerhardt Raum |