BGH,
Urt. v. 21.3.2001 - 1 StR 19/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 19/01
vom
21. März 2001
in der Strafsache gegen
wegen Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21.
März 2001, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Schäfer und die Richter am
Bundesgerichtshof Nack, Schluckebier, Dr. Kolz, Schaal,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwalt als
Vertreter der Nebenkläger, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger
wird das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 1. August 2000
mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es den Angeklagten S.
betrifft.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
Jugendkammer des Landgerichts Freiburg zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Beihilfe zur
gefährlichen Körperverletzung und wegen Beihilfe zum
Mord zu der Jugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger
haben Erfolg.
I.
Gegenstand der Verurteilung ist die in einem zweiaktigen Tatgeschehen
erfolgte Tötung der Svetlana R. durch den
siebzehnjährigen Haupttäter P. , an welcher der zur
Tatzeit achtzehnjährige Angeklagte S. mitgewirkt hat. Die
Beschwerdeführer beanstanden die Beweiswürdigung
hinsichtlich des Angeklagten S. ; sie machen insbesondere geltend,
dieser Angeklagte sei nicht nur Gehilfe, sondern Mittäter des
Tötungsdelikts gewesen.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Die Angeklagten hatten die ihnen bekannte Svetlana R. am 8. November
1999 gegen 22:30 Uhr in T. getroffen. Nachdem man zuvor Alkohol
konsumiert hatte, setzten sich die Angeklagten und Svetlana R. gegen
Mitternacht in ein Auto, wo Svetlana R. einvernehmlich mit beiden
Angeklagten den Geschlechtsverkehr ausübte. Gegen 2:00 Uhr kam
es zu einem Streit zwischen P. und Svetlana R. mit wechselseitigen
Schlägen.
Nachdem der Streit abgeklungen war, fuhren die Beteiligten weiter.
P. zwang Svetlana R. mit Schlägen, bei ihm den Oralverkehr
auszuüben. Svetlana R. drohte mit einer Anzeige bei der
Polizei. Dies wollte P. auf jeden Fall verhindern. Er
entschloß sich, Svetlana R. zu töten und sagte
sinngemäß zu S.: "Bringen wir sie um!" Er bat
S. um ein Messer; dieser hatte jedoch kein Messer bei sich. Darauf
fragte ihn P. nach einem Gürtel. S. gab ihm seinen
Gürtel, wobei er dachte, P. wolle Svetlana R. durch
Mißhandlungen einschüchtern. Die
Äußerung P. s, Svetlana R. umzubringen, hielt er
für eine Drohung, die P. nicht verwirklichen wollte. P.
versuchte sodann, Svetlana R. mit dem Gürtel zu erdrosseln,
diese konnte jedoch aus dem Fahrzeug entkommen. P. rannte ihr
hinterher, warf sie zu Boden und würgte sie bis zur
Bewußtlosigkeit. Beide Angeklagten fühlten den Puls
von Svetlana R. . Sie konnten keinen Pulsschlag feststellen und hielten
Svetlana R. für tot.
S. schlug vor, die vermeintlich tote Svetlana R. in die Wutach zu
legen. Über eine Strecke von 160 Metern verbrachten sie
Svetlana R. an das Ufer der Wutach und P. schob Svetlana R. in das
knietiefe Wasser. In diesem Moment erwachte Svetlana R. , wodurch
P. erschrak und in Panik geriet. Er drückte Svetlana R. s Kopf
unter das Wasser und rief S. um Hilfe. Dieser ging zu P. ins Wasser, um
ihm beim Ertränken Svetlana R. s zu helfen. Auf Aufforderung
P. s suchte er vergeblich nach einem Stein, mit dem dieser Svetlana R.
auf den Kopf schlagen wollte. P. ergriff sodann ein in der
Nähe liegendes Holzstück und schlug damit Svetlana R.
wuchtig auf den Kopf. Dann drückte er ihren Kopf minutenlang
unter Wasser, so daß Svetlana R. ertrank.
2. Zum Tatbeitrag des S. folgt das Landgericht im wesentlichen den
Einlassungen der Angeklagten in der Hauptverhandlung. Es glaubt der
Einlassung P. s im Ermittlungsverfahren nicht, wonach es S. gewesen
sei, der nach der Drohung mit der Strafanzeige gesagt habe, man
müsse Svetlana R. töten. P. habe diese Aussage
gemacht, weil er annahm, S. habe ihn verraten. Auch entspreche es nicht
dem Wesen des S. , anderen Anweisungen zu geben.
Die Einlassung des S. , er habe gemeint, P. habe Svetlana R. nur
einschüchtern wollen, als dieser sagte "Bringen wir sie um!",
könne nicht widerlegt werden. Die Frage, was P. seiner Meinung
nach mit dem Gürtel vorgehabt habe, habe S. unbeantwortet
gelassen. "Da der wußte, daß Svetlana R. jedoch
schon vorher von P. mit Fäusten geschlagen wurde und sich ein
Gürtel - anders als ein Messer - kaum als Drohmittel durch
bloßes Vorhalten eignet, geht die Kammer davon aus,
daß S. es zumindest für möglich hielt,
daß P. Svetlana R. mit dem Gürtel
mißhandeln würde." Es sei S. nicht nachzuweisen,
daß er ein eigenes Interesse an der Tötung Svetlana
R. s gehabt habe.
3. S. habe sich deshalb lediglich der Beihilfe zur
gefährlichen Körperverletzung und - tatmehrheitlich -
der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht. Der Gehilfenbeitrag zum Mord
liege in der psychischen Unterstützung des
Haupttäters P. an der Wutach.
II.
Die Revision der Nebenkläger ist zulässig. Zwar wurde
innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (vgl. BGH, Beschl. vom
9. November 2000 - 4 StR 425/00 -) nur die allgemeine Sachrüge
erhoben, aufgrund einer Gesamtschau des Verfahrensgeschehens ist die
Revision der Nebenkläger hier zulässig (vgl. BGH StV
2000, 702; BGH, Beschl. vom 8. Dezember 1999 - 1 StR 571/99 -).
III.
1. Die Annahme des Landgerichts, S. habe sich beim Überreichen
des Gürtels vorgestellt, P. wolle Svetlana R. nur verletzen,
ist nicht tragfähig begründet.
Da es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, mußte das
Landgericht die Vorstellung des S. aus äußeren
Beweisanzeichen folgern. Den Schluß des Landgerichts
hätte das Revisionsgericht hinzunehmen, wenn allein die vom
Landgericht aufgeführten Beweisanzeichen vorgelegen
hätten. Hier lagen aber weitere Umstände vor, die
für eine weitergehende Vorstellung sprachen. Diese
Umstände hätte das Landgericht erörtern
müssen.
a) Die Äußerung P. s "Bringen wir sie um!" war schon
ihrem Wortlaut nach eine Aufforderung P. s an S. zu einer Beteiligung
("wir") an einer Tötungshandlung. Der Aufforderung zur
Übergabe des Gürtels war die Aufforderung zur
Übergabe eines Messers vorausgegangen; das spricht im
Zusammenhang mit der Äußerung für eine von
P. beabsichtigte Tötungshandlung. Da S. kein Messer hatte,
drängt es sich auf, daß der Gürtel
gewissermaßen "ersatzweise" als Drosselwerkzeug eingesetzt
werden sollte, was dann auch geschah.
b) Bedeutsam war auch das Verhalten des S. bei und nach dem
Drosselungsvorgang P. s. Als P. unmittelbar nach Überreichen
des Gürtels Svetlana R. drosselte, diese verfolgte und
würgte, reagierte S. nicht etwa überrascht. Er griff
auch nicht ein. Ersichtlich wurde S. dazu auch in der Hauptverhandlung
befragt; er ließ diese für seine beim
Überreichen des Gürtels vorhandene Vorstellung
wesentliche Frage unbeantwortet.
Nachdem Svetlana R. bewußtlos war und S. bemerkte,
daß aus ihrem Mund Blut austrat, fühlte er ihren
Puls. Als er keinen Pulsschlag feststellen konnte, machte er - was bei
einer allein auf eine Körperverletzung gerichteten Vorstellung
nahegelegen hätte - P. keine Vorwürfe, vielmehr
gingen beide Angeklagten ohne weiteres davon aus, P. habe Svetlana R.
erwürgt. Bei den danach gemeinsam angestellten
Überlegungen zur Beseitigung der irrtümlich bereits
für tot gehaltenen Svetlana R. machte S. den Vorschlag, sie in
der Wutach abzulegen.
c) Gleichfalls indiziell war das Verhalten des S. an der Wutach, als
die vermeintlich tote Svetlana R. wieder zu Bewußtsein kam
und sich zur Wehr setzte. Hätte S. beim Überreichen
des Gürtels nur die Vorstellung einer bevorstehenden
Körperverletzung gehabt, dann wäre es umso weniger
verständlich, daß er in dieser Situation der
Aufforderung P. s sofort nachkam, diesem beim Ertränken zu
helfen.
2. Da somit nicht auszuschließen ist, daß S. den
Gürtel zum Zwecke des Erdrosselns überreicht hat,
kommt eine Beteiligung - sei es als Gehilfe oder Mittäter -
bereits beim ersten Teilakt der Tötungshandlung des P. in
Betracht. Da zwischen beiden Teilakten der Tötungshandlung ein
zeitlicher und situativer Zusammenhang besteht, kann der Schuldspruch
insgesamt keinen Bestand haben.
In der neuen Hauptverhandlung wird der Tatrichter Gelegenheit haben zu
prüfen, in welchem rechtlichen Verhältnis die
einzelnen Handlungen des Angeklagten zueinander stehen. Auf der
Grundlage der bisherigen Feststellungen ist zu bemerken:
a) Wenn S. sich beim Überreichen des Gürtels eine
Tötungshandlung des P. vorgestellt hat, zu der er selbst - sei
es als Gehilfe oder als Mittäter - einen Tatbeitrag leisten
wollte, wird zu prüfen sein, ob seine Tatbeiträge bei
beiden Teilakten der Tötungshandlung rechtlich als eine Tat zu
werten sind (vgl. BGHSt 39, 195; BGH NJW 1984, 1568; NStZ 1984, 214;
StV 1986, 293; NStZ 1998, 621; StV 2000, 309).
b) Bei einer nur auf eine Körperverletzung gerichteten
Vorstellung käme auch eine Beteiligung am
Tötungsdelikt des P. durch Unterlassen in Betracht, wenn eine
Garantenpflicht des Angeklagten zur Verhinderung der
Tötungshandlung aufgrund vorausgegangenen
gefährdenden Tuns bestand (vgl. BGH NStZ 1992, 31; NStZ 1998,
83; StV 1998, 127; NStZ 2000, 414; 583).
c) Ferner wird zu prüfen sein, ob der Angeklagte sich auch im
Zusammenhang mit den sexuellen Handlungen strafbar gemacht hat (vgl.
die Antragsschrift des Generalbundesanwalts).
3. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an
ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs.
2 Satz 1 StPO).
Schäfer Nack Schluckebier Herr RiBGH Dr. Kolz
befindet sich im Urlaub
und ist deshalb an der Unterschrift verhindert.
Schäfer Schaal
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