BGH,
Urt. v. 21.3.2001 - 1 StR 32/01
1 StR 32/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 32/01
vom
21. März 2001
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen zu 1.: sexueller Nötigung u.a.
zu 2.: Vergewaltigung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21.
März 2001, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Schäfer und die Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Wahl, Dr. Boetticher, Schluckebier, Hebenstreit,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten P. ,
Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Traunstein vom 1. August 2000 mit den Feststellungen
aufgehoben
a) hinsichtlich des Angeklagten T. im Ausspruch über die
Einzelstrafe wegen sexueller Nötigung und über die
Gesamtfreiheitsstrafe;
b) hinsichtlich des Angeklagten P. im Strafausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
1. Folgendes ist festgestellt:
Am 9. Februar 2000 hielten sich die Angeklagten und die
Nebenklägerin Silke S. in der Wohnung des T. auf, nachdem
diese ihn gebeten hatte, sie wegen eines Diskothekbesuchs abzuholen.
Sie war mit T. gut bekannt, ohne daß sexuelle Kontakte
bestanden hätten, P. , der T. begleitet hatte, kannte sie bis
dahin nicht. T. nahm aus einer Wasserpfeife mit Marihuana mehrere
Züge, Silke S. nahm einen Zug. Ihr wurde davon "komisch", und
sie setzte sich auf eine Couch. P. hob sie hoch und legte sie auf ein
Bett, wo er begann ihre Hose auszuziehen. Sie wehrte sich, schrie und
bat T. um Hilfe. Dieser hielt jedoch statt dessen ihre Handgelenke fest
und sagte, daß P. doch nur "seinen Spaß" wolle. Als
sie erneut schreien wollte, hielt ihr T. den Mund zu. P. hatte
inzwischen ihren Unterkörper entblößt,
drückte mit seinen Beinen ihre Beine auseinander und
führte mir ihr ungeschützten Geschlechtsverkehr
durch. T. hielt sie dabei nicht mehr fest, half ihr aber auch nicht,
obwohl sie ihn darum "ständig anflehte".
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurden die Angeklagten wie
folgt verurteilt:
a) Der Angeklagte T. wurde wegen sexueller Nötigung zu einer
Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, wobei der Strafrahmen des
§ 177 Abs. 1 StGB wegen akuten Drogenrauschs
gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB
gemildert wurde. Einen besonders schweren Fall gemäß
§ 177 Abs. 2 StGB lehnte die Strafkammer ab.
Aus dieser Strafe und einer von ihr außerdem wegen einer
Beleidigung verhängten Geldstrafe bildete die Strafkammer eine
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat, die sie zur
Bewährung aussetzte.
b) Der Angeklagte P. wurde wegen Vergewaltigung zu einer ebenfalls zur
Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren
verurteilt. Das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1
StGB sei erfüllt, ein besonders schwerer Fall im Sinne des
§ 177 Abs. 2 StGB liege aber nur vor, weil er den
Geschlechtsverkehr ungeschützt ausgeübt habe.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft zum Nachteil beider Angeklagter
richtet sich nur gegen die jeweils wegen des Sexualdelikts
verhängte Strafe. Das vom Generalbundesanwalt vertretene
Rechtsmittel hat Erfolg.
A. Angeklagter T.
1. Die Auffassung der Strafkammer, ein Regelbeispiel
gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB liege
nicht vor, weil er selbst keine sexualbezogene Handlung vorgenommen
hat, entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur
NStZ 1999, 452, 453).
2. Hinsichtlich eines Regelbeispiels gemäß
§ 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB führt die Strafkammer
aus:
a) Eine Mitwirkung an der Nötigungshandlung reiche jedenfalls
dann aus, wenn sich der Täter die sexuellen Handlungen des
anderen Täters zurechnen lassen müsse (§ 25
Abs. 2 StGB) und das konkrete gemeinschaftliche Vorgehen einem
objektiven Betrachter den Eindruck erhöhter Schutzlosigkeit
des Opfers vermittle.
Hier lägen die Voraussetzungen von § 177 Abs. 2 Satz
2 StGB "insgesamt" nicht vor. Der Angeklagte habe nicht
während der gesamten Tat gehandelt, die von ihm angewendete
Gewalt sei "an der unteren Grenze ohne Verletzungsspuren" gewesen. Auch
habe die Geschädigte, möglicherweise wegen des
vorangegangenen Marihuanakonsums, "keinen kräftigen Widerstand
geleistet". Ihre ständigen Bitten zeigten außerdem,
daß sie sich vom Angeklagten Hilfe versprochen habe. Er habe
ihr daher aus ihrer Sicht "nicht erhöhte Schutzlosigkeit
vermittelt".
b) Die Strafkammer ist damit zunächst von einem zutreffenden
rechtlichen Ansatz ausgegangen (vgl. oben II. A. 2 a). Nach dem
Wortlaut und der Systematik des Gesetzes ist die in § 177 Abs.
2 Satz 2 Nr. 2 StGB genannte "Tat, die von mehreren gemeinschaftlich
begangen wird" nicht das in Nr. 1 angeführte Vollziehen des
Beischlafs oder die Vornahme ähnlicher sexueller Handlungen;
es genügt die gemeinschaftliche Begehung einer im
Grundtatbestand des § 177 Abs. 1 StGB genannten Handlung. Zur
Erfüllung des Regelbeispiels des § 177 Abs. 2 Satz 2
Nr. 2 StGB ist somit nicht erforderlich, daß alle
Mittäter selbst sexuelle Handlungen am Tatopfer vornehmen oder
an sich vornehmen lassen. Der gesteigerte Unrechtsgehalt dieses
Regelbeispiels liegt hier in der verminderten
Verteidigungsmöglichkeit des Opfers, das sich mehreren
Angreifern gegenüber sieht, und in der erhöhten
Gefährlichkeit sich gegenseitig stimulierender Täter
(vgl. BTDrucks. 13/7324 S. 6; Lenckner/Perron in
Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 177 Rdn.
24; Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 177 Rdn. 2;
Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 177 Rdn. 24a, 25
jew. m.w.N.).
c) Obwohl sich dies aus den Urteilsgründen nicht
ausdrücklich ergibt, versteht der Senat die weiteren
Ausführungen der Strafkammer (vgl. oben II. A. 2 a) dahin,
daß sie zwar (zutreffend) davon ausgeht, daß die
tatbestandlichen Voraussetzungen eines Regelbeispiels
gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB
vorliegen, sie aber dessen Indizwirkung für das Vorliegen
eines besonders schweren Falles aus den von ihr angeführten
Gründen als widerlegt ansieht.
Auch insoweit geht die Strafkammer von einem zutreffenden rechtlichen
Ansatz aus (vgl. nur BGHR StGB vor § 1/besonders schwerer Fall
Verneinung 2; Stree in Schönke/Schröder aaO vor
§§ 38 ff. Rdn. 44a jew. m.w.N.).
Mehrere der von der Strafkammer in diesem Zusammenhang angestellten
Erwägungen halten jedoch rechtlicher
Überprüfung nicht stand:
Die Geschädigte sah sich zwei aktiv handelnden Tätern
gegenüber. Es ist nicht ersichtlich, warum dies - entgegen der
objektiven Lage - das Empfinden ihrer Schutzlosigkeit nicht
vergrößert haben sollte. Insbesondere ergibt sich
dies nicht daraus, daß sie T. ständig um Hilfe
"anflehte". Daß er ihr nicht half, nachdem er zuvor gegen sie
aktiv tätig geworden war, war vielmehr objektiv ebenso wie aus
ihrer Sicht geeignet, ihr die Aussichtslosigkeit ihrer Lage besonders
deutlich vor Augen zu führen.
Grundsätzlich kann zwar auch die geringe Intensität
einer Tathandlung
- trotz der Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB -
gegen die Annahme eines besonders schweren Falles sprechen. Es ist in
diesem Zusammenhang aber nicht tragfähig, dazu auf das Fehlen
von Verletzungsspuren beim Opfer abzustellen. Denn das liefe darauf
hinaus, dem Mittäter zugute zu halten, daß er nicht
noch einen weiteren Tatbestand, den der Körperverletzung,
verwirklicht hat.
Ebenso wie die geringe Intensität der Tathandlung kann auch
die geringe Intensität des Widerstands des Opfers bedeutsam
sein. Die Erwägung, daß die Geschädigte
keinen "kräftigen Widerstand" leistete, wird aber schon von
den Feststellungen, wonach Silke S. sich "wehrte" und "schrie" und P.
ihre Beine "auseinanderdrückte", zumindest nicht klar belegt.
Jedenfalls deuten aber ihre ständigen Bitten um Hilfe darauf
hin, daß etwaiger weniger intensiver Widerstand der
Geschädigten nicht nur auf Marihuanakonsum
zurückging, sondern auch auf die Erkenntnis der
Aussichtslosigkeit ihrer Lage. Diese naheliegende Möglichkeit
hat die Strafkammer nicht erkennbar in ihre Erwägungen
einbezogen.
3. Schließlich ist auch die Annahme, der Angeklagte sei wegen
akuten Drogenrauschs nur erheblich vermindert schuldfähig
gewesen, nicht frei von Rechtsfehlern.
a) Hierzu ist festgestellt, der Angeklagte konsumiere
regelmäßig Cannabis "wenn etwas da sei". Es liege
bei ihm ein "bewußter Umgang mit Drogen" vor. Vor der Tat
habe der Angeklagte "mehr als zwei" Züge aus der Wasserpfeife
genommen und nach der Tat habe er Hunger gehabt und nochmals gegessen.
Dies belege einen akuten Cannabisrausch, der seine
Schuldfähigkeit erheblich vermindert habe.
b) Rauschgiftwirkungen können nur ausnahmsweise eine
erhebliche Minderung der Schuldfähigkeit begründen,
etwa bei schwersten Persönlichkeitsveränderungen
infolge langjährigen Rauschgiftmißbrauchs, bei
Beschaffungsdelikten unter starken Entzugserscheinungen und je nach den
Umständen des Einzelfalls auch bei einem akuten Drogenrausch
(st. Rspr., vgl. zuletzt BGH NStZ 2001, 83, 84 m.w.N.).
c) Ein solcher Rausch ist nicht belegt. Die Möglichkeit,
daß er, zumal bei einem an sich erfahrenen Drogenkonsumenten,
allein durch einige Züge aus der Wasserpfeife
ausgelöst worden sein könnte, erscheint fernliegend
und hätte daher eingehender Begründung bedurft. Zu
weiterem Drogenkonsum des Angeklagten vor der Tat ist nichts
festgestellt. Der Hunger des Angeklagten nach der Tat kann zwar auf
Cannabiskonsum hindeuten (vgl. Täschner, Das Cannabisproblem
3. Aufl. S. 145; Geschwinde, Rauschdrogen 3. Aufl. Rdn. 106), belegt
aber noch keinen akuten Rausch. Sonstige Symptome, die für
einen akuten Drogenrausch sprechen könnten (vgl. hierzu
allgemein BGH aaO 84 m.w.N.; zum Cannabisrausch vgl. Geschwinde aaO
Rdn. 93 ff.; Maatz/Wille DRiZ 1993, 15, 18), sind nicht festgestellt.
Damit fehlen schon die notwendigen Anknüpfungstatsachen
für die medizinisch-biologischen Voraussetzungen von
§ 21 StGB.
d) Darüber hinaus ist auch nicht dargelegt, warum ein etwaiger
Rausch sich auf Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten bei der konkreten Tat ausgewirkt haben könnte.
Derartige Darlegungen wären deshalb erforderlich gewesen, weil
jedenfalls bei einem typischen ("mittleren") Cannabisrausch, der
Bewußtsein und Orientierung unberührt
läßt und allenfalls zu einer leichten Benommenheit
führt (Geschwinde aaO Rdn. 100), das aktive Eingreifen in
Geschehnisabläufe beim Berauschten nachläßt
(Geschwinde aaO Rdn. 108).
e) Selbst wenn aber ein Rausch und daraus folgend eine Verminderung von
Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit vorliegen sollte, fehlt es
an der Darlegung, warum diese als erheblich anzusehen sei. Die
Strafkammer schließt sich insoweit nur den
"nachvollziehbaren" Äußerungen des
Sachverständigen an. Ob eine Verminderung der Einsichts- oder
Steuerungsfähigkeit "erheblich" im Sinne des § 21
StGB ist, ist aber eine Rechtsfrage, die der Tatrichter ohne Bindung an
Äußerungen von Sachverständigen in eigener
Verantwortung zu beantworten hat. Hierbei fließen normative
Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die
Rechtsordnung auch an einen berauschten Täter stellt (vgl.
BGHSt 43, 66, 77; BGH NStZ-RR 1999, 295, 296 jew. m.w.N.). Diese
Anforderungen sind um so höher, je schwerwiegender das in Rede
stehende Delikt ist. Daß hier eine Verminderung der
Schuldfähigkeit des Angeklagten in diesem Sinne erheblich
gewesen wäre, versteht sich angesichts der Schwere der von ihm
begangenen Tat jedenfalls nicht von selbst.
B. Angeklagter P.
Es kann offen bleiben, ob die Annahme der Strafkammer, ein besonders
schwerer Fall im Sinne des § 177 Abs. 2 StGB liege nur deshalb
vor, weil der Angeklagte nicht nur das Regelbeispiel
gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB
erfüllt, sondern den Geschlechtsverkehr darüber
hinaus auch noch ungeschützt durchgeführt habe, hier
für sich genommen noch rechtlicher
Überprüfung standhalten könnte.
Jedenfalls hat die Strafkammer nicht erkennbar erwogen, daß
der Angeklagte beide Regelbeispiele des § 177 Abs. 2 StGB
erfüllt hat. Soweit das Urteil dahin zu verstehen sein sollte,
daß die Erwägungen, derentwegen die Strafkammer beim
Angeklagten T. trotz Vorliegens des Regelbeispiels
gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB
abgelehnt hat, auch dem Angeklagten P. zugute kommen sollen, gilt
entsprechend das, was der Senat insoweit hinsichtlich des Angeklagten
T. ausgeführt hat. Das Verhalten des Angeklagten T. hat die
Tat des Angeklagten P. ermöglicht oder jedenfalls wesentlich
erleichtert. Dies hat der Angeklagte P. ausgenutzt.
Obwohl die Strafkammer im Ergebnis hinsichtlich des Angeklagten P.
einen besonders schweren Fall angenommen hat, kann der Senat - zumal
die Mindeststrafe (§ 177 Abs. 2 Satz 1 StGB) verhängt
ist - nicht ausschließen, daß der Strafausspruch
auf den aufgezeigten Mängeln beruht. Die gleichzeitige
Erfüllung mehrerer Regelbeispiele eines besonders schweren
Falls wirkt sich jedenfalls dann strafschärfend aus, wenn
hieraus auf eine erhöhte Vorwerfbarkeit zu schließen
ist (vgl. G. Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 2. Aufl. Rdn.
256a). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn, wie hier, der
Unrechtskern des einen erfüllten Regelbeispiels (hier:
Vergewaltigung) nicht in innerem Zusammenhang mit dem Unrechtskern des
darüber hinaus weiter erfüllten Regelbeispiels (hier:
gemeinschaftliche Tatbegehung) steht.
Schäfer Wahl Boetticher Schluckebier Hebenstreit
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