BGH,
Urt. v. 21.3.2002 - 5 StR 14/02
5 StR 14/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 21. März 2002
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 21.
März 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin
Harms, Richter Häger, Richter Dr. Raum, Richter Dr. Brause,
Richter Schaal als beisitzende Richter, Bundesanwalt S , Richterin am
Landgericht B als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als
Verteidiger, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Berlin vom 4. Mai 2001 mit den Feststellungen aufgehoben,
soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist.
2. Die Revision des Angeklagten wird verworfen. Der Angeklagte hat die
Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch der Nebenklägerin
entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der
Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und
drei Monaten verurteilt.
Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung
formellen und materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft beanstandet
mit der Sachrüge, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird,
die Ablehnung der Anordnung von Sicherungsverwahrung.
Das Rechtsmittel des Angeklagten hat keinen Erfolg. Die wirksam
beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft führt zur
Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit das Landgericht die
Anordnung der Sicherungsverwahrung des Angeklagten abgelehnt hat.
I.
Revision des Angeklagten
1. Die Verfahrensrüge, in der Hauptverhandlung sei eine
Entscheidung über die Vereidigung des Zeugen D nicht getroffen
worden, hat keinen Erfolg. Zwar enthält das Protokoll der
Hauptverhandlung hierzu keine Feststellungen, so daß
gemäß § 274 StPO davon auszugehen ist,
daß der Zeuge nicht vereidigt worden ist (Senge in KK 4.
Aufl. § 59 Rdn. 13, 16). Das Landgericht hat der Aussage des
Zeugen jedoch keine Bedeutung beigemessen, vielmehr
ausgeführt: "Sichere Schlußfolgerungen vermochte das
Gericht aus den Bekundungen des Zeugen D nicht zu ziehen." Der Senat
schließt aus, daß der Zeuge unter Eid mehr oder
anderes ausgesagt hätte und daß das Gericht zu
anderen Feststellungen gelangt wäre (vgl. BGHR StPO §
59 Satz 1 Entscheidung, fehlende 1; BGH NStZ 1985, 182; BGH, Beschl.
vom 8. Juli 1997 - 5 StR 170/97).
2. Die nicht näher ausgeführte Sachrüge ist
unbegründet.
II.
Revision der Staatsanwaltschaft
1. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Revision wirksam auf die Frage der
Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt (vgl. BGHSt 7,
101). Zwischen Strafe und nicht angeordneter Maßregel nach
§ 66 StGB besteht nur dann eine der
Rechtsmittelbeschränkung entgegenstehende Wechselwirkung, wenn
im Einzelfall den Urteilsgründen zu entnehmen ist,
daß die Strafe von dem Unterbleiben der Maßregel
beeinflußt sein kann, sie insbesondere bei Anordnung der
Sicherungsverwahrung möglicherweise niedriger ausgefallen
wäre (BGH NStZ 1994, 280, 281; BGH, Urt. vom 10. März
1992 - 5 StR 25/92, insoweit in NStZ 1992, 382 nicht abgedruckt). Das
ist hier jedoch nach den Darlegungen zur Strafzumessung
auszuschließen.
2. Die Begründung, mit der das Landgericht die Anordnung der
Sicherungsverwahrung abgelehnt hat, hält rechtlicher
Überprüfung nicht stand.
a) Nach den Urteilsgründen liegen die formellen und
materiellen Voraussetzungen für die Anordnung der
Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB vor. Der Angeklagte
ist wegen der beiden von ihm begangenen Vergewaltigungen, bei denen er
seine Opfer mit einem Revolver bzw. einem Messer bedrohte, zu
Einzelfreiheitsstrafen von vier Jahren und sechs Monaten bzw.
fünf Jahren verurteilt worden. Außerdem war er
bereits vom Amtsgericht - Schöffengericht - Potsdam durch
Urteil vom 16. März 1995 wegen Vergewaltigung in zwei
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 18 Monaten
(Einzelstrafen jeweils ein Jahr Freiheitsstrafe) verurteilt worden.
Rechtsfehlerfrei hat der Tatrichter auch die
Gefährlichkeitsprognose für den Angeklagten
(§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) bejaht. Das sachverständig
beratene Landgericht führt aus, ein Hang zu erheblichen und
für die Allgemeinheit gefährlichen Taten liege vor.
Das Verhaltensmuster des Angeklagten sei nur durch einen Schock bzw.
ein Trauma, das heißt eine Gewalterfahrung
plötzlicher Art, die dem Einfluß des Angeklagten
entzogen sei, oder durch eine tiefenpsychologische Behandlung
abänderbar. Zu letzterer fehle es dem Angeklagten jedoch an
einer ernstlichen Motivation. Die Exploration habe ergeben,
daß der Angeklagte Therapien ablehnend
gegenüberstehe.
Dennoch hat das Landgericht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung
abgesehen, weil auch ohne Therapiebereitschaft eine
Möglichkeit zu einer Verhaltensänderung des
Angeklagten bestehe. Zur Überzeugung des Gerichts stehe zu
erwarten, daß der vom Angeklagten zu
verbüßende Freiheitsentzug das von dem
Sachverständigen beschriebene Schockerlebnis hervorrufe und so
eine nachhaltige Verhaltensänderung bei dem Angeklagten
herbeiführe. Für die Annahme, daß der
langjährige Strafvollzug auf den Angeklagten ohne nachhaltigen
Lernerfolg bleibe, fehle es an einer tatsächlichen Grundlage.
b) Diese Erwägungen begegnen durchgreifenden rechtlichen
Bedenken. Für die Gefährlichkeitsprognose ist
grundsätzlich der Zeitpunkt der Urteilsfindung
maßgeblich und nicht der - bei Erlaß des Urteils
noch nicht absehbare - Zeitpunkt der Entlassung aus einer sich
anschließenden Strafhaft. Das gilt insbesondere angesichts
dessen, daß der Gesetzgeber in § 67c Abs. 1 StGB dem
Vollstreckungsgericht die Aufgabe zugewiesen hat, vor dem Ende des
Vollzugs der Strafe zu prüfen, ob der Zweck der
Maßregel die Unterbringung noch erfordert (vgl. BGHSt 24,
160, 164; 25, 59, 61; BGH NStZ 1985, 261; 1990, 334, 335; BGH NStZ-RR
1999, 301 m.N. der Rspr.; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl.
§ 66 Rdn. 27). Zwar darf der Tatrichter bei seiner
Ermessensentscheidung nach § 66 Abs. 2 StGB den Wirkungen
eines langjährigen Strafvollzugs Bedeutung beimessen (vgl. BGH
StV 1982, 114; NStZ 1984, 309), doch sind diese Umstände nur
beachtlich, wenn sie - nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung (BGH NStZ
1985, 261) - eine Verhaltensänderung des Angeklagten erwarten
lassen (BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 3, 6). Das
hat die Strafkammer aber nicht ausreichend dargelegt.
Der Sachverständige hat sich bei seinen im Urteil
wiedergebenen Ausführungen zu einem Trauma naheliegend an
ICD-10 V F 43.1 (vgl. Dilling/Mombour/Schmidt (Hrsg.) Internationale
Klassifikation psychischer Störungen 4. Aufl. 2000)
orientiert. Danach handelt es sich bei einem Trauma um ein belastendes
Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher
Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast
jedem eine tiefe Verstörung hervorrufen würde. Hierzu
gehören eine durch Naturereignisse oder von Menschen
verursachte Katastrophe, eine Kampfhandlung, ein schwerer Unfall oder
die Tatsache, Zeuge des gewaltsamen Todes anderer oder selbst Opfer von
Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung oder anderer Verbrechen zu sein.
Den Urteilsgründen ist schon nicht zu entnehmen, daß
das Landgericht diesen Maßstab bei seiner Bewertung zugrunde
gelegt hat. Damit handelt es sich bei den Erwägungen, wonach
das vom Sachverständigen beschriebene Schockerlebnis durch den
bevorstehenden Strafvollzug hervorgerufen werde, lediglich um durch
Tatsachen nicht belegte Vermutungen und Erwartungen.
Zudem sind weitere erhebliche Umstände nicht ausreichend
bedacht worden. Nach den getroffenen Feststellungen liegt bei dem
Angeklagten ein eingeschliffenes Verhaltensmuster und eine
zwischenzeitlich fest verwurzelte Neigung zu Vergewaltigungstaten vor.
Deshalb wäre auch zu erörtern, ob der seine Taten
abstreitende und nicht therapiebereite Angeklagte überhaupt
durch eine einmalige traumatische Erfahrung in seinem Verhalten
verändert werden kann.
Harms Häger Raum
Brause Schaal |