BGH,
Urt. v. 22.8.2001 - 3 StR 191/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 191/01
vom
22. August 2001
in der Strafsache gegen
wegen Betruges u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22.
August 2001, an der teilgenommen haben: Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan als Vorsitzende, die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Miebach, Winkler, Pfister, von Lienen als beisitzende Richter,
Staatsanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Oldenburg vom 15. Dezember 2000
a) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte
freigesprochen worden ist,
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen
aufgehoben, soweit der Angeklagte in den unter II. 1. bis 7. der
Urteilsgründe dargestellten 13 Fällen verurteilt
worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in drei
Fällen, Betruges in Tateinheit mit Verleitung zur
Börsenspekulation in fünf Fällen und wegen
Verleitung zur Börsenspekulation in weiteren fünf
Fällen verwarnt und die Verurteilung zu einer Geldstrafe von
180 Tagessätzen zu je 500 DM vorbehalten. Im übrigen
hat es ihn freigesprochen. Mit ihrer auf die Sachrüge
gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen
den Strafausspruch in den unter II.1. bis 7. der Urteilsgründe
dargestellten 13 Fällen und die Freisprechung in den
Fällen II. 8. bis 11. der Urteilsgründe. Das
Rechtsmittel ist begründet.
I.
Nach den Urteilsfeststellungen war der Angeklagte bei der "C.
Warentermin-, Handels- und Beratungs-GmbH" (im folgenden: C.
GmbH), die Optionen auf Warenterminkontrakte vertrieb, als
Telefonverkäufer tätig. Die C. GmbH leitete 55 % des
Kapitaleinsatzes jedes Optionskäufers an ein Brokerunternehmen
weiter, 45 % behielt sie als Gebühren ein, so daß
der Preisaufschlag auf die an der Börse plazierte
Prämie 81,82 % betrug. Bei diesem Preisaufschlag hatten die
Käufer nur in Fällen einer
außergewöhnlich starken Kursveränderung
eine geringe Gewinnchance. In einer ausführlichen
Broschüre sowie durch eine der Auftragsbestätigung
beigefügte Erklärung wurden die
Optionskäufer darauf hingewiesen, daß der Erwerb von
Optionen ein Spekulationsgeschäft darstelle, die
Wahrscheinlichkeit eines Geldverlustes sehr groß sei und
insbesondere wegen des hohen Preisaufschlags auf die
Börsenprämie ein Gewinn realistisch kaum erwartet
werden könne. Die meisten Käufer der Optionen
erlitten erhebliche Verluste.
Bei Telefongesprächen stellte der Angeklagte bewußt
wahrheitswidrig das mit den Optionsgeschäften verbundene
Verlustrisiko als gering sowie hohe Gewinne als nahezu sicher dar und
veranlaßte durch diese falschen Angaben in acht
Fällen Kunden zum Kauf von Optionen auf Warenterminkontrakte,
wobei er in fünf Fällen fehlende Kenntnisse und
Erfahrungen hinsichtlich Börsenspekulationsgeschäften
ausnutzte. In weiteren fünf Fällen bestimmte er in
solchen Geschäften ersichtlich unerfahrene Interessenten -
ohne daß insoweit eine ihm zurechenbare Täuschung
sicher festgestellt werden konnte - zum Erwerb von Optionen.
In den Fällen II. 8. bis 11. der Urteilsgründe hat
die Strafkammer den Angeklagten vom Vorwurf des Betruges und der
Verleitung zur Börsenspekulation aus tatsächlichen
Gründen freigesprochen. Nach den Feststellungen kaufte im Fall
II. 9. der Urteilsgründe der in Warentermingeschäften
unerfahrene Kunde Kr. die Optionen wegen der ihm vom Angeklagten
vorgetäuschten guten Gewinnchancen, aber auch aus Neugier in
Kenntnis des Risikos. Unter diesen Umständen seien - nach
Ansicht der Strafkammer - die Tatbestände des Betruges und der
Verleitung zur Börsenspekulation nicht erfüllt. In
den Fällen II. 8., 10. und 11. der Urteilsgründe hat
das Landgericht dem Angeklagten zurechenbare Täuschungen der
Optionsnehmer B. , R. und
S. nicht feststellen können. Da diese Geschädigten
bereits vorher bei Warenterminoptionsgeschäften erhebliche
Verluste erlitten hätten, liege - nach Meinung des
Landgerichts - eine Verleitung zur Börsenspekulation unter
Ausnutzung der Unerfahrenheit nicht vor.
II.
Das Rechtsmittel hat in vollem Umfang Erfolg.
1. Die Begründungen, mit denen die Strafkammer den Angeklagten
in den Fällen II. 8. bis 11. der Urteilsgründe
freigesprochen hat, halten rechtlicher Überprüfung
nicht stand.
a) Es ist zu besorgen, daß sie den Begriff der
"Unerfahrenheit" in § 89 Abs. 1 Börsengesetz verkannt
und zu eng ausgelegt hat. "Unerfahren" im Sinne dieser Vorschrift ist
eine zum Abschluß eines
Börsenspekulationsgeschäftes verleitete Person dann,
wenn sie infolge fehlender Einsicht die Tragweite des konkreten
Spekulationsgeschäfts in seiner ganzen Bedeutung nicht
verläßlich überblicken kann, wobei es auf
die Verhältnisse des Einzelfalls ankommt. Entgegen der Meinung
des Landgerichts kann dabei aus der Tatsache allein, daß ein
Anleger bereits vorher bei Warenterminoptionsgeschäften
Kapitalverluste erlitten hatte oder sich allgemein der
Möglichkeit von Verlusten bewußt war, nicht auf die
Einsicht in deren Funktionsweise und grundlegenden Prinzipien
geschlossen werden (vgl. BGHR BörsenG § 89
Unerfahrenheit 1; Erbs/Kohlhaas/Fuhrmann, Börsengesetz 104.
ErgLfg. § 89 Rdn. 10; Schwark, Börsengesetz 2. Aufl.
§ 89 Rdn. 8; Wach, Der Terminhandel in Recht und Praxis 1986
Rdn. 324). Das Urteil verhält sich nicht zu dem entscheidenden
Umstand, ob die Anleger B. , Kr. , R. und S. die Optionen in dem Wissen
erworben haben, daß sich infolge des hohen Preisaufschlages
auf die Originalbörsenprämie das Verlustrisiko
vervielfacht hat, sie deshalb im Regelfall Verluste erwarten
mußten und nur bei außergewöhnlich starken
Kursschwankungen ausnahmsweise die geringe Chance eines Gewinns
bestand. Dabei kann es ein Indiz für ihre Unerfahrenheit sein,
daß sie trotz der vorangegangenen, verlustreichen
Optionsgeschäfte nochmals Optionen gekauft haben, die kaum
eine realistische Gewinnchance boten (vgl. BGHR BörsenG
§ 89 Unerfahrenheit 1).
Der Verleitung des Anlegers Kr. zur Börsenspekulation steht
nicht entgegen, daß er die Optionen aufgrund der ihm vom
Angeklagten vorgetäuschten guten Gewinnchancen, aber auch aus
Neugier gekauft hat (UA S. 23), weil die Mitursächlichkeit
für den Erwerb genügt (vgl. Schwark aaO § 89
Rdn. 5). Diesen rechtlichen Bedenken unterliegen zwar auch die
Schuldsprüche in den Fällen II. 4. und II. 6. d) der
Urteilsgründe, in denen die Strafkammer den Angeklagten
lediglich wegen Betruges zum Nachteil der Zeugen K. und L. verurteilt
hat. In diesen Fällen ist die Revision der Staatsanwaltschaft
jedoch wirksam auf den Strafausspruch beschränkt worden, so
daß die Schuldsprüche in Rechtskraft erwachsen sind.
b) Auch die Verneinung eines Betruges im Falle des Anlegers Kr. (Fall
II. 9. der Urteilsgründe) ist - wie bereits der
Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt hat -
rechtlich bedenklich.
2. Soweit der Angeklagte in den unter II. 1. bis 7. der
Urteilsgründe dargestellten 13 Fällen verurteilt
worden ist, war der Strafausspruch aufzuheben.
a) Die Verwarnung mit Strafvorbehalt kann schon deshalb nicht bestehen
bleiben, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß der
Angeklagte auf Grund der neuen Verhandlung wegen weiterer Taten
schuldig gesprochen wird und zumindest eine Gesamtgeldstrafe verwirkt
hat, die die Höchstgrenze von 180 Tagessätzen
Geldstrafe für die Anwendung des § 59 StGB
übersteigt.
b) Weiterhin fehlt es für die Wertungen der Strafkammer, eine
Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des
Angeklagten ergebe besondere Umstände, nach denen es angezeigt
sei, ihn von der Verurteilung zu Strafe zu verschonen (§ 59
Abs. 1 Nr. 2 StGB) und die Verteidigung der Rechtsordnung gebiete die
Verurteilung zu Strafe nicht (§ 59 Abs. 1 Nr. 3 StGB), an
tragfähigen Begründungen. Die Verwarnung mit
Strafvorbehalt gemäß § 59 StGB hat
Ausnahmecharakter und gilt in der Regel nur für den unteren
Kriminalitätsbereich (vgl. Gribbohm in LK 11. Aufl. §
59 Rdn. 1, 8; Stree in Schönke/Schröder, StGB 26.
Aufl. § 59 Rdn. 1, 11). Dabei sind die Voraussetzungen des
§ 59 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur dann gegeben, wenn bestimmte
Umstände die zu beurteilende Tat von den
Durchschnittsfällen deutlich abheben und diesen
gegenüber das Tatunrecht, die Schuld und die
Strafbedürftigkeit wesentlich mindern, und deshalb einen
Verzicht auf die Verurteilung angezeigt erscheinen lassen (vgl.
Gribbohm aaO § 59 Rdn. 13 f.; Stree aaO § 59 Rdn. 11,
14). Zwar sprechen durchaus gewichtige Umstände - vor allem
die lange Verfahrensdauer, die allerdings nicht ohne weiteres einen
"besonderen Umstand" im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 2 StGB
darstellt (vgl. BGHSt 27, 274, 275 f.; BGH StV 1995, 19, 20; KG NZV
1997, 127) - zu Gunsten des Angeklagten. Gegen mehrere vom Landgericht
strafmildernd berücksichtigte Gesichtspunkte bestehen jedoch
durchgreifende rechtliche Bedenken.
Die Wertung des Landgerichts, "das Verhalten des Angeklagten sei in
einer Grauzone jenseits der Strafbarkeitsgrenze angesiedelt" (UA S.
39), wird angesichts seines festgestellten
planmäßigen Vorgehens über einen
längeren Zeitraum in einer Vielzahl von Fällen und
der Intensität der Täuschungen dem Unrechtsgehalt der
Taten nicht gerecht. Auch ist nicht erkennbar, worin die "stark
veränderte Lebenssituation des Angeklagten bestehen soll" (UA
S. 40, 41), der auch gegenwärtig bei einer Gesellschaft
beschäftigt ist, die u.a. Warenterminoptionen vermittelt (UA
S. 4). Fraglich erscheint, ob der lediglich verbal
geäußerten Bereitschaft zur Schadenswiedergutmachung
(UA S. 40, 41) - entsprechend der Ansicht der Strafkammer - bei der
Strafzumessung eine wesentliche Bedeutung zukommen kann. Obwohl der
Angeklagte über ein sehr hohes Einkommen verfügt und
auch in der Vergangenheit verfügte, hat er bisher weder
Schadensersatz geleistet noch ein rechtsverbindliches Anerkenntnis
abgegeben. Unter diesen Umständen drängen sich
erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit seines Willens zur
Schadenswiedergutmachung auf, zumal nach den Feststellungen die
Schadensersatzansprüche der Geschädigten
verjährt sind (UA S. 42).
Da sich die aufgezeigten Strafzumessungsfehler auf die
verhängten Einzelstrafen ausgewirkt haben können und
die Verwarnung eng mit der vorbehaltenen Strafe verknüpft ist
(vgl. Gribbohm aaO § 59 Rdn. 21), war der Strafausspruch
insgesamt mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben.
III.
Für die neue Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
1. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das
Landgericht den Betrugsschaden im Sinne einer
Vermögensgefährdung aus der Differenz zwischen der
von der C. GmbH erhobenen Gebühr (Aufschlag von 81,82 % auf
die Börsenprämie) und einer angemessenen,
marktüblichen Provision von 20 % der
Originalbeschaffungskosten (plazierte Börsenprämie
zuzüglich Brokerkommission), errechnet hat (UA S. 38/39). Denn
zumindest in Höhe dieses Unterschiedsbetrages war die reale
Werthaltigkeit der Optionen geringer als vom Angeklagten
vorgetäuscht. Entgegen der Meinung des Generalbundesanwalts
besteht der Vermögensschaden der Anleger nicht in
Höhe des gezahlten Optionspreises, da die Optionen nicht
völlig wertlos waren (vgl. BGHSt 32, 22, 23 ff.; BGHR StGB
§ 263 Abs. 1 Vermögensschaden 26; BGH StV 1986, 299,
300; a.A. noch BGHSt 31, 115).
2. Aus dem Urteil ergibt sich nicht, ob die lange Verfahrensdauer von
den Strafverfolgungsbehörden zu vertreten ist und ein
Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot des Art. 6 Abs. 1 Satz
1 MRK vorliegt. Einer Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kommt
neben dem langen zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil sowie den
Belastungen durch eine lange Verfahrensdauer bei der Strafzumessung
eine eigenständige Bedeutung von Gewicht zu (vgl. BGHR StGB
§ 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13 und MRK Art. 6
Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 12). Wegen der Berechnung
der angemessenen Frist zur Verfahrenserledigung und der im Urteil
darzustellenden
Umstände verweist der Senat auf seine Entscheidungen BGHR MRK
Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 9 und NStZ 1999,
313.
Rissing-van Saan Miebach Winkler Pfister von Lienen |