BGH,
Urt. v. 22.2.2000 - 5 StR 573/99
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
5 StR 573/99
URTEIL
vom 22. Februar 2000
in der Strafsache gegen
wegen besonders schwerer Brandstiftung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22.
Februar 2000, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger, Richter Basdorf, Richter Nack, Richterin Dr.
Gerhardt als beisitzende Richter, Bundesanwalt als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Neuruppin vom 25. Juni 1999 mit den Feststellungen
aufgehoben, soweit es den Angeklagten S betrifft. Die Feststellungen
zum äußeren Tatablauf bleiben aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer
Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung und einem Vergehen gegen das Waffengesetz
(Herstellung eines verbotenen Gegenstandes und Ausübung der
tatsächlichen Gewalt) zu einer Jugendstrafe von drei Jahren
und sechs Monaten verurteilt. Mit der zu Ungunsten des Angeklagten
eingelegten, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten
Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des
Angeklagten auch wegen versuchten Mordes. Das - vom Generalbundesanwalt
vertretene - Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen betrat der Angeklagte, der eine "generelle
Abneigung gegen Ausländer und deren Aufenthalt in Deutschland"
hatte, den von einem Türken betriebenen
Döner-Imbiß in Wittstock und warf "vom
Türbereich aus" eine Brandflasche in den Laden, in dem sich
der (türkische) Zeuge K und seine zwei Kinder aufhielten. Der
Angeklagte wollte die Räumlichkeit "aus
Ausländerfeindlichkeit" in Brand setzen, um diese "schwer zu
beschädigen und den Geschäftsinhaber auf diese Weise
aus Deutschland zu vertreiben". Die in Richtung auf den Zeugen K
geworfene Brandflasche flog dicht an dessen Körper vorbei,
zerschellte dann ca. 1,5 m vor dem mit einer Gasflamme betriebenen
Döner-Grill und setzte die Ladeneinrichtung sofort in Brand.
Das sich ausbreitende Feuer vernichtete das gesamte Gebäude,
in welchem sich im Erdgeschoß der
Döner-Imbiß und im 1. Obergeschoß
Schlafräume des Geschäftsinhabers befanden. Der Zeuge
K wurde von den entflammten Benzinspritzern der vorbeifliegenden
Brandflasche am Kopf getroffen und erlitt Verbrennungen. Der
Brandanschlag war Gegenstand einer Wette gewesen. Für den
Fall, daß der Angeklagte sein Vorhaben - den
Döner-Imbiß "abzufackeln" - verwirklichte, sollte er
von seinen Wettpartnern 50 DM erhalten.
Vom Vorliegen eines - wenn auch nur bedingten -
Tötungsvorsatzes des Angeklagten hat sich das Landgericht
nicht überzeugen können. Zur Begründung hat
es im wesentlichen die "hohe Hemmschwelle für einen solchen
Tatentschluß" und den Umstand, daß es sich "um das
schwerste Verbrechen handelt, welches man begehen kann",
angeführt. Zudem hat sich der Tatrichter nicht in der Lage
gesehen, "mit ausreichender Sicherheit" (UA S. 27) ein Motiv
für ein Tötungsdelikt festzustellen.
II.
Die Beweiserwägungen, mit denen das Landgericht einen
Tötungsvorsatz verneint hat, begegnen durchgreifenden Bedenken.
Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, daß der
Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als
möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner,
daß er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen
mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGHSt 36, 1, 9; BGHR StGB
§ 212 Abs. 1 - Vorsatz, bedingter 33, 38). Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt es bei
äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe,
daß der Täter mit der Möglichkeit eines
tödlichen Ausgangs rechnet (BGHR StGB § 212 Abs. 1 -
Vorsatz, bedingter 38 m.w.N.). Die Billigung des Todeserfolgs bedarf
jedoch angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer
Tötung der sorgfältigen Prüfung unter
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (vgl.
BGHR StGB § 212 Abs. 1 - Vorsatz, bedingter 3, 5, 38). Auch
insoweit stellt die Lebensbedrohlichkeit gefährlicher
Gewalthandlungen ein gewichtiges Beweisanzeichen dar (vgl. BGHR StGB
§ 212 Abs. 1
- Vorsatz, bedingter 38). Ferner sind die konkrete Angriffsweise, die
psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie
seine Motivation in die Beweiswürdigung miteinzubeziehen (vgl.
BGHR StGB § 212 Abs. 1
- Vorsatz, bedingter 39).
Der Tatrichter geht aufgrund einer im Ansatz zutreffenden
Beweiswürdigung davon aus, daß der Wurf einer
Brandflasche in einen von Menschen frequentierten Raum
äußerst gefährlich ist, und sieht es
angesichts der hier gegebenen Umstände als erwiesen an,
daß der Angeklagte die "Verursachung einer konkreten
Todesgefahr für möglich gehalten und in Kauf
genommen" hat (UA S. 20). Gleichwohl hat er sich letztlich nicht die
sichere Überzeugung verschaffen können, daß
der Angeklagte den Tod des Geschädigten auch gebilligt oder
sich zumindest damit abgefunden hat.
Die in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen halten
rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht
hat dem Angeklagten zugute gehalten, daß er dem
Geschädigten die Brandflasche nicht direkt "vor die
Füße" und damit "nicht gezielt in die für
den Zeugen K gefährlichste Richtung" geworfen hat (UA S. 26).
Nicht berücksichtigt hat es dabei, daß der
Angeklagte die Brandflasche innerhalb des Geschäftsraums in
Richtung auf den Geschädigten warf, "um so eine
größere Brandwirkung erzielen zu können"
(UA S. 15). Es bestand damit ein hohes Risiko für den Zeugen,
unmittelbar von einer Stichflamme der Brandflasche erfaßt zu
werden. Diese Gefahr hat sich auch realisiert; der Zeuge erlitt
Brandverletzungen am Kopf. Darüber hinaus hat die Kammer hier
außer acht gelassen, daß der Imbiß mit
einer offenen Gasflamme betrieben wurde, die nach dem Wurf der
Brandflasche sofort die gesamte Ladeneinrichtung in Brand setzte,
wodurch die Todesgefahr für den Zeugen noch
zusätzlich erhöht wurde. Schon unter
Berücksichtigung dieser äußeren
Umstände liegt es eher fern, daß der Angeklagte
ernsthaft und nicht nur vage (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 -
Vorsatz, bedingter 3, 24) auf das Ausbleiben eines tödlichen
Erfolges vertraut hat. Konkrete Anhaltspunkte dafür,
daß er trotz der - von ihm erkannten - objektiven
Gefährlichkeit des Brandanschlags darauf vertraut haben
könnte, es würden keine Menschen zu Tode kommen, hat
das Landgericht nicht festgestellt. Eine Spontantat, bei der psychische
Beeinträchtigungen, wie nervliche Überforderung,
Alkoholisierung oder unkontrollierte Gefühlsausbrüche
die realistische Einschätzung einer Gefahrensituation
beeinträchtigen können, lag nicht vor (vgl. BGHR StGB
§ 212 Abs. 1 - Vorsatz, bedingter 38). Der Angriff war
vielmehr von langer Hand geplant.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts fehlt es auch nicht an einem
möglichen Motiv für ein Tötungsdelikt. Nach
den Feststellungen handelte der Angeklagte aus
"Ausländerfeindlichkeit" (UA S. 19). Im Rahmen der
Strafzumessung hat das Landgericht "Ausländerhaß als
ein Tatmotiv ..., das sich auf niedrigster Stufe einer blinden
Menschenverachtung bewegt" (UA S. 35), berücksichtigt. Diese
feindselige Einstellung kann dem Angeklagten durchaus Veranlassung
gegeben haben, sich zur Erreichung seines Ziels - Vertreibung der
Ausländer aus Deutschland - mit dem möglichen Tod des
Geschädigten abzufinden. Daß dem Angeklagten eine
derart schwerwiegende Folge unerwünscht war, mag zutreffen,
schließt die Annahme eines bedingten
Tötungsvorsatzes aber nicht notwendig aus (vgl. BGHR StGB
§ 212 Abs. 1 - Vorsatz, bedingter 14 m.w.N.; BGH, Urteil vom
14. Juli 1994 - 4 StR 335/94 - insoweit in NStZ 1994, 584 nicht
abgedruckt).
Daher ist der Schuldspruch aufzuheben. Die Feststellungen zum
äusseren Tathergang sind rechtsfehlerfrei; sie können
bestehenbleiben.
Der neue Tatrichter wird die Frage eines - bedingten -
Tötungsvorsatzes unter Berücksichtigung der
Besonderheiten des vorliegenden Falles erneut zu prüfen haben
und gegebenenfalls das Vorliegen der Mordmerkmale "mit
gemeingefährlichen Mitteln" und "aus niedrigen
Beweggründen" (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 - niedrige
Beweggründe 27; BGH NStZ 1999, 129) in Betracht ziehen
müssen.
Harms Häger Basdorf
Nack Gerhardt |