BGH,
Urt. v. 22.2.2000 - 5 StR 664/99
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
5 StR 664/99
URTEIL
vom 22. Februar 2000
in der Strafsache gegen
wegen Landfriedensbruchs u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22.
Februar 2000, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger, Richter Nack, Richterin Dr. Tepperwien,
Richterin Dr. Gerhardt als beisitzende Richter, Bundesanwalt als
Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Berlin vom 19. Juli 1999 im Strafausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Landfriedensbruchs in
Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer
Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und die Vollstreckung der
Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die auf den Strafausspruch
beschränkte und mit der Sachrüge begründete
Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
Der Angeklagte ist Türke kurdischer
Volkszugehörigkeit. Sein Asylantrag wurde durch
bestandskräftigen Bescheid des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abgelehnt. Er
hat eine befristete Aufenthaltserlaubnis für den Landkreis
Dahme-Spreewald.
Im Rahmen der Unruhen nach der Festnahme des Öcalan, des
Führers der in Deutschland verbotenen Kurden-Organisation PKK,
in Kenia und dessen gewaltsamer Verbringung in die Türkei war
am 16. Februar 1999 das griechische Konsulat in Berlin von erbosten
Kurden gestürmt und verwüstet worden. Am folgenden
Tag bewegte sich eine Gruppe von etwa 50 wegen der Festnahme
Öcalans und der von kurdischer Seite gemutmaßten
Beteiligung Israels daran aufgebrachten Kurden zum israelischen
Generalkonsulat in Berlin. Etliche Mitglieder der Gruppe waren mit
Schlagwerkzeugen wie Ästen, Stöcken, Holzlatten und
Baustellen-Erdnägeln bewaffnet. Der Angeklagte befand sich im
vorderen Bereich dieser Menschenmenge und trug einen
besenstielähnlichen, ca. 50 bis 80 cm langen Holzstock bei
sich. Vor dem Generalkonsulat waren 15 bis 20 Polizeibeamte damit
beschäftigt, Sperrgitter zur Absicherung des Generalkonsulats
aufzubauen. Die Beamten trugen zu diesem Zeitpunkt weder
Körpervollschutz noch Helme, Waffen oder Schutzschilde. Als
die Polizeibeamten die herannahende Gruppe erregter Kurden wahrnahmen,
unterbrachen sie ihre Tätigkeit und bildeten eine
Polizeikette, um ein Vordringen der Kurden auf das
Konsulatsgebäude zu verhindern. Wegen der geringen Zahl von
Polizisten gelang dies jedoch nur unzureichend. Die Kurden
rückten unmittelbar bis zu der Polizeikette vor, riefen
Parolen, schwangen die mitgeführten Gegenstände
drohend in Richtung der Beamten und verlangten, zum Generalkonsulat
durchgelassen zu werden. Auch der in der ersten Reihe stehende
Angeklagte schwang drohend seinen Holzstock. Nach mehrmaligem
kurzzeitigen Vorrücken der Beamten mußten diese
jedoch wegen der zahlenmäßig deutlichen
Überlegenheit der Kurden immer weiter zurückweichen,
nachdem die Polizeikette von der Menschenmenge durch den Einsatz der
Schlagwerkzeuge massiv angegriffen worden war. Dabei wurden
fünf Beamte verletzt. Ob sich der Angeklagte selbst durch
aktives Schlagen mit seinem Holzstock daran beteiligte, konnte nicht
festgestellt werden. Aufgrund des massiven Vorgehens der Menschenmenge
und der zahlenmäßigen Unterlegenheit der
Polizeikräfte gelang es den Kurden nach wenigen Minuten, die
Polizeikette zu durchbrechen und auf das Gelände des
Generalkonsulats zu gelangen. Der weiter in der Menge befindliche
Angeklagte konnte sich auf diese Weise in den Vorgarten des
Generalkonsulats begeben. Im Laufe des weiteren Geschehens drangen
Kurden in das Konsulatsgebäude ein, worauf mehrere
Schüsse fielen und vier Kurden getötet und weitere
verletzt worden. Der Angeklagte wurde beim Verlassen des
Konsulatsgeländes festgenommen.
I.
Das Landgericht hat, weil der Angeklagte den Holzstock als Waffe in
Verwendungsabsicht bei sich führte, jeweils Erfüllung
der Regelbeispiele und rechtsfehlerfrei (§ 301 StPO) einen
besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs nach § 125a
(Satz 2 Nr. 2) StGB in Tateinheit mit Widerstand gegen
Vollstreckungsbeamte in einem besonders schweren Fall nach §
113 Abs. 2 (Satz 2 Nr. 1) StGB angenommen. Es ist danach zutreffend von
einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe
ausgegangen. Jedoch hält der Strafausspruch
sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
II.
Die Bemessung der Freiheitsstrafe ist rechtsfehlerhaft. Das Landgericht
hat das Gewicht der Tat verkannt. Es hat bei der Bemessung der Strafe
wesentliche Elemente des Tatbildes außer Betracht gelassen.
Die etwa 50 Angreifer erkämpften sich durch massiven Einsatz
von Schlagwerkzeugen erfolgreich den Zugang zum Generalkonsulat gegen
eine Kette von 15 bis 20 völlig ungeschützten
Polizeibeamten. Der Angeklagte befand sich, seine Waffe drohend
schwingend, in der ersten Reihe der Angreifer. Dies alles geht weit
über die Voraussetzungen der erfüllten Vorschriften
des Strafgesetzbuches hinaus.
Bei einem solchen Tatbild wird - trotz aller vom Landgericht
rechtsfehlerfrei herangezogener strafmildernder
persönlichkeitsbezogener Gesichtspunkte - eine Freiheitsstrafe
von nur drei Monaten über der gesetzlichen Mindeststrafe nicht
mehr der Bestimmung, ein gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BGHSt
29, 319, 320), gerecht.
Harms Häger Nack
Tepperwien Gerhardt |