BGH,
Urt. v. 22.1.2002 - 1 StR 512/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 512/01
vom
22. Januar 2002
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 22.
Januar 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Schäfer und die Richter am
Bundesgerichtshof Nack, Dr. Wahl, Schluckebier, Dr. Kolz,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der
Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Traunstein vom 16. Juli 2001, soweit es den Angeklagten B.
betrifft, im Maßregelausspruch mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen
Betäubungsmittelstraftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
vier Jahren und einem Monat verurteilt, ihn im übrigen
freigesprochen und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
angeordnet. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer Revision gegen
den Maßregelausspruch; sie rügt die Verletzung
materiellen Rechts. Das Rechtsmittel ist begründet.
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die Anordnung
der Unterbringung des Angeklagten B. in einer Entziehungsanstalt
beschränkt. Die Beschwerdeführerin hat zwar die
Aufhebung des angefochtenen Urteils "im Rechtsfolgenausspruch"
beantragt. Aus der Begründung ergibt sich aber, daß
sie das Urteil nur deshalb für rechtsfehlerhaft hält,
weil die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden
ist, ohne daß deren Voraussetzungen vorlägen. Damit
bringt die Beschwerdeführerin zum Ausdruck, daß sie
lediglich den Maßregelausspruch angreifen will (vgl. auch
BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; BGH NStZ 1998, 210;
Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 344 Rdn.
6).
2. Der Ausspruch über die Unterbringung des Angeklagten B. in
einer Entziehungsanstalt hält rechtlicher Nachprüfung
nicht stand. Zu Recht rügt die Beschwerdeführerin,
daß die Voraussetzungen dieser Maßregel im Urteil
nicht hinlänglich dargetan sind.
a) Die Urteilsgründe lassen nicht die näheren
Umstände erkennen, aus denen sich für den Tatrichter
ergeben hat, daß der Angeklagte von dem Hang beherrscht ist,
berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen,
und daß er die in Rede stehenden Taten im Rausch begangen hat
oder diese jedenfalls auf einen solchen Hang zurückgehen
(§ 64 Abs. 1 StGB). Das Landgericht ist zwar zutreffend davon
ausgegangen, daß die Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt eine zumindest erheblich verminderte
Schuldfähigkeit des Täters im Sinne des § 21
StGB nicht voraussetzt (vgl. nur BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 2;
UA S. 54). Es hat überdies bedacht, daß ein Hang im
Sinne von § 64 Abs. 1 StGB auch dann angenommen werden kann,
wenn noch keine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende
Abhängigkeit vorliegt, aber eine eingewurzelte, aufgrund
psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene
intensive Neigung festzustellen ist, immer wieder Rauschmittel im
Übermaß zu sich zu nehmen; diese Neigung
muß noch nicht den Grad physischer Abhängigkeit
erreicht haben (vgl. BGHR StGB § 64 Hang 4, 5). Unbeschadet
dieses richtigen rechtlichen Ansatzes hätte die Auffassung der
Kammer, es handele sich um Beschaffungskriminalität und
"hangspezifische Taten" (UA S. 54), hier aber der Begründung
bedurft. Daran fehlt es.
Die Bewertung des Tatrichters wird auch nicht durch die im
übrigen getroffenen Feststellungen getragen. Aus der
Darstellung des Werdegangs des Angeklagten ergibt sich allerdings,
daß dieser im Alter von 16 Jahren begann, Haschisch zu
rauchen und seinen faßt täglichen Konsum bis zu
seinem 23. Lebensjahr steigerte; seit Frühjahr 1999
konsumierte er vermehrt auch Ecstasy, Kokain und LSD. Im Rahmen ihrer
Ausführungen zur nicht erheblich verminderten
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten hebt die
sachverständig beratene Strafkammer hingegen hervor, eine
deutliche Minderung von Selbstkontrolle und Selbstkritik sei
ebensowenig feststellbar gewesen wie eine Inkonsistenz der
Willensbildung oder eine Einengung des Wahrnehmungs- und
Bewußtseinsfeldes. Die Motivation zu den abgeurteilten
Straftaten sei nicht durch "suchtmittelspezifische Komplikationen"
geleitet gewesen wie etwa einem Entzugssyndrom oder einem daraus
resultierenden Zwang, sich Suchtmittel zu beschaffen und diese zu
konsumieren. Vielmehr seien "normal-psychologische Motive" als
handlungsbestimmend anzusehen (UA S. 38/39).
Diese Ausführungen deuten eher auf das Fehlen eines Hanges des
Angeklagten zum Mißbrauch von Rauschmitteln, aber auch eines
Symptomwertes der konkreten Taten für einen Hang hin. Um so
mehr hätte die Annahme des Gegenteils der Darlegung bedurft.
Diese vermißt die Beschwerdeführerin mit Recht.
b) Die Beweisführung des Landgerichts zur Bejahung der
Voraussetzungen des § 64 Abs. 1 StGB begegnet unter einem
weiteren Gesichtspunkt durchgreifenden rechtlichen Bedenken: Der von
der Kammer zu dieser Frage gehörte Sachverständige
hatte - im Gegensatz zur Bewertung der Kammer - die
Unterbringungsvoraussetzungen als nicht gegeben erachtet (UA S. 54).
Freilich ist es Recht und Pflicht des Tatrichters, sich
gegenüber einem Sachverständigen die
Selbständigkeit des Urteils zu wahren (BGHSt 8, 113, 117; BGHR
StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Beweisergebnis 1). Will er aber eine
Frage, für deren Entscheidung das Gesetz die Zuziehung eines
Sachverständigen vorsieht (§ 246a StPO), im
Widerspruch zu dessen Gutachten lösen, muß er die
Darlegungen des Sachverständigen im einzelnen wiedergeben und
seine Gegenansicht begründen, damit dem Revisionsgericht eine
Nachprüfung möglich ist (st. Rspr.; vgl. BGH bei
Holtz MDR 1977, 637; NStZ 1985, 421, 422; BGHR StPO § 267 Abs.
1 Satz 1 Beweisergebnis 1, 4). Auch dieser Anforderung wird das
angefochtene Urteil nicht gerecht.
3. Nach allem muß über den
Maßregelausspruch neu verhandelt werden. Der Senat vermag
nicht sicher auszuschließen, daß ein neuer
Tatrichter doch die Voraussetzungen der Unterbringung feststellen kann.
Die Aufhebung des Maßregelausspruchs läßt
den Strafausspruch hier unberührt.
Schäfer Nack Wahl
Schluckebier Kolz
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