BGH,
Urt. v. 22.5.2003 - 4 StR 130/03
4 StR 130/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom
22. Mai 2003
in der Strafsache gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 22.
Mai 2003, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien, Richter am Bundesgerichtshof Maatz,
Dr. Kuckein, Athing, Dr. Ernemann als beisitzende Richter, Richter am
Landgericht als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als
Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird
a) das Verfahren in den Fällen 17 und 19 der Anklage
(Verkaufsfälle vom 27. Oktober 1999 und 15. Dezember 1999)
eingestellt. Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des
Verfahrens und die dem Angekagten entstandenen notwendigen Auslagen;
b) das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 20. September 2002 im
Schuld- und Rechtsfolgenausspruch geändert und wie folgt neu
gefaßt:
Der Angeklagte wird wegen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in zwei Fällen unter Einbeziehung
der Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 4.
Oktober 2001 und unter Auflösung der dort verhängten
Gesamtfreiheitsstrafe sowie unter Einbeziehung der Strafe aus dem
Urteil des Amtsgerichtes Demmin - Zweigstelle Malchin - vom 10. Juli
2000 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten
verurteilt.
Der Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 36.240,37 EURO wird
angeordnet.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte trägt die weiteren Kosten des Rechtsmittels.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Amtsgericht Demmin - Zweigstelle Malchin - hatte den Angeklagten
durch Urteil vom 10. Juli 2000 wegen unerlaubten Besitzes von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer
Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und "die
sichergestellten Betäubungsmittel" eingezogen. Unter
Einbeziehung der Strafe aus dem amtsgerichtlichen Urteil verurteilte
das Landgericht Neubrandenburg den Angeklagten nach Abtrennung des
Verfahrens hinsichtlich vier der angeklagten Taten am 4. Oktober 2001
wegen weiterer Betäubungsmittelstraftaten zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Ferner ordnete
das Landgericht in diesem Urteil den Wertersatzverfall in Höhe
von 70.380,- DM an. Eine Entscheidung über die im
amtsgerichtlichen Urteil angeordnete Einziehung traf das Landgericht
nicht. Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten im abgetrennten
Verfahrensteil des unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in vier Fällen schuldig befunden
und ihn unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus den beiden genannten
früheren Urteilen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
fünf Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es den
Verfall eines Wertersatzes in Höhe von 562,42 EURO angeordnet.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf
die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten
Revision. Mit ihrem beschränkten Rechtsmittel erstrebt sie die
Ergänzung der Urteilsformel um den Ausspruch über die
Aufrechterhaltung der neben den einbezogenen Strafen in den
früheren Urteilen angeordneten Maßnahmen. Das - vom
Generalbundesanwalt vertretene - Rechtsmittel führt zur
Teileinstellung des Verfahrens und hat im übrigen den aus der
Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.
1. Das Verfahren wird hinsichtlich der Fälle 17 und 19 der
Anklage (Verkaufsfälle vom 27. Oktober 1999 und 15. Dezember
1999) eingestellt. Der Verfolgung dieser als selbständige
Fälle des unerlaubten Handeltreibens angeklagten und
abgeurteilten Taten steht das Verfahrenshindernis des Verbrauchs der
Strafklage entgegen. Wie das angefochtene Urteil selbst feststellt (UA
15), hat der Angeklagte in diesen beiden Fällen an seinen
Abnehmer M. jeweils 100 Ecstasy-Tabletten sowie einmal zehn und das
zweite Mal 20 Briefchen Amphetamin verkauft. Die Ecstasy-Tabletten
stammen jeweils aus Einkäufen des Angeklagten, die das
Landgericht in dem in diesem Verfahren nach Abtrennung ergangenen
Urteil vom 4. Oktober 2001, deren Einzelstrafen in das angefochtene
Urteil einbezogen worden sind, bereits rechtskräftig
abgeurteilt hat. Der Verkauf des Amphetamins an M. bildete in diesen
beiden Fällen zusammen mit dem gleichzeitigen Verkauf der
Ecstasy-Tabletten jeweils eine natürliche Handlung und deshalb
jeweils sowohl materiell- als auch prozeßrechtlich eine Tat
des unerlaubten Handeltreibens nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG,
und zwar unabhängig davon, ob das Amphetamin von dem
Angeklagten jeweils zusammen mit den Ecstasy-Tabletten erworben worden
war. Dies folgt daraus, daß die im früheren Urteil
als selbständige Fälle des unerlaubten Handeltreibens
abgeurteilten Einkäufe der Ecstasy-Tabletten in Bezug auf die
jeweilige Gesamtmenge sämtliche Teilakte bis zur
Veräußerung zu jeweils einer einzigen Tat im Sinne
einer Bewertungseinheit verbinden (BGHSt 30, 28, 31), mit der die
Verkäufe des Amphetamins jeweils zumindest in einem Teilakt
zusammentreffen. Die rechtskräftige Aburteilung des
Handeltreibens mit den Ecstasy-Tabletten - und damit der
Strafklageverbrauch - erfaßt deshalb hier entgegen der
Auffassung des Landgerichts (UA 18) nicht nur den Verkauf der jeweils
100 Ecstasy-Tabletten, sondern auch die beiden Verkaufsfälle
von Amphetamin (vgl. BGHR BtMG § 29 Strafklageverbrauch 1).
Das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs hat der Senat von Amts
wegen zu prüfen. Dem steht hier die Teilrechtskraft des
angefochtenen Urteils infolge der Beschränkung des
Rechtsmittels auf den Maßnahmenausspruch nicht entgegen
(BGHSt 6, 304, 305 f.; 13, 128 f.; Meyer-Goßner StPO 46.
Aufl. Einl. Rdn. 151 m.w.N.). Denn die von der
Beschwerdeführerin mit der Revision beanstandete
Wertersatzverfallanordnung ist eine einheitliche Maßnahme mit
Bezug zu allen dem angefochtenen Urteil zugrundeliegenden Taten, deren
Verfolgung deshalb auch insgesamt hinsichtlich eines
Verfahrenshindernisses der Prüfung durch das Revisionsgericht
unterliegt.
Die Einstellung in den Fällen 17 und 19 der Anklage
führt zur Änderung des Schuldspruchs und zum Wegfall
der insoweit erkannten Einzelstrafen von fünf und sechs
Monaten Freiheitsstrafe. Dies zieht die Aufhebung des
Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Der Senat braucht die Sache jedoch
nicht an das Landgericht zurückzuverweisen, sondern kann in
entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst
entscheiden. Ausgehend von der durch das Urteil vom 4. Oktober 2001
rechtskräftig verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 4
Jahren und 6 Monaten, die nicht unterschritten werden darf (h.A.; BGHSt
7, 180, 183; BGH, Beschluß vom 4. Oktober 2001 - 4 StR
329/01; Lackner/Kühl StGB 24. Aufl. § 55 Rdn. 6;
Rissing - van Saan in LK StGB 11. Aufl. § 55 Rdn. 28; a.A.
Bringewat Die Bildung der Gesamtstrafe Rdn. 273 ff.), setzt er die neue
Gesamtstrafe auf vier Jahre und sieben Monate Freiheitsstrafe fest. Der
Angeklagte ist dadurch nicht beschwert, denn der Senat kann angesichts
der verbleibenden zwei Einzelfreiheitsstrafen von jeweils sechs Monaten
ausschließen, daß der Tatrichter ohne
Berücksichtigung der von der Einstellung betroffenen beiden
Einzelstrafen es bei der durch die im früheren Urteil erkannte
Gesamtstrafe als Untergrenze belassen hätte.
2. Der Ausspruch über den Wertersatzverfall hat keinen Bestand.
a) Die Einstellung des Verfahrens in den Fällen 17 und 19 der
Anklage entzieht auch dem auf diese Fälle entfallenden Teil
der Anordnung des Wertersatzverfalls im angefochtenen Urteil die
Grundlage. Ausgehend von der Berechnung des Landgerichts (UA 23) sind
deshalb von dem Verfallsbetrag von 1.100,- DM die
Verkaufserlöse von insgesamt 30 Amphetaminbriefchen zu je 20,-
DM in Abzug zu bringen. Daraus errechnet sich ein verbleibender
isolierter Verfallsbetrag in Höhe von 500 ,- DM bzw.
umgerechnet 255,65 EURO.
b) Der Senat kann jedoch nicht auf eine Wertersatzverfallsanordnung in
dieser Höhe erkennen, weil das Landgericht - wie auch die
Urteilsgründe ausweisen (UA 23) - im Zusammenhang mit der
nachträglichen Gesamtstrafenbildung die Anordnung des
Wertersatzverfalls in Höhe von 70.380 DM aus dem Urteil des
Landgerichts Neubrandenburg vom 4. Oktober 2001 entgegen § 55
Abs. 2 StGB unberücksichtigt gelassen hat. Dies beanstandet
die Beschwerdeführerin im Ergebnis zu Recht.
Liegen die Voraussetzungen des § 55 StGB vor, so sind - wie
bei gleichzeitiger Aburteilung aller Taten - Nebenstrafen, Nebenfolgen
und Maßnahmen gleicher Art durch das spätere Urteil
einheitlich anzuordnen. Über sie ist deshalb, sofern ihre
Voraussetzungen auch in Bezug auf die Taten bestehen, die dem
späteren Urteil zugrunde liegen, grundsätzlich durch
den neuen Gesamtstrafenrichter neu zu entscheiden (Bringewat aaO. Rdn.
135, 142 ff.; Lackner/Kühl aaO. § 55 Rdn. 17; Stree
in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 55 Rdn.
53, 54, jew. m.w.N.). Dieser hat sich dabei auf den Standpunkt des
früheren Tatrichters zu stellen. Denn der Angeklagte soll
durch die Entscheidung nach § 55 StGB so gestellt werden, als
wenn über alle einzubeziehenden Straftaten gleichzeitig
befunden worden wäre; er darf deshalb dadurch, daß
seine Taten in verschiedenen Verfahren abgeurteilt werden, nicht
benachteiligt, soll dadurch aber auch nicht bervorzugt werden (st.
Rspr.; BGHSt 7, 180, 182; 43, 79, 80 m.w.N.). Dies wird
regelmäßig dazu führen, daß der
aufgrund einheitlicher Anordnung im neuen Urteil festzusetzende
Verfallsbetrag nicht niedriger ausfallen darf als in der
früheren Entscheidung.
c) Der Senat kann auch insoweit in der Sache selbst entscheiden und auf
einen einheitlichen Wertersatzverfall in Höhe der Summe aus
dem Verfallsbetrag des früheren Urteils (70.380 DM = 35.984,72
EURO) und des nach der Teileinstellung verbleibenden Verfallsbetrages
des angefochtenen Urteils (500 DM = 255,65 EURO) erkennen, d.h. auf
70.880 DM = 36.240,37 EURO. Denn das angefochtene Urteil weist aus,
daß das Landgericht, hätte es die Vorschrift des
§ 55 Abs. 2 StGB zutreffend angewendet, keinen niedrigeren
Verfallsbetrag festgesetzt hätte. Mit dieser neuen
Entscheidung ist die Verfallsanordnung im früheren Urteil des
Landgerichts Neubrandenburg gegenstandslos im Sinne des § 55
Abs. 2 Satz 1 StGB, weil sie von der neuen Entscheidung in ihrer
Wirkung mit umfaßt ist.
3. Die Revision bleibt erfolglos, soweit sich das Rechtsmittel gegen
die unterbliebene Aufrechterhaltung der im Urteil des Amtsgerichtes
Demmin
- Zweigstelle Malchin - vom 10. Juli 2000 angeordneten Einziehung der
"sichergestellten Betäubungsmittel" richtet.
Eines Ausspruchs über die Aufrechterhaltung der Einziehung
bedurfte es im angefochtenen Urteil nicht, weil die Einziehung erledigt
war. Diese Rechtsfolge ergibt sich zwar nicht ohne weiteres aus dem
Wortlaut des § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB, der eher dafür
sprechen könnte, daß ein Ausspruch über die
Aufrechterhaltung im früheren Urteil angeordneter
Maßnahmen stets zu erfolgen hat, soweit diese nicht
ausnahmsweise "durch die neue Entscheidung" gegenstandslos werden. Eine
solche am bloßen Wortlaut orientierte Auslegung verfehlt
jedoch ihren Sinn in den Fällen, in denen die
Maßnahme zwar nicht "durch die neue Entscheidung", aber auf
andere Weise ihre Erledigung gefunden hat. Deshalb ist in der
Rechtsprechung anerkannt, daß in einem früheren
Urteil verhängte Maßnahmen nicht nur durch
spätere Anordnung weiterer, sie in ihrer Wirkung
mitumfassenden Maßnahmen im Sinne des § 55 Abs. 2
Satz 1 StGB "gegenstandslos" werden, sondern auch dann, wenn die
tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen für
ihre (weitere) Vollstreckung entfallen sind, wie dies bei
tatsächlicher Erledigung durch Zeitablauf, etwa einer nach
§ 69 a StGB bestimmten Sperrfrist, angenommen wird (vgl. BGHSt
42, 306, 308 m.w.N.).
Die Regelung des § 55 Abs. 2 StGB trägt dem Umstand
Rechnung, daß mit der nachträglichen
Gesamtstrafenentscheidung diese die alleinige Vollstreckungsgrundlage
bildet. Ist aber eine im früheren Urteil angeordnete
Maßnahme - aus welchen Gründen auch immer -
erledigt, so fehlt es an der Notwendigkeit, gleichwohl über
ihre Aufrechterhaltung zu befinden, wenn dies auch
regelmäßig unschädlich, in
Zweifelsfällen sogar sinnvoll sein wird. Eine solche
Notwendigkeit bestand hinsichtlich der im früheren Urteil des
Amtsgerichtes Demmin angeordneten Einziehung nicht, weil nicht nur das
Eigentum an den betreffenden Gegenständen mit der Rechtskraft
jenes Urteils nach § 33 Abs. 2 Satz 1 BtMG i.V.m. §
74 e StGB auf den Staat übergegangen war (vgl. dazu BGH NJW
1979, 2113; OLG Köln NJW 1953, 1564; Stree in
Schönke/Schröder StGB aaO. Rdn. 59), sondern hier die
Betäubungsmittel auch bereits sichergestellt waren und es
deshalb insoweit keiner weiteren Vollstreckung mehr bedurfte.
Bei dieser Sachlage brauchte der Senat nicht zu entscheiden, welche
Folgen sich unter dem Gesichtspunkt des "Verschlechterungsverbots" im
Rahmen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung (vgl. dazu
Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 55 Rdn. 19; Rissing
- van Saan in LK aaO. Rdn. 45, jew. m.N.) ergeben können, wenn
der frühere Gesamtstrafenrichter in die von ihm gebildete
Gesamtstrafe eine Strafe aus einem weiteren Urteil einbezieht, aber
rechtsirrig versäumt auszusprechen, daß die daneben
verhängte Maßnahme aufrechterhalten bleibt.
Tepperwien Maatz Kuckein Athing Ernemann- . .
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