BGH,
Urt. v. 22.10.2002 - 5 StR 275/02
5 StR 275/02
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 22. Oktober 2002
in der Strafsache gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat in der Sitzung vom 22.
Oktober 2002, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger, Richter Basdorf, Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum als beisitzende Richter, Oberstaatsanwalt beim
Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt
als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle, für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 30. November 2001 mit den
Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Mordes
in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung
freigesprochen, jedoch seine Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus angeordnet. Mit ihrer auf die Verletzung formellen und
materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich die
Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch; sie begehrt die Verurteilung
des Angeklagten entsprechend dem Anklagevorwurf. Das vom
Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat mit der
Sachrüge Erfolg, so daß es auf die
Verfahrensrüge nicht mehr ankommt.
I.
Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte in der Tatnacht in
die Wohnung des Zeugen und Nebenklägers G . Man unterhielt
sich über belanglose Dinge und rauchte eine Zigarette. Unter
dem Vorwand, die Toilette aufsuchen zu müssen, erhob sich der
Angeklagte plötzlich, löste das um seine
Hüfte als Gürtel gebundene Seil und legte es dem auf
der Couch sitzenden Nebenkläger um den Hals. Dieser ( von dem
unerwarteten Angriff überrascht ( richtete sich auf und
versuchte, seine Hände zwischen Hals und Seil zu halten, was
jedoch nur kurzzeitig gelang. Nunmehr schlang der Angeklagte, der
inzwischen hinter dem Nebenkläger stand, das Seil
über Kreuz um dessen Hals und zog es kräftig zu.
Infolge der fortwährenden Drosselung kippte der
Nebenkläger nach vorn, wurde bewußtlos, kotete ein
und urinierte. Erst als der Angeklagte bemerkte, daß G im
Gesicht blau anlief und aus der Nase blutete, ließ er von ihm
ab. Danach löschte er das Licht und verließ die
Wohnung; er ging davon aus, den Nebenkläger getötet
zu haben. Nach kurzer Rückkehr an den Tatort entledigte sich
der Angeklagte auf dem Heimweg seines Rucksacks, seiner Oberbekleidung
und seiner Schuhe, indem er die Sachen in einem Waldstück
unter Laub versteckte.
Zum Tatmotiv hat das Landgericht ausgeführt, daß der
Angeklagte, der sich in der Vergangenheit wiederholt mit dem
Nebenkläger gestritten und sich von diesem ungerecht und
"minderwertig" behandelt gefühlt habe, diesem einen Denkzettel
verpassen wollte. Zur Schuldfähigkeit hat die
sachverständig beratene Strafkammer festgestellt,
daß der Angeklagte zur Tatzeit nicht ausschließbar
unter einer "Mischpsychose", bestehend aus einer Drogen- und einer
schizophrenen Psychose in Kombination mit einer
Persönlichkeitsstörung gelitten habe. Deshalb
müsse davon ausgegangen werden, daß er
unfähig gewesen sei, das Unrecht seines Handelns einzusehen
(§ 20 StGB). Aufgrund des Tatmotivs und des möglichen
Fehlens der Einsichtsfähigkeit schließt die
Strafkammer aus, daß der Angeklagte mit
Tötungsvorsatz - und sei es auch nur mit bedingtem - gehandelt
habe. Nach ihrer Auffassung könne lediglich Verletzungsvorsatz
angenommen werden, so daß als Anlaßtat nur eine
gefährliche Körperverletzung in Betracht komme.
II.
Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher
Prüfung nicht stand.
1. Mit den vom Landgericht getroffenen Feststellungen zur
Schuldfähigkeit des Angeklagten sind weder ein
möglicher Ausschluß seiner
Einsichtsfähigkeit im Sinne von § 20 StGB noch deren
erhebliche Einschränkung gemäß §
21 StGB zureichend belegt. Denn das von der Strafkammer
übernommene Gutachten des Sachverständigen stellt
nach dessen eigenem Bekunden nur eine "Verdachtsdiagnose" dar, da sich
der Sachverständige nicht in der Lage sah, die psychische
Symptomatik beim Angeklagten detailliert und differenziert zu
klären, weil dies einer längeren
Verhaltensbeobachtung und Diagnostik bedurft hätte (UA S. 47).
Es erscheint zudem zweifelhaft, ob die vom Gutachter in Betracht
gezogene Drogenpsychose (vgl. dazu BGHSt 33, 8, 12 f.; 38, 339, 342)
auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, da der
Angeklagte, der zur Tatzeit nur in sehr geringem Umfang
Drogenmißbrauch betrieb, bei dem gewaltsamen Vorgehen gegen
den Nebenkläger nicht unter akutem Drogeneinfluß
stand und die Tat nach den bisherigen Feststellungen keinen Bezug zu
Drogen aufwies. Die Ausführungen zum möglichen
Vorliegen einer Drogenpsychose sind darüber hinaus unklar:
während der Angeklagte nach eigenen Angaben zur Tatzeit weder
optische noch akustische Halluzinationen hatte, stützt der
Sachverständige seine Diagnose maßgeblich auf
derartige Symptome (vgl. einerseits UA S. 36, andererseits UA S. 47).
Abgesehen davon bestehen insgesamt Bedenken, ob das Landgericht bei
Beurteilung der Schuldfähigkeit den Anforderungen an die
gebotene eigenverantwortliche tatgerichtliche Prüfung der
Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen
(vgl. BGHSt 7, 238; 12, 311; Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261
Rdn. 32; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl.
§ 261 Rdn. 92) genügt hat. Das Landgericht gibt die
Ausführungen des Sachverständigen im Urteil zwar
ausführlich wieder, läßt eine eigene
Bewertung und Gewichtung auch unter Berücksichtigung des
Tatgeschehens aber weitestgehend vermissen.
2. Die Sache bedarf demnach neuer Verhandlung und Entscheidung, wobei
auch über die innere Tatseite, nämlich über
die Frage, mit welchem Vorsatz der Angeklagte gehandelt hat, umfassend
neu zu befinden sein wird. In diesem Zusammenhang weist der Senat
darauf hin, daß angesichts der festgestellten
außerordentlich schweren Gewaltanwendung eines massiven,
länger anhaltenden Drosselns, durch die der
Nebenkläger das Bewußtsein verlor und in akute
Lebensgefahr geriet und nach deren Beendigung der Angeklagte ihn
für tot hielt, das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes
außerordentlich nahe liegt. Dies gilt auch bei erneuter
Annahme des vom Landgericht festgestellten Tatmotivs, dem Opfer einen
"Denkzettel" erteilen zu wollen. Eine solche Motivation steht unter den
gegebenen Voraussetzungen einem jedenfalls bedingten
Tötungsvorsatz nicht entgegen.
3. Gemäß § 301 StPO führt die
Revision der Staatsanwaltschaft auch zur Aufhebung der
Maßregelanordnung. Die vom Landgericht hingenommene
"Verdachtsdiagnose" des Sachverständigen bildet keine
tragfähige Grundlage zur Anwendung des § 63 StGB,
für die wenigstens die Voraussetzungen des § 21 StGB
zweifelsfrei festgestellt werden müssen (vgl.
Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 63 Rdn. 6 mit
Rechtsprechungsnachweisen; vgl. im übrigen zur schizophrenen
Persönlichkeitsstörung BGHSt 37, 397).
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum |