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BGH, Urteil vom 22. Oktober 2004 - 1 StR 140/04


Entscheidungstext  
 
BGH, Urt. v. 22.10.2004 - 1 StR 140/04
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 140/04
vom
22. Oktober 2004
in der Strafsache
gegen
 
 
 
1.
 
 
2.
 
 
 
wegen schweren Raubes u. a.
 
 
- 2 -


Der 1. Strafsenat des Bundesger ichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
19. Oktober 2004 in der Sitzung am 22. Oktober 2004, an denen teilgenommen
haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
 
und die Richter am Bundesger ichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Hebenstr eit,
Dr. Graf,
 
Staatsanwalt
 als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
 
Rechtsanwalt      ,
Rechtsanwalt
 als Verteidiger des Angeklagten T.  ,
 
Rechtsanwalt
 als Verteidiger des Angeklagten B. ,
 - jeweils in der Verhandlung vom 19. Oktober 2004 -,
 
Rechtsanwalt
 als Verteidiger des Angeklagten T.  ,
 - in der Sitzung am 22. Oktober 2004 -,
 
Justizangestellte
 als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
 
für Recht erkannt:
 
 
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1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Stuttgart vom 27. November 2003 werden ver wor-
fen.

2. Die Staatskasse trägt die Kosten der Revisionen der Staatsan-
waltschaft und die durch diese Rechtsmittel entstandenen not-
wendigen Auslagen der Angeklagten.

 

 Von Rechts wegen

 

 

 Gründe:

Den Angeklagten liegt zur Last, in der Zeit von Juni 1995 bis Oktober
2002 teilweise allein, überwiegend gemeinschaftlich und unter Dr ohung von
Waffen Geldinstitute überfallen und dabei rund 1,8 Millionen Euro erbeutet zu
haben. Bei den gemeinschaftlich begangenen Überfällen suchten sich die An-
geklagten überwiegend ländliche Geldinstitute ohne Sicherheitsverglasung mit
maximal vier bis sechs Angestellten sowie in Orten aus, in deren Nähe es kei-
ne Polizeidienststelle gibt. Der Angeklagte T.  reiste eigens aus Grie-
chenland zu den Über fällen an. Entspr echend ihrer Planung nutzten die Ange-
klagten das Überraschungsmoment aus, als einer von beiden die Angestellten
oder Kunden mit einer ungeladenen Schreckschußwaffe bedrohte, während der
andere sofort den Tresen überstieg, um das Auslösen der Alarmanlage zu ver-
hindern. Das Landgericht hat die Angeklagten wegen schweren Raubes in fünf
 
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Fällen und wegen schwerer räuberischer Erpr essung in fünfzehn Fällen, davon
in sieben Fällen begangen in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, jeweils zu ei-
ner Gesamtfreiheitsstrafe von vierzehn Jahren verurteilt. Dem Angeklagten
T.  hat es die Fahr erlaubnis unter Anordnung einer Sperrfrist von drei
Jahr en entzogen und den Führerschein eingezogen. Gegen dieses Urteil wen-
det sich die Staatsanwaltschaft mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten einge-
legten, ausweislich der Revisionsbegründung auf den Strafausspruch und die
Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkten und auf die Sachr ü-
ge gestützten Revisionen. Die Beschwerdeführerin er strebt die Verhängung
höherer Einzel- und Gesamtfreiheitsstrafen sowie die Anordnung der Siche-
rungsverwahrung. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.

Die Strafausspr üche sind rechtsfehler frei. Der Er örter ung bedarf nur fol-
gendes:
 
1. Die Strafkammer dur fte beim Angeklagten T.  strafmildernd
ber ücksichtigen, daß er von seinem Mittäter in die Taten hineingezogen wur de.
Die ausländerrechtlichen Folgen der Verurteilung T.  s, die in der Re-
gel kein bestimmender Strafzumessungsgesichtspunkt sind, waren erkennbar
kein gewichtiger Milderungsgrund.
 
2. Auch die Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe des An-
geklagten B. weist keinen Rechtsfehler auf. Die von der Strafkammer ange-
nommene Einsicht und Reue dieses Angeklagten ist noch tragfähig begründet.
 
 
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II.
 
 Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung hält rechtlicher Überpr ü-
fung stand.
 
1. Die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB sind hier gege-
ben.
 
2. Die sachverständig beratene Strafkammer hat bei beiden Angeklagten
zutreffend einen Hang i. S. d. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB bejaht. Das versteht sich
bei der hier vorliegenden Tatserie von selbst.
 
3. Die Strafkammer hat für beide Angeklagten, bezogen auf den Urteils-
zeitpunkt, angenommen, von ihnen seien keine weiteren erheblichen rechts-
widrigen Taten zu erwarten, so daß sie für die Allgemeinheit nicht gefährlich
seien (UA S. 33/34). Bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66
Abs. 2 StGB darf der Tatrichter dem Alter des Angeklagten und den Wirkungen
eines langjährigen Str afvollzugs Bedeutung beimessen, wenn sie - nach dem
Ergebnis der Hauptverhandlung - eine Haltungsänderung des Angeklagten er-
warten lassen (vgl. BGH, Urt. vom 18. Oktober 1994 - 1 StR 576/94; BGHR
StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 6).
 
Dies hat die Strafkammer bedacht. Die Erwägung der Str afkammer, die
Angeklagten würden aufgrund ihrer Intelligenz "bei künftiger Risikoabwägung
hinsichtlich neuer autonomer Tatentschlüsse unter dem Eindruck des Verfah-
rens erkennen, daß gleichartige oder ähnliche Taten in der Zukunft unweiger-
lich auf sie weisen und wegen der bei der Polizei gespeicherten Daten leichter
 
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zu beweisen sein werden, daß sie damit praktisch kaum mehr eine Chance ha-
ben werden, unentdeckt zu bleiben" ist in diesem Zusammenhang allerdings
mißverständlich. Darauf hat die Beschwerdeführerin zu Recht hingewiesen.
 
Die Strafkammer hat aber weiter - und ersichtlich tr agend - darauf abge-
stellt, daß die beiden Angeklagten nicht nur bei der Polizei, sondern auch in
der Hauptverhandlung ein umfassendes Geständnis abgegeben haben, in dem
sie der Strafkammer ihre Distanzierung von ihrem bisher durch die Straftaten
bestimmten Lebensstil und ihre Umkehr glaubhaft versichert haben. Dies ist ein
rechtlich zutreffender Ansatz. Die Str afkammer hat sich bei ihrer Überzeu-
gungsbildung nicht nur auf eine "bloße Hoffnung" sich künftig änder nder Le-
bensumstände gestützt. Sie hat vor dem Hintergr und der Herkunft beider An-
geklagten, ihrer bisherigen persönlichen Entwicklung und der durch die Fest-
nahme bewirkten Beendigung der Tatserie abgegebenen glaubhaften, mit den
polizeilichen Ermittlungen übereinstimmenden Geständnisse eine einschnei-
dende Änderung in den persönlichen Lebensbereichen der Angeklagten zwi-
schen Tatbegehung und dem für die Prognose maßgeblichen Zeitpunkt der
Hauptverhandlung angenommen. Auch sind beide Angeklagten vor ihr en Taten
noch nicht - der Angeklagte T.  - oder jedenfalls nicht einschlägig be-
straft worden - so der Angeklagte B.  - und haben beide noch keine Frei-
heitsstrafen verbüßt.
 
Vor dem Hintergrund dieser vom Tatrichter als ernsthaft angesehenen
Distanzierung von einer Tatserie und dem bekundeten er nsthaften Umkehrwil-
len stellt es hier keinen Rechtsfehler dar, daß die Str afkammer allein die lang-
jährigen Freiheitsstrafen verhängt hat. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers
soll der Tatrichter die Möglichkeit haben, sich auf die Verhängung einer Frei-
 
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heitsstrafe zu beschr änken, sofern er wartet werden kann, daß sich dieser die
Strafe hinreichend zur Warnung dienen läßt. Damit kann der Tatrichter dem
Ausnahmecharakter der Vorschrift des § 66 Abs. 2 StGB Rechnung tragen, der
sich daraus ergibt, daß Absatz 2 - im Gegensatz zu Absatz 1 - eine frühere
Verur teilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzt (vgl.
Hanack in LK StGB 12. Aufl. § 66 Rdn. 173, 50 ff. unter Hinweis auf die Berich-
te des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform). Die Wirkungen eines
langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters
erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind dabei wichtige Krite-
rien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen dieser
Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind (BGH NStZ 1984, 309; 1996,
331; BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 1). Die Strafkammer hat
im einzelnen dargelegt, sie habe sich deshalb mit den Wirkungen der verhäng-
ten Freiheitsstrafen und den Auswirkungen des Strafvollzugs auf die Angeklag-
ten auseinandergesetzt, weil sie hohe Freiheitsstrafen verhängt habe. Die An-
geklagten würden nach Verbüßung von zwei Dritteln frühestens in rund acht-
einhalb Jahren wieder in Freiheit sein, die lange Verbüßungsdauer bringe Ent-
wöhnung vom bisherigen Lebensstil und von der bisherigen Anspruchshaltung
und sie rücke bei beiden Angeklagten andere Werte wie Freiheit und Kontakt
mit der Familie in den Vordergrund.
 
Diese Entscheidung des Tatrichters ist (wie jede Prognose) vom Revisi-
onsgericht nur in begrenztem Umfang nachprüfbar (BGH StV 2002, 479) und
vom Senat hinzunehmen.
 
 III.
 
 
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Mit der Möglichkeit der Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsver-
wahrung nach § 66a StGB setzt sich das angefochtene Urteil zu Recht nicht
auseinander. Darin liegt kein Rechtsfehler. Die am 28. August 2002 (BGBl. I
S. 3344) in Kraft getretene Vorschr ift kommt nur in Betracht, wenn zum einen
ein Hang im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB festgestellt ist und wenn zum
anderen eine erhebliche, naheliegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß
der Täter für die Allgemeinheit im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB gefährlich
ist und dies auch zum Zeitpunkt einer möglichen Entlassung aus dem Strafvoll-
zug sein wird. Diese zweite Voraussetzung liegt hier nicht vor.
 
Nack      Wahl      Boetticher
   Hebenstreit      Graf
 



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